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POLITIK/1633: Risiken und Nebenwirkungen des Gesundheitsfonds (spw)


spw - Ausgabe 8/2008 - Heft 168
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Risiken und Nebenwirkungen des Gesundheitsfonds

Von Thomas Gerlinger, Kai Mosebach und Rolf Schmucker


Am 1. Januar 2009 tritt der Gesundheitsfonds in Kraft, das Kernstück des von der großen Koalition im Frühjahr 2007 beschlossenen "Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung" (GKVWSG). Der Fonds ist Ergebnis eines gesundheitspolitischen Kompromisses der Regierungsparteien, deren unterschiedliche Reformvorstellungen hinsichtlich der künftigen Finanzierung der GKV (Bürgerversicherung vs. Kopfprämie) nicht miteinander vereinbar waren. Das Modell des Gesundheitsfonds ist von verschiedener Seite, nicht zuletzt von den Krankenkassen, heftig kritisiert worden. Dennoch beharrte die Bundesregierung auf dessen Konstruktionsprinzipien und auf dem Zeitplan für seine Einführung.


Was ändert sich?

Zukünftig fließen die Beitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenkassen in einen Fonds und werden durch einen steuerfinanzierten Bundeszuschuss ergänzt, der bis 2014 auf 14 Mrd. Euro ansteigen soll. Die Krankenkassen erhalten aus dem Fonds einen festen Betrag je Versichertem und einen Risiko-Zuschlag, für dessen Höhe Alter und Geschlecht der Versicherten sowie - das ist neu - bestimmte Krankheitsmerkmale ("Morbi-RSA") maßgeblich sind. Mit Wirkung vom 1.1.2009 legt die Bundesregierung per Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats einen bundeseinheitlichen Beitragssatz fest. Die Krankenkassen verlieren somit ihre Kompetenz zur Beitragssatzgestaltung. Ab 2009 wird der bundeseinheitliche Beitragssatz (zunächst) 15,5 Prozent betragen.


Kann eine Krankenkasse ihre Ausgaben mit den ihr zugewiesenen Mitteln nicht mehr decken, muss sie entweder die kassenspezifischen Leistungen kürzen oder einen Zusatzbeitrag erheben, der allein von den Versicherten - und nicht vom Arbeitgeber - aufgebracht wird. Der Zusatzbeitrag kann pauschal oder prozentual zum Einkommen erhoben werden und soll - zumindest bislang - ein Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds nicht überschreiten (2009 sind dies bis zu 36,75 Euro pro Monat, da die Beitragsbemessungsgrenze bei 3.675 Euro liegt). Allerdings wird eine Einkommensprüfung erst ab einem monatlichen Zusatzbeitrag von mehr als acht Euro vorgenommen. Wer weniger als 800 Euro verdient,kann also durchaus mit mehr als einem Prozent seines Einkommens belastet werden. Sobald eine Krankenkasse einen Zusatzbeitrag einführt oder anhebt, steht dem Versicherten ein Sonderkündigungsrecht zu, auf das ihn die Kasse hinweisen muss. In diesem Fall kann der Versicherte die Krankenkasse sofort wechseln.

Zum Start des Gesundheitsfonds sollen Beiträge und Steuerzuschüsse die Ausgaben der GKV zu 100 Prozent finanzieren. Sollten die Ausgaben danach die Einnahmen übersteigen, müssen die Krankenkassen das Defizit zunächst durch die Einführung von kassenindividuellen Zusatzbeiträgen für die Versicherten decken. Die Summe aller Zusatzbeiträge kann auf bis zu fünf Prozent der GKV-Gesamtausgaben steigen - der Deckungsgrad durch den Gesundheitsfonds also auf 95 Prozent sinken. Erst wenn dieser Wert überschritten wird, ist eine Anhebung des gemeinsam von Versicherten und Arbeitgebern finanzierten Beitragssatzes vorgesehen.

Damit wird künftig der Zusatzbeitrag zum zentralen Parameter der Kassenkonkurrenz. Davon erhoffen sich die Architekten des Fonds eine Intensivierung des Wettbewerbs, denn die absolute Höhe des Zusatzbeitrags - so die Erwartung - stellt ein eindeutigeres Preissignal dar als der vielfach unbekannte Beitragssatz.


