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DIABETES/1222: Berufswunsch - Kaum Verbote, aber arbeitsmedizinische Vorschriften (DJ)


Diabetes-Journal 5/2009 - aktiv gesund leben

Berufswunsch:
Kaum Verbote - aber arbeitsmedizinische Vorschriften

Von Oliver Ebert


"Sie haben Diabetes!" - die Diagnose muss man erst einmal verarbeiten, und sie führt zu weiteren Fragen: "Wie geht es jetzt beruflich weiter?" "Kann ich meinen Traumberuf denn nun abschreiben?" Viele weitere Fragen bewegen die Betroffenen.


Für die allermeisten Berufe bringt der Diabetes keine nennenswerten Auswirkungen oder Einschränkungen mit sich. Wer nicht gerade noch weitere, schwere Krankheiten hat oder womöglich an Diabetesfolgeerkrankungen leidet, der kann eigentlich fast alle Berufe und Tätigkeiten ausüben. Denn Menschen mit Diabetes sind - eine gute Einstellung vorausgesetzt - grundsätzlich genauso leistungsfähig wie Gesunde und zeichnen sich häufig sogar durch deutlich überdurchschnittliche Leistungen und gesteigertes Engagement aus. Selbst Spitzensport ist nicht tabu: die Olympiasieger Matthias Steiner (Gewichtheben) und Karsten Fischer (Hockey) oder der Extrembergsteiger Gerry Winkler zeigen, was trotz und mit Diabetes möglich ist. Die typischen Anforderungen im Berufsalltag sind daher selbstverständlich ebenfalls machbar.


Nicht immer alles optimal

Andererseits muss man sich auch im Klaren sein, dass sich durch den Diabetes der Gesundheitszustand deutlich verschlechtern könnte - man darf also gerade bei der Berufswahl nicht davon ausgehen, dass immer alles optimal läuft und gesundheitlich so bleiben wird.

Problematisch können also alle die Berufsbilder sein, bei denen eine Unterzuckerung während der Tätigkeit zu einer erhöhten Eigengefährdung führen kann oder ein erhebliches Risiko für Dritte (z. B. Kollegen) birgt. Eine Tätigkeit im Büro ist somit generell grundsätzlich unproblematisch - zwar hat man immer die Gefahr einer Unterzuckerung, diese hat mit der Tätigkeit selbst aber ja nichts tun.

Für manche Berufe gibt es aber arbeitsmedizinische Vorschriften, die dem Arbeitgeber gewisse Auflagen und Einschränkungen vorschreiben, sofern er Menschen mit Diabetes für bestimmte Tätigkeiten einsetzen will. Aber nur in ganz wenigen Berufsbildern darf der Arbeitgeber überhaupt keine Diabetiker beschäftigen. Unter Umständen kann man jedoch selbst in diesen Fällen eine Ausnahme erreichen, sofern man diese durch ausreichende und profunde ärztliche Gutachten begründen kann.


Kein gesetzliches Verbot

Ein gesetzliches Verbot, dass Menschen mit Diabetes einen bestimmten Beruf ausüben, gibt es aber nicht. Die arbeitsmedizinischen Vorschriften richten sich in erster Linie an den Arbeitgeber und sind vor allem unter haftungs- und versicherungsrechtlichen Gesichtspunkten relevant. Unproblematisch sind alle Berufe, bei denen die Unterzuckerung grundsätzlich kein erhöhtes Risiko mit sich bringt, also beispielsweise die typische Bürotätigkeit.


Lehrer - oder nicht?

Probleme können entstehen, wenn ein Berufsbild sich nicht klar abgrenzen lässt: Ein Lehrer beispielsweise wird zwar überwiegend Tätigkeiten ausüben, bei denen eine Unterzuckerung kein spezifisches Risiko darstellt. Andererseits muss er aber - vor allem im Sportunterricht oder auf Klassenfahrten - natürlich mitunter auch eine erhöhte Verantwortung für die Schüler übernehmen; dort kann eine Unterzuckerung fatal sein. Aber um bei diesem Beispiel zu bleiben und auch Missverständnisse zu vermeiden: In aller Regel stellt der Diabetes für den Beruf des Lehrers kein nennenswertes Problem dar.

