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ARTIKEL/087: Angeborene Immundefekte - Seltene Krankheiten im Fokus (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 4 vom 3. März 2009

Seltene Krankheiten im Fokus
In Universitätsklinikum Dresden wird zu angeborenen Immundefekten geforscht

Mit Dr. Roesler sprach Dagmar Möbius


Angeborene Immundefekte sind selten und auch bei Medizinern häufig unbekannt. Das Universitätsklinikum Dresden gehört zu den wenigen deutschen Zentren, an denen zum Thema geforscht wird. UJ sprach mit Privatdozent Dr. med. habil. Joachim Roesler, Kinderarzt und Leiter der Immunologischen Ambulanz an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin.

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UJ: Warum ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit für relativ seltene Erkrankungen, wie angeborene Immundefekte, sensibilisiert wird?

DR. ROESLER: Menschen, die einen angeborenen Immundefekt haben, sind in ihrer Lebensqualität stark beeinträchtigt. Wird die Ursache der oft schwerwiegenden und mit Komplikationen verbundenen Erkrankungen nicht gefunden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Patienten sterben. Mit der richtigen Therapie könnten viele aber beschwerdefrei und leistungsfähig werden.

UJ: Experten schätzen, dass den rund 2.000 Diagnostizierten in Deutschland etwa 100.000 Nichtdiagnostizierte gegenüberstehen. Wie sind Ihre Erfahrungen bezüglich derartiger Zahlen?

DR. ROESLER: Es ist richtig, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist. So eine Schätzung entsteht aufgrund von Hochrechnungen bekannter regionaler Fallzahlen und ist sicherlich nicht unproblematisch. Angeborene Immundefekte sind selten, so viel ist klar. Die genaue Zahl der übersehenen Diagnosen kennen wir nicht und sie wird sich vermutlich nicht genau bestimmen lassen. In unsere Ambulanz kommen wöchentlich neue Patienten zur Abklärung. Nicht bei allen handelt es sich tatsächlich um einen angeborenen Immundefekt, von denen ja etwa 140 Arten zu differenzieren sind.

UJ: Wann sollte man den begründeten Verdacht auf einen angeborenen Immundefekt hegen?

DR. ROESLER: Die Deutsche Selbsthilfe Angeborene Immundefekte (DSAI) hat zwölf Hinweise zusammengestellt, die an eine solche Erkrankung denken lassen sollten. Häufig kommen Eltern von Kleinkindern zu uns, die wegen gehäufter Infekte besorgt sind. In den meisten Fällen handelt es sich um eine vorübergehende, normale Erscheinung. Im Zweifelsfall ist es ratsam, dass uns der behandelnde Arzt telefonisch oder per E-Mail um Rat fragt. Die Diagnostik und Behandlung seltener Erkrankungen erfordert Spezialwissen und sollte daher in Spezialzentren erfolgen.

UJ: Zu seltenen Krankheiten wird meist auch wenig geforscht. Sie selbst beschäftigen sich seit den 80er Jahren wissenschaftlich mit angeborenen Immundefekten. Wie muss man sich das praktisch vorstellen?

DR. ROESLER: An unserer Klinik sind mehrere Kollegen in Forschungsprojekte zu angeborenen Immundefekten involviert. Im Mittelpunkt stehen beispielsweise Vorgänge von Phagozyten, den Fresszellen des Immunsystems, die Krankheitserreger aufnehmen und vernichten können. Es sind sehr spezielle Fragestellungen, mit denen wir uns befassen. Teilweise arbeiten wir international vernetzt. So bearbeiten wir ein Projekt zum Interferongammarezeptordefekt gemeinsam mit einem Pariser Forschungsteam oder Fragestellungen zum Hyper-IgE-Syndrom mit Kollegen aus München und Seattle in den USA. Auch mit Abläufen des sogenannten periodischen Fiebers, bei denen sich Entzündungen im Körper abspielen, die nicht durch Erreger, sondern durch Fehlregulationen bedingt sind, beschäftigen wir uns. Praktisch sieht die Forschungsarbeit so aus, dass wir spezielle Labordiagnostik durchführen, klinische Ausprägungen und Therapieverläufe beobachten. Einen Diagnostiktest zur Septischen Granulozomatose, einem bei uns häufigerer vorgestellten angeborenen Immundefekt, haben wir gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut in Hannover und einer Gruppe in München entwickelt. Aus unserer Klinik sind bisher über 80 Publikationen zur Thematik veröffentlicht worden, zum Teil in Zusammenarbeit mit anderen Zentren.

UJ: Werden angeborene Immundefekte Ihrer Meinung nach in der Lehre ausreichend berücksichtigt?

DR. ROESLER: Wahrscheinlich nicht. Aber dazu gibt es auch zu viele seltene Erkrankungen.

Die Studenten sollten aber wenigstens davon gehört haben, damit sie in ihrer späteren Praxis als Arzt daran denken können. Im Reformcurriculum DIPOL, dem "Dresdner Integrativen Problem-, Praxis- und Patienten-Orientierten Lernen" der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, ist mindestens eine Vorlesung zur Thematik vorgesehen.

UJ: Kürzlich fand die 5. Benefiz-Gala zur Unterstützung der Deutschen Selbsthilfe Angeborene Immundefekte e.V. im Sarrasani-Varietétheater Dresden statt. Unterstützen Sie persönlich derartiges Engagement?

DR. ROESLER: Ja, auf jeden Fall. Die Arbeit solcher Organisationen ist außerordentlich wichtig, denn es ist kein Trost, leiden zu müssen, nur weil man möglicherweise eine seltene Erkrankung hat. Mehr Öffentlichkeit trägt dazu bei, dass Betroffenen, die oft jahrelang gar nicht wissen, was ihnen fehlt, gut geholfen werden kann. Auch ist die gegenseitige Unterstützung von Betroffenen wichtig. Ich halte deshalb auch jährlich Vorträge vor Medizinern und Betroffenen.

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Zwölf Hinweise auf angeborene Immundefekte

  • Mehr als zwei Lungenentzündungen pro Jahr
  • Mehr als zwei schwere Nasennebenhöhlen-Entzündungen im Jahr
  • Mehr als acht neue Ohr-Infektionen in einem Jahr
  • Knochenmark- und Hirnhautentzündungen oder schwere Infektionen
  • Dauerhafter Belag im Mund oder anderswo nach dem 1. Lebensjahr
  • Erkrankungen durch normalerweise ungefährliche Bakterien (atypische Mycobakterien)
  • Unklare chronische Rötungen bei Säuglingen an Händen und Füßen (Graft-vs.-Host-Disease)
  • Wiederkehrende tiefe Haut- oder Organabszesse
  • Mehr als zwei Monate Antibiotikatherapie ohne Effekt oder i.v.-Antibiotika-Therapie
  • Anamnese mit Primärem-Immundefekt-Patienten in der Familie
  • Durch Impfungen ausgelöste Erkrankungen bei Kindern und Säuglingen
  • Geringes Wachstum, geringes Körpergewicht

(Quelle: www.dsai.de)

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 20. Jg., Nr. 4 vom 03.03.2009, S. 7
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82, Telefax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de
Internet: www.tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2009

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