Zusatzbeitrag mit sozialer Schlagseite

Die SPD hält sich zugute, dass die jüngste Gesundheitsreform keine neuen finanziellen Belastungen oder Leistungseinschränkungen für die Versicherten mit sich bringe und die bisherige gemeinsame Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhalten bleibe. Allerdings ist absehbar, dass sich die Finanzierungslasten mittelfristig weiter von den Arbeitgebern auf die Versicherten verlagern werden. Denn man darf annehmen, dass es nicht allzu lange dauern wird, bis sich eine neue Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben in der GKV auftut, und für diesen Fall beinhaltet die Konstruktion des Zusatzbeitrags einen Automatismus, der genau jene Wirkung herbeiführt. Gerade im Zuge der internationalen Finanzkrise, deren Wirkungen bereits in der Realwirtschaft spürbar sind, erwartet nicht nur die Bundesagentur für Arbeit eine Verringerung der Erwerbstätigen und den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze. Steigende Arbeitslosenzahlen haben aber einen unmittelbaren negativen Einnahmeeffekt auf die GKV. Daher ist gerade vor dem Hintergrund der heraufziehenden Wirtschaftskrise schon jetzt mehr als fraglich, ob der Beitragssatz von 15,5 Prozent für die Ausgabendeckung tatsächlich ausreichen wird.


Außerdem ist mittel- und langfristig von einem Anstieg der GKV-Ausgaben auszugehen. Einerseits lassen sich persönliche Gesundheitsdienstleistungen nicht so stark rationalisieren wie andere Tätigkeiten und werden sich daher - ceteris paribus - verteuern. Andererseits führen der medizinischer Fortschritt und eine alternde Bevölkerung potenziell zu einer verstärkten Ausgabenentwicklung, auch wenn hier Horrorszenarien, die von interessierter Seite immer wieder beschworen werden, nicht angebracht sind. Als Folge schwindender Einnahmen und steigender Ausgaben sind also Finanzierungsschwierigkeiten für die GKV zu erwarten. Sollten die Zusatzbeiträge ggf. dann die Fünf-Prozent-Schwelle erreicht haben, bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung tatsächlich den Beitragssatz anhebt.

Denn es ist ein Leichtes, den gesetzlich vorgeschriebenen Deckungsanteil des Gesundheitsfonds beim Erreichen des Schwellenwerts von 95 Prozent weiter zu senken und den der Zusatzbeiträge zu erhöhen. Es bedarf jedenfalls keiner blühenden Phantasie, um sich vorzustellen, dass in diesem Fall das Standortargument stabiler Arbeitgeberbeiträge für die Forderung bemüht wird, das Finanzierungsdefizit nicht durch eine Anhebung des Beitragssatzes, sondern der Zusatzbeiträge zu decken.


Dabei führt die Beschränkung des Zusatzbeitrages auf ein Prozent des Bruttoeinkommens zu beträchtlichen Fehlsteuerungen. Denn Krankenkassen mit einer hohen Anzahl einkommensschwacher Mitglieder, die schnell die Überforderungsgrenze von einem Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen erreichen, werden gezwungen sein, den Zusatzbeitrag stärker anzuheben als Krankenkassen mit vielen Besserverdienenden. Genau aus diesem Grund schafft dieses Instrument neue Anreize zur Selektion "guter Risiken": Krankenkassen müssen weiterhin daran interessiert sein, möglichst viele Mitglieder mit hohem Einkommen - die im Übrigen auch, wie die sozialepidemiologische Forschung zeigt, einen überdurchschnittlich guten Gesundheitszustand aufweisen - an sich zu binden. Die Konstruktion des Zusatzbeitrags wird dazu führen, dass die Ungleichheit in der Beitragsgestaltung bald wieder in die Krankenkassenlandschaft zurückkehrt.


Bundeseinheitlicher Beitragssatz: Gewinner und Verlierer

Der einheitliche Beitragssatz führt zu Beitragssatzsteigerungen bei bislang günstigen Krankenkassen. Dies liegt jedoch nicht daran, dass die Einführung des Gesundheitsfonds einen Anstieg der GKV-Ausgaben bewirkt. Jeweils rund die Hälfte der Kassenmitglieder liegt derzeit unter bzw. über dem durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatz von 13,95 Prozent (ohne den 2003 eingeführten Sonderbeitrag aller Versicherten in Höhe von 0,9 Prozent). Die Beitragssatzspanne zwischen den Krankenkassen ist erheblich. Zurzeit erhebt die günstigste Krankenkasse 11,3 Prozent, die teuerste 16 Prozent. Wenn nun ein bundeseinheitlicher Beitragssatz eingeführt wird, liegt es auf der Hand, dass es Verlierer und Gewinner geben muss. Verlierer werden vor allem die Mitglieder der Betriebs- und der Innungskrankenkassen sein, von denen 88,1 bzw. 65,6 Prozent im Frühjahr 2008 unter dem durchschnittlichen Beitragssatz lagen. Unter den großen Ersatzkassen zählen die Versicherten der Techniker Krankenkasse zu den Verlierern. Gewinner werden vor allem die Versicherten der Ortskrankenkassen sein, insbesondere derjenigen in wirtschaftlich schwächeren Bundesländern (79 Prozent aller AOK-Versicherten zahlen einen überdurchschnittlichen Beitragssatz).


