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FORSCHUNG/145: Angststörungen - Auf der Suche nach der Panikbremse (GEHIRN&GEIST)


GEHIRN&GEIST 11/2010
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

Auf der Suche nach der Panikbremse

Von Susanne Rytina


Kurz erklärt:
Panikstörung

Sie gilt als eine der häufigsten Angsterkrankungen und tritt meist im Alter von 20 bis 45 Jahren erstmals auf. Im Zentrum stehen unerwartete, plötzliche Panikattacken mit Symptomen, die sich in der Regel über einen Zeitraum von rund zehn Minuten steigern, darunter Herzrasen, Atemnot, Enge in der Brust, Übelkeit, Schwitzen, Zittern und Schwindel.
Die Betroffenen fürchten, einen Herzinfarkt zu erleiden, in Ohnmacht zu fallen, die Kontrolle zu verlieren oder sich in der Öffentlichkeit zu blamieren. Aus Sorge um ihre Gesundheit suchen sie häufig Kardiologen oder Lungenärzte auf oder rufen gar einen Notarzt. Doch die medizinischen Tests zeigen, dass sie körperlich gesund sind. Die Symptome verschwinden von selbst wieder - vor allem sobald ein Arzt in der Nähe ist.
Panikattacken können zum Beispiel beim Einschlafen oder Fernsehen auftreten, aber auch in Fahrstühlen oder auf öffentlichen Plätzen, beim Schlangestehen, Bus- oder Autofahren. Werden solche Situationen daraufhin gemieden, spricht man von einer Agoraphobie mit Panikstörung. Im schlimmsten Fall verlassen Betroffene das Haus nur noch in Begleitung oder gar nicht mehr.


Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Doch immer noch mangelt es an wirksamen Medikamenten - entweder schlagen sie nur mit Verzögerung an, oder sie haben erhebliche Nebenwirkungen. Neuromediziner testen nun eine neue, viel versprechende Substanz, die Labortiere mutiger macht.


Auf einen Blick:
Furchtlos per Pille?

1. Gängige Angstmedikamente wirken oft nur mit Verzögerung oder haben gravierende Nebeneffekte. Deshalb suchen Forscher nach Alternativen.
2. Ein möglicher Ansatzpunkt sind körpereigene Neurosteroide: Sie verstärken die hemmende Wirkung des Botenstoffs GammaAminobuttersäure (GABA) und dämpfen damit Angst.
3. Als Hoffnungsträger für ein neues Angstmedikament gilt XBD173. Dieser synthetische Stoff kurbelt die Produktion von Neurosteroiden an.


Bisher begegnete sie älteren Artgenossen eher schüchtern - die Angst war stärker als ihre Neugier. Doch nachdem Forscher ihr eine neue Pille unters Futter gemischt hatten, taute die junge Ratte regelrecht auf: Sie beschnupperte ihr Gegenüber, animierte es zum Spielen und widmete sich sogar dessen Körperpflege.

Die kleine Ratte war Versuchstier in einem sozialen Explorationstest. Dabei setzen Forscher ein Junges in den Käfig eines fremden, erwachsenen Nagers. »Ältere Ratten verhalten sich durchaus freundlich gegenüber dem Nachwuchs«, erklärt der Neurobiologe Rainer Landgraf vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. »Das Jungtier weiß allerdings nicht, dass vom Senior keine Gefahr droht, und tastet sich meist nur zögerlich an ihn heran.«

Die Arbeitsgruppe um Rainer Rupprecht am selben Institut überprüfte 2009 mit diesem Test, ob eine synthetisch hergestellte Substanz namens XBD173 junge Ratten von ihrer Furcht befreit. In der Tat: Nachdem die Youngster XBD173 geschluckt hatten, trauten sie sich deutlich näher und länger an die älteren Nager heran. Außerdem blieben sie hellwach - eine Wirkung, die gängigen Angstmedikamenten abgeht. Könnte der neue Stoff eine Alternative zu der bisherigen pharmakologischen Angsttherapie darstellen?

