Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN

RECHT/420: Insektizideinsatz im Ferienflieger - Welche Ansprüche hat der Passagier? (umg)


umwelt · medizin · gesellschaft - 1/2009
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

Insektizideinsatz im Ferienflieger
Welche Ansprüche hat der Passagier?

Von Burkhard Tamm


So mancher Passagier wundert sich vor dem Rückflug aus fernen Ländern, dass das Flugpersonal vor Abflug und lediglich nach einer kurzer Ankündigung unerwartet ein Insektizid über die Köpfe der Passagiere hinweg versprüht, ohne dass diese sich - beispielsweise durch eine Atemmaske - dagegen schützen können.

Wer zum ersten Mal eine Fernreise gebucht hat, ist in aller Regel mehr als überrascht, nun plötzlich vor dem Rückflug aus dem Urlaubsland von einem Mittel eingenebelt zu werden, dessen Namen, Wirkung und Risiko er nicht kennt und das nach den Angaben des Flugpersonals angeblich in keiner Weise gesundheitsschädlich ist. Denn keine oder zumindest kaum eine Airline weist ihre Passagiere bereits vor der Buchung auf die Anwendung dieses im Fachjargon "Blocks-Away-Method" genannten Verfahrens und etwaige Risiken hin. Es fragt sich, welche Rechte dem Passagier gegen die Airline im Zusammenhang mit dieser sog. "Desinsektion" zustehen.


Urteil des Amtsgericht Frankfurt am Main v. 04.12.2008 (Az. 29 C 1524/08 -46)

Am 04.12.2008 entschied das Amtsgericht Frankfurt am Main in einem vom Autoren geführten Verfahren gegen eine große Airline über Auskunftsansprüche eines Passagiers. Das Urteil ist nach Kenntnis des Autoren deutschlandweit das erste überhaupt zu dieser Fragestellung. Zur Hälfte wurde der Klage stattgegeben, im übrigen wurde sie zurückgewiesen. Die Zurückweisung wurde damit begründet, dass der Kläger nach Ansicht des Gerichts in Bezug auf zwei Klageanträge kein Rechtsschutzbedürfnis hatte, u.a., weil er sich über das von der Beklagten angeblich verwendete Permethrin "(...) vorprozessual bereits selbst umfassend und mit einer Gründlichkeit informiert hatte, wie sie von der Beklagten nur schwer überboten werden dürfte".

Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte die Beklagte, dem Kläger darüber Auskunft zu erteilen:

1. welche Konzentration an Permethrin und ggf. welche weiteren Inhaltsstoffe in welcher Menge das von der Beklagten auf dem Rückflug des Klägers von Kuba nach Paris Charles de Gaulle versprühte Produkt enthält.

2. in welcher Menge dieses Insektizid auf diesem Flug versprüht wurde.


Rechtsgrundlage des Anspruchs und Feststellungen des Gerichts

Das Amtsgericht leitete den Auskunftsanspruch des Klägers aus dem mit der Airline abgeschlossenen Beförderungsvertrag in Verbindung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben her und führt in seinem Urteil wörtlich aus:

"Dem Kläger steht zunächst grundsätzlich ein Auskunftsanspruch über Zusammensetzung, Intensität, Menge, Wirkweise und Gesundheitsrisiken des von der Beklagten anlässlich des streitgegen ständlichen Fluges verwendeten Mittels zu. Insoweit ist die Beklagte aus vertraglicher Nebenpflicht des Luftbeförderungsvertrages her aus verpflichtet, zumindest auf konkrete Anfrage eines über gesund heitliche Beschwerden nach dem Flug klagenden Fluggastes umfassend Auskunft über das eingesetzte Desinsektionsmittel zu erteilen, um es dem betroffenen Fluggast zu ermöglichen, sich ein Bild über mögliche gesundheitliche Risiken zu verschaffen, ggf. angemessene ärztliche Behandlungsmaßnahmen einzuleiten und für sich zu entscheiden, ob künftig Flüge dieser Art für ihn noch verträglich sind."

