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BERICHT/003: Bezichtigungsmedizin am Beispiel der Proteomanalyse - Teil 3 (SB)


Interview mit dem Biochemiker Prof. Harald Mischak


Das Gespräch mit dem Erfinder des Diagnoseverfahrens DiaPat® zur Feststellung eines erhöhten individuellen Erkrankungsrisikos aus einer Urinprobe fand anläßlich der MEDICA PreView am 6. Oktober 2009 in Hamburg statt.

Prof. Harald Mischak, mosaiques diagnostics and therapeutics AG

Prof. Harald Mischak, mosaiques diagnostics and therapeutics AG

Der Biochemiker und klinische Mikrobiologe Professor Harald Mischak [1] gilt als Vorreiter in der klinischen Anwendung der Proteomanalyse, die im Vorfeld der MEDICA 2009 als neue 'Wunderwaffe' und 'Fundamentallösung' für die erwartete Kostenexplosion im Gesundheitssystem und als erster 'nobelpreisverdächtiger Schritt' zum Paradigmenwechsel in der Medizin gehandelt wird. Der Schattenblick sprach mit dem Erfinder des Diagnoseverfahrens DiaPat® über die gesundheitspolitischen Entwicklungen, die mit der klinischen Einführung seiner Frühdiagnostik einhergehen könnten.


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Schattenblick: Die von Ihnen entwickelte Methode der Protein-Muster-Erkennung wurde in den Medien - und auch eben von Herrn Becker in der Anmoderation zu Ihrem Vortrag - als "nobelpreisverdächtig" bezeichnet. Was ist das besondere an dieser Diagnostik? Können Sie das in Kürze für unsere Leser erläutern?

Harald Mischak: Ich würde sagen, zunächst einmal die Präzision und Genauigkeit, mit der ich damit Krankheiten möglichst früh erkennen kann. Und von der technischen Seite her: die Idee, möglichst viele Proteine und Faktoren zusammenzunehmen, um überhaupt eine präzise Aussage zu ermöglichen. Anderseits sind wir noch die einzigen, die es geschafft haben, diese Technik überhaupt "auf stabil" umzusetzen. Es gibt ja viele, die auf dem Feld Proteomanalyse arbeiten, aber ihnen ist es nie gelungen, das tatsächlich in eine Form zu bringen, in der man es routinemäßig anwenden kann. Wenn Sie so wollen - ich bin schon der Meinung, wir bringen damit Proteomanalyse tatsächlich zum ersten Mal in einer anwendbaren Form in die Klinik.

SB: Auf welche Krankheiten beziehen Sie sich zur Zeit speziell?

HM: Chronische Nierenerkrankungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, inklusive Arteriosklerose, Komplikationen bei der Transplantation, also sowohl Abstoßung als auch diese Graft-versus-Host-Erkrankungen und zu guter Letzt Tumoren im Urogenitalbereich, also Prostatakarzinom, Blasenkarzinom - jetzt dann auch in der Niere. Das ist sicher nicht auf diese Erkrankungen limitiert. Es gibt auch kleinere Gebiete wie die Harnwegsfehlbildungen, nicht nur bei Neugeborenen, sondern auch einfach bei jüngeren Menschen - aber das ist noch ein bißchen in der Entwicklung. Zweitens - man kann es im Prinzip auf die meisten Erkrankungen anwenden.

SB: Das heißt denkbar wäre eine Ausweitung der Proteinmuster-Erkennung auf einen breiteren Anwendungsbereich?

HM: Ja, das sehe ich schon so. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es eine pathophysiologische Situation gibt, in der Proteine nicht massiv verändert werden. Also besteht die Kunst nur darin, festzustellen, welche der Proteine nun wirklich signifikant mit der Erkrankung verändert werden, und welche ich davon abfragen muß, um die Erkrankung festzustellen. Das Ganze ist eigentlich sehr einfach, also nichts Kompliziertes.