Dagegen, dass es bei einem bundeseinheitlichen Beitragssatz Verlierer und Gewinner gibt, ist aus der Perspektive einer solidarischen Krankenversicherung nichts einzuwenden, denn diejenigen, die bisher noch in einer günstigeren Kasse versichert sind, profitieren davon, dass der Gesundheitszustand ihrer jeweiligen Versichertengemeinschaft überdurchschnittlich gut und der Behandlungsbedarf daher vergleichsweise gering ist. Durch die auseinanderklaffenden Beitragssätze ergeben sich erhebliche Unterschiede in den finanziellen Belastungen für die Versicherten: Bei einem Bruttoeinkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze von monatlich 3.600 Euro im Jahr 2008 zahlt ein Arbeitnehmer in der günstigsten Kasse einen Monatsbeitrag von 235,80 Euro, in der teuersten 320,40 Euro. Sein Beitrag ist also um 36 Prozent höher, und die absolute Differenz beläuft sich, aufs Jahr gerechnet, allein beim Arbeitnehmerbeitrag auf 1.015,20 Euro - und zwar bei einem nahezu identischen Leistungskatalog.

Wenn die Krankenversicherung für die große Mehrheit der Kassenmitglieder vom 1. Januar 2009 an teurer wird, so ist dies also auf das Zusammentreffen von zwei unterschiedlichen Mechanismen zurückzuführen: Zum einen verliert rund die Hälfte der Versicherten einen Vorteil, der aus der Perspektive einer solidarischen Krankenversicherung nicht zu rechtfertigen ist. Zum anderen werden für alle Versicherten Ausgabensteigerungen (Ärztevergütung, Krankenhauszuschüsse) wirksam, die in keinem ursächlichen Zusammenhang zum neuen Finanzierungsmodus stehen.


Chronisch Kranke weiterhin als Wettbewerbsnachteil

Von zentraler Bedeutung für das GKV-Ordnungsmodell und die Handlungsanreize der Krankenkassen ist der Risikostrukturausgleich (RSA). Die Funktion des RSA sollte darin bestehen, die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Kassen auszugleichen und den Wettbewerb um "gute Risiken" - also Versicherte mit hohen Einkommen und geringem Erkrankungsrisiko - zu vermeiden. Denn die Ausgangspositionen der Gesetzlichen Krankenkassen sind sehr unterschiedlich. So wies beispielsweise die Techniker Krankenkasse im Jahr 2005 Beitragseinnahmen von 2.921 Euro und Leistungsausgaben von 2.388 Euro je Versicherten auf, bei den AOK-Kassen standen 2.323 Euro Einnahmen 3.241 Euro Ausgaben gegenüber. Diese Differenzen ergeben sich im Wesentlichen aus der unterschiedlichen Zusammensetzung der jeweiligen Versichertengemeinschaft.


Im neuen Umverteilungsmechanismus werden neben indirekten Krankheitsindikatoren nun auch erstmals Krankheiten (Morbidität) berücksichtigt. Dieser "morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich" ("Morbi-RSA") tritt gemeinsam mit dem Gesundheitsfonds in Kraft. Das Bundesversicherungsamt hat mittlerweile 80 Krankheiten festgelegt, für deren Behandlung die Krankenkassen pro Kopf mindestens 50 Prozent mehr als im Durchschnitt für ihre Versicherten aufwenden. Diese Regelung sieht jedoch nur eine partielle Berücksichtigung der Morbidität vor; die Beschränkung auf 50 bis 80 Krankheiten ist rein sachlich ebenso wenig zu begründen wie die Nichtberücksichtigung von Krankheiten, deren Kosten den Durchschnitt um weniger als 50 Prozent überschreiten. Beide Entscheidungen sind vielmehr Ausdruck eines politischen Kompromisses.