Bei Berufen, die einen Führerschein erfordern, muss man sich im Klaren sein, dass es durch den Diabetes natürlich irgendwann einmal Probleme geben kann. Grundsätzlich werden Diabetiker zumindest für normale Pkw zwar als fahrtauglich angesehen. Wer aber beispielsweise eine Karriere im Außendienst anstrebt, sollte nicht vergessen, dass sich der Gesundheitszustand oder die gesetzlichen Vorgaben irgendwann einmal ändern können und deswegen die Fahrerlaubnis auch auf dem Spiel stehen kann; das würde sich natürlich auch auf die berufliche Tätigkeit auswirken.


Was geht gar nicht?

Es gibt eigentlich nur wenige Berufe, die aufgrund eines erheblichen Risikos von Menschen mit Diabetes nicht ausgeübt werden können oder aus arbeitsmedizinischer Sicht nicht ausgeübt werden dürfen. Dies sind alle Tätigkeiten, welche absolute körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verlangen und mit einem hohen Gefahrenpotenzial für andere Menschen verbunden sind. Ein solcher Fall wäre zum Beispiel ein Beruf, der das permanente Tragen eines Vollschutzanzugs erfordert - beispielsweise bei Arbeiten in radioaktivem oder bakteriell-virologischem Umfeld wie im Kernkraftwerk oder im biologischen Versuchslabor; hier ist es im Falle einer Unterzuckerung nicht möglich, den Anzug zu öffnen und Nahrung aufzunehmen.


Linienmaschinen fliegen

Auch das Berufsziel eines Piloten dürfte in der Praxis wohl nahezu unerreichbar sein, denn mit insulinpflichtigem Diabetes wird man die erforderliche flugärztliche Erlaubnis seltenst erhalten. Ausnahmen sind dennoch möglich - mir selbst sind zwei Fälle von Piloten bekannt, die trotz Insulinpflicht weiterhin (auch große) Linienmaschinen fliegen dürfen.

Umgekehrt: Das häufig in dem Zusammenhang falsch zitierte Beispiel des Dachdeckers ist gerade keine solche Ausnahme! Zwar besteht hier in der Tat das grundsätzliche Risiko, dass der Betroffene infolge einer Unterzuckerung vom Dach fällt. Ein solches, nur theoretisches Risiko reicht aber nicht aus: Denn wenn man sich an die gesetzlich vorgeschriebenen Unfallverhütungsmaßnahmen hält, also hinreichend abgesichert ist, dann droht auch durch die Unterzuckerung praktisch keine nennenswert erhöhte Gefahr.


Bei welchen Berufen gibt's Einschränkungen

Nur in den seltensten Fällen muss man also seinen Traumberuf aufgeben. Allerdings gibt es in manchen Tätigkeitsfeldern doch durchaus erhebliche Einschränkungen: Wer beispielsweise Fernfahrer oder Busfahrer ist bzw. werden will, der muss seine Fahrtauglichkeit regelmäßig nachweisen. Ist der Stoffwechsel stabil und hat der Arzt keine Bedenken, dann wird man in der Regel zunächst wohl keine größeren Probleme bekommen. Da das aber vom Gesundheitszustand abhängt, kann sich das auch jederzeit unvorhergesehen ändern.


Fahrerlaubnis nur "ausnahmsweise"

Die derzeit geltenden Rechtsnormen wie die Fahrerlaubnis-Verordnung sehen beispielsweise vor, dass einem insulinbehandelten Diabetiker die hierfür erforderliche Fahrerlaubnis der Klasse D nur "ausnahmsweise" erteilt werden darf. Erforderlich ist aber eine stabile Stoffwechsellage sowie eine nachweislich gute Stoffwechselführung ohne Unterzuckerung über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten.

Diese Voraussetzungen lassen sich in der Regel mit einem Typ-1-Diabetes nicht erfüllen. Darüber hinaus ist auch zu bedenken, dass die "Ausnahme" während der gesamten Dauer der Berufsausübung alle 3 bzw. 5 Jahre in Anspruch genommen und nachgewiesen werden muss. Und es bedarf keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, dass beispielsweise mit den ersten Anzeichen einer diabetesbedingten Veränderung des Augenhintergrunds die Karriere des Fernfahrers oder Busfahrers beendet sein könnte.

