Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → REPORT

BERICHT/006: Ersatzteillager Mensch - Essener Gespräche (SB)


Akzeptanzkampagne pro Organspende in argumentativen Nöten

Kritik an Transplantationsmedizin auf Essener Tagung (23.-24. März 2012)



Ganz Deutschland ist für Organspende. Ganz Deutschland? Nein. Die Zahl und tatsächliche Relevanz der Kritiker und Kritikerinnen und ihrer Argumente ist allerdings schwerlich zu beziffern oder auch nur grob abzuschätzen, weil es bereits seit vielen Jahren eine Akzeptanz- und Durchsetzungskampagne pro Transplantationsmedizin gibt, die sich erheblicher fachfremder Mittel bedient und in der Lage ist, sich eine mediale Deutungs- und Interpretationshoheit anzueignen bzw. aufrechtzuerhalten, die ihresgleichen sucht. Es scheint kaum ein gesellschaftspolitisches Thema oder eine öffentliche Streitfrage zu geben, die in ihrer Polarität so vehement verleugnet und tabuisiert wird wie die der sogenannten "Organspende". Daß es hier scheinbar einen Schulterschluß aller Demokraten und Gut-Menschen gegeben hat und sich jeder Kritiker - und sei es unausgesprochen - mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, einem sterbens- oder schwerstkranken Menschen das Überleben bzw. die Verbesserung seiner Lebensqualität durch die Implantation eines Organs eines anderen Menschen nicht zu gönnen, belegt, wie weitreichend und irrational der Zugriff auf das Denken und Fühlen vieler Menschen in dieser Frage allem Anschein nach schon vollzogen werden konnte.

Erika Feyerabend im Porträt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Erika Feyerabend - unbeugsam im Kampf gegen die Ausweidung des Menschen
Foto: © 2012 by Schattenblick


Dabei sind die Einwände, Kritikpunkte, Stellungnahmen und Argumentationsstränge der wenn auch recht kleinen und ihrerseits auf unterschiedlichsten Motivlagen und Überzeugungen fußenden Kritikergemeinde seit vielen Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten, wie die seinerzeit noch öffentlich-kontrovers geführte Diskussion vor der Einführung des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 belegt, in erheblichem Umfang publiziert und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Wie dünn das Eis des angeblich bestehenden gesellschaftlichen Konsenses tatsächlich sein könnte, ließe sich aus den sattsam bekannten Umfrageergebnissen, denen zufolge rund drei Viertel der bundesdeutschen Bevölkerung generell mit der Transplantationsmedizin einverstanden ist, während sich nur etwa ein Viertel tatsächlich auch bereiterklärt, den so massiv beworbenen Organspendeausweis zu unterschreiben, herauslesen.

Dieses Mißverhältnis läßt sich, je nach Standpunkt, unterschiedlich, um nicht zu sagen völlig gegensätzlich ausdeuten. Die Transplantationsbefürworter, die mittels ihrer gesellschaftlichen Suprematie ohnehin den moralisch und ethisch überfrachteten Standpunkt vertreten, die Organspende sei im Grunde eine Pflicht der Mitmenschlichkeit oder, in religiös-christlicher Lesart, der Nächstenliebe, lassen den erhobenen Zeigefinger gleich oben und deuten die Diskrepanz zwischen vermeintlicher allgemeiner Zustimmung und weitverbreiteter persönlicher Verweigerung als puren Egoismus und unterstellen diesen Menschen, einerseits zwar im Notfall Organe bekommen, aber selber nicht hergeben zu wollen. Auf diese Weise werden, was ohnehin charakteristisch ist für die Pro-Organspende-Kampagne, die einen gegen die anderen aufgebracht, so als wäre diese höchst prekäre und sehr wohl "politische" Auseinandersetzung tatsächlich ein Hauen und Stechen sozusagen auf "mitmenschlicher" Ebene und hätte mit Fragen gesellschaftlicher Herrschaft und den damit einhergehenden Zugriffs- und Verfügungsabsichten in Hinsicht auf den Körper des Menschen nicht das geringste zu tun.

