Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → REPORT

BERICHT/018: E-Cardmedizin - Vorwand, Plan und Wirklichkeit ... (SB)


"Stoppt die e-Card" - "Medizin statt Überwachung"

Aktionstreffen am 31. Oktober 2014 in Hamburg


Hinweis 'Herzlich willkommen - Medizin statt Überwachung' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Wie die nachweisliche Zusammenarbeit zwischen dem BND und der NSA wie auch die Verflechtung der US-amerikanischen Geheimdienste mit den dort ansässigen weltgrößten Informationsdienstleistern und sozialen Netzwerken belegen, gehen länderübergreifende staatliche Überwachung und Kontrolle mit kommerziellen Interessen Hand in Hand, wenn die Daten der Bürgerinnen und Bürger gesammelt und evaluiert werden. Neben administrativer Verfügung und Profit generierender Verwertung ist als dritte Speerspitze der fortschreitenden Entblößung vormals für privat erachteter Sphären bis in die intimste Körperlichkeit hinein die freiwillige Überantwortung des zeitgenössischen Individuums an elektronische Anwendungen aller Art zu nennen. Ein Mensch ohne tagtäglichen, wenn nicht gar stündlichen Datenverkehr gilt als anachronistisches Fossil, abgekoppelt vom gesellschaftlichen Lebensstrom.

Daß Daten nirgendwo auf der Welt sicher vor einem geheimdienstlichen Zugriff sind, ist eine Erkenntnis, die spätestens seit der NSA-Affäre als gegeben vorausgesetzt werden kann. Aufschlußreich hinsichtlich der eingestandenen und mehr noch der dabei offensichtlich verschleierten und verschwiegenen Zusammenarbeit deutscher und US-amerikanischer Geheimdienste war die aktuelle Aussage eines Unterabteilungsleiters des BND vor dem parlamentarischen NSA-Untersuchungsausschuß [1]. Die kolportierten 500 Millionen Datensätze, die der BND allein im Dezember 2012 in Krisenregionen wie Afghanistan per Satellitenaufklärung erfaßt und an die NSA weitergeleitet haben soll, waren demnach eine "durchaus normale" Größe. Generell seien aber Informationen über deutsche Grundrechtsträger ausgefiltert worden, so der Beamte. Auf Nachfrage der Opposition, wie es der BND mit einem möglichen Personenbezug der Verbindungsdaten halte, erläuterte der befragte W. K., daß Sicherheitsbehörden auf der Basis hiesiger Rufnummern oder IP-Adressen Auskunftsersuchen nach den Inhabern dieser Kennungen stellen könnten.

Ganz anders als bei der Satellitenerfassung habe sich die Kooperation mit der NSA bei der Operation Eikonal gestaltet, führte der Zeuge aus. Berichten zufolge soll der BND zwischen 2004 und 2008 am Frankfurter Internetknoten De-Cix Daten erfaßt und an die NSA übermittelt haben. Daß darunter massenhaft Informationen deutscher Grundrechtsträger gewesen sein sollen, will W. K. "nur aus der Presse gehört" haben. Zudem gebe es nicht "den Datenknoten Frankfurt", vielmehr seien dort Dutzende Telekommunikationsbetreiber angesiedelt, bei denen Netzverkehr unter Achtung des G10-Schutzes an vorgelagerten "Übergabeköpfen" automatisiert ausgeleitet werde.

Eikonal sei für den BND selbst auch im Sinne einer "technischen Ertüchtigung" im Antiterrorkampf wichtig gewesen. Ein "Ringtausch" mit der NSA oder anderen westlichen Geheimdiensten habe in diesem Rahmen aber nicht stattgefunden. So sei der BND nicht beauftragt worden, in Frankfurt etwas zu tun, was der NSA dort nicht erlaubt gewesen wäre. Da auch das nicht gerade beruhigend klang, beeilte sich der Zeuge zu versichern, die NSA habe lediglich etwa 100 ausgewählte Inhaltsdaten pro Jahr erhalten, worüber die US-Seite natürlich enorm enttäuscht gewesen sei. Die NSA habe indessen akzeptiert, daß sich der BND von seinen gesetzlichen Vorgaben nicht habe "wegbewegen" können. Die Operation sei eingestellt worden, ohne daß die NSA deswegen "weniger hilfsbereit" geworden wäre. Über ein Nachfolgeprojekt wollte sich der Zeuge nicht öffentlich äußern.

