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SCHLAGANFALL/390: Physiotherapie danach - Neuropathische Schmerzen erfordern besondere Behandlung (Thieme)


Thieme Verlag - FZMedNews - 14. Dezember 2016

Physiotherapie nach Schlaganfall: Neuropathische Schmerzen erfordern besondere Behandlung

Neuropathische Schmerzen entstehen durch Schädigungen oder Erkrankungen des Nervensystems.


fzm, Stuttgart, Dezember 2016 - Betroffene beschreiben die Schmerzen als brennend oder stechend, quetschend oder kalt; und sie können so stark sein, dass sie schreien möchten. Von außen betrachtet, treten die Beschwerden jedoch ohne erkennbaren oder angemessenen Auslöser auf. Das macht die Einordnung sogenannter neuropathischer Schmerzen oft schwierig. "Schon leichte Berührungsreize können ausreichen, um eine Schmerzattacke hervorzurufen", sagt Martin Huber, Physiotherapeut und Dozent in Konstanz und Winterthur. Wie der neuropathische Schmerz entsteht und welche Therapiemöglichkeiten es gibt, legt Huber in der Fachzeitschrift "physiopraxis" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2016) anhand eines Fallbeispiels dar.

Den Patienten, über den er berichtet, lernte Martin Huber nach dessen Aufenthalt in einer Reha-Klinik kennen. Dort war er wegen der Folgen eines Schlaganfalls behandelt worden. "Der Schlaganfall lag zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Jahr zurück. Der Patient litt noch immer unter starken Schmerzen", schildert Huber den Zustand zu Beginn der ambulanten Physiotherapie. Da die Schmerzen sich im Zusammenhang mit der physiotherapeutischen Mobilisation regelmäßig verschlimmerten und nach Aussagen des Patienten oft mehrere Tage anhielten, kam Huber auf den Gedanken, dass es sich um einen neuropathischen Schmerz handeln könnte.

Die Schmerzursache liegt immer in einer zurückliegenden Schädigung von Nervenstrukturen, die die Sensorik betreffen - sei es infolge eines Unfalls, einer Operation oder eines Schlaganfalls. Zunächst beklagen die Patienten eine verminderte Sensibilität in den betroffenen Bereichen. So spüren sie Berührungen dort nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr. Zeitlich etwas verzögert kann es dann zudem zu einer Überempfindlichkeit kommen.

Auch in dem von Martin Huber geschilderten Beispiel betraf der Schmerz genau die Bereiche der linken Körperhälfte, in denen Motorik und Sensibilität des Patienten durch den Schlaganfall beeinträchtigt waren. Berührungen und Dehnungsreize während der Therapie verursachten bei ihm starke Schmerzen, die auch Tage nach der Therapie noch anhielten. Worin genau die Überempfindlichkeit begründet ist, ist bislang noch nicht eindeutig geklärt. "Die Ausfälle bewirken offenbar eine Reorganisation der an der Schmerzverarbeitung beteiligten neuronalen Strukturen", fasst Huber einen gängigen Erklärungsansatz zusammen. Fest stehe jedoch, dass sich im Rahmen dieser Neuordnung Schmerzen verselbstständigen können.

In der Therapie erhalten Patienten oft schmerzhemmende Medikamente, auch Methoden der Nervenstimulation oder eine begleitende Psychotherapie haben sich bewährt. Im Rahmen der Physiotherapie, die in erster Linie die Bewegungseinschränkung der Patienten reduzieren soll, ist es wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis der therapeutischen Maßnahmen zu finden, betont Huber. So setzte er im beschriebenen Fall gezielte Berührungsreize in den betroffenen Bereichen, die keine oder nur erträgliche Schmerzen auslösten. "So lernte der Patient allmählich, mit dem Schmerz umzugehen und entwickelte kein Vermeidungsverhalten", erläutert Huber. Auch die sogenannte Spiegeltherapie erwies sich im konkreten Fall als hilfreich. Dabei bewegt der Patient seine gesunde Hand und beobachtet diese gleichzeitig in einem vor der Körpermitte aufgestellten Spiegel. So sieht es für ihn so aus, als würde sich auch die hinter dem Spiegel verborgene gelähmte Hand normal bewegen. Über diese Illusion erhält das Gehirn die Rückmeldung, dass sich die gelähmte Hand fehlerfrei und vor allem schmerzfrei bewegen lässt. Infolgedessen wird eine Art Umbauprozess im Gehirn angeregt und Aufgaben der geschädigten Regionen auf andere Nervenzentren übertragen. "Die optische Rückmeldung hilft auch bei der Verarbeitung der mit der Bewegung verbundenen Empfindungen", sagt Martin Huber. Auf diese Weise ließen sich nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Schmerzempfindlichkeit verbessern.


M. Huber:
Wenn der Schmerz außer Kontrolle gerät
physiopraxis 2016; 14 (11/12); S. 40-43

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Quelle:
FZMedNews - Mittwoch, 14. Dezember 2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2016

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