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BERICHT/031: Am Lebensrand - der assistierte Suizid ... Verhindern, was keiner braucht? (SB)


Verhindern, was keiner braucht?

Autonome Entscheidung über den assistierten Suizid durch Gesetzentwürfe erneut gefährdet

Von Christa Schaffmann - 31. März 2022



Das Foto zeigt die Finger einer leblosen Hand und daneben ein umgekipptes Medizinfläschchen - Foto: 2013 by Manos Bourdakis, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/], via Wikimedia Commons

Im Jahr 2021 zum Beispiel wurden deutschlandweit 346 begleitete Selbsttötungen vermittelt.
Foto: 2013 by Manos Bourdakis, CC-BY-SA-3.0
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/], via Wikimedia Commons

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 26. Februar 2020 entschieden, dass § 217 Strafgesetzbuch, der bis Anfang 2020 die "geschäftsmäßige Suizidhilfe"*) verbot, verfassungswidrig und nichtig ist. Jeder Mensch - freiverantwortliches Handeln vorausgesetzt - hat das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. Der Suizid ist nicht verboten, weshalb auch die Hilfe beim Suizid nicht strafbar sein kann.

Im Karlsruher Urteil wurde kein neues Gesetz gefordert. Wichtige Regelungen hätten getroffen werden können ohne Gesetz - z.B. auf standesrechtlicher Ebene. Viele Wissenschaftler, Juristen aber auch Mediziner konnten deshalb nicht nachvollziehen, wieso schon bald nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzentwürfe auftauchten, die überwiegend nicht dem Karlsruher Urteil folgten und eine Fülle von Hürden konstruierten, um Suizide nach Möglichkeit zu verhindern. Statt im Sinne des Urteils seriöse Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Sterben zu schaffen, selbst für Menschen, die nicht schwer krank sind, sahen sie ihre Aufgabe offenbar darin, Sterbewilligen ihren Wunsch auszureden. Mehr oder weniger offen sprachen die Verfasser aus, dass ihr eigentliches Ziel in der Suizidprävention bestehe.

Für diese braucht