Schon aufgrund dieser gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen ist bereits jetzt klar, dass der künftige Morbi-RSA nur einen Teil der Finanzierungsrisiken ausgleichen wird. Die Finanzsituation der Krankenkassen mit einem überdurchschnittlichen Anteil chronisch Kranker wird sich also gegenüber den Konkurrenten etwas verbessern, aber sie werden weiterhin strukturell benachteiligt und daher gezwungen sein, den erwähnten Zusatzbeitrag früher zu erheben und stärker anzuheben als Krankenkassen mit einer günstigen Risikostruktur. Grundsätzlich ist die Frage, ob der Finanzbedarf über einen Zusatzbeitrag gedeckt werden muss, nicht in erster Linie von der wirtschaftlichen Effizienz der Kasse abhängig, sondern von ihrer Versichertenstruktur. Anreize zur Risikoselektion werden also für alle Krankenkassen fortbestehen.


Wettbewerb um Qualität?

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Kassen in einem intensivierten Wettbewerb Qualitätsaspekten einen höheren Stellenwert einräumen werden, um auf diesem Wege für Versicherte attraktiv zu werden. Die Konstruktionsweise des Gesundheitsfonds lässt allerdings befürchten, dass weniger der Qualitäts- als der Preiswettbewerb in der GKV gefördert wird. Die Krankenkassen werden künftig alles daran setzen, die Erhebung eines Zusatzbeitrags zu vermeiden, weil ein solcher Schritt einen Verlust an Mitgliedern und Reputation nach sich ziehen würde. Daher dürfte beispielsweise die Streichung kassenspezifischer Leistungen im Zweifelsfall einer Einführung oder Anhebung des Zusatzbeitrages vorgezogen werden.


Des Weiteren werden die Krankenkassen bestrebt sein, den ökonomischen Druck an die Leistungsanbieter - also Ärzte und Krankenhäuser - weiterzugeben, indem sie beispielsweise Vergütungsverträge abschließen, die für die Leistungsanbieter finanzielle Anreize zur Ausgabenbegrenzung beinhalten. Bereits die Reformen der letzten Jahre haben entsprechende Optionen für die Krankenkassen beständig erweitert. Je höher der Versichertenanteil der Krankenkasse und damit ihre Nachfragemacht und Steuerungsfähigkeit ist, desto eher wird es ihr gelingen, die Verträge im eigenen Interesse zu gestalten. Dies erhöht auch den Druck unter den Krankenkassen, sich zusammenzuschließen und hat bereits zu einigen Fusionen im Vorfeld der Einführung des Gesundheitsfonds geführt (z.B. IKK Direkt mit der TK und BKK Allianz mit der KKH).

Zwar haben die Kassen in jüngerer Zeit verstärkt auch Qualitätsaspekte in die vertraglichen Vereinbarungen mit Leistungsanbietern aufgenommen. Allerdings sind kaum Gründe erkennbar, weshalb die Kassen im Zweifelsfall der Qualitätsverbesserung den Vorrang vor Einsparungen geben sollten. Zudem haben finanzielle Anreize zur Leistungsbegrenzung (Pauschalvergütungen, Budgets) für Ärzte und Krankenhäuser im Versorgungsalltag eine erhebliche Bedeutung. Informelle Rationierungen - also die Vorenthaltung von medizinisch notwendigen Kassenleistungen durch den Arzt oder deren Erbringung auf Privatrechnung - spielen eine wachsende Rolle, auch wenn sich über die Verbreitung solcher Praktiken keine genauen Angaben machen lassen.

Die Versicherten selbst haben kaum die Möglichkeit, diesen Trends wirksam zu begegnen. Für sie hat die Höhe des Beitragssatzes und künftig des Zusatzbeitrags eine zentrale Orientierungsfunktion bei der Kassenwahl. Als Patienten und (zumeist) Laien können sie die Versorgungsqualität in den meisten Fällen nicht wirklich beurteilen. Zwar sind mittlerweile deutlich mehr Informationen über die Qualität von Versorgungseinrichtungen, insbesondere von Krankenhäusern, verfügbar; diese sind jedoch für Patienten häufig unverständlich, und es ist zudem höchst fraglich, inwiefern diese Informationen wirklich aussagekräftig sind, da die Daten von den Einrichtungen selbst produziert werden. Außerdem ist der Zugang zu solchen Informationen stark abhängig vom Sozial- und Bildungsstatus sowie vom Alter der Patienten. Diejenigen, die am dringendsten auf Informationen über die Versorgungsqualität angewiesen sind, werden in der Regel durch neue Formen der Informationsvermittlung (Internet, Rankings, Verbraucherberatung etc.) besonders schlecht erreicht.


Die Versicherten sind Verlierer

Einige der in der aktuellen Diskussion aufgeführten Argumente gegen den Gesundheitsfonds gehen am Kern der Sache vorbei: Weder führt der Gesundheitsfonds zu Ausgabensteigerungen in der GKV noch setzt er durch den bundeseinheitlichen Beitragssatz dem Wettbewerb im Gesundheitswesen ein Ende.