SB: Sie haben als Wissenschaftler und Erfinder dieser Methode sicherlich eine Vision, die Sie antreibt. Welche Veränderungen in der Gesellschaft und natürlich speziell im Gesundheitssystem erwarten Sie von den nächsten 10 bis 15 Jahren, wenn sich diese Methode durchsetzt und vielleicht sogar als Routinediagnostik zur Anwendung kommen könnte?

HM: Also, sagen wir mal so: Die Vision ist natürlich, Krankheiten zu verhindern, also sprich: "Krankheit" in ihrer klinisch ausgeprägten Form zu verhindern. Das ist der Grund, warum ich das mache, und ich glaube auch, daß sich diese Vision verwirklichen läßt. Das bedarf natürlich auch entsprechender Therapeutika. Die Therapeutika, die jetzt vorhanden sind - das habe ich auch erst im Lauf der Zeit gelernt -, sind nicht immer geeignet, um bereits in der Frühphase zu therapieren. Da habe ich schon die Vision, daß wir dann gemeinsam mit Pharmaunternehmen entsprechend gute Therapeutika entwickeln können, daß man - zwar nicht ewig leben kann -, aber daß zumindest ein Leben auf einem relativ hohen Qualitätsniveau, mit einer relativ hohen Gesundheit doch sehr lang' möglich ist. Also im Prinzip besteht die Vision, wenn Sie so wollen, darin, vor allem dieses Siechtum über Jahre hinweg zu verhindern.

Prof. Harald Mischak

SB: Wovon hängt Ihrer Meinung nach die Akzeptanz dieses neuen Diagnosesystems ab, also was müßte sich da verändern, daß es tatsächlich zu einem Paradigmenwechsel in der Medizin führen könnte?

HM: Naja, ich habe natürlich auch kein Geheimrezept, aber im Endeffekt ist das Gesundheitssystem zum Großteil in politischer Hand. Also muß sich da politisch was tun. Das heißt, es wäre notwendig, daß sich die Politik mal damit auseinandersetzt, das - von mir aus - entsprechend prüft, aber unvoreingenommen, um dann zur Entscheidung zu kommen: Ja, solche Verfahren sollen in weiterer Folge eingesetzt werden. Ein Problem an der ganzen Geschichte ist natürlich, daß man diese Verfahren ja in weiterer Folge in klinischen Studien beweisen muß. Ich muß also nicht nur beweisen, daß das Verfahren die Erkrankung früh genug erkennt, sondern daß es für den Patienten auch einen Erfolg bringt.

Ein kleines Unternehmen gemeinsam mit ein paar Unis kann sich keine riesigen Studien leisten, d.h. das Wichtigste wäre, daß jetzt die Politik - von mir aus nach einer Prüfung, die aber nicht ewig dauern darf -, hingeht und sagt: Ja, wir versuchen, es - im Rahmen einer Studie oder eines Modellversuchs an 10.000 Patienten - jetzt einmal einzusetzen, mit dem Ziel zu zeigen, daß es einen Vorteil bringt. Denn im Moment sind das noch lauter theoretische Rechnungen. Und wir sind nun schon einen langen Weg gegangen, indem wir zunächst gesagt haben: Wir können Krankheiten früh erkennen. Das hat keiner geglaubt - dann haben wir das bewiesen. Und jetzt heißt das nächste Gegenargument: 'Früherkennung ist ja gut und schön, macht aber keinen Sinn, wenn man es nicht früh therapieren kann und Frühtherapeutika gibt es nicht'. Was ja auch stimmt, es gibt tatsächlich kein Arzneimittel, das dafür zugelassen ist, weil Sie eine Krankheit bis jetzt nicht früh genug sehen können.

SB: Genau da schließt gleich unsere nächste Frage an. Welchen Nutzen haben die Patienten, die jetzt noch nicht krank sind, aber schon als Risikopatienten identifiziert wurden, von einer Diagnostik, für die es noch keine Medikamente gibt. Wie sehen die Aussichten für eine Medikamentenentwicklung aus und in welchem Zeitfenster bewegt man sich da?