Auch die Tätigkeit als Notarzt oder bei der Berufsfeuerwehr ist nicht unproblematisch, denn im Falle eines Einsatzes muss man uneingeschränkt leistungsfähig sein. Wenn man gerade dort eine Unterzuckerung bekommt, kann das massive Folgen haben. Aber auch hier muss der Diabetes nicht das Aus bedeuten: Oft gibt es Möglichkeiten, das mit der Unterzuckerung verbundene Risiko anders auszugleichen - zum Beispiel, indem man nur Doppelschichten macht oder nur weniger risikobehaftete Aufgaben zugewiesen bekommt.


Polizei und Bundeswehr

Wer sich für eine Stelle bei der Bundeswehr oder Polizei bewirbt, der braucht starke Nerven und Beharrlichkeit: Denn die dortigen, meist veralteten Dienstvorschriften sehen vor, dass man mit Diabetes grundsätzlich abgelehnt wird. In der zentralen Dienstvorschrift ZDV 46/1 "Bestimmungen für die Durchführung der ärztlichen Untersuchung bei Musterung und Dienstantritt von Wehrpflichtigen, Annahme und Einstellung von freiwilligen Bewerbern sowie bei der Entlassung von Soldaten" ist unter Ziff. 10 (Stoffwechselkrankheiten) für die Bundeswehr beispielsweise geregelt, dass Diabetiker (unabhängig von Typ und Schweregrad!) als nicht wehrdienstfähig betrachtet werden. Ich halte diese pauschalen Dienstvorschriften nicht für rechtmäßig. Wer die Mindestanforderungen an die militärische Verwendbarkeit von Wehrpflichtigen ("Leistungsmerkmale") und Tätigkeitsmerkmale in der Grundausbildung (im Sinne des § 8 a Abs. 2 Satz 1 WPflG) erfüllt, dem muss im Wege der Chancengleichheit auch eine Karriere in der Bundeswehr offenstehen. Aufgrund seiner Krankheit ist zwar sicherlich keine uneingeschränkte (militärische) Verwendung sinnvoll und möglich, doch ein tätigkeitsbezogener Einsatz ist einem Diabetiker auch bei der Bundeswehr sicherlich möglich und für den Dienstherrn auch nicht unzumutbar.

Ist so die pauschale Einstufung als untauglich bereits aus sachlichen Gründen kaum geboten, so kann hier durchaus auch von einer unzulässigen Diskriminierung gesprochen werden:

Manche Diabetiker werden von der Bundeswehr nämlich ausnahmsweise sehr wohl als dienstfähig angesehen - nämlich diejenigen Berufssoldaten, bei denen während der Dienstzeit die Krankheit ausbricht:


Diagnose erst beim Bund...

Diese werden regelmäßig nicht entlassen, sondern allenfalls einer anderen Verwendung zugeführt. Als prominentes Beispiel sei die Eishockey-Nationalspielerin Claudia Grundmann erwähnt, die trotz Diabetes in der Sportförderkompanie der Bundeswehr Dienst leistet(e). Und erst neulich wurde mir ein Fall eines Berufssoldaten bekannt, der trotz Insulinpflicht auch im Kampfeinsatz ("Auslandseinsatz") war.

Auf ähnlich gelagerte Probleme stoßen Diabetiker übrigens nicht nur bei der Bundeswehr: Die Einstellung zum Polizeidienst, Bundesgrenzschutz oder für Nachrichtendienste (wie Verfassungsschutz) wird ebenfalls regelmäßig unter Berufung auf ähnliche Dienstvorschriften verweigert. Die Verordnung über die Seediensttauglichkeit schließt zum Beispiel insulinpflichtige Diabetiker kategorisch vom Schiffsdienst aus - egal, ob der Seemann seinen Blutzucker gut im Griff hat oder nicht.


Gerichtlich prüfen lassen...

In all diesen Fällen kann man - eine gute Diabeteseinstellung sowie gute körperliche Leistungsfähigkeit des Bewerbers vorausgesetzt - es durchaus in Erwägung ziehen, einen Ablehnungsbescheid gerichtlich überprüfen zulassen: Die Dienstvorschriften basieren nämlich teilweise auf Daten und Unterlagen aus der Nachkriegszeit; damals gab es weder intensivierte Insulintherapie noch Pumpen oder orale Antidiabetika. Seither haben sich die Behandlungsmöglichkeiten wesentlich verbessert, Diabetiker können ein fast normales Leben führen.