Das heißt jedoch nicht, dass es keine guten Gründe gegen die Einführung des Gesundheitsfonds gäbe. Denn der Gesundheitsfonds trägt nichts zur Lösung der Finanzierungsprobleme in der GKV bei: Weder stellt er die Finanzierung der GKV auf eine dauerhaft tragfähige Grundlage, noch beseitigt er die Gerechtigkeitsdefizite in der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Weder werden die Versicherungspflichtgrenze beseitigt oder die Beitragsbemessungsgrenze erhöht noch werden andere Einkunftsarten zur Beitragsbemessung herangezogen. Vielmehr beinhaltet der Fonds mittelfristig eine weitere Verlagerung der Finanzierungslasten von den Arbeitgebern auf die Versicherten, denn diese allein müssen auftretende Defizite der Krankenkassen über den Zusatzbeitrag zunächst tragen. Zwar stellt die Einführung von Elementen eines Morbi-RSA einen wichtigen Fortschritt dar; dessen Konstruktion bleibt allerdings unzureichend, und auch nach seiner Einführung werden starke Anreize zur Risikoselektion fortbestehen. Die Konstruktion des Zusatzbeitrags und die nur partielle Berücksichtigung der Morbidität bei der Finanzmittelzuweisung werden die Krankenkassen mit einem hohen Anteil an einkommensschwachen Mitgliedern weiterhin strukturell benachteiligen.


Auf dem Weg zur Bürgerversicherung?

Weitere grundsätzliche Entscheidungen über die Finanzierung der GKV sind auf die kommende Legislaturperiode verschoben, und selbstverständlich hängt die Richtung, die dann eingeschlagen werden wird, stark von den künftigen politischen Mehrheitsverhältnissen ab. Hinter den Schlagworten "Kopfpauschale" und "Bürgerversicherung" verbergen sich konträre Vorstellungen darüber, welche gesellschaftlichen Gruppen in welchem Umfang zur Finanzierung des Gesundheitssystems herangezogen werden sollen. Eine dauerhaft stabile und dabei sozial gerechtere Finanzierung der GKV verlangt die Einführung einer Bürgerversicherung. Die weitgehende Beschränkung auf die Erwerbsarbeit als Einkommensquelle der GKV ist angesichts einer sinkenden Lohnquote nicht mehr tragfähig. Zugleich lassen sich die Privilegien der Privatversicherten und die Nichtberücksichtigung anderer Einkunftsarten bei der Beitragsbemessung sozialpolitisch nicht rechtfertigen.


Die jüngste Gesundheitsreform beinhaltet bekanntlich auch einige Elemente, die man als Ausdruck einer Annäherung zwischen GKV und PKV interpretieren kann und in denen manche sogar Vorbereitungen für eine Bürgerversicherung sehen. Dazu zählt die generelle Versicherungspflicht für alle Bürgerinnen und Bürger sowie der Einbau solcher Elemente in die beiden Systeme, die dem jeweils anderen entnommen sind - Wahltarife in der GKV, ein Basistarif in der PKV. Sofern sich Konvergenztendenzen ablesen lassen, geht mit ihnen allerdings eine weitere Privatisierung von Risiken für die gesetzlich Krankenversicherten einher. Gesunde Versicherte können Tarife mit Selbstbehalt bzw. Beitragsrückerstattungen nutzen, um ihre Beitragszahlungen zu reduzieren. Diese Möglichkeit kommt für Versicherte, die einen regelmäßigen Behandlungsbedarf aufweisen, nicht in Frage. Der partielle Rückzug gesunder Versicherter aus der Finanzierung des GKV-Systems schwächt das Solidarprinzip und führt zu einer Lastenverlagerung auf Versicherte mit (chronischen) gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dies widerspricht dem Konzept einer solidarischen Bürgerversicherung, denn für diese ist nicht nur die Schaffung eines einheitlichen Krankenversicherungssystems, sondern auch dessen solidarische Finanzierung konstitutiv. Die Chancen, dass es zu einer solchen solidarischen Bürgerversicherung kommt, stehen derzeit nicht sonderlich gut.


Prof. Dr. phil. Dr. rer. med Thomas Gerlinger ist Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main; Dr. phil. Rolf Schmucker und Dipl.-Pol. Kai Mosebach sind dort Wissenschaftliche Mitarbeiter.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 8/2008, Heft 168, Seite 22-27
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2009