Im Anschluß an die Vernehmung, der noch ein nicht-öffentlicher Teil folgen sollte, bemängelte die Opposition, daß es der Zeuge den Abgeordneten trotz seiner vergleichsweise großen Gesprächsbereitschaft schwer gemacht habe, "an den Kern des Untersuchungsauftrags heranzukommen". So habe er mehrfach Begriffe rund um die durchgeführte Überwachung entgegen des allgemeinen Verständnisses umgedeutet und sich in Widersprüche verstrickt, als es darum ging, ob das Ausfiltern grundrechtsrelevanter Daten tatsächlich in jedem Fall geglückt sei. Wie diese Mischung aus Unbehagen und Hilflosigkeit der Abgeordneten nahelegt, hat die Aussage des hochrangigen BND-Mitarbeiters offenbar den mutmaßlichen Zweck erfüllt, Kooperation zu simulieren, um die Vernebelung zu perfektionieren.


Freudige Selbstkontrolle per Körperdatensammler

Das zügellose Interesse in Staat und Wirtschaft, sich Zugriff auf personenbezogene Daten zu verschaffen, korrespondiert mit einem bedenklich perforierten Gefahrenbewußtsein der Adressaten derartiger Angriffe. Ein aktuelles Beispiel, wie die freudige Selbstkontrolle gesundheitsbewußter Bürgerinnen und Bürger in den Dienst der Durchsetzung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK oder e-Card) gestellt werden könnte, lieferte eine Anhörung des Bundestagsausschusses Digitale Agenda [2]. Dort schlug die Dortmunder Medizin-Informatikerin Britta Böckmann vor, man müsse "die Plattform öffnen für Anwendungen, die nichts mit der Gesundheitskarte zu tun haben. Das wird für Akzeptanz sorgen." Als Beispiele nannte sie Apples mit iOS 8 eingeführten Gesundheitsdienst HealthKit sowie die Apple Watch.

Den anwesenden Datenschützern ließ die Vorstellung, die eGK solle sich für solche Körperdatensammler öffnen, die Haare zu Berge stehen. So widersprach Thilo Weichert (Schleswig-Holstein), die Apple Watch sei "der ungeschützteste Raum, den man sich überhaupt vorstellen kann. Den würde ich nicht in dieses System integrieren." Der Mediziner Björn Bergh vom Universitätsklinikum Heidelberg plädierte dafür, Patienten mehr Entscheidungsfreiheit beim Umgang mit ihren Daten einzuräumen. Sie müßten genau festlegen können, welche Daten ausgetauscht werden dürfen. Um einen Knochenbruch zu behandeln, bräuchte ein Arzt beispielsweise keine gynäkologischen Informationen. "Wenn ich da nur komplett rein oder raus könnte, hätte ich schon ein Problem damit."

Was nicht ist, kann noch werden, mögen die teilnehmenden Befürworter des weltgrößten IT-Projekts gedacht haben, dem man angesichts seiner fortgesetzten Pannen, Verzögerungen und Kostensteigerungen dieses Motto ans Revers heften könnte. In den USA testen Kliniken bereits die Verwendung von Apples Health-Plattform. In einer Studie werden die Blutzuckerwerte des Patienten über einen Sensor erfaßt, der diese über die HealthKit-Schnittstelle auf dem iPhone an die App der betreuenden Klinik weitergibt. Wie zur Begründung angeführt wird, könne man damit Fehler bei der manuellen Eingabe von Werten durch den Patienten vermeiden und diesen bei plötzlichen Werteschwankungen warnen.