Auf diese Weise konnte bislang verhindert werden, die Transplantationsmedizin ins Fadenkreuz einer öffentlich-kontroversen Debatte zu rücken und Fragen zu stellen, zu diskutieren und weiterzuentwickeln, die bei dieser wissenschaftlichen Teildisziplin nicht stehenbleiben, sondern ihr Potential nutzen, um gesellschaftliche Grundsatzfragen, die die Qualifizierung dieses Zugriffs bis in die unmittelbarste körperliche Substanz hinein - durchaus mit tödlichen Folgen - zu problematisieren. Die offensichtlich weitverbreitete Ablehnung gegenüber der mit soviel Nachdruck erhobenen Forderung, im Todesfall der Allgemeinheit Organe zur Verfügung zu stellen, die vermutlich nur aus taktischen Gründen abzumildern versucht wurde durch die Zusicherung, es solle in einer so ernsten Frage auf niemanden Druck ausgeübt werden, ließe sich auch ohne das Postulat egoistischer Motive erklären. Denkbar und womöglich plausibler anzunehmen wäre, daß sehr viele Menschen instinktiv befürchten könnten, im Ernstfall schneller, als ihnen lieb sein kann, zum Zwecke der Organentnahme für tot erklärt zu werden und im übrigen aus purer Anpassung, um nicht als schlechter Mensch dazustehen, ein generelles Einverständnis vorschützen.

Wäre die öffentliche Wahrnehmung und Debatte dieses hochsensiblen Themas tatsächlich so transparent, wie die Transplantationsbefürworter nicht müde werden zu behaupten, und würde tatsächlich eine umfassende und tabu-freie Aufklärung aller relevanten Fragen betrieben werden, gäbe es aus Sicht der Befürworter keinen Grund, eine mediale Verbreitung der durchaus vielschichtigen Argumente der Kritiker über deren bisherige Nischenexistenz hinaus zu fürchten. Doch auch in Hinsicht auf das Gesetzgebungsverfahren, das das Transplantationsgesetz, dessen Novellierung noch in diesem Sommer abgeschlossen werden soll, derzeit im deutschen Bundestag durchläuft, drängt sich der Eindruck auf, daß ein nicht unerheblicher Nebeneffekt dieser Gesetzgebungsinitiative darin bestehen könnte, einem womöglich drohenden weiteren Akzeptanzverlust der Transplantationsmedizin in der Bevölkerung entgegenzuwirken. Tatsächlich ist nämlich die Zahl der postmortalen Organspenden gesunken, war sie doch mit rund 1.200 Spenden im Jahr 2010 gegenüber dem Vorjahr um 7,4 Prozent zurückgegangen.

Am 23. und 24. März 2012 fand in Essen im Kulturzentrum GREND eine Tagung unter dem Titel "Organspende - gesellschaftlich umstritten, öffentlich undurchschaubar, politisch gefördert" statt, die genau in dieses Wespennest stach. Der zeitliche Bezug zur ersten Lesung der Gesetzesnovelle zum Transplantationsgesetz am 22. März 2012 im deutschen Bundestag, mit der erklärtermaßen die Akzeptanz der Organspende sowie das konkrete Organaufkommen gesteigert werden soll, war unübersehbar. Der Deutsche Ethikrat hatte am Tag zuvor in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter dem Titel "Hirntod und Organentnahme" eine vermeintlich ähnlich gelagerte Informationsveranstaltung durchgeführt.

