Universitätsspital Bern - 19.09.2018
Narkolepsie: Wissenschaftler entlarven den Übeltäter der rätselhaften Schlafkrankheit
Die seltene Schlafkrankheit Narkolepsie verursacht Tagesschläfrigkeit und kurzfristigen Verlust des Muskeltonus. Der zugrunde liegende Mechanismus blieb jedoch bislang ein Rätsel. Eine Forschungsgruppe mit Beteiligung des Universitären Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrums Bern (SWEZ) hat nun die Ursache der Krankheit identifiziert. Dies hat grosse Auswirkungen auf ihre Diagnose und Therapie.
Patienten mit Narkolepsie, einer seltenen Schlafkrankheit, leiden an übermässiger Tagesschläfrigkeit und kurzen Episoden mit Verlust des Muskeltonus, der durch Emotionen ausgelöst wird. Es ist bekannt, dass die Krankheit, die 1877 erstmals beschrieben wurde, durch den graduellen Verlust eines Proteins namens Hypokretin im Gehirn verursacht wird und sich bei genetisch prädisponierten Individuen entwickelt. Der zugrunde liegende Mechanismus blieb jedoch bislang ein Rätsel. Eine in der renommierten Fachzeitschrift «Nature» veröffentlichte Studie berichtet erstmals, dass bei Patienten mit Narkolepsie autoreaktive T-Lymphozyten existieren. Diese erkennen die Hypokretin und können eine Immunantwort herbeiführen, die zum Verlust von hypokretinproduzierenden Neuronen führt. Damit identifiziert die Studie den Übeltäter dieser rätselhaften Krankheit, was grosse Auswirkungen auf deren Diagnose und Therapie hat.
Die Studie ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Grundlagenforscherinnen und forschern und klinischen Wissenschaftlern. Sie wurde gemeinsam von Prof. Federica Sallusto am Institut für Forschung in Biomedizin in Bellinzona (IRB) und an der ETH Zürich sowie von Prof. Claudio L.A. Bassetti am Universitären Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrum (SWEZ) der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital in Bern koordiniert. Ebenfalls beteiligt waren das Schlafzentrum des Ente Ospedaliero Cantonale im Tessin, das Zentrum für Schlafmedizin der Klinik Barmelweid, das Institut für Physiologie der Universität Lausanne, das Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich sowie das Institut für Immunologie der Universität Witten/Herdecke in Deutschland. Die Arbeit wurde vom Schweizerischen Nationalfonds, dem Europäischen Forschungsrat (ERC) und der Helmut Horten Stiftung unterstützt.
Prof. Federica Sallusto zu den Ergebnissen: «Mit neuen sensitiven Methoden konnten wir autoreaktive T-Zellen als Verursacher dieser Krankheit identifizieren. Diese Zellen können eine Entzündung hervorrufen, die zu neuronalen Schäden führt, oder sie können sogar hypokretinproduzierende Neuronen zerstören. Wenn wir autoreaktive T-Zellen in frühen Stadien blockieren, können wir möglicherweise den neuronalen Verlust begrenzen und das Fortschreiten der Krankheit verhindern.»
Prof. Claudio L. A. Bassetti betont den gesellschaftlich-therapeutischen Nutzen dieser Erkenntnisse: «Diese Studie wird das Bewusstsein für Narkolepsie schärfen, die in der Allgemeinbevölkerung wenig bekannt ist und von Ärztinnen und Ärzten oft nicht oder zu spät diagnostiziert wird. Die Publikation wird auch neue Möglichkeiten einer frühzeitigen Diagnose und neuer Behandlungsansätze dieser stark einschränkenden Krankheit eröffnen.»
Hintergrund
Narkolepsie ist eine seltene chronische Gehirnerkrankung, die etwa 0,05
Prozent der Bevölkerung betrifft und sich mit übermässiger
Tagesschläfrigkeit (mit «Schlafattacken»), Kataplexie (Verlust der
Muskelkontrolle, typischerweise ausgelöst durch plötzliche positive
Emotionen), Schlaflähmungen, Halluzinationen und gestörtem Nachtschlaf
manifestiert. Die Ursache der Narkolepsie ist ein Verlust von Neuronen im
Hypothalamus (eine Region des Gehirns), die Hypokretin (HCRT) produzieren
- ein Protein, das das Schlaf-Wach-, Emotions- und Ernährungsverhalten
reguliert. Da bei 95 Prozent der Patientinnen und Patienten ein
spezifischer genetischer Marker (das HLA-Allel DQB1*0602) vorliegt, ist
anzunehmen, dass es sich bei Narkolepsie um eine Autoimmunerkrankung
handelt. Beobachtungen an eineiigen Zwillingen, die für die Krankheit
diskordant sind (der eine hat Narkolepsie, der andere nicht), und die
erhöhte Häufigkeit von Narkolepsie nach Infektionen (z. B. Influenza)
deuten auf eine mögliche Rolle von Umweltfaktoren als Auslöser des
Autoimmunprozesses hin. Die Mechanismen, die beim Verlust von
Hypokretin-Neuronen eine Rolle spielen, sind jedoch bis heute ungeklärt.
Die Entdeckung
In dieser Studie verwendeten die Forscherinnen und Forscher eine sensitive
Methode, die sie entwickelt hatten, um das Repertoire der T-Zellen von
Narkolepsiepatientinnen und patienten zu untersuchen. Damit gelang es zum
ersten Mal, T-Lymphozyten des Typs CD4 - und in einigen Fällen solche des
Typs CD8 - zu identifizieren, die gegen Hypokretin und gegen ein anderes
Protein, das in Hypokretin-Neuronen exprimiert wird, reagieren. Diese
Zellen können eine Entzündung verursachen, die zu neuronalen Schäden führt
oder sogar hypokretinproduzierende Neuronen zerstören. Die Forscherinnen
und Forscher entdeckten auch die molekulare Wechselwirkung, die zur
Hypokretin-Erkennung führt, sowie einen möglichen Mechanismus, wie diese
autoreaktiven T-Zellen der Immunkontrolle entgehen könnten. Schliesslich
wurde keine Kreuzreaktion zwischen Hypokretin und Influenza-Antigenen
nachgewiesen.
«T cells in patients with narcolepsy target self-antigens of hypocretin
neurons»
(Autoren: Daniela Latorre, Ulf Kallweit, Eric Armentani, Mathilde
Foglierini, Federico Mele, Antonino Cassotta, Sandra Jovic, David
Jarrossay, Johannes Mathis, Francesco Zellini, Burkhard Becher, Antonio
Lanzavecchia, Ramin Khatami, Mauro Manconi, Mehdi Tafti, Claudio L.A.
Bassetti, Federica Sallusto)
Verfügbar unter: www.nature.com/nature (nach Embargo)
Originalpublikation:
http://dx.doi.org/10.1038/s41586-018-0540-1
Zu dieser Mitteilung finden Sie Anhänge unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/de/attachment66647
Medienmitteilung // Narkolepsie: Wissenschaftler entlarven den Übeltäter der rätselhaften Schlafkrankheit
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1809
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitätsspital Bern - 19.09.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2018
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