HM: Also es gibt natürlich Medikamente, die durchaus schon geeignet sind, um Dinge zu verhindern. Zum Beispiel Statine verhindern normalerweise einen Teil der arteriosklerotischen Plaques. Also würde ich jemand, der da einen erhöhten Score hat, durchaus Statine empfehlen. Oder, wenn man schon sieht, da bildet sich ein Nierenschaden ab, wäre eine Druckentlastung über Angiotensinrezeptorblocker sinnvoll.

Es gibt auch Ansätze von weiteren Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln, die da möglicherweise noch wesentlich relevanter wären. Da besteht das Problem eher darin, daß die Industrie kein Interesse daran hat, weil das zum Teil Sachen sind, wofür man keinen Patentschutz mehr bekommen kann, Aldosteronantagonisten z.B. sind eine Verbindungsklasse, für die Sie kein Patent mehr kriegen werden oder auch Antioxidantien, diverse Vitamine wie Thiamin, Benzothiamin, die vermutlich extrem positive Wirkungen haben, an denen aber einfach keiner Interesse hat, weil das nun mal nicht verkauft werden kann. Und auch hier muß man sagen, die Industrie kann kein Interesse daran haben, Medikamente zu entwickeln, mit denen nie Gewinne gemacht werden, denn die Industrie muß nun mal Gewinne machen.

Also wäre auch hier die Politik gefragt festzustellen, welche Wege möglich sind, um eine bessere Patientenversorgung hinzukriegen. Das ist im Sinne der Gesellschaft, aber nicht notwendigerweise im Sinne eines Pharmaunternehmens, weil das eben damit keine Gewinne machen kann. Also, muß dann auch die Gesellschaft bereit sein, die entsprechenden Untersuchungen durchzuführen, um ein solches Medikament auf den Markt zu bringen oder den Leuten zur Verfügung zu stellen.

SB: Könnte man sagen, daß die Patienten heutzutage noch darauf angewiesen sind, selbst Vorsorge zu treffen, indem sie Einfluß nehmen auf die so genannten veränderbaren Risikofaktoren, sprich Lebensstilveränderungen, Ernährungseinflüsse?

HM: Klar, auf jeden Fall! Die bilden sich auch ab. Das sieht man auch schon. Nur ich glaub' halt auch, das sollte die Entscheidung von jedem einzelnen sein. Jeder sollte sagen können, ich will nun 'mal keinen Sport treiben und nehme das Risiko auf mich, daß ich dann entsprechend fett werde und jünger sterbe. Ich glaube nicht, daß man das gut vorschreiben kann, oder?

SB: Das betrifft eigentlich auch schon unsere nächste Frage, die sich da natürlich anschließt: nach der "mangelnden Compliance" von vielen Patienten, die ja oft beklagt wird - also der mangelnden Therapietreue oder Mitarbeit. Inwiefern kommt die eventuell nachher ins Spiel oder inwieweit kann das von seiten der Gesundheitspolitik genutzt werden, um beispielsweise ein sogenanntes Bonussystem einzuführen oder um ein solches Verhalten mit Sanktionen zu belegen, einer höheren Selbstkostenbeteiligung zum Beispiel?

HM: Also ich persönlich glaube, das macht in beide Richtungen Sinn. Ich sehe natürlich auch, daß eine erhöhte Patienten-Compliance gegeben ist, wenn die Patienten mehr über sich selbst wissen. In der Praxis ist es ja oft so: Der Patient geht zum Arzt, der ohnedies schon mit dem Ausfüllen all dieser Formulare überlastet ist. Das ist dann möglicherweise auch noch ein Kassenpatient, an dem er zum Teil einfach nichts mehr verdient. D.h., er wird ihn nicht unbedingt ideal behandeln. Dann bekommt er vielleicht irgendwelche Medikamente, zum Beispiel ACE-Inhibitoren. Die sind durchaus sinnvoll und der Arzt sagt, 'nehmen Sie das mal und das wird dann schon helfen'. Der Patient nimmt es und das einzige, was er merkt, ist, er muß immer mehr husten. Er kriegt also die typischen Nebenwirkungen, merkt aber sonst keinen Vorteil. Warum soll dieser Patient "compliant" [2] sein?