Längst haben es sich die Protagonisten dieser Substitutionsmedizin angewöhnt, nicht als Einpeitscher eines "Spende"-Zwangs in Erscheinung zu treten, was sich in Hinsicht auf ihr Anliegen, den gesellschaftlichen Zugriff auf die menschliche Physis voranzutreiben, als kontraproduktiv erweisen und aus ihrer Sicht katastrophale Folgen, nämlich einen öffentlichen Meinungsumschwung in punkto Organspende, nach sich ziehen könnte, und so hatte auch der Deutsche Ethikrat mit dem US-Neurologen Prof. Alan Shewmon den weltweit wohl profiliertesten Kritiker des Hirntodkonzeptes eingeladen. Doch wo "Kritik" draufsteht, ist noch lange nicht "Kritik" drin. Genauer gesagt beinhaltet die Kritik des Hirntodkonzeptes, das in Kreisen namhafter Wissenschaftler heftig umstritten ist und gleichwohl als Rechtfertigungskonstrukt noch unverzichtbar zu sein scheint, keine grundsätzliche Infragestellung der Transplantationsmedizin. Die argumentativen Nöte rund um das Hirntodkonzept sind eklatant und können angesichts des sogenannten Standes der medizinischen Forschung, wie ihn maßgeblich auch Prof. Shewmon vertritt, schwerlich auf unabsehbare Zeit ignoriert werden, ohne (weitere) Glaubwürdigkeitsverluste zu riskieren. Längst zeichnet sich ab, daß eine andere, sogar medizinfremde Wissenschaftsdisziplin hier die Funktion des rettenden Ankers übernehmen soll bzw. dies schon längst getan hat, indem die Frage, ob ein nicht restlos toter, also noch lebender Mensch durch die Organentnahme getötet werden darf, zu einer ethischen erklärt wird.

Erika Feyerabend und die Referentin Martina Keller auf dem Podium - Foto: © 2012 by Schattenblick

Brisante Fragen ins Gespräch gebracht - Erika Feyerabend (l.) mit der Referentin Martina Keller (r.)
Foto: © 2012 by Schattenblick


Am ersten Abend der Essener Tagung, deren Initiatoren und Referenten sich nicht nur die Aufgabe gestellt hatten, über das alles andere als transparente Tranplantationswesen aufzuklären, sondern auch die propagandistischen Winkelzüge ihrer Protagonisten nachzuzeichnen, ging die Hamburger Journalistin Martina Keller, die von den Organisatoren, dem Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften BIOSKOP e.V., das seit über 15 Jahren kritisch zu Biomedizin und Biopolitik arbeitet und die Zeitschrift BIOSKOP herausgibt, sowie der bundesweiten Hospizbewegung "OMEGA - Mit dem Sterben leben e.V." für das Einführungsreferat gewonnen werden konnte, auf die Grundzüge der gesamten Problematik ein. Martina Keller ist in diesem Bereich seit langem journalistisch tätig und hat zum Thema Gewebespende das im Oktober 2008 erschienene Buch "Ausgeschlachtet. Die menschliche Leiche als Rohstoff" verfaßt.

Am 12. Mai 2011 führte sie auf dem Kongreß "Die Untoten - Life Sciences & Pulp Fiction" auf Kampnagel in Hamburg mit dem Neurochirurgen und Ärztlichen Leiter der Station für Schwerst-Schädel-Hirngeschädigte am Evangelischen Krankenhaus Oldenburg im Anschluß an dessen Vortrag zum Thema "Die Todespolitik der modernen Medizin" [1] ein vertiefendes Gespräch, in dem sie darauf hinwies, daß unter Medizinethikern bereits diskutiert werde, wie man sich, da das Hirntodkonzept wissenschaftlich widerlegt und somit als Standbein der Transplantationsmedizin hinfällig geworden sei, von der Tote-Spender-Regel verabschieden könne. Dieses Kerndilemma benannte die Referentin auch zu Beginn ihres Einführungsreferats auf der Essener Tagung und ging dabei in die Anfangszeit der Organverpflanzung zurück, als man begonnen hatte, lebenswichtige Organe zu entnehmen nach dem Herzstillstand eines Sterbenden und dabei vor dem Problem gestanden hatte, eine Schädigung der begehrten Organe zu riskieren, wenn zu lange gewartet werde und die Organe infolge des Sauerstoffmangels geschädigt werden oder womöglich zu transplantieren, bevor der Mensch überhaupt tot ist.