Das Gericht stellt weiter fest:
"Hierbei kann es für die Bejahung eines solchen, individuellen Anspruches des Klägers dahinstehen, ob von dem durch die Beklagte verwendeten Desinsektionsmittel üblicherweise keine Gesundheitsgefahren ausgehen und der ganz überwiegende Großteil aller Fluggäste nicht über Beeinträchtigungen der Gesundheit klagt.

(...) Hier ist die Frage entscheidungserheblich, ob die Beklagte auf Nachfrage eines über gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgrund der durchgeführten Desinsektion klagenden Fluggastes nachträglich verpflichtet ist, umfassend Auskunft über das verwendete Desinsektionsmittel zu erteilen.

(...) Ein Anspruch des Fluggastes besteht bereits auch, um zu ermit teln, ob diese Beschwerden auf das Desinsektionsmittel oder auf andere Ursachen zurückzuführen sind. (...) Denn es ist dem derart betroffenen Fluggast nicht zuzumuten und auch nicht ohne weiteres möglich, sich die erforderlichen Informationen eigenständig zu beschaffen, um die für ihn von dem Desinsektionsmittel ausgehen den Gesundheitsrisiken einzuschätzen.

(...) Die Erteilung solcher Informationen in Einzelfällen wie dem hier gegenständlichen ist der Beklagten auch zuzumuten. Hierbei fällt wesentlich ins Gewicht, dass die Versprühung des Desinsektions mittels durch die Beklagte veranlasst wird und davon auszugehen ist, dass sich die Beklagte im Klaren darüber ist, welche inhaltliche Zusammensetzung in welcher Konzentration und Menge mit welchen möglichen Gesundheitsrisiken über die Köpfe ihrer Fluggäste versprüht wird."


Aufklärungspflicht bereits vor Buchung der Reise?

Über die Frage, ob Passagiere auch Anspruch darauf haben, bereits vor Abschluss des Luftbeförderungsvertrags darüber aufgeklärt zu werden, dass vor dem Rückflug aus dem Urlaubsland eine Desinsektion durchgeführt werden wird, hatte das Gericht nicht zu entscheiden. Nach Ansicht des Autoren muss jedoch auch ein solcher Anspruch bejaht werden und zwar aus den folgenden Gründen:

Nach den Grundsätzen der sog. culpa in contrahendo (vorvertragliches Verschulden) ist der eine Vertragspartner dem anderen gegenüber verpflichtet, diesen unaufgefordert über solche Umstände aufzuklären und zu informieren, die für dessen Entscheidung erheblich sind(1). Tut er dies nicht, dann kann sich hieraus eine Schadensersatzpflicht ergeben.

Die Frage, ob die von den Airlines eingesetzten Insektizide beim Menschen oder auch nur bei manchen Menschen wie beispielsweise Asthmatikern oder Chemikaliensensiblen, Gesundheitsbeschwerden hervorrufen können, wird in der Wissenschaft zwar nicht einheitlich beantwortet, aber in der Literatur ist eine Vielzahl von Fällen dokumentiert, in denen Fluggäste oder auch Bordpersonal nach Durchführung einer Desinsektion im Flugzeug über Gesundheitsprobleme klagten. Dies ist auch den Airlines bekannt.

Da die Airlines also wissen, dass die von ihnen zur Desinsektion verwendeten Mittel zumindest bei einer Anzahl von Personen Beschwerden hervorrufen, ergibt sich nach Auffassung des Autors nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo und dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Pflicht der Airlines, ihre potentiellen Passagiere bereits vor Buchung einer Reise in geeigneter Weise - z.B. auf den Internetseiten - auf das Verfahren der Desinsektion und die damit etwaig verbundenen Risiken hinzuweisen.

