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POLITIK/229: Apotheker warnen vor einem Raubbau an den Offizinen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2010

Gesundheitsreform
Apotheker warnen vor einem Raubbau an den Offizinen

Von Dirk Schnack


Apothekerverband und -kammer schlagen Alarm: Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) birgt wirtschaftliche Risiken und Nebenwirkungen.


Wenn Landapotheker Dr. Kai Christiansen Apotheken in Metropolen sieht, erkennt er wenig Parallelen zu seiner eigenen im Dorf Steinbergkirche in Angeln. Bei seinen Kollegen in den Städten fragen Kunden häufig nach OTC-Produkten und Kosmetikartikeln, in die Landapotheke dagegen kommen fast ausschließlich Menschen mit einem vom Arzt ausgestellten Rezept zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Häufig sind dies alte Menschen, die umfassend beraten werden müssen. Andere können die Medikamente nicht selbst abholen und werden durch Christiansens Botendienst beliefert. Und das in einem Einzugsgebiet, das der Fläche von ganz Hamburg entspricht. Täglich rücken die beiden PKWs der Apotheke zu drei Touren auf, ein Fahrradbote erledigt die Einsätze in der näheren Umgebung. Immerhin rund 60 Prozent von Christiansens Kunden lassen sich fehlende Medikamente ins Haus liefern. Seine Kunden wissen das zu schätzen, viele von ihnen kommen seit Jahren zu ihm. Das Vertrauen, das seine Kunden in ihn setzen, hätte Christiansen auch gerne in die Gesundheitspolitik - das AMNOG aber bewirkt das Gegenteil. Rund 500 Millionen Euro verlangt das Gesetz nach Hochrechnungen den Apotheken in Deutschland ab. Diese Summe ist für die Apotheker kein durchlaufender Posten und lässt sich auch nicht anderer Stelle einsparen. Schleswig-holsteinische Apotheker wie Christiansen sind von dem Gesetz besonders betroffen, weil viele der 735 Offizine im Land ähnliche Basisversorger wie Christiansen sind. Denn die Einsparungen - vorgesehen sind Kürzungen in der Vertriebskette, die aber voraussichtlich bis zum Apotheker durchgereicht werden - betreffen in erster Linie die Apotheken mit einem hohen Rezeptanteil. Wie Apothekerverband und -kammer in einem Pressegespräch am 30. September in Kiel deutlich machten, drohen damit dramatische Auswirkungen in der Versorgung mit Medikamenten. Denn den errechneten Einbruch in Höhe von rund 23.000 Euro beim Rohgewinn einer durchschnittlichen Apotheke könnten die Basisversorger nicht ausgleichen. Ein abruptes Apothekensterben ist nach Ansicht von Kerstin Tomberger, Apothekerin aus Flensburg, nicht zu erwarten - eher ein langsames Dahinsiechen. Denn viele Kollegen arbeiten nach ihrer Beobachtung weiter, indem sie offene Stellen nicht mehr besetzen. Das aber entspricht nicht dem steigenden Bedarf an Beratung. Nach Angaben Tombergers sind von der prognostizierten Krise im Apothekenmarkt in erster Linie Frauen betroffen. Unter den 1.844 angestellten Apothekern im Land sind 1.296 Frauen, von den 2.118 PTAs sind 2.100 und von den übrigen 1.463 Angestellten 1.455 weiblich. Das heißt: Das AMNOG gefährdet in erster Linie die Arbeitsplätze von Frauen - und das häufig in ländlichen Regionen, wo diese wenig Alternativen in ihrem Beruf haben. Entsprechend kritisch beurteilen auch die Spitzen von Kammer und Verband das AMNOG. "Das Gesetz kann für kleine Apotheken tödliche Folgen haben", sagte der Verbandsvorsitzende Dr. Peter Froese aus Schacht-Audorf. Kammerpräsident Gerd Ehmen aus St. Michaelisdonn treibt die Sorge um, dass parallel zu dieser Entwicklung die Kapitalgesellschaften größeres Gewicht im Markt erhalten. Sorge bereitet ihm auch, dass die Halbwertszeiten der in Berlin beschlossenen Reformgesetze für den Arzneimittelmarkt immer kürzer werden und sein Berufsstand damit keine Planungssicherheit mehr hat. Nicht nur in diesem Punkt gibt es Parallelen zu den Arztpraxen. Ehmen befürchtet, dass unter seinen jüngeren Berufskollegen ähnliche Motivationsprobleme auftreten könnten wie bei den Ärzten, von denen sich viele wegen der Rahmenbedingungen nicht für eine Tätigkeit in der Versorgung entscheiden. Zugleich steigt für die Leistungen beider Heilberufe die Nachfrage.

In dieser Situation sprechen die Apotheker von einer "ruinösen Gesundheitspolitik" und machen die Öffentlichkeit auf den Rotstift aufmerksam, den die Politik bei ihnen ansetzt. Zwar sagt Froese: "Wir wollen keine unserer Leistungen auf den Opfertisch legen." Doch mit einer Kampagne soll der Öffentlichkeit deutlich gemacht werden, dass 500 Millionen Euro weniger zwangsläufig Leistungskürzungen zur Folge haben müssen. Ob dies nun beim Nacht- und Notdienst, bei der Herstellung individueller Rezepturen, beim Botendienst, bei der Qualitätskontrolle, bei der Versorgung von Pflegeheimen oder bei der Ausbildung sein wird, bleibt abzuwarten - schmerzlich für die Versorgung wäre es in jedem Fall. Viele dieser Leistungen werden offenbar als selbstverständlich angenommen. "Ich habe den Eindruck, dass die Politik die Leistungen der Apotheker nicht anerkennt", sagt Landapotheker Christiansen. Er fordert von der Gesundheitspolitik Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Langfristigkeit und eine leistungsgerechte Honorierung. Dies aber ist für ihn in den vergangenen Jahren immer schwerer zu erreichen. Sein Rohgewinnanteil am Umsatz ist seit 2002 kontinuierlich gesunken. Warum die Apotheken von der Gesundheitspolitik so behandelt werden, ist nach Ansicht Froeses auch aus volkswirtschaftlicher Sicht schwer zu verstehen. Neben der Versorgung leisten sie Unterstützung für Einsparungen im System, die sich im laufenden Jahr auf fast sechs Milliarden Euro summieren. Hierzu zählen der Apothekerabschlag, das Inkasso von Herstellerrabatt und Zuzahlung sowie die Abgabe von Rabatt- bzw. Importarzneimitteln. Für Froese steht fest, dass der Gesetzgeber erneut handeln muss - allerdings mit einer radikalen Umstellung: "Man muss Komplexität aus dem System nehmen."


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201010/h10104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Dr. Kai Christiansen
Gerd Ehmen
Dr. Peter Froese
Kerstin Tomberger


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Oktober 2010
63. Jahrgang, Seite 38 - 39
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2010