In dieser Pionierzeit riskierten Transplanteure in den USA eine Mordanklage, so Keller, und so war es schließlich der südafrikanische Herzchirurg Christiaan Barnard, der "Fakten schuf", indem er 1967 einer für hirntot erklärten Frau das Herz herausnahm. Diesem Tabubruch folgte bekanntlich ein Jahr später die erste Definition dessen, was heute unter dem Begriff "Hirntod" firmiert. Was die an der Harvard-Universität aus Theologen, Juristen und Medizinern gebildete Ad-hoc-Kommission 1968 als bioethische Innovation etablierte, erlangte in den USA im Uniform Determination of Death Act (UDDA) 1981‍ ‍allgemeine Gesetzeskraft. Keller schilderte, wie das Hirntodkonzept inzwischen ins Wanken geriet und führte dazu den US-Neurologen Alan Shewmon an, der wenige Tage zuvor in Berlin an der Veranstaltung der Reihe "Forum Bioethik" des Deutschen Ethikrates teilgenommen hatte. [2]

Shewmon habe sich vom Befürworter zum Gegner des Hirntodkonzeptes entwickelt, berichtete die Referentin und beschrieb als das auslösende Moment dieses Sinneswandels den Fall eines 14jährigen Jungen, der 1992 infolge eines Schädel-Hirn-Traumas für hirntot erklärt worden war, dann jedoch, da die Eltern dies nicht akzeptierten und mit den behandelnden Ärzten vereinbarten, die intensivmedizinische Versorgung für 48 Stunden auf Beatmung und Flüssigkeitszufuhr zu reduzieren, um zu sehen, ob der Herztod wie erwartet eintreten würde. Shewmon erlebte mit, wie dieser bereits für (hirn-) tot erklärte Junge nicht nur diese Zeitspanne überlebte, sondern dann, rechtlich gesehen als Toter, in ein Pflegeheim überstellt wurde, wo er 63 Tage später an einer nicht behandelten Lungenentzündung (tatsächlich) verstarb. Durch diesen Fall in ernste Zweifel an der Hirntod-Definition gestürzt, sei Shewmon auf die Suche nach weiteren derartigen Fällen gegangen und habe bis 1998 175‍ ‍gefunden und dokumentiert, in denen hirntote Menschen mit intensivmedizinischer Unterstützung über eine Woche, in einem Fall sogar 14 Jahre, überlebten und dabei Körperreaktionen aufwiesen, die an echten Leichnamen niemals festzustellen sind.

Transplantationskritikern wie auch -befürwortern sind diese Fakten in aller Regel nicht unvertraut, und so hat sich diese angesichts der Akzeptanzprobleme der Transplantationsmedizin prekäre öffentliche Diskussion zu der Frage verlagert, wie denn nun, wenn das Hirntodkonzept nicht länger tragfähig sei, mit dem Problem, die Transplanteure rechtlich abzusichern, umgegangen werden könne. Martina Keller erwähnte in diesem Zusammenhang die Physikerin und Medizinethikerin Sabine Müller vom Berliner Universitätsklinikum "Charité", die in diesem Zusammenhang von einer interessengeleiteten Wissenschaft gesprochen und erklärt habe, daß der Hirntod empirisch widerlegt sei, daß aber die Wissenschaftler, anstatt dies zur Kenntnis zu nehmen, nun nach philosophischen Begründungen suchten.