Prof. Harald Mischak

Ich glaube, da muß sich zunächst etwas am System ändern. Man muß versuchen, den Patienten ein bißchen mehr einzubinden. Ich gebe Ihnen Recht, auch so eine Art Bonus-Malussystem kann man durchaus überlegen. Ich finde ja, wenn ich beschließe, ich betrink' mich jeden Tag sinnlos am Abend, dann ist es okay, dann muß aber auch nicht die Gesellschaft für die Folgekosten aufkommen. Dann zahle ich eben eine höhere Prämie für die Versicherung. Ich bin ja kein Politiker, aber sowas kann ich mir durchaus vorstellen.

SB: Eine Gewähr für die "Compliance" wäre dann schließlich auch durch Ihre Methode medizinisch gegeben, wenn sie sich - so wie Sie sagen - in der Proteomanalyse abbildet...

HM: Ja, man kann das sehen, man kann das auch dem Patienten zeigen und ich konnte bisher schon feststellen, viele Patienten werden plötzlich viel mehr "compliant", wenn sie sehen: "Oha, da ist ein Problem und da kann ich auch was dagegen machen". Sie wären vermutlich auch nicht dazu bereit, irgendwelche Medikamente zu schlucken, die Nebenwirkungen haben, wenn Sie nicht so recht sehen können, wozu das in irgendeiner Form gut sein soll, oder?.

SB: Wie groß schätzen Sie die Gefahr einer eventuellen Fehldiagnose ein?

HM: Die ergibt sich aus der Sensibilität und der Spezifität. Ich würde sagen, daß etwa 5 - 10% der Ergebnisse nicht richtig sind. Daran wird man aber auch nicht so viel ändern können. Dazu muß man schon sagen, im klinischen Alltag ist es oft noch wesentlich schlimmer, und wir müssen uns ja irgendwie am Status Quo orientieren. Klar, einen gebrochenen Oberschenkel sieht man auch so. Aber bei subtileren Erkrankungen wird das extrem problematisch und im Endeffekt erwartet man von uns ja, daß wir mit einer relativ hohen Präzision vorhersagen, was in der Zukunft passieren wird. Also, die Diagnostik z.B. der Nierenerkrankungen ist schon zu 100% oder fast 100% richtig. Die ist richtiger als die klinische Diagnostik. Wenn hier eine Diskrepanz bestand und beide das Ergebnis noch einmal überprüften, dann war im Normalfall die klinische Diagnostik falsch und nicht unsere. Aber die Vorhersage hat natürlich auch Unsicherheiten, weil ich nicht weiß, wie sich die Patienten daraufhin verhalten. Wenn Sie therapeutisch intervenieren, dann sollte die Vorhersage nicht falsch sein, sonst macht die Therapie keinen Sinn. Also, da kommen gewisse Unsicherheitsfaktoren hinzu.

SB: In Ihrer Pressemappe bzw. auf der darin enthaltenden CD gibt es ja verschiedene Studien zu dem Thema. Unter anderem wurde darin auch ein Vorläuferverfahren zur Kapillarelektrophorese mit Massenspektroskopie (CE-MS) beschrieben. Diesem - so wurde dort angemerkt - fehle es an Genauigkeit, weil dabei ganz verschiedene Proteinmuster von unterschiedlichen Proben für die gleiche Krankheit abgebildet wurden...

HM: Ja, das war ganz am Anfang gegeben, ja, das ist richtig.

SB: Dabei kam bei mir die Frage auf - da es sich auch bei der aktuellen Methode nur um ein bestimmtes Fenster handelt, einen bestimmten Ausschnitt von Proteinen, das Sie darstellen können -, inwieweit kann man hier noch sicher sein, daß damit tatsächlich die Krankheit abgebildet wird und nicht vielleicht nur einer der bekannten Risikofaktoren, die vielleicht gerade nur zufällig vorkommen, aber wegen derer der Patient nicht unbedingt krank werden muß?