Aktuell verordnen Ärzte vor allem zwei Klassen von Arzneimitteln gegen Angststörungen. Zum einen bestimmte Antidepressiva - so genannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (englisch: Selective Serotonine Reuptake Inhibitors, kurz: SSRIs). Sie sorgen dafür, dass sich der betreffende Botenstoff im Gehirn ansammelt. Wie Wissenschaftler um Miklos Toth vom Cornell University Medical College in New York bereits 1998 entdeckten, sind Mäuse, denen ein bestimmter Serotoninrezeptor fehlt, besonders furchtsam. Umgekehrt dämpft ein Überschuss des Transmitters im Gehirn Angstsymptome. Hauptnachteil der SSRIs: Sie entfalten ihre Wirkung oft erst nach mehreren Wochen. Kurzfristig lässt sich damit keine Angstattacke vertreiben.


Angstfrei, aber müde

Solche akuten Schübe behandeln Ärzte deshalb meist mit Psychopharmaka der zweiten Kategorie - den Benzodiazepinen. Sie gehören zu den weltweit am häufigsten verschriebenen Notfallmedikamenten gegen Panik. Patienten berichten, dass diese Mittel augenblicklich die typische »Enge« in der Brust lösen und die Atmung beruhigen. Auch einige von Rainer Rupprechts Ratten bekamen Benzodiazepine, und prompt verhielten sie sich wie die mit XBD173 behandelten Tiere: deutlich mutiger. Doch die Nager zahlten einen hohen Preis - sie wurden schnell müde und apathisch.

Müdigkeit ist nur eine der unerwünschten Nebeneffekte von Benzodiazepinen. Ebenso wie Opiate und Cannabis aktivieren sie das Belohnungszentrum im Gehirn - eine entscheidende Schaltstelle für Sucht. Experten schätzen, dass der Benzodiazepin-Missbrauch mit 1,5 Millionen Abhängigen an der Spitze des schädlichen Arzneimittelkonsums in Deutschland steht. Ein bis zwei Prozent der Erwachsenen nehmen laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren im Lauf ihres Lebens mindestens ein Jahr lang täglich ein solches Mittel ein.


Kurz erklärt:
Benzodiazepine (auch: Tranquilizer)

Nebenwirkungen: Kurz nach der Einnahme fühlen sich Patienten oft schläfrig und benommen, und die Fahrtüchtigkeit ist erheblich eingeschränkt. Paradoxerweise kann eine hohe Dosis auch Erregung und Schlaflosigkeit auslösen, anstatt wie erwartet zu beruhigen und zu entspannen. Dies ist vor allem bei älteren Menschen zu beobachten.
Suchtrisiko: Bei regelmäßiger Einnahme besteht die Gefahr einer Abhängigkeit. In einem solchen Fall nimmt der Patient das Medikament weiter ein, um erste Entzugserscheinungen zu vermeiden, oder er erhöht die Dosis, um die gewünschte Wirkung wieder zu verspüren.
Entzug: Nach dem Absetzen treten vermehrt Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindel, Seh- und Gedächtnisstörungen sowie Reizbarkeit auf, aber auch Panikattacken und Schlaflosigkeit - jene Probleme, die ursprünglich eine solche Medikation erforderten. Benzodiazepine sollte man deshalb nach längerer Einnahme nur sehr langsam, schrittweise und unter medizinischer Betreuung absetzen.


Folglich suchen Wissenschaftler mit Hochdruck nach Alternativen: Angstmedikamente, die schnell helfen, aber möglichst wenig Nebenwirkungen haben. Ein viel versprechender Ansatzpunkt ist der Rezeptor der Gamma-Aminobuttersäure (englisch: Gamma-Aminobutyric Acid, kurz: GABA) - der Ort, an dem auch die Benzodiazepine wirken. Als wichtigster inhibitorischer Botenstoff im Zentralnervensystem gleicht GABA die erregende Wirkung des Neurotransmitters Glutamat aus. Heftet sich GABA an den entsprechenden Rezeptor, strömen negativ geladene Chloridionen in die Nervenzelle. Dadurch wird sie schwerer erregbar.

Eine funktionierende Balance zwischen Glutamat und GABA verhindert eine Übererregung des Gehirns, die häufig mit krankhaften Angstzuständen einhergeht. So stellten Andrew Goddard und sein Team von der Yale University School of Medicine in New Haven (Connecticut) 2001 fest, dass Patienten mit einer Panikstörung wesentlich weniger GABA aufweisen als gesunde Probanden. Die Forscher hatten die Konzentration des Botenstoffs im Gehirn mittels Magnetresonanzspektroskopie gemessen. Dieses Verfahren erlaubt es, chemische Substanzen in lebendem Gewebe zu identifizieren.

