Alzheimer Info, Ausgabe 4/14
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
Diagnose Alzheimer: Je früher, desto besser?
Von Prof. Dr. Alexander Kurz, PD Dr. Panagiotis Alexopoulos, Dr. Marion Ortner, PD Dr. Timo Grimmer
Die Alzheimer-Krankheit beginnt nicht mit dem Zustand der Demenz und sie entsteht nicht über Nacht. Das war schon vor 100 Jahren bekannt. Heute wissen wir, dass der Demenz eine symptomfreie Phase und ein Stadium mit geringgradigen, den Alltag kaum beeinträchtigenden Gedächtnisstörungen vorausgehen. Die klinische Diagnose setzt aber bisher am Zustand der Demenz an. Sie stützt sich auf die nach außen in Erscheinung tretenden Folgen der im Gehirn ablaufenden Veränderungen, also auf die fortschreitenden Einschränkungen des Gedächtnisses und anderer Hirnleistungen, auf die Auffälligkeiten des Verhaltens und auf die Einschränkung von Alltagstätigkeiten. Die zu Grunde liegenden Veränderungen von Hirnstruktur und Hirnfunktion selbst waren mit den verfügbaren Untersuchungsmethoden bis vor kurzem nicht direkt nachweisbar. Zu diesen Veränderungen zählen die Ablagerung von beta-Amyloid, das Verkleben von Tau-Protein, sowie die Funktionsstörung und der Untergang von Nervenzellen.
Vor wenigen Jahren wurden durch eine Expertengruppe neue Kriterien für die Diagnose zu Lebzeiten vorgestellt. Sie gehen davon aus, dass es möglich ist, die Alzheimer-Krankheit schon im Stadium geringgradiger Gedächtnisstörungen festzustellen und sie von anderen Krankheiten zu unterscheiden, die zu ähnlichen Symptomen führen. Diese Früherkennung ist durch verbesserte und neue diagnostische Indikatoren möglich geworden. Sie weisen die oben genannten Veränderungen im Gehirn nach. Diese Indikatoren werden manchmal als "Biomarker" bezeichnet. Die wichtigsten davon sind in Tabelle 1 zusammengestellt.
TABELLE 1 Diagnostische Indikatoren (Biomarker) der Alzheimer-Krankheit |
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Indikator |
Nachweismethode |
Was wird angezeigt? |
Größenabnahme des mittleren Schläfenlappens |
Computer-Tomografie, Magnetresonanz-Tomografie |
Schrumpfung und Umbau des Hirngewebes |
Stoffwechselminderung im Schläfenlappen und Scheitellappen |
Positronen-Emissions-Tomografie mit Glukose als Markiersubstanz |
Funktionsstörung von Nervenzellen |
Erhöhte Konzentrationen von verschiedenen Formen des Tau-Proteins |
Untersuchung der Hirn- Rückenmarksflüssigkeit (Lumbalpunktion) |
Schädigung und Verlust von Nervenzellen |
Verminderte Konzentration des beta-Amyloid-Proteins |
Untersuchung der Hirn- Rückenmarksflüssigkeit (Lumbalpunktion) |
Ablagerung von beta- Amyloid im Gehirn |
Amyloidablagerung |
Positronen-Emissions-Tomografie in einer Amyloid-Markiersubstanz |
Ablagerung von beta- Amyloid im Gehirn |
Auffälligkeiten eines oder mehrerer dieser Indikatoren bei Personen mit Gedächtnisstörungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, liefern aber keine Gewissheit, dass die Beschwerden durch die Alzheimer-Krankheit verursacht sind und innerhalb von wenigen Jahren zur Demenz fortschreiten werden. Die Unsicherheit hat mehrere Gründe. Erstens zeigen die Biomarker nur Teilaspekte der Veränderungen im Gehirn an, von denen jeder auch bei anderen Krankheiten sowie bei älteren Menschen ohne Gedächtnisstörungen vorkommen kann. Zweitens besteht zwischen diesen Veränderungen und dem Gesundheitszustand des Betroffenen kein enger Zusammenhang. Man weiß also nicht, ob und wann es zu einer Zunahme der Symptome kommen wird. Drittens liefern die verschiedenen Indikatoren häufig widersprüchliche Messwerte. Eine erheblich stärkere Aussagekraft als auffällige Biomarker-Befunde haben normale Ergebnisse. Sie schließen die Alzheimer-Krankheit mit großer Sicherheit als Ursache aus, lenken die Diagnostik in eine andere Richtung und führen zu einer völlig anderen Beurteilung der Prognose. Treffsicherheit und Vorhersagefähigkeit der Biomarker sind bisher noch nicht umfassend genug erforscht. Daher eigenen sie sich für den Einsatz in wissenschaftlichen Untersuchungen und in spezialisierten Zentren, jedoch nicht für die breite Anwendung in den Versorgungspraxis.
