Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → KRANKHEIT

DIABETES/1371: Zur geänderten Versorgungsmedizin-Verordnung - 1 (DDG)


diabetesDE und der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) - 9. Juli 2010

Bedeutung der Neuregelung aus arbeits- und verkehrsmedizinischer Sicht

Redebeitrag von Dr. med. Kurt Rinnert, Mitglied im Ausschuss Soziales der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG), Mitglied der Arbeitsgruppe Diabetes des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), Arbeitsmediziner, Erftstadt


Durch die Neuregelung der Versorgungsmedizin-Verordnung ist es zu einer Klärung im Hinblick auf die Voraussetzung zur Anerkennung einer Schwerbehinderung für Menschen mit Diabetes gekommen, die im Gegensatz zur alten Regelung nicht nahezu automatisch eine Fahruntauglichkeit oder gar Tätigkeitsuntauglichkeit bedeutet. Diesen besonders positiven Aspekt würde ich gerne aufzeigen.

Die alte Regelung beinhaltete eine fatale Bindung der Schwerbehinderteneigenschaft an eine instabile Stoffwechsellage mit gelegentlichen schweren Hypoglykämien und führte damit formal-juristisch zum Verlust der Fahreignung (nach FEV und Begutachtungsleitlinien) und gleichzeitig dazu, dass einige Berufe, die etwa ein erhöhtes Absturzrisiko bergen, nicht mehr ausgeführt werden durften. Ich bin daher sehr froh, dass wir mit der neuen Regelung eine transparente Regelung gefunden haben, die sich an dem Bundessozialgerichtsurteil 2008 orientiert, dieses umsetzt und gleichzeitig für Menschen mit Diabetes eine Entkopplung von dem Hypoglykämie-Stigma bedeutet und damit Rechtssicherheit herbeiführt (raus aus der rechtsunsicheren "Schmuddelecke").

Dagegen gibt es zu den Stichworten "Kündigungsschutz, Renten- und Urlaubsanspruch oder Steuererleichterungen" durch die neue Rechtsverordnung aus meiner Sicht keine weiteren Vorteile beziehungsweise keine Änderungen, da diese dem jeweiligen Grad der Behinderung zugeordnet sind. Ich gehe nicht zwangsläufig davon aus, dass durch die neue Regelung automatisch mehr Menschen mit Diabetes Anträge zur Anerkennung einer Schwerbehinderung stellen, aber auch nicht relevant weniger.

Ich bin der festen Überzeugung, wir brauchen - genauso wie im Arbeitsleben, wo Schonräume und Frühberentung infolge starrer Therapiekonzepte durch neue bessere Rahmenbedingungen abgelöst wurden, die zu einem Paradigmenwechsel geführt haben - ebenfalls eine Neuorientierung im Hinblick auf die Bewertung von Schwerbehinderteneigenschaften. Ein Mensch, der ein aufwendiges Therapiekonzept durchführt, sich aber gleichzeitig gesund und wenig belastet fühlt, muss nicht automatisch schwerbehindert sein. Genauso wenig wie jemand, der schwankende Werte hat. Das zeigt sich meines Erachtens daran, dass sich auffällig wenige Diabetiker aus meinem Beobachtungsbereich als Arbeitsmediziner für einen Antrag entscheiden.

Ich sehe in den Formulierungen des Verordnungstextes die Teilhabestörung DURCH DEN THERAPIEAUFWAND begründet. Sie muss meines Erachtens nicht gesondert nachgewiesen werden. Wichtig ist auch, dass die neuen versorgungsmedizinischen Grundsätze eben KEINEN Rückschluss auf die Qualität der Stoffwechseleinstellung zulassen, was - wie schon erwähnt - zu beruflichen Nachteilen und Problemen der Fahreignung führen kann. Diese Rückschlüsse führen oft genug dazu, dass der verbesserte Kündigungsschutz gar nicht erst in Anspruch genommen werden kann, weil es vorher nicht zur Einstellung kommt.

Die neue Regelung bedeutet darüber hinaus durch die Bewertung des Therapieaufwands eine Hinwendung von einer defizitären Sichtweise (schwere Unterzuckerungen oder starke Stoffwechselschwankung = Defizit) zu einer ressourcenorientierten Sichtweise, auch wenn der erhöhte Aufwand einem Verbrauch von Ressourcen entspricht.


Aktuelle Publikation dazu:
Der chronisch Kranke im Erwerbsleben, Orientierungshilfe für Ärzte in Praxis, Klinik und Betrieb
Hrsg. Kraus, Letzel, Nowak, ecomed Verlag, 2010 ISBN 978-3-609-10575-8

(Es gilt das gesprochene Wort!)
Düsseldorf, Juli 2010


*


Quelle:
Pressekonferenz am 9. Juli 2010 in Düsseldorf anlässlich der
Abstimmung zur geänderten Versorgungsmedizin-Verordnung im Bundesrat
diabetesDE und der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG)
Pressestelle DDG, Beate Schweizer
Pf 30 11 20, 70451 Stuttgart
Tel.: 0711/89 31-295, Fax: 0711/89 31-167
E-Mail: Schweizer@medizinkommunikation.org
Internet: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2010