HM: Ja, meine Güte, hundertprozentig kann Ihnen das vermutlich niemand beantworten, aber wir kennen sehr viele der Moleküle, die verändert wurden, und wir können natürlich sagen, das macht auch in der ganzen Pathophysiologie der Erkrankung Sinn.

Um ein Beispiel zu nennen: Viele der Biomarker, die wir für eine chronische Nierenerkrankung finden, sind vor allem Kollagenfragmente. Kollagene setzen sich an das Matrixprotein und was man beobachtet bei diesen Erkrankungen ist eine massive Verdickung von all diesen extrazellulären Matrixbestandteilen. Das führt im Endeffekt dann zur Fibrose und damit zum Funktionsverlust. Das ist der klassische Weg.

Und wenn ich nun schon sehr früh eine Reduktion dieser Fragmente im Urin finde, heißt das, gleichzeitig wird da mehr Protein aufgebaut. Ich sehe also quasi die Verdickung der extrazellulären Matrix, noch bevor ich sie auf irgendeine andere Art und Weise detektieren kann. Und nachdem das tatsächlich im Endeffekt die Hauptursache für die Niereninsuffizienz ist - da ist einfach soviel Gewebe, daß außer diesen Fasern nichts mehr ist oder alles andere kaputt ist -, bin ich mir schon sehr sicher, daß wir damit den Anfang der Erkrankung anzeigen, weil das einfach haarscharf zusammen paßt. War das Ihre Frage?

SB: Genau, letztlich ist es aber kein direkter Nachweis.

HM: Es ist immer eine Korrelation und wir versuchen dann eben zu schauen, ob die Korrelation pathophysiologisch Sinn macht. Und wenn dem so ist, wird die Wahrscheinlichkeit, daß wir hier wirklich den Beginn der Erkrankung sehen können, ausgesprochen groß. Und in diesem Fall gehen wir noch einen Schritt weiter und versuchen, genau daraufhin zu therapieren.

Prof. Harald Mischak

Wenn man also sagt, die extrazelluläre Matrix wird zu dick, weil gewisse Proteine, also Proteasen in dem Fall, nicht mehr richtig funktionieren, dann kann ich entweder versuchen, diese Proteasen zu aktivieren oder umgekehrt an der Struktur der Proteine etwas zu machen, so daß die extrazellulären Matrixproteine besser abgebaut werden können. Dadurch wird der Krankheitsprozeß wieder rückgängig gemacht. Und das hat man jetzt im Tierexperiment bei Mäusen schon nachweisen können und da funktioniert das phantastisch. Also wenn Sie Mäuse, die ansonsten äußerst schnell an koronarer Herzerkrankung leiden und die voll arteriosklerotischer Plaques sind, mit entsprechenden Substanzen behandeln, dann sind die von Plaques frei. Da findet man dann absolut nichts mehr!

Es funktioniert beim Tier und es gibt keinen Grund, warum es beim Menschen nicht auch gehen sollte. Und dann hätte man noch einen besseren Beweis: Wenn ich genau auf dieses Ziel hin interveniere, wenn ich genau da ansetze und behaupte, ich würde den Zustand wieder in Richtung normal verkehren, und wenn die Krankheit dann nicht auftritt, dann kann man sich hundertprozentig sicher sein, daß dies tatsächlich die Ursache der Erkrankung war. Aber das ist schon noch ein weiter Weg.

SB: Gibt es auch kritische Stimmen?

HM: Ach ja, genug. Zunächst natürlich - wie soll man sagen -, potentielle Konkurrenten oder ähnliches mehr. Also einerseits besteht die Proteinanalytik als Wissenschaft durchaus länger und es gibt viele Leute, die auf dem Gebiet arbeiten. Viele wollen das im akademischen Bereich behalten und versprechen teilweise auch immer wieder: 'in 10 - 15 Jahren wird es zu einer klinischen Anwendung kommen und solange müssen wir noch forschen'. Und jemand wie ich, der sagt: 'Nein, nein, man kann das jetzt und heute schon anwenden', der macht sich da nicht unbedingt beliebt.