Martina Keller trägt vor - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Journalistin Martina Keller während ihres Einführungsreferats
Foto: © 2012 by Schattenblick


Wie schon auf Kampnagel, erwähnte Martina Keller auch in diesem Referat den Philosophieprofessor Dr. Ralf Stoecker von der Universität Potsdam, der, ganz pragmatisch, angesichts dieses Rechtfertigungsdilemmas bereits den Vorschlag gemacht hatte, für die Organentnahme andere Kriterien als die des Todes zu definieren. Stoecker hatte bereits 2009 in einem Beiheft zum Kritischen Jahrbuch der Philosophie dargelegt, daß er alle Versuche, "doch noch irgendwie festzustellen, dass die hirntoten Spender und die Spender mit Herzstillstand in Wirklichkeit tot sind" [3], für aussichtslos halte. Stoecker habe inzwischen ein Modell entwickelt, wie Keller darlegte, in dem er, da Hirntote einiges mit Lebenden und einiges mit Toten gemein hätten, für eine neue Kategorie plädiert - "irgendetwas dazwischen" wie bei den Geschlechtern. Sollte dies erst einmal geschehen und anerkannt sein, wolle er die Frage diskutiert sehen, wie mit diesen Menschen dann umzugehen sei.

Eine womöglich auch in Deutschland bevorstehende Option, der Transplantationsmedizin aus ihrem Dilemma zu verhelfen, könnte darin bestehen, die Organentnahme bei herztoten Patienten zu legalisieren. Derzeit ist dies in Deutschland nicht erlaubt, zumal die Bundesärztekammer (BÄK) 1998 festgelegt habe, daß der Herzstillstand kein sicheres Todeszeichen wäre. In etlichen Staaten werden Organe bereits heute bei Herzstillstand entnommen, wobei dringend vorgeschriebene, aber von Land zu Land durchaus variierende Zeiten abgewartet werden müßten, angeblich um sicherzustellen, daß der Mensch tatsächlich tot ist. In Italien müßten 20 Minuten zwischen Herztod und Organentnahme vergehen, wobei die Organe allerdings schon geschädigt werden würden. In anderen Staaten - Spanien, Frankreich und den Niederlanden - läge diese Frist bei nur fünf Minuten, während sie in den USA zwischen zwei und fünf Minuten variiere. Bei Säuglingen sei eine solche Transplantation bereits nach 75 Sekunden vorgenommen worden.

Anschließend stellte Martina Keller die Frage, wie überhaupt von einem Herztod gesprochen werde könne, wenn das Herz hinterher in einem anderen Menschen weiterlebe, erwähnte aber auch ein Pilotprojekt der Deutschen Transplantations Gesellschaft (DTG), bei dem es um die Erprobung der Organentnahme bei Herztoten gehe. In Spanien sei es üblich, wie die Referentin aus eigener Recherche und Anschauung zu berichten wußte, daß Menschen mit Herzversagen nach 20 bis 25 Minuten versuchter, aber erfolgloser Reanimation vom Notarztteam aufgegeben und als potentielle Organspender unter ständiger Reanimation in die Klinik gebracht werden. Dort werden sie von Intensivmedizinern begutachtet und ggf. für tot erklärt, wobei eine Unterbrechung der Reanimation für fünf Minuten gesetzlich vorgeschrieben ist. Danach wird die dem Erhalt der Organe dienende Versorgung wieder aufgenommen. In zwei Fällen, die die Referentin selbst beobachten konnte, habe es die fünfminütige Unterbrechung nicht gegeben. Keller beschrieb, wie der Spender unter fortwährender Reanimation in den OP gebracht und dort an eine Herzlungen-Maschine angeschlossen wurde, daß aber die Durchblutung danach auf den Bauchraum beschränkt wurde, so daß spätestens zu diesem Zeitpunkt das Gehirn endgültig zerstört worden wäre. Ob es zuvor infolge von Sauerstoffmangel nach dem Herzstillstand bereits abgestorben war, ist bei dieser Art von Organspende ungewiß.

Ausdrücklich betonte Martina Keller bei anderer Gelegenheit zu diesem Thema, daß sie die Frage, ob in Deutschland spanische Verhältnisse drohten, für obsolet und unangebracht hält. Ihrer Ansicht nach sind Formen der Organentnahme, wie sie sie in Spanien beobachten konnte, für die Bundesrepublik nicht in Ansätzen diskutabel. Angesichts der prinzipiell möglichen Legalisierung der Organentnahme bei Herztoten könnte ein Fachlaie dennoch befürchten, daß es auch hierzulande zu derartigen Entuferungen kommen könnte.