Dass die Andockstellen des Neurotransmitters an der Angstentstehung beteiligt sind, fanden bereits Florence Crestani und ihre Kollegen von der Universität Zürich im Jahr 1999 heraus. Die Wissenschaftler hatten einen Baustein des Rezeptors bei Mäusen so manipuliert, dass er nicht mehr einwandfrei funktionierte. Die Nager verhielten sich daraufhin schreckhaft und scheu.

Heften sich Benzodiazepine an GABA-Rezeptoren, strömen noch mehr negativ geladene Chloridionen ins Zellinnere (siehe Grafik oben in der Printausgabe; hier: Erläuterungen dazu am Ende des Artikels). Das verstärkt den hemmenden Effekt des Neurotransmitters. Ähnlich steigern auch bestimmte Steroidhormone die Wirkung von GABA. »Diese Substanzen haben nichts mit künstlichen Steroiden wie Anabolika zu tun«, erklärt Rainer Rupprecht. »Vielmehr sind sie natürliche Botenstoffe im Gehirn.« Wie Benzodiazepine binden auch neuroaktive Steroide an GABA-Rezeptoren und sorgen mit dafür, dass mehr Chlorid die Zellmembran passieren kann. Das dämpft die Angst.

Der Mediziner Rupprecht entdeckte mit seinen Kollegen bereits 2006, dass nicht nur die Konzentration von GABA, sondern auch die der Neurosteroide bei Menschen mit einer Panikstörung verändert ist. Die Forscher verabreichten sowohl Angstpatienten als auch Kontrollprobanden eine Substanz, die Panik provoziert - das Neuropeptid CCK-4. Binnen einer Minute erzeugt der Stoff starke Angst mit Symptomen wie Herzklopfen, hohem Blutdruck und Schwindel. Anschließend maßen die Wissenschaftler die Konzentration von Neurosteroiden im Blut der Betreffenden. Ergebnis: Bei den Patienten fanden sie geringere Mengen der Hormone als bei den gesunden Testpersonen.

Diese Beobachtung brachte die Angstforscher auf eine Idee: Ließen sich die Patienten von ihrem Leid befreien, indem man deren körpereigene Neurosteroidproduktion ankurbelte? Diese Substanzen haben nämlich einen entscheidenden Vorteil gegenüber Benzodiazepinen. Anders als die umstrittenen Psychopharmaka machen sie weder müde noch abhängig. Das beruht vermutlich darauf, dass die Hormone an einen anderen Teil des GABA-Rezeptors binden (siehe auch Spektrum der Wissenschaft 6/2010, S. 20).

Wissenschaftler um Atsuko Kita von der Dainippon Pharmaceutical Company in Osaka (Japan) nahmen den Herstellungsprozess der Neurosteroide genauer unter die Lupe: An den Membranen neuronaler Mitochondrien sitzt das Translokatorprotein, das Bausteine der Hormone an deren Fertigungsort transportiert. Die Forscher vermuteten, dass man die Produktion der Neurosteroide künstlich steigern könne, wenn man das Translokatorprotein dazu bringt, größere Mengen der Vorläufermoleküle zu bewegen.

Genau das bewirkt XBD173: Es bindet an das Mitochondrienprotein und macht es durchlässiger für Bauteile der Hormone. Der Stoff, den Kitas Arbeitsgruppe entwickelte, sorgt also dafür, dass mehr Neurosteroide produziert werden (siehe Kasten S. 67 in der Printausgabe; hier: am Ende des Artikels). Dies wiederum verstärkt die Wirkung von GABA an den Rezeptoren.


Hoffnungsträger XBD173

Rainer Rupprecht und seine Kollegen testeten, ob der neue Stoff tatsächlich Angst dämpft. Neben den Ratten im erwähnten sozialen Explorationstest verabreichten sie auch Mäusen XBD173. Die Forscher schickten die Tiere auf einen kreuzförmigen Laufsteg mit zwei offenen und zwei geschlossenen Armen. Da sich die Nager im Dunkeln sicherer fühlen, halten sie sich gewöhnlich in den geschützten Bereichen auf. Nicht so unter Einfluss von XBD173: Die Mäuse liefen mutig auf den exponierten Stegen herum.

In einem nächsten Schritt testeten die Forscher die Wirkung der Substanz an einzelnen Nervenzellen. Mit der so genannten Patch-Clamp-Technik maßen sie die Ströme an den Rezeptoren der Neurone. »Wir konnten zeigen, dass XBD173 die Signalübertragung am GABA-Rezeptor verstärkt«, erklärt der Biologe Gerhard Rammes, der dieses Experiment durchführte.

