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SCHLAGANFALL/374: Wenn einen der Schlag bei Geburt trifft... (Uni Bochum)


Ruhr-Universität Bochum - 8. Mai 2016

Wenn einen der Schlag bei Geburt trifft...

Schlaganfall eines Kindes erstmals erfolgreich mit körpereigenem Nabelschnurblut behandelt


RUB-Mediziner: "Bei schwerer Kopfverformung nach der Geburt ist Bildgebung des Schädels mit MRT erforderlich"

Bochumer Medizinern ist es gelungen, eine zerebrale Kinderlähmung nach Schlaganfall eines Neugeborenen mit körpereigenem Nabelschnurblut zu behandeln. Das Kind war scheinbar unauffällig und vital nach der Geburt 2004, wies aber eine starke Schädelverformung auf der linken Seite auf. Eine Magnetresonanz-Untersuchung (MRT) des mütterlichen Beckens ergab als Ursache für die Schädelverformung eine Anomalie des Geburtskanals (sog. "Langes Becken"). Nach sechs Monaten wurden erste neurologische Auffälligkeiten der rechten Körperhälfte festgestellt und nach 10 Monaten durch MRT ein Schlaganfall durch Gefäßverschluß in der linken Gehirnhälfte mit zerebraler Kinderlähmung und Halbseitenlähmung rechts diagnostiziert. Nach der Therapie mit dem Stammzellen enthaltenden Blut im fünften Lebensjahr besserten sich die Symptome deutlich; über die folgenden Monate und Jahre lernte das Kind die rechte Körperhälfte wieder so gut einzusetzen, daß es ohne Gehhilfen an Stadtläufen teilnehmen kann, das Rettungsschwimmer Goldabzeichen (DLRG) erwerben konnte, Fahrrad fährt und beidhändig Klavier spielt. "Unsere Ergebnisse zeigen, zusammen mit ähnlichen Erfolgen an Neugeborenen, die einen Sauerstoffmangel unter der Geburt erlitten hatten, daß auch nach Jahren die neue Therapie wirksam ist", sagt Prof. Dr. Arne Jensen von der Campus Klinik Gynäkologie. Gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Eckard Hamelmann von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des St. Josef-Hospitals (Klinikum der RUB), jetzt Kinderzentrum Bethel, Evangelisches Krankenhaus Bielefeld, berichtet er in der Zeitschrift "Case Reports in Transplantation".

Gute Erfahrungen mit dem ersten Behandlungsfall 2009 wiesen den Weg

Eine ähnliche Behandlung im Januar 2009 hatte ermutigende Ergebnisse erbracht: Der damals behandelte fast dreijährige Patient, erlitt einen Herzstillstand mit schwerem Hirnschaden und lag anschließend mit gelähmtem Körper im Wachkoma. Von dieser erfolgreichen Behandlung der zerebralen Kinderlähmung des jungen Patienten, der inzwischen die Grundschule besucht, hatten die Eltern erfahren und fragten die Bochumer Mediziner, nach der Möglichkeit, auch bei Ihrer Tochter das bei Geburt eingefrorene Nabelschnurblut zu nutzen.

"Zweifelhafte Prognose bei später Gabe des Nabelschnurblutes"

Fünf Jahre nach dem Schlaganfall verabreichten die Ärzte das aufbereitete Blut intravenös. Den Fortschritt der Genesung untersuchten sie 3, 18, 34, und 57 Monate danach. Üblicherweise wird versucht, das Nabelschnurblut möglichst zeitnah nach dem Hirnschaden zur Behandlung einzusetzen, weil die meisten experimentellen Untersuchungen dieses nahelegen. Aber es gibt auch erfolgreiche Behandlungen ähnlicher Schäden nach vielen Monaten in der Literatur. "Zum damaligen Zeitpunkt gab es nach unseren ersten guten Erfahrungen keine Gründe, die gegen einen erneuten Behandlungsversuch sprachen, deshalb haben wir ihn auch durchgeführt, obwohl der Schlaganfall fast 5 Jahre zurück lag. Heute wissen wir, daß die Bluthirnschranke, die bei Schädigungen des Gehirns durchlässig wird, beim Menschen noch Jahre später eine erhöhte Durchlässigkeit zeigt. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, warum die Behandlung mit Nabelschnurblut auch nach Jahren noch wirksam ist", so die Bochumer Mediziner.

