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FORSCHUNG/225: Huntington-Krankheit - Schneller lernen mit neurodegenerativer Krankheit (idw)


Ruhr-Universität Bochum - 14.09.2012

Schneller lernen mit neurodegenerativer Krankheit

- RUB-Forscher untersuchen Menschen mit Mutation für Huntington-Krankheit
- Schwere der genetischen Mutation hängt mit Lernleistung zusammen



Menschen, die die genetische Mutation für die Huntington-Krankheit in sich tragen, lernen schneller als gesunde Personen. Das berichten Forscher der Ruhr-Universität Bochum und aus Dortmund in der Zeitschrift Current Biology. Je stärker die Mutation ausgeprägt war, desto schneller lernten die Probanden. Damit zeigte das Team erstmals, dass neurodegenerative Krankheiten mit einer gesteigerten Lernleistung einhergehen können. "Es könnte sein, dass die gleichen Mechanismen, die zu den degenerativen Veränderungen im zentralen Nervensystem führen, auch die wesentlich bessere Lernleistung bewirken", sagt Dr. Christian Beste, Leiter der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe "Neuronal Mechanisms of Action Control" an der RUB.

Passives Lernen durch wiederholte Reizdarbietung

In einer vorangegangenen Studie berichteten die Bochumer Psychologen, dass die Leistung des menschlichen Sehsinns nachhaltig verändert werden kann, indem man Probanden für kurze Zeit wiederholt bestimmte visuelle Reize präsentiert (wir berichteten im Mai 2011
http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2011/pm00136.html.de). Aufgabe der Teilnehmerinnern und Teilnehmer war es, Helligkeitsveränderungen in den Reizen zu entdecken. Das konnten sie besser, wenn sie die Reize zuvor eine Weile passiv angeschaut hatten. Die gleiche Aufgabe stellten die Forscher nun 29 Probanden mit der genetischen Mutation für die Huntington-Krankheit, die jedoch noch keine Symptome zeigten. Außerdem testeten sie 45 Kontrollpersonen ohne vergleichbare Mutation im Erbgut. Bei beiden Personengruppen war die Lernleistung nach passiver Reizdarbietung besser als ohne das passive Training. Probanden mit Huntington-Mutation steigerten ihre Leistung jedoch doppelt so schnell wie Personen ohne diese Mutation.

Glutamat könnte paradoxen Effekt vermitteln

Degenerativen Erkrankungen des Nervensystems liegen vielschichtige Veränderungen zu Grunde. Ein wesentlicher Mechanismus ist eine erhöhte Freisetzung des Botenstoffs Glutamat. Da Glutamat aber auch wichtig für das Lernen ist, könnte es in bestimmten Fällen zu dem paradoxen Effekt kommen: bessere Lernleistung trotz Degeneration der Nervenzellen.

Helligkeitsunterschiede unter erschwerten Bedingungen aufspüren

In jedem Versuchsdurchgang sahen die Probanden hintereinander zwei kleine Balken auf einem Computerbildschirm, die entweder gleich hell oder unterschiedlich hell waren. Manchmal änderte sich jedoch nicht nur die Helligkeit von Balken eins zu Balken zwei, sondern auch die Orientierung des Balkens (senkrecht oder waagerecht). "Normalerweise zieht der Ablenkreiz, also die Orientierungsänderung, ganz die Aufmerksamkeit auf sich", erklärt Christian Beste. "Doch nach dem passiven Training mit den visuellen Reizen spielt der Ablenkreiz gar keine Rolle mehr." Die Verschiebung der Aufmerksamkeit von den nicht relevanten zu den relevanten Eigenschaften des Reizes wurde auch im Elektroenzephalogramm (EEG) sichtbar, nämlich in Hirnarealen für die frühe visuelle Verarbeitung.

Stärkere Mutation, bessere Leistung

Bei der Huntington-Krankheit kommt ein kurzer Abschnitt eines Gens wiederholt vor. Die Anzahl der Wiederholungen bestimmt, wann die Krankheit ausbricht. In der vorliegenden Studie ging eine größere Anzahl an Wiederholungen jedoch auch mit einer besseren Lernleistung einher. "Das zeigt, dass es bei neurodegenerativen Veränderungen zu paradoxen Effekten kommen kann", sagt Christian Beste. "Die Alltagsmeinung, dass neurodegenerative Veränderungen grundsätzlich mit Verschlechterungen in unterschiedlichen Funktionen einhergehen, kann in dieser dogmatischen Form nicht mehr aufrechterhalten werden."


Titelaufnahme
C. Beste, E. Wascher, H.R. Dinse, C. Saft (2012):
Faster perceptual learning through excitotoxic neurodegeneration
Current Biology
doi: 10.1016/j.cub.2012.08.012

Weitere Informationen
Dr. Christian Beste
Institut für Kognitive Neurowissenschaft
Abt. Biopsychologie
Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität
44780 Bochum
Christian.Beste@rub.de

Angeklickt
Frühere Presseinformation zum Thema
http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2011/pm00136.html.de

Redaktion:
Dr. Julia Weiler

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution2

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Josef König, 14.09.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2012