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RECHT/436: Neues Patientenverfügungsgestz - Mehr Selbstbestimmung (Diabetes Journal)


Diabetes-Journal 12/2009 - aktiv gesund leben

Neues Patientenverfügungsgesetz
Mehr Selbstbestimmung

Von Oliver Ebert


Zum 1. September 2009 ist das neue "Patientenverfügungsgesetz" in Kraft getreten. Nunmehr sind schriftliche Patientenverfügungen für Ärzte und Angehörige verbindlich und müssen unabhängig vom Krankheitsstadium beachtet werden. In diesem Beitrag informieren wir Sie.


Menschen mit Diabetes sowie andere chronisch kranke Menschen müssen mit einem erhöhten Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko leben. Aber auch durch Unfall oder Krankheit kann plötzlich eine Situation eintreten, in der Sie selbst nicht mehr ansprechbar sind. In solchen Fällen muss jemand Ihre Angelegenheiten regeln dürfen dies beginnt bei Überweisungen und reicht bis hin zur Entscheidung über bestimmte Behandlungsrisiken. Die Entscheidungen werden von Dritten getroffen - von Ärzten oder Betreuern und Richtern, die auch über Aufnahme und Fortgang Ihrer medizinischen Behandlung entscheiden.


Was mit mir geschehen soll

Was aber soll geschehen, wenn zum Beispiel nach einem Schlaganfall feststeht, dass Sie nach dem eventuellen Erwachen aus dem Koma jegliche körperliche Selbständigkeit verloren haben und auch für einfachste Dinge auf die Hilfe anderer angewiesen sein werden? Mit einer Vollmacht können Sie vorsorgen.

Ein häufiger Irrglaube ist, dass Ehepartner oder nächste Angehörige den Betroffenen im Ernstfall automatisch vertreten können: Dies ist nicht so, in der Praxis kommt es sehr häufig zu Problemen, weil Banken den Zugriff auf Konten des Betroffenen verweigern. Liegt keine Vollmacht vor, mit der der Betroffene im Vorfeld eine Person damit betraut hat, seine Vermögensinteressen wahrzunehmen, so muss zunächst über das Vormundschaftsgericht ein Betreuer bestellt werden.


Ungeliebter Schwiegersohn

Dies kann ein langwieriger Prozess sein; auch ist man nicht automatisch davor geschützt, dass womöglich der ungeliebte Schwiegersohn als Betreuer eingesetzt wird. Gleiches gilt für die Entscheidung über ärztliche Maßnahmen: Solange Sie im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte und auch in der Lage sind, Ihren Willen unmissverständlich zu äußern, liegt die Entscheidung über alle Sie betreffenden ärztlichen Maßnahmen ausschließlich bei Ihnen. Können Sie sich jedoch nicht mehr äußern (z. B. Koma), so ist Ihr mutmaßlicher Wille ausschlaggebend: Bevollmächtigte, Betreuer oder Ärzte müssen daher im Zweifel ermitteln, welche Entscheidung Sie in der konkreten Situation treffen würden.


Leben verlängern?

Mit einer Patientenverfügung kann festgelegt werden, wer in solchen Situationen für Sie Entscheidungen treffen soll und darf. Dies ist bei Eingriffen mit "normalem" Risiko (zum Beispiel Narkoserisiko) noch unproblematisch. Aber: Was ist, wenn nach besagtem Schlaganfall feststeht, dass Sie nach dem Erwachen aus dem Koma körperlich völlig unselbständig sind? Und schon für die einfachsten Dinge die Hilfe anderer benötigen? Sollen dann lebensverlängernde Maßnahmen wie intensivmedizinische Behandlung oder künstliche Ernährung begonnen oder fortgesetzt werden? Oder möchten Sie, dass man, wenn keine Hoffnung auf Heilung oder Besserung besteht, Sie in Würde sterben lässt? Schwierige Fragen, die jeder individuell beantworten wird. Wichtig ist, dass man sich rechtzeitig eine Meinung bilden und diese nachweisbar (Patientenverfügung) dokumentieren sollte.


Treffen Sie Vorsorge - per Patientenverfügung

Stellen Sie sich nun die Situation vor, in der überlegt wird, ob man in hoffnungsloser Lage nicht die künstliche Ernährung abstellen und Sie in Frieden sterben lassen solle: Woher sollen Dritte wie Ärzte oder Betreuer wissen, welche Entscheidung Sie selbst gerne für sich treffen würden? Womöglich werden Sie mit allen Mitteln und unter Qualen am Leben erhalten, obwohl Sie doch lieber sterben würden? Umgekehrt: Man lässt Sie "in Würde" sterben ... und Sie wollen gar nicht?! Und hoffen auf jede Chance oder auf ein Wunder. Es ist daher sehr wichtig, dass für solche Fälle in irgendeiner Form dokumentiert ist, wie Ihre Vorstellungen für eine medizinische Behandlung sind, gerade in der letzten Lebensphase; hier bietet sich die Patientenverfügung an.

Man lässt Sie "in Würde" sterben - und Sie wollen gar nicht und hoffen auf die geringste Chance...



Den Willen niederlegen

In dem Dokument können Sie Ihren Willen bezüglich Art und Weise einer ärztlichen Behandlung niederlegen - besonders wichtig hinsichtlich der Frage, ob und unter welchen Umständen lebenserhaltende bzw. lebensverlängernde Maßnahmen durchgeführt werden sollen. Durch die Patientenverfügung kann auf Ihren mutmaßlichen Willen geschlossen werden; so können Sie trotz aktueller Entscheidungsunfähigkeit Einfluss nehmen auf die Behandlung.

Eine Patientenverfügung muss schriftlich verfasst sein und auch eigenhändig unterschrieben werden. Eine ärztliche oder juristische Beratung vor dem Abfassen einer Patientenverfügung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben; aber ein Beratungsgespräch kann unterstreichen, dass Sie Ihre Wünsche ernsthaft und im Bewusstsein ihrer Bedeutung zum Ausdruck gebracht haben. Schließlich empfiehlt es sich, diese Verfügung regelmäßig (alle ein bis zwei Jahre!) zu überprüfen und durch Unterschrift neu zu bestätigen (Datum nicht vergessen). Selbstverständlich kann eine Patientenverfügung von Ihnen jederzeit und ohne Angabe von Gründen geändert oder widerrufen werden.

Wichtig auch: Sie sollten die Patientenverfügung bei sich tragen oder so deponieren, dass man sie im Zweifel schnell findet.


Ärzte dürfen sich nicht darüber hinwegsetzen

Wenn durch eine Patientenverfügung der Wille des Patienten bezüglich einer ärztlichen Maßnahme eindeutig, unmissverständlich und sicher festgestellt werden kann, so dürfen sich die Ärzte nicht hierüber hinwegsetzen. Schriftliche Patientenverfügungen sind gemäß der neuen Regelungen der §§ 1901, 1903 BGB für Ärzte und Angehörige und auch Gerichte verbindlich - egal in welchem Krankheitsstadium. Wenn der Patient keine lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen mehr wünscht, so muss dies befolgt werden. Beachten Sie aber, dass eine Patientenverfügung eindeutig sein muss: Sie darf keinen Zweifel an Ihrem mutmaßlichen Willen bestehenlassen. Die in vielen Formularen enthaltene Formulierung, "ich möchte in Würde sterben, wenn ein erträgliches Leben nicht mehr möglich erscheint", ist viel zu allgemein und auslegungsfähig.


Wer? - Vorsorgevollmacht!

Eine Patientenverfügung allein reicht aber noch nicht aus: Sie sollten unbedingt auch in einer "Vorsorgevollmacht" festlegen, wer diese im Fall der Fälle durchsetzen soll. Damit Ehepartner oder Kinder im Ernstfall Ihre Angelegenheiten erledigen können, benötigen Sie unbedingt eine schriftliche Vollmacht. Ohne Vorsorgevollmacht ist grundsätzlich kein Zugriff auf Bankkonten möglich. Neben der Patientenverfügung ist also unbedingt zu empfehlen, auch eine Vorsorgevollmacht zu erstellen. Benennen Sie dort die Personen Ihres Vertrauens. Auch eine Vorsorgevollmacht kann natürlich jederzeit widerrufen werden.


Betreuungsvollmacht

Für manche Situationen ist es erforderlich, dass vom Vormundschaftsgericht ein Betreuer bestellt werden muss. Mittels der Betreuungsverfügung kann man bestimmen, wer zum Betreuer bestellt werden soll. Weiterhin kann man festlegen, wo (und wo nicht) man seinen Wohnsitz haben will.

Sie können festlegen, wer auf keinen Fall Betreuer sein soll!

Im Gegensatz zur Vorsorgevollmacht bringt die Betreuungsvollmacht ein gewisses Maß an Kontrolle mit: Der Betreuer wird gerichtlich kontrolliert und muss Rechenschaft über sämtliche Aktivitäten ablegen. Das Vormundschaftsgericht überwacht den Zahlungsverkehr auf dem Konto des Betreuten und kontrolliert auch die Einhaltung der Vorgaben der Betreuungsverfügung.

Wichtig auch: Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden. Sie können in der Betreuungsvollmacht daher auch festlegen, dass bestimmte Personen in keinem Fall als Betreuer eingesetzt werden dürfen.


Eindeutig formulieren!

Es gibt durchaus sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, ab wann das Leben nicht mehr als erträglich anzusehen ist. Sie sollten daher sehr, sehr individuell festlegen, wann eine ärztliche Behandlung untersagt sein soll bzw. diese abzubrechen ist. Denken Sie daran: Je zeitnäher und konkret krankheitsbezogener eine Patientenverfügung formuliert ist, umso weniger Zweifel werden bei deren Auslegung bestehen.


Randnotiz Patientenverfügung: Wichtig ist, ob und unter welchen Umständen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen durchgeführt werden sollen.


Kontakt
RA Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte Ebert & Kohlöffel
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart
Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: ebert@diabetes-und-recht.de
Internet: www.diabetes-und-recht.de


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Was soll geschehen, wenn Sie von einem Schlaganfall aus Ihrem normalen Leben gerissen werden und dadurch jegliche Selbständigkeit
  verloren haben?
- Patientenverfügung: Möchten Sie, dass man, wenn keine Hoffnung auf Heilung oder Besserung besteht, Sie in Würde sterben lässt?
- Was ist Ihr Wille im Fall der Fälle? Die Patientenverfügung muss sehr eindeutig und schriftlich verfasst sein - und eigenhändig
  unterschrieben werden.


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Quelle:
Diabetes-Journal 12/2009, Seite 70 - 72
Herausgeber: Verlag Kirchheim + Co GmbH
Kaiserstr. 41, 55116 Mainz
Tel.: 06131/960 70 30, Fax: 06131/960 70 90
E-Mail: info@kirchheim-verlag.de
Internet: www.diabetes-journal.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2010