Konzeptionelles Herzstück umfassenden Datenraubs

Die eGK, ursprünglich als Schlüssel zu einer zentralen Erfassung von Gesundheits-, Rentenversicherungs- und Sozialversicherungsdaten konzipiert, bleibt trotz ihrer vorläufigen Reduzierung auf wenige Kernelemente das konzeptionelle Herzstück des Vorhabens, sich jeglicher bislang geschützter personenbezogener Daten zu bemächtigen. Daher gilt es sie zu verhindern, will man einen Dammbruch abwenden. Sollte die eGK an ihren inneren Widersprüchen wie auch dem Widerstand gegen ihre Einführung scheitern, wäre das eine gewonnene Schlacht auf einem Feld diverser Brandherde, doch kein Grund zur Beruhigung. Zum einen ist der "gläserne Patient" ein Aspekt des "gläsernen Bürgers", dessen Realisierung an vielen Fronten vorangetrieben wird. Zum andern lassen sich Gesundheitsdaten auch mit anderen Instrumenten als der eGK verfügbar machen, wofür der zitierte Vorstoß, Körperdatensammler zu integrieren, nur ein Beispiel unter vielen ist.

Die Umwandlung der Gesundheitsversorgung auf Grundlage einer Solidargemeinschaft in eine Gesundheitswirtschaft mit Leistungsanbietern und Kunden zeugt von einer schrankenlosen Kommodifizierung existentieller Notwendigkeiten des Menschen, der über seine wertschöpfende Arbeitskraft hinaus in seiner Gänze zur verfügbaren Ware degradiert wird. Als bloße Ressource gesundheitsindustrieller Vernutzung soll er fremdnützige Interessen in einem Maße bedienen, das verbliebene Reste beanspruchter Selbstbestimmung zugunsten einer Kostensenkung und Gewinnmaximierung im Gesundheitswesen pulverisiert. Sein Anspruch auf Hilfe in Krankheit und Alter weicht dem Status eines Kostenfaktors, der sich ins Raster sozialer Selektion und betriebswirtschaftlicher Kalkulation zu fügen hat.

Entsolidarisiert, isoliert und in Daten quantifiziert erliegt der Mensch um so schutzloser einer operativen Sozialkontrolle, die ihn im Krankheitsfall einer falschen Lebensführung bezichtigt. Zum Delinquenten an seiner Gesundheit und dem Sozialsystem erklärt, verinnerlicht er die ihm aufgebürdete Eigenverantwortung und macht die Pflicht zur Selbstoptimierung zu seiner zweiten Natur. Bemessen zu werden, muß man ihm nicht länger aufherrschen, prüft, wiegt und zählt er sich und sein Verhalten doch bereitwillig zum Zweck eines Vergleichs, der die Konkurrenz auf ihre biologistische Spitze treibt und eine innovative Form der Eugenik befeuert. Wird Identität ihrer Einbindung in kollektive Prozesse entkleidet, greift die Selektion für ungesund und unproduktiv erachteter Lebensweisen und Existenzen.

So spiegeln sich die Anforderungen und Zwänge der neoliberal durchstrukturierten Gesellschaft im individuellen Streben wider, als elektronisch vernetzte Monade zerstörte soziale Zusammenhänge zu simulieren und sich sozialrassistisch von Verlierern abzugrenzen. Der Mensch ist nicht länger Angehöriger eines gesellschaftlichen Kollektivs, dessen Schicksal auf die herrschenden Verhältnisse zurückgeführt wird, sondern ein Schuldner vor dem Sozial- und Gesundheitsregime, der mit Arbeitszwang und Selbstverantwortung in Zaum und Zügel gehalten wird. [3]

Diese Disposition dürfte einer der Gründe sein, warum die eGK trotz ihrer enormen Bedeutung im Kontext gefährdeten Datenschutzes im Gesundheitsbereich in der Öffentlichkeit weit weniger als Bedrohung wahrgenommen wird als die Angriffe auf Kommunikation oder Konten. Wo im neoreligiösen Credo der Prävention allenthalben die Litanei der Körpermaße, Kalorien und Konsumgewohnheiten gebetet wird, schreckt die Gläubigen selbst der öffentliche Beichtstuhl nicht.