...langer Atem erforderlich

Allerdings muss klar sein: Wer einen solchen Rechtsstreit führt, muss sich auf eine lange Verfahrensdauer einstellen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weshalb es - zumindest nach meinem Wissen - zu diesem Problem noch kein Urteil gibt: Denn wer kann bzw. will mit seinem Beruf schon so lange warten, bis die Gerichte nach vielen Jahren endlich entschieden haben?


Von welchen Berufen ist abzuraten?

Zumindest bei den Berufen, die eng mit dem jeweiligen Gesundheitszustand verknüpft sind, sollte man bei der Berufswahl also sehr sorgfältig abwägen. Es mag zwar sein, dass man die ersten Jahre beispielsweise als LKW-Fahrer keinerlei Probleme hat; aber was dann, wenn sich der Gesundheitszustand verschlechtert, wenn die Unterzuckerungen sich häufen und/oder womöglich nicht mehr rechtzeitig wahrnehmbar sind? Was bringt eine lange Ausbildung zum Piloten, wenn man gar nicht weiß, ob und wie lange auch weiterhin noch eine Flugtauglichkeit bescheinigt wird?

Auch wenn es schwerfällt: Ich muss jungen Menschen von allen Berufen abraten, bei denen eine regelmäßige Gesundheitsprüfung vorgesehen ist und wo ein wahrscheinliches Risiko besteht, dass aufgrund des Diabetes oder der damit verbundenen Folgen die Tätigkeit mittelfristig nicht mehr ausgeübt werden darf.


Welche Voraussetzungen muss man immer erfüllen?

Egal in welchem Beruf: Einige Voraussetzungen sollten immer gewährleistet sein:

Zunächst sollte man im Umgang mit dem Diabetes geschult sein und selbstverständlich vertraut sein mit Blutzuckermessung, Insulinverabreichung und Berechnung der Mahlzeitenmenge. Wichtig ist auch eine regelmäßige Betreuung durch den behandelnden Arzt und/oder einen Diabetologen. Wichtig ist auch, dass man seine Werte möglichst konsequent dokumentiert, um bei Veränderungen möglichst schnell die Ursachen zu finden.


Durch Diabetes berufsuntauglich: Was nun?

Wenn Sie aufgrund des Diabetes Ihren Beruf tatsächlich und dauerhaft nicht mehr ausüben können, beispielsweise weil Folgeerkrankungen oder Begleiterkrankungen Sie stark in Ihrer Arbeit einschränken, dann kommt leider wohl nur noch eine Umschulungsmaßnahme in Frage. Zuständig hierfür ist die Agentur für Arbeit.


Das Fazit

Grundsätzlich stehen auch Menschen mit Diabetes fast alle Berufe offen. Es gibt keine dahingehenden gesetzlichen Verbote, dass Diabetiker bestimmte Berufe ausüben. Allerdings sind vielmals arbeitsmedizinische Vorschriften zu beachten, die faktisch dazu führen, dass manche Berufe Menschen mit Diabetes verschlossen sind. Und von manchen Berufen muss man aufgrund des damit verbundenen Risikos vernünftigerweise auch schlicht abraten.


Kontakt
RA Oliver Ebert
Rechtsanwälte Ebert & Kohlöffel
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart
Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: ebert@diabetes-und-recht.de
Internet: www.diabetes-und-recht.de


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Wer Insulin spritzt, für den ist das Berufsziel Pilot nahezu unerreichbar. Ganz seltene Ausnahmen gibt es auch hier - bis hin zu Piloten großer Linienmaschinen.

Notärzte und Berufsfeuerwehrleute mit Diabetes: Die eingeschränkte Leistungsfähigkeit ist problematisch.

Berufswunsch Polizei und Bundewehr? Eher schwierig. So oder so: Ohne Blutzuckerselbstkontrolle geht gar nichts.

Mancher Berufswunsch relativiert sich angesichts einer Diabeteserkrankung.


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Quelle:
Diabetes-Journal 5/2009, Seite 38 - 43
Herausgeber: Verlag Kirchheim + Co GmbH
Kaiserstr. 41, 55116 Mainz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2009