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ARTIKEL/088: Welt-Tuberkulose-Tag - Parlamentarier müssen bittere Pillen schlucken (ÄoG)


Ärzte ohne Grenzen - Montag, 23. März 2009

Welt-Tuberkulose-Tag: Parlamentarier müssen bittere Pillen schlucken

Bundesregierung muss dringend mehr in Forschung und Entwicklung investieren


Berlin, 23. März 2009. Einen Tag vor dem Welt-Tuberkulose-Tag hat Ärzte ohne Grenzen dem deutschen Bundestag bittere Pillen verabreicht. Die internationale Hilfsorganisation überreichte den 612 Abgeordneten Medikamententütchen mit je 23 Tabletten. So viele Pillen muss ein an multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) leidender Patient im Schnitt schlucken: jeden Tag, zwei Jahre lang und ohne sichere Aussicht auf Heilung. Für MDR-TB gibt es derzeit keine geeignete Therapie. Weltweit leiden rund 490.000 Menschen an der Erkrankung. Die Bundesregierung muss Verantwortung übernehmen und ihren Forschungsbeitrag zur TB-Bekämpfung deutlich erhöhen. Gleichzeitig muss sie sich für neue Instrumente zur Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen und Diagnostika öffnen. "Im internationalen Vergleich fällt Deutschland gleich doppelt zurück", kritisierte Oliver Moldenhauer von Ärzte ohne Grenzen. "Es investiert nicht genug und verschließt sich vielversprechenden neuen Ansätzen."

Jedes Jahr erkranken weltweit neun Millionen Menschen an Tuberkulose und 1,7 Millionen sterben an der Krankheit. Die gängigen Tests und Medikamente sind völlig veraltet. Immer mehr TB-Patienten entwickeln außerdem Resistenzen gegen die beiden wichtigsten Standardmedikamente. Für diese MDR-TB-Kranken gibt es bislang keine angemessene Therapie. Um sie zu behandeln, muss auf Wirkstoffe zurückgegriffen werden, die wesentlich giftiger sind und in größerer Menge sowie deutlich länger eingenommen werden müssen. "Die Tablettentütchen sollen einen greifbaren Eindruck davon geben, was MDR-TB-Patienten täglich durchmachen", so Moldenhauer.

Die Bundesrepublik gab im Jahr 2007 lediglich 7,5 Millionen Euro für die TB-Forschung aus. Das war gerade einmal ein Siebtel des Betrags, der angesichts der deutschen Wirtschaftskraft angemessen gewesen wäre. Im vergangenen Jahr hat der Bundestag den Beitrag zwar leicht erhöht. "Das ist ein erstes positives Signal, aber immer noch viel zu wenig", sagte Moldenhauer. Die USA geben derzeit pro Kopf viermal so viel Geld für TB-Forschung aus wie Deutschland. Auch andere europäische Länder und sogar private Stiftungen leisten bereits deutlich mehr.

Inzwischen gibt es außerdem effiziente und international anerkannte Wege, die Entwicklung neuer Medikamente, Impfstoffe und Diagnostika voranzutreiben: u.a. die so genannten Produktentwicklungspartnerschaften. Dies sind gemeinnützige Organisationen, welche sich zum Ziel gesetzt haben, international die aussichtsreichsten Entwicklungsvorhaben auszuwählen und finanziell zu fördern. Die Bundesregierung begrüßt dieses Instrument zwar grundsätzlich. Darüber, welches Ministerium Produktentwicklungspartnerschaften finanzieren soll, herrscht aber Unklarheit. "Die Zuständigkeit muss schnellstens geklärt werden", forderte Moldenhauer. "Es kann nicht sein, dass Deutschland bei dieser entscheidenden Frage keinen Beitrag leistet. Bereits 2007 haben allein in Europa Holland, England, Irland, Frankreich, Spanien, Italien, Dänemark und die Schweiz Produktentwicklungspartnerschaften systematisch unterstützt."

Ärzte ohne Grenzen behandelt seit 30 Jahren TB-Patienten, im Jahr 2007 waren es rund 26.000. MDR-TB behandelt die Organisation u.a. in Usbekistan, Georgien und Kambodscha. Die Zahl der MDR-TB-Patienten in Ärzte ohne Grenzen-Projekten hat sich von 2001 (11) bis 2007 (574) verfünfzigfacht.

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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen e. V. / Medecins Sans Frontieres
Pressemitteilung vom 2. Dezember 2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2009

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