Podium des Aktionstreffens - Foto: © 2014 by Schattenblick

André Zilch, Kai-Uwe Steffens, Silke Lüder, Rolf Lenkewitz, Christoph Kranich, Axel Brunngraber
Foto: © 2014 by Schattenblick


Alles auf eine Karte setzen? Nicht mit uns!

Am 31. Oktober ludt die Aktion "Stoppt die e-Card" zu einer Veranstaltung im Hamburger Hotel Barceló ein, die unter dem Motto "Medizin statt Überwachung" stand. Dieser Einladung waren rund 80 Interessierte gefolgt, die von den Referentinnen und Referenten über den aktuellen Stand des Projekts informiert wurden und die weitere Arbeit der bundesweiten Bürgerinitiative diskutierten. Da zum 1. Januar 2015 einzig die eGK gelten soll, werden Versicherte und Ärzte unter massivem Druck genötigt, die neue Karte zu verwenden. Dennoch gibt es bundesweit noch Hunderttausende Menschen, die die eGK verweigern oder auch dagegen klagen. Während die Protagonisten des staatlichen Mammutprojekts inzwischen davon sprechen, daß es nur noch um den Aufbau einer harmlosen "Datenautobahn" im Gesundheitswesen gehe, zeigt eine fundierte Analyse der Gesamtarchitektur, daß das Projekt nach wie vor zu zentralen Krankheitsdatenbanken führen wird, die nicht sicher zu schützen sind.

Dr. Silke Lüder, Sprecherin der Aktion "Stoppt die e-Card" und Ärztin in Hamburg, gab eine Einführung in das eGK-Projekt aus aktueller Sicht und ging auf die Pläne der Protagonisten ein. Der Münchner Datensicherheitsspezialist Rolf Lenkewitz analysierte die Gesamtarchitektur des Großprojekts. Im Anschluß daran befaßte sich Dr. phil. nat. André Zilch aus Eppstein mit der Frage, ob die Karte eine sichere digitale Identität biete. Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg bewertete das eGK-Projekt aus der Perspektive kritischer Versicherter, und abschließend unterzog Dr. Axel Brunngraber, der als Arzt in Hannover praktiziert, das Kartenprojekt einer Kritik aus der Sicht der Ärzte.

Der Physiker und Informatiker Kai-Uwe Steffens gehört dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und der Aktion "Stoppt die e-Card" an. Er führte als Moderator durch die Veranstaltung und nannte eingangs drei zentrale Einwände gegen die eGK: Es stehe zu befürchten, daß mit ihr ein umfassendes Überwachungssystem entsteht. Zudem genüge sie in technischer Hinsicht den Anforderungen nicht und schädige das Arzt-Patienten-Verhältnis.

Von der seit Gründung der Aktion "Stoppt die e-Card" im Jahr 2007 formulierten Kritik an diesem Großprojekt, kommenden Herausforderungen durch die nächsten Schritte der Protagonisten und nicht zuletzt Strategien des Widerstands wird in den folgenden Beiträgen dieser Reihe die Rede sein.

Plakat 'Stoppt die e-Card' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.heise.de/newsticker/meldung/BND-Agent-Transfer-von-500-Millionen-Daten-an-die-NSA-war-gaengige-Groesse-2456832.html

[2] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Elektronische-Gesundheitskarte-Mit-Koerpertrackern-vernetzen-2454873.html

[3] Siehe dazu auch
BERICHT/010: Das System e-Card - Optimierter Zugriff auf die Ressource Mensch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/report/m0rb0010.html

15. November 2014