In der anschließenden Diskussion kam die Sprache unter anderem auch auf die Situation in Belgien, wo bereits in acht Fällen Euthanasie in unmittelbarer Verbindung zur sogenannten Organspende durchgeführt wurde. Acht Patienten wurden auf ihren eigenen Wunsch hin, wie es hieß, getötet. Unmittelbar danach, sofort nach dem letzten Herzschlag, wurden ihnen Organe entnommen. In einem Fall soll es sich um einen schwerstbehinderten, vielleicht auch depressiven Menschen gehandelt haben, bei dem es nach Einschätzung von Experten durchaus noch ein Besserungspotential gegeben habe, weshalb keineswegs ausgeschlossen werden könne, daß dieser Mensch vielleicht zwei Jahre später seinen Lebensmut hätte zurückgewinnen können. Diese utilitaristische Form der Euthanasie, die in Deutschland nicht zuletzt aus historischen Gründen nicht durchsetzbar sei, werde in Belgien mit einer klaren Grenzziehung zwischen den beteiligten Akteuren durchgeführt, so daß das eine Team die Tötung und ein anderes die Organentnahme vornehme.

Der von Erika Feyerabend, einer Mitbegründerin des Vereins BIOSKOP, moderierte Einführungsabend stieß wie auch das Referat Martina Kellers bei den Teilnehmern und Teilnehmerinnen der gutbesuchten Veranstaltung nicht nur auf reges Interesse, sondern führte zu einer offenen und entspannten Diskussionsatmosphäre, in der die Anwesenden ihren Empfindungen, Überlegungen und Anliegen freien Lauf lassen konnten. Diese Qualität sollte die Tagung auch am folgenden Seminartag bis über die offiziellen Schlußminuten hinaus beibehalten, was von Betroffenen, die sich als Angehörige eines transplantierten Menschen vielfach mit offener Ablehnung konfrontiert sehen, wenn sie in öffentlichen Veranstaltungen ihren Standpunkt gegenüber Transplantationschirurgen und -befürwortern deutlich machen wollen, besonders gewürdigt wurde.

Die Essener Tagung mag in ihrem überschaubaren Rahmen von rund 50 Mitwirkenden im Vergleich zu der in einen offizielleren und weitaus größeren Rahmen gestellten Veranstaltung des Deutschen Ethikrates in Berlin vielleicht das kleinere Licht gewesen sein. Gleichwohl hat der hier versammelte Kritikerkreis nicht den geringsten Grund, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, zumal die Versuche, gegnerische Argumente oder besser gleich die Kontrahenten mundtot zu machen, in dieser in einer breiteren Öffentlichkeit noch immer nicht "angekommenen" und geführten Auseinandersetzung in aller Regel nur von einer Seite ausgehen - was zu bestätigen scheint, daß die Kritiker die überzeugenderen Argumente auf ihrer Seite haben.

Fußnoten:

[1]‍ ‍Siehe im Schattenblick -> INFOPOOL -> BILDUNG UND KULTUR -> REPORT (24.05.2011):
BERICHT/010: "Die Untoten" - Systemvollendet - Schlachtvieh Mensch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0010.html

[2]‍ ‍Siehe im Schattenblick -> INFOPOOL -> MEDIZIN -> REPORT (30.03.2012):
BERICHT/004: Hirntod im Handel - Innovative Legitimation etablierter Entnahmepraxis (SB)
http://schattenblick.de/infopool/medizin/report/morb0004.html

[3]‍ ‍http://www.aerzte-fuer-das-leben.de/stoecker-reanimitation-der-hirntod-debatte.pdf (S. 56)

(wird fortgesetzt)

Das Kulturzentrum GREND in Essen bei Nacht - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Tagungsstätte - das Kulturzentrum GREND in Essen vor nächtlicher Kulisse
Foto: © 2012 by Schattenblick


5. April 2012