Den Tierversuchen nach zu urteilen, könnte der Stoff also ein potenzieller Kandidat für ein neues Angstmedikament sein. »Bisher gab es jedoch noch keine Belege, ob er auch beim Menschen wirkt«, so Rammes. Deshalb konzipierten die Forscher am Münchner Max-Planck-Institut eine Studie mit gesunden Probanden. Dabei verabreichten Ärzte einem Teil der Versuchsteilnehmer eine Woche lang täglich XBD173. Eine andere Gruppe bekam stattdessen ein Benzodiazepin und die übrigen Testkandidaten ein Placebo.

Panikattacken provozierten die Wissenschaftler künstlich - mittels CCK-4, und zwar sowohl vor als auch nach der Behandlung. In regelmäßigen Abständen beurteilten die Probanden in einem Fragebogen die Stärke ihrer Angstgefühle. »Generell ließ die Panik nach, egal ob wir XBD173 oder das Benzodiazepin gaben«, resümiert Rupprecht. »Allerdings schlug auch das Placebo an.« Wie man weiß, kann schon allein die Erwartung einer Besserung Beschwerden lindern.

Wie bereits bei den Ratten machte XBD173 die Testpersonen weder müde noch süchtig. Von den Benzodiazepinschluckern zeigte dagegen über die Hälfte bereits nach einer Woche Entzugserscheinungen. Die Münchner Wissenschaftler sind daher zuversichtlich, eine neue Fährte für die Angstbehandlung gefunden zu haben.

Der Psychiater Boris Bandelow von der Georg-August-Universität Göttingen steht der Sache dennoch kritisch gegenüber. So bezweifelt er, ob die mit CCK-4 ausgelöste Panik bei gesunden Probanden mit einer realen Angststörung von Patienten vergleichbar sei. Offen bleibe zudem, wie XBD173 langfristig wirkt. Diese Fragen könne nur eine klinische Studie mit Patienten klären.

In den USA hat derweil der Pharmakonzern Novartis die Substanz an Menschen mit Generalisierter Angststörung (kurz: GAS) getestet. Die Betroffenen verspüren ständige, übertriebene Sorge - beispielsweise, dass ihnen oder ihren Angehörigen etwas zustößt. Der Konzern wollte ein Medikament gegen GAS entwickeln, weil die Nachfrage auf dem nordamerikanischen Markt besonders groß ist. Das Ergebnis war jedoch ernüchternd: XBD173 dämpfte die Beschwerden nicht stärker als ein Placebo.

Kein Wunder, meint Rainer Rupprecht. Auch wenn Panikattacken wie GAS zu den Angststörungen zählten, unterschieden sich die Beschwerden deutlich: Anstatt sich ständig zu sorgen, litten Menschen mit einer Panikstörung unter plötzlich einsetzenden Angstschüben, begleitet von starken körperlichen Beschwerden. Bleibt also abzuwarten, was ein Test der Substanz bei Patienten mit diesem Störungstyp ergibt. »Solche klinischen Studien«, betont Rupprecht, »sind Aufgabe der Pharmaindustrie.«


Susanne Rytina ist freie Wissenschaftsjournalistin und lebt in Altbach bei Stuttgart.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Fotos:

Nothalt mit Tücken: Erleiden Angstpatienten eine plötzliche Panikattacke, wünschen sie sich nichts sehnlicher als schnelle Hilfe. Doch rasch wirkende Arzneimittel haben zum Teil erhebliche Nebenwirkungen. (S.65 in der Printausgabe)
Mutprobe: Um die Ängstlichkeit von Mäusen zu testen, setzen Forscher die Tiere auf einen kreuzförmigen Laufsteg mit zwei offenen und zwei geschlossenen Armen. Furchtsame Tiere bevorzugen die geschützten Bereiche, während mutige sich auch auf die exponierten Stege wagen. (S. 68 in der Printausgabe)

Erläuterungen zu denen im Schattenblick nicht veröffentlichten Grafiken:

Neuronaler Dämpfer:
Bindet GABA an seinen Rezeptor, öffnet sich das Kanalprotein in der Membran der Nervenzelle, und Chloridionen strömen ein. Dadurch sinkt das Membranpotenzial - das Neuron wird folglich gehemmt. Benzodiazepine docken an einer anderen Stelle des GABA-Rezeptors an und verstärken die Wirkung des Transmitters: Der Ionenstrom nimmt zu und damit auch die Hemmung der Nervenzelle. (S. 66 in der Printausgabe)