Es gab Gegner. Es werden weniger, denn irgendwann müssen die sich auch mit den Tatsachen abfinden. Ich würde nicht sagen, daß mir jetzt von dieser Seite massiv der kalte Wind entgegenbläst, aber es gab durchaus kritische Stimmen, die gibt es auch immer wieder. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden. Es gibt natürlich Konkurrenten. Es gab viele Firmen die früher behauptet haben, sie könnten ähnliches. Die sind aber alle pleite. Und es gibt natürlich Ärzte, die für sich darin durchaus einen finanziellen Schaden erkennen.

Um ein Beispiel zu nennen, gerade die Zunft der Urologen ist nicht sehr glücklich darüber, denn die leben zum Gutteil von der Prostatabiopsie. Das ist ein Riesengeschäft. Wenn ich jetzt aber sage: Naja, 80% oder 70% dieser Biopsien sind unnötig - was ja stimmt, denn oft ist kein Tumor vorhanden - und wir können bei einem Großteil der Patienten erkennen, daß sie nicht mehr der Biopsie zugeführt werden müssen, dann sinken die Biopsiezahlen. Daß die Urologen darüber nicht entzückt sind, ist wohl verständlich. Das habe ich in der Anfangsphase total unterschätzt. Da ist also schon massiver Widerstand.

Der ist im Ausland wesentlich geringer - gut, ich glaub', manchmal ist's so, der Prophet zählt halt im eigenen Land zu wenig, wenn ich auch kein Deutscher bin - und der Widerstand ist insbesondere in den USA weniger. Dort gibt es das Haftungsproblem. Also, wenn ich jetzt als Arzt eine invasive Diagnostik betreib und dabei kommt der Patient zu Schaden, und ich hätte aber vorher abklären können, ob die unbedingt notwendig ist, da habe ich ein Haftungsproblem.

SB: Und wo setzt die Kritik genau an? Und in welche Richtung geht sie?

HM: - daß es zu früh auf den Markt gebracht wird, also -

SB: - daß es einfach noch nicht ausgereift ist?

HM: Richtig - daß man da noch weiter forschen könne. Das stimmt natürlich. Man kann ewig weiter forschen, aber irgendwo ist ja auch der Punkt, wo ich finde, ich muß es auch einmal anwenden. Ich forsche ja nicht gerade an solchen Dingen, damit das nie jemand verwendet.

SB: Und gibt es auch kritische Stimmen von ethischer Seite aus? Stichwort: 'gläserner Patient'.

HM: Noch nicht, aber ich glaube, das liegt eher daran, daß die Leute, die mit Ethik beschäftigt sind, noch nicht so ganz die Tragweite mitbekommen haben. Also, im Prinzip sind die Ethiker ja noch mit der Genomanalyse beschäftigt. Das waren sie bereits vor zehn Jahren und das hält sie auch noch eine Zeitlang beschäftigt, würde ich sagen.

SB: Die Proteomanalyse, das wäre jetzt ja praktisch die Fortsetzung, der zweite Schritt dazu - also die Weiterentwicklung oder Qualifizierung der Genomanalyse?

HM: Ja. Auch da ist es wieder so: In den USA gibt es mittlerweile erste Diskussionen darüber. Da haben schon einige Leute erkannt, daß da ein Problem schlummern könne.

Prof. Harald Mischak

SB: Könnte man sagen, Genomanalyse ist vielleicht damit vergleichbar, daß man in den Ausweis einer Person sieht, und sich das Foto und das Geburtsdatum anschaut, während man bei der Proteomanalyse dann wirklich die Eckdaten des ganzen Lebenslaufs erfaßt?

HM: Sagen wir 'mal so: Es ist schon ein Schritt weiter. Die Aussagekraft ist viel massiver. Natürlich - kann ich mir vorstellen - ist es für Krankenversicherungen nicht unrelevant zu wissen, welcher Patient wird denn in Zukunft vermutlich teuer und welcher nicht? Und danach selektieren sie. Ich persönlich finde das nicht besonders ethisch. Da sehe ich durchaus Potential für Mißbrauch. Nur wird das noch gar nicht so weit angewendet, daß man sich darüber großartig den Kopf zerbrechen muß.