Nur so ist sichergestellt, dass sich beispielsweise ein Asthmatiker oder chemikaliensensibler Mensch bereits vor Antritt einer Reise bei seinem Arzt informieren kann, ob er den Strapazen einer solchen Flugreise gesundheitlich überhaupt gewachsen ist. Sofern es in diesem Punkt Zweifel gibt, kann er sich noch gegen eine Buchung entscheiden, anstatt vollkommen uninformiert zu buchen und dann erst vor Antritt des Rückflugs aus heiterem Himmel und ohne Möglichkeit, sich zu schützen, von einem Insektizid eingenebelt zu werden und womöglich einen Asthmaanfall zu erleiden.

Unterlässt es eine Airline, ihre Passagiere bereits vor Buchung entsprechend aufzuklären und zu informieren, so kann sie sich nach Auffassung des Autoren gegenüber Passagieren, die nach einer Desinsektion unter Gesundheitsbeschwerden leiden, schadensersatzpflichtig machen.


Verpflichtung zur Ermöglichung des Selbstschutzes?

Selbst wenn man aber eine solche Aufklärungspflicht vor Buchung der Reise verneint, so muss nach Ansicht des Autoren jedenfalls folgendes gelten:

Da die Airlines wissen, dass eine Desinsektion - insbesondere unter Anwendung der "Blocks-Away-Method" - bei manchen Menschen gesundheitliche Beschwerden hervorruft, sind sie verpflichtet, ihre Passagiere durch ihr Bordpersonal zumindest direkt vor Versprühung des Insektizids so rechtzeitig zu informieren, dass sich diese noch gegen das Insektizid schützen können, z.B. durch Luftanhalten, Abschirmen von Mund und Nase, Schließen der Augen und/oder Abdecken der Haut.

Eigentlich sollte man in diesem Zusammenhang auch erwarten können, dass Airlines im Sinne eines Services am Kunden ihren Passagieren eine Atemmaske anbieten, damit sie sich auf diese Weise schützen können. Jeder Passagier kann dann selbst entscheiden, ob er dieses Angebot annehmen möchte oder nicht.

Wenn eine Airline ihre Passagiere weder vor Buchung des Fluges noch unmittelbar vor Versprühen des Insektizids informiert und aufklärt und ihren Passagieren zudem nicht die Möglichkeit gibt, sich zu schützen, dann kommen bei Passagieren, die nach einer Desinsektion an Beschwerden leiden, Schadensersatzansprüche in Betracht. Die Durchsetzung solcher Ansprüche gestaltet sich jedoch aufgrund der internationalen flugrechtlichen Bestimmungen schwierig.


Anmerkung

(1) Vgl. Palandt, 67.Aufl., § 242, Rn. 37 und § 280, Rn. 30.


Kontakt:
Dr. jur. Burkhard Tamm
RA mit Schwerpunkt Medizin-/Versicherungsrecht (u.a. BU-Vers.)
Franz-Ludwig-Str. 9
97072 Würzburg
Tel. 0931 - 796 45-0
E-Mail: tamm@ra-bohl.de
Internet: www.tamm-law.de und www.ra-bohl.de


*


Quelle:
umwelt · medizin · gesellschaft Nr. 1/2009, (Februar 2009) S. 61-62
22. Jahrgang
Verlag: UMG Verlagsgesellschaft mbH
Frielinger Str. 31, 28215 Bremen
Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Erik Petersen
Tel.: 0421/498 42 51; Fax: 0421/498 42 52
E-Mail: umg-verlag@t-online.de
Internet: www.umwelt-medizin-gesellschaft.de

Erscheinungsweise: vierteljährig
Bezugspreis: Für Mitglieder der Umweltmedizinischen Verbände dbu, DGUHT, IGUMED
und Ökologischer Ärztebund sowie des weiteren beteiligten Verbands
DGMCS ist der Bezug der Zeitschrift im Jahresbeitrag enthalten.
Das Abonnement kostet ansonsten jährlich 38,- Euro frei Haus, Ausland 45,- Euro.
Einzelheft: 10,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2009