Bildung von Neurosteroiden und Wirkungsweise der Neurosteroide:
Der menschliche Körper produziert bestimmte Hormone, die Angst dämpfen: Neurosteroide. An ihrer Herstellung ist ein Eiweißstoff namens Translokatorprotein beteiligt (obere Grafik, S. 67 in der Printausgabe). Er sitzt in den Membranen von neuronalen Mitochondrien, den Energieversorgern der Zellen, und schleust bestimmte Vorläufermoleküle zum Fertigungsort der Neurosteroide. Mit dem Stoff XBD173 lässt sich die Produktion der Hormone künstlich ankurbeln. Er bindet an das Translokatorprotein und bewegt es dazu, größere Mengen der Vorläufermoleküle zu ihrem Ziel zu bringen. Die Folge: Mehr Neurosteroide entstehen. Diese neuroaktiven Steroide verknüpfen sich im Gehirn mit dem Rezeptor des Transmitters Gamma-Aminobuttersäure (kurz: GABA) und verstärken so die Wirkung des inhibitorischen (hemmenden) Botenstoffs. Heftet sich GABA an seinen Rezeptor in der Membran der postsynaptischen Nervenzelle, strömen negativ geladene Chloridionen durch den Kanal ins Zellinnere (untere Grafik, S. 67 in der Printausgabe). Das Neuron wird dadurch schwerer erregbar. Neuroaktive Steroide sorgen dafür, dass mehr Ionen in die Zelle wandern, diese also noch stärker gehemmt wird (unten rechts, S. 67 in der Printausgabe).

Quellen:

Crestani, F. et al.: Decreased GABAA-Receptor Clustering Results in Enhanced Anxiety and a Blas for Threat Cues. In: nature neuroscience 2(9), S. 833 - 839, 1999.
Goddard, A.W. et al.: Reductions in Occipital Cortex GABA Levels in Panic Disorder Detected With 1H-Magnetic Resonance Spectroscopy. In: Archives of General Psychiatry 58, S. 556 - 561, 2001.
Parks, c.L. et al.: Increased Anxiety of Mice Lacking the Serotonin 1a Receptor. In: PNAS 95(18), S. 10734 - 10739, 1998.
Rupprecht, r. et al.: Translocator Protein (18 kD) as Target for Anxiolytics Without Benzodiazepine-Like-Side-Effects. In: Science 325, s. 490 - 493, 2009.

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ERGÄNZENDE INFORMATIONEN:
Psychotherapie bei Angststörungen: Augen auf und durch!

Angst ist eine biologisch sinnvolle Reaktion auf eine Gefahr oder Bedrohung: Sie mobilisiert Energie (zum Kämpfen oder Flüchten) und sorgt dafür, dass wir Situationen vermeiden, die uns riskant erscheinen. Im Lauf der Evolution haben sich vor allem Ängste vor bestimmten Tieren wie giftigen Schlangen als Überlebensvorteil erwiesen, so dass der Mensch noch heute dazu neigt, sich eher vor diesen Tieren zu fürchten als etwa vor Rasiermessern.
Wenn sich Ängste aber auf Situationen oder Objekte beziehen, von denen (hier zu Lande) keine Gefahr ausgeht - etwa Spinnen, Busfahren oder fremde Menschen - und wenn sie den Alltag oder die Lebensqualität übermäßig einschränken, gelten sie als Angststörung. Rund 15 Prozent der Bevölkerung leiden einmal in ihrem Leben an einer solchen Erkrankung. Sie besteht in der Regel aus einer körperlichen Reaktion (zum Beispiel Herzrasen, Zittern und Schweißausbrüchen), aus einer Erwartung oder gedanklichen Bewertung der Situation (»Ich könnte einen Herzinfarkt bekommen«, »Ich werde mich blamieren «) sowie der Tendenz, gefürchtete Objekte oder Situationen zu meiden, sofern das möglich ist.
Die Störung hält sich selbst aufrecht, denn die Angst sinkt, sobald der Betroffene die Situation wieder verlässt - diesen Lösungsweg wählt er deshalb immer wieder. Die Erwartung weiterer Angstattacken erhöht außerdem im Sinn einer selbsterfüllenden Prophezeiung die Wahrscheinlichkeit, dass diese wieder auftreten.
Manchmal genügen Selbsthilfetipps, um eine übertriebene Angst wieder zu verlernen. In schwereren Fällen bedarf es dazu einer medikamentösen Behandlung und/oder einer Psychotherapie. Letztere setzt an den beschriebenen Komponenten der Angst an - und zwar nach folgenden vier Grundprinzipien:

Gegenbewegung
Regelmäßige sportliche Aktivitäten und Entspannungsübungen können Angstreaktionen langfristig mindern. Bei manchen Störungen helfen sie auch im Akutfall, unter anderem weil sich Entspannung und Erschöpfung physiologisch schlecht mit einer Angstreaktion vereinbaren lassen. Während einer Panikattacke kann sich die Wirkung jedoch umkehren. Kommt es zu einer panikbedingten Hyperventilation (starkem Luftholen wegen Atemnot), dann empfehlen Mediziner, in eine Tüte zu atmen, damit sich das Verhältnis von Sauerstoff zu Kohlendioxid im Blut wieder normalisiert.

Konfrontation
Der Weg aus der Angst führt direkt durch sie hindurch! Wer auf Grund übertriebener Befürchtungen eine Situation oder ein Objekt meidet, wird die Angst am schnellsten los, wenn er sich stattdessen mit ihr konfrontiert. Der Betroffene lernt auf diese Weise, dass die Situation oder das Objekt harmlos ist. Das kostet viel Überwindung, baut aber nicht nur Ängste ab, sondern stärkt auch das in der Regel angegriffene Selbstbewusstsein. Dafür sollte er sich für eine von zwei Strategien entscheiden. Entweder »managt« er dabei die Angst etwa durch Ablenkung. Dies ist der einfachere Weg, der jedoch als weniger wirksam gilt. Oder er konzentriert sich voll auf seine Gefühle und lässt sie zu, ohne gedanklich zu fliehen. Dabei kann er gefürchtete Situationen mit steigendem Schwierigkeitsgrad aufsuchen (systematische Desensibilisierung). Die Konfrontation wirkt aber oft am besten, wenn man sich gleich dem schlimmsten denkbaren Szenario stellt. Manchmal genügt dann ein einziger Durchlauf. Doch meist müssen die Übungen über einen längeren Zeitraum wiederholt werden, um den Erfolg aufrechtzuerhalten.

Wahrscheinlichkeitsrechnung
Befürchtungen und katastrophisierende Gedanken versetzen den Körper in Alarmzustand. Betroffene sollten diese so genannten Kognitionen so detailliert wie möglich ergründen: Was genau fürchten sie? Wie realistisch ist es, dass ihre Befürchtungen zutreffen? Was könnte alternativ auch passieren - und wie wahrscheinlich wäre das? Soweit möglich, sollten diese Überlegungen in der Realität ausgetestet oder im Gespräch mit anderen überprüft werden. Das stete Abwägen von Wahrscheinlichkeiten hilft, unangemessene und übertriebene Befürchtungen in den Griff zu kriegen. Das Ziel: Den Gedanken »Ich falle in Ohnmacht« in eine beruhigende Selbstinstruktion zu verwandeln! »Bei der letzten Panikattacke hatte ich dieselben Symptome und bin nicht umgefallen - also wird auch diesmal nichts passieren. Ich laufe jetzt ruhig weiter, dann verschwinden die Gefühle von ganz allein wieder.«

Gelassenheit
Die Ängste werden dadurch befeuert, dass der Betroffene zusätzlich zu seiner Furcht etwa vor einer konkreten Situation auch noch Angst vor der Angst entwickelt: »Wenn ich einkaufen gehe, kommt vielleicht die nächste Panikattacke. Werde ich das denn nie mehr los? Ich halte das nicht mehr lange aus.« Diese Erwartungen und Gedanken halten die Störung aufrecht. Die stete Angst vor dem nächsten Mal erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine weitere Panikattacke, unter anderem weil die Betroffenen angespannt sind und stärker auf etwaige Symptome achten. Akzeptanzorientierte Verfahren lehren, nicht gegen die Angst anzukämpfen, sondern alle Symptome wertfrei zu beobachten. Meditation und Achtsamkeitsübungen können helfen, diese innere Gelassenheit einzuüben.


© 2010 Susanne Rytina, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
GEHIRN&GEIST 11/2010, Seite 64 - 69
Herausgeber: Dr. habil. Reinhard Breuer
Redaktion und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2010