SB: Zur Zeit ist es ja wohl auch so, daß viele Patienten gar nicht für diese Diagnostik in Frage kommen, solange die Finanzierung nicht geklärt ist oder privat getragen werden muß...

HM: Ja, in vielen Fällen ist es schon so, daß die Kassen dann einlenken, wenn in der Vorphase gefragt wird. Witzigerweise beginnen erste Kassen schon, intensiv mit uns zu reden, ob man das im Rahmen von Modellversuchen einsetzen könnte, und wenn ja, in welcher Form? Also es bewegt sich schon ein bißchen was. Es bewegt sich halt sehr langsam.

SB: Haben Sie eine Perspektive? In wieviel Jahren, denken Sie, könnte sich das Verfahren etabliert haben? Kann man da schon eine Prognose machen?

HM: Nein, noch nicht. Mein persönliches Ziel ist aber schon, daß das in zwei bis drei Jahren etabliert ist, wenn nicht in Deutschland, dann woanders.

SB: So schnell schon?

HM: Davon gehe ich aus, denn die Vorteile sehe ich schon als ganz gewaltig an. Man kann diese Sache den Leuten nicht ewig vorenthalten. Genau das ist wieder der Punkt, wo ich sage, ich kann natürlich weiter entwickeln, weiter forschen, es auch weiter verbessern, aber...

SB: Ist das zur Zeit noch eine Frage der Finanzierung, der entsprechenden finanzstarken Partner, die sich dann dafür einsetzen, diese Entwicklung voranzutreiben?

HM: Ja, sowohl der Finanzierung als auch des politischen Willens, beides. Und natürlich sind wir ein kleines Unternehmen und nur ein paar Leute. Wir können einfach nicht alles gleichzeitig machen. Von mir aus kann man die Schuld, daß es noch nicht so weit verwirklicht ist, auch bei uns suchen. Aber ich kann nun mal keine zehn Vorträge gleichzeitig halten. Das geht nicht.

Es gibt schon Länder wie Großbritannien und Schottland, die massiv daran interessiert sind, diese Methode zu nutzen. Und die setzen dann ihren National Health Service darauf an, im Rahmen von einer großen Studie jetzt noch einmal letztendlich zu beweisen, daß es Benefit [3] hat - nicht nur früh zu erkennen, sondern in der Frühtherapie. Und dann soll es eingesetzt werden. Da sind wir halt in Deutschland noch weit, weit hinten nach, das muß man auch ganz klar sagen.

SB: Das war ein gutes Schlußwort. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

HM: Gern geschehen.


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[1] Professor Dr. Dr. Harald Mischak, 1961 in St. Pölten, Österreich geboren, hat - nach Promotionen in technischer Chemie (TU Wien) und Biochemie (Universität Wien) und einer weiteren Zwischenstationen in den USA - an der Technischen Universität in München im Bereich klinische Mikrobiologie habilitiert. 1999 folgte er einem Ruf an die medizinische Hochschule in Hannover und gilt seit 2002 als Gründer der Firma Mosaik Diagnostics and Therapeutics AG in der Niedersächsischen Landeshauptstadt als einer der Vorreiter in der klinischen Anwendung der Proteomanalyse, die im Vorfeld der MEDICA 2009 als neue Wunderwaffe und Fundamentallösung für die erwartete Kostenexplosion im Gesundheitssystem und erster nobelpreisverdächtiger Schritt zum Paradigmenwechsel in der Medizin gehandelt wird.
[2] compliant - engl.: willfährig, den Absichten anderer dienend
[3] Benefit - engl.: Nutzen, Gewinn

Schattenblick-Redakteurin im Gespräch mit Prof. Harald Mischak

Schattenblick-Redakteurin im Gespräch mit Prof. Harald Mischak

9. Dezember 2009