Deutliche Erholung nach Nabelschnurblut-Therapie

Nach der Nabelschnurblut-Therapie kam es bei der Patientin zu einer nachhaltigen Erholung. Nach drei Monaten konnte die Patientin den Kindergarten und Schwimmkurse besuchen, nach Aufforderung einen Löffel oder eine Gabel mit der betroffenen Hand halten, den Fuß bei Konzentration in Mittelstellung abrollen und auf Zehenspitzen gehen. Nach 34 Monaten konnte sie sich die Schnürsenkel binden, auf dem betroffenen Bein (unsicher) hüpfen, lernte Schwimmen und Keyboardspielen und erwarb gute Schulnoten. Nach 57 Monaten benutzte sie die betroffene Hand ständig, lernte reiten, nahm an Langlaufwettbewerben teil (3 km), erwarb das Lebensrettungs-Goldabzeichen und spielte beidhändig Klavier.

"Gemessen an der körperlichen Entwicklung in den ersten 5 Jahren nach dem Schlaganfall, sind die Fortschritte in den zweiten 5 Jahren, also nach der Behandlung mit Nabelschnurblut, überraschend positiv" sagt Arne Jensen. "Dies ist sicher auch der aktiven Rehabilitation zu verdanken, steht aber ebenso mit Ergebnissen kontrollierter Studien zur Nabelschnurblut-Therapie bei anderen Hirnerkrankungen im Einklang, die inzwischen vorliegen."

Stammzellen wandern 'gezielt' zum geschädigten Hirngewebe

In Tierversuchen erforschen Wissenschaftler das therapeutische Potenzial von Nabelschnurblut schon länger und haben jetzt Teile des Wirkmechanismus aufgeklärt. In vorangegangen Studien mit Ratten zeigten die RUB-Forscher, nicht nur dass Nabelschnurblutzellen innerhalb von wenigen Stunden nach Verabreichung in großen Zahlen zu der geschädigten Stelle im Gehirn wandern, sondern konnten auch den Eiweißstoff (Stromal-derived factor (SDF)-1) aufklären, der die Zellen anlockt und letztlich zur Wiederherstellung von Nervenprozessen und Schaltkreisen führt. Im Mai 2014 berichteten amerikanische Mediziner in einer kontrollierten Studie an 64 Neugeborenen erstmals, dass sie die Folgen eines schweren Sauerstoffmangels für das Gehirn erfolgreich mit körpereigenem Nabelschnurblut therapiert hatten.


Titelaufnahme
A. Jensen and E. Hamelmann (2016): First autologous cord blood therapy for pediatric ischemic stroke and cerebral palsy caused by cephalic molding during birth - Individual treatment with mononuclear cells, Case Reports in Transplantation
Volume 2016 (2016), Article ID 1717426, 9 pages
http://dx.doi.org/10.1155/2016/1717426

Weitere Informationen

Prof. Dr. med. Arne Jensen
Campus Klinik Gynäkologie
Universitätsstr. 140, 44799 Bochum
Arne.Jensen@ruhr-uni-bochum.de

Prof. Dr. med. Eckard Hamelmann
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, St. Josef-Hospital
Alexandrinenstr. 5, 44791 Bochum
jetzt Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Kinderzentrum / Bethel
Grenzweg 10, 33617 Bielefeld
Eckard.Hamelmann@evkb.de


Originalartikel
http://dx.doi.org/10.1155/2016/1717426

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Ruhr-Universität Bochum
Pressemitteilung vom 8. Mai 2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2016

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