Die Bestimmung eines oder mehrerer der genannten Indikatoren ermöglicht den Betroffenen einen Blick in die persönliche Zukunft, der zwar meist verschwommen ist, aber als Grundlage für Planungen und Entscheidungen in Betracht kommt. Darin sind die möglichen Vorteile der Früherkennung begründet. Normale Biomarker-Befunde können zur Aufdeckung von behandelbaren Ursachen der Gedächtnisstörungen führen. Auffällige Resultate andererseits können Anlass sein, die Lebensplanung zu überdenken, Vorausverfügungen zu treffen und die mögliche künftige Behandlung und Versorgung zu gestalten. Auch sollten alle Möglichkeiten ergriffen werden, den eigenen Gesundheitszustand durch geistige Regsamkeit und körperliche Aktivität aufrecht zu erhalten. Zusätzliche schädliche Einflüsse, die das Auftreten der Symptome begünstigen, lassen sich durch die Behandlung von Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Übergewicht oder übermäßigen Alkoholgenuss vermindern. Am günstigsten wäre es natürlich, wenn der auf Grund von Biomarker-Befunden wahrscheinliche Krankheitsprozess durch geeignete Behandlungsmaßnahmen verlangsamt oder sogar aufgehalten werden könnte. Gegenwärtig gibt es aber weder pharmakologische noch nicht-medikamentöse Verfahren mit einer entsprechenden Wirksamkeit. Dem möglichen Nutzen, den frühzeitige Hinweise auf das Vorliegen der Alzheimer-Krankheit bieten können, stehen erhebliche Nachteile gegenüber. Das Wissen um das wahrscheinliche Fortschreiten der Beschwerden zum Verlust der Eigenständigkeit und zur Notwendigkeit von Pflege kann die Lebensqualität der Betroffenen mindern, wichtige Entscheidungen und Vorhaben blockieren, depressive Reaktionen hervorrufen und sogar zu Suizidgedanken Anlass geben. Auch kann das Wissen um das wahrscheinliche Vorliegen der Krankheit negative Konsequenzen für den Abschluss von Versicherungen haben. Aus diesen Gründen darfaus unserer Sicht die Anwendung von Biomarkern im Rahmen der diagnostischen Klärung von Gedächtnisstörungen nur nach eingehender Information der Patienten erfolgen. Die Betroffenen müssen auf der Grundlage einer individuellen Abwägung von Vorteilen und möglichen Nachteilen zu einer Entscheidung gelangen. Wir halten es für wünschenswert, wenn Familienangehörige oder andere Bezugspersonen in diese Überlegungen einbezogen werden. Weil die Früherkennung der Alzheimer-Krankheit heute noch mit einer erheblichen Irrtumswahrscheinlichkeit behaftet ist, sollte bei Patienten, die sich für den Einsatz von Biomarkern aussprechen, der weitere Krankheitsverlauf durch regelmäßige Nachuntersuchungen überprüft werden.
TABELLE 2 Neue Behandlungsverfahren in klinischer Prüfung |
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Strategie |
Wirkmechanismus |
Ergebnis |
Entfernung von beta- Amyloid aus dem Gehirn |
Markierung von beta- Amyloid durch Antikörper |
Verlangsamung des Fortschreitens der Symptome über 18 Monate |
Verminderung der Ent- stehung von beta-Amyloid durch Sekretase-Blocker |
Blockierung der für die Entstehung von beta- Amyloid verantwortlichen Enzyme (Sekretasen) |
Studien sind derzeit noch im Gang |
Auflösung von Neurofibrillenbündeln |
Hemmung des Verklebens von Tau |
Studien sind derzeit noch im Gang |
Das Verhältnis zwischen Nutzen und Risiken der Früherkennung der Alzheimer-Krankheit und damit der Stellenwert der Biomarker könnte sich in den kommenden Jahren im Zusammenhang mit der Entwicklung von neuen Behandlungsmöglichkeiten entscheidend wandeln. Die vielversprechendsten derzeit in klinischer Erprobung befindlichen Therapieformen sind darauf gerichtet, die Ablagerung von beta-Amyloid zu unterbinden oder sogar rückgängig zu machen oder die Zusammenballungen von Tau aufzulösen.Vor kurzem wurden Studienergebnisse veröffentlicht, die zeigen, dass mit diesen Strategien das Fortschreiten der Symptome verlangsamt werden kann - bei Patienten, die zu Beginn der Therapie bereits den Zustand der Demenz erreicht hatten. Die bisher beobachteten Wirkungen sind nicht sehr ausgeprägt. Man hofft, dass sie deutlicher ausfallen, wenn die Behandlung im Stadium der Gedächtnisstörungen einsetzt, also in einer Phase der Krankheit, in der die im Gehirn eingetretenen Schäden noch deutlich geringer sind. Sollte sich diese Hoffnung in künftigen Studien als gerechtfertigt herausstellen, würden der frühzeitigen Diagnose des Krankheitsprozesses und damit den Biomarkern eine völlig neue Bedeutung zufallen. Sie wären die entscheidende Voraussetzung für eine Behandlung mit dem Ziel, den Zustand der Demenz und der Pflegebedürftigkeit so weit wie möglich hinauszuschieben oder sogar völlig zu vermeiden. Die Verbindung von Früherkennung und Frühtherapie könnte erstmals ein Rüstzeug darstellen, um der Demenz als medizinische und gesellschaftliche Herausforderung wirkungsvoll entgegen zu treten.
Prof. Dr. Alexander Kurz, PD Dr. Panagiotis Alexopoulos, Dr.
Marion Ortner, PD Dr. Timo Grimmer
Zentrum für Kognitive Störungen Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
und Psychotherapie
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München
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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 4/14, S. 14 - 15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2015
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