Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 5, Mai 2023
Hauptsache Bewegung!
von Uwe Groenewold
PARKINSON. Virtueller Kongress der Deutschen Parkinson-Gesellschaft: Studien deuten darauf hin, dass Parkinson auch künftig nicht heilbar sein wird. Aerobe Bewegung als komplementärer Ansatz, der das Fortschreiten der Symptomatik verlangsamt.
Neben pharmakologischen Behandlungsansätzen - die bis heute
allerdings noch keinen Durchbruch in der Therapie gebracht haben -
drängt sich in der Parkinson-Forschung eine Intervention in den
Vordergrund, die von der Mehrheit der deutschlandweit rund 400.000
Patientinnen und Patienten zumindest in Maßen umsetzbar ist: Bewegung
und Sport. Körperliche Aktivität sei auf verschiedenen Ebenen
sinnvoll, betonte Prof. Joseph Claßen aus Leipzig beim virtuellen
Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und
Bewegungsstörungen. Sie rege die adaptive Neuroplastizität in
Schaltkreisen der Basalganglien an und könne damit für das geringere
Erkrankungsrisiko von regelmäßig körperlich Aktiven verantwortlich
sein. Ob das Auftreten einer Parkinson-Erkrankung mit sportlicher
Aktivität nur verzögert oder sogar gänzlich verhindert werden könne,
sei Gegenstand von Untersuchungen. Und selbst bei einem manifesten
Parkinson-Beschwerdebild sei aerobe Bewegung - "Radfahren, walken,
schwimmen oder, wenn es geht, joggen", so Prof. Claßen - ein
sinnvoller komplementärer Ansatz, der das Fortschreiten der
Symptomatik verlangsame. "Körperliche Aktivität gilt daher inzwischen
als krankheitsmodifizierender Faktor, der kostengünstig und leicht
anwendbar wäre. Leider bewegen sich 45 % der Menschen nicht oder kaum,
wie sich auch aus Krankenkassendaten ergibt."
Welche Bedeutung Bewegung für Parkinson-Patienten hat, zeigt eine aktuelle Metaanalyse, deren Ergebnisse Moritz Ernst von der Arbeitsgruppe Evidenzbasierte Medizin der Uniklinik Köln vorgestellt hat. Die Analyse von 156 randomisierten kontrollierten Studien ergab, dass sich strukturierte Bewegungsangebote - von Tanzen, Bewegung im Wasser (Gangtraining, Wassergymnastik), Krafttraining und Ausdauertraining bis hin zu Tai-Chi, Yoga und Physiotherapie - günstig auf den Schweregrad von Bewegungssymptomen und die Lebensqualität auswirken (DOI: 10.1002/14651858.CD013856.pub2).
Das Durchschnittsalter der 7.939 Teilnehmer in den in die Untersuchung eingeschlossenen Studien lag zwischen 60 und 74 Jahren. Die meisten von ihnen waren leicht bis mittelschwer erkrankt und hatten keine schweren kognitiven Beeinträchtigungen. Die statistische Auswertung der Studienergebnisse ergab, dass den Teilnehmern die meisten Bewegungsangebote im Vergleich zu keiner Bewegung halfen. Da es sich in aller Regel um Studien mit kleineren Fallzahlen handele, reiche die Datenlage jedoch nicht aus, um das genaue Ausmaß der Symptomverbesserungen zu bestimmen, schränkte Moritz ein. Somit sei auch nicht gesichert, inwieweit diese Verbesserungen klinisch bedeutsam seien. Jedoch unterstreiche die Übersichtsarbeit die Bedeutung von strukturierter körperlicher Bewegung im Allgemeinen, während die genaue Art der Bewegung zweitrangig sein könne. "Deshalb sollten die persönlichen Vorlieben von Menschen mit Parkinson besonders berücksichtigt werden, um sie zu motivieren, überhaupt an einem Bewegungsprogramm teilzunehmen. Hauptsache Bewegung!", lautete das Fazit des Wissenschaftlers.
Dass Parkinson auch in Zukunft noch nicht heilbar sein wird, erläuterte Prof. Uwe Walter aus Rostock, der Ergebnisse dreier Phase-2-Studien vorstellte, die kausale Therapieansätze beim idiopathischen Parkinson-Syndrom (IPS) untersucht haben. Bei zwei Studien handelte es sich um Infusionstherapien mit den Antikörpern Cinpanemab und Prasinezumab, an denen auch deutsche Zentren beteiligt waren. Die Antikörper richten sich gegen das aggregierte Protein Alpha-Synuclein, das wesentlich an der Krankheitsentstehung beteiligt ist. "Alpha-Synuclein wird bei der Parkinson-Krankheit im Übermaß produziert und lagert sich in Form von Lewy-Körperchen in den Nervenzellen ab." In beiden Studien wurden den Patienten über 52 Wochen intravenöse Injektionen verabreicht, ohne dass es zu Verbesserungen relevanter klinischer Parameter im Vergleich zu Placebo kam. In einer weiteren Studie sollte die Reduktion des Eisengehalts im Gehirn mit dem Wirkstoff Deferipron zu einer Verzögerung der Krankheitsprogression bei IPS-Patienten beitragen; auch diese Hoffnungen erfüllten sich nicht. "Die Forschung profitiert auch von Enttäuschungen. Unser großes Anliegen ist es, einen kausalen Therapieansatz bei IPS ausfindig zu machen, denn der Bedarf ist groß", schlussfolgerte Walter.
Auch Schleswig-Holsteinische Experten waren bei der Veranstaltung präsent: Prof. Tobias Bäumer vom UKSH in Lübeck stellte aktuelle Erkenntnisse zur intramuskulären Botulinumtoxin-Injektion bei zervikaler Dystonie vor und Prof. Walter Maetzler vom UKSH Kiel digitale Biomarker für Parkinson-Symptome. Prof. Daniela Berg, ebenfalls aus Kiel, leitete eine Sitzung zur Diagnose und Differenzialdiagnose von Parkinson-Syndromen. Alle Vorträge sind noch bis etwa Ende Juni online abrufbar: www.dpg-akbont-kongress.de.
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 5, Mai 2023
76. Jahrgang, Seite 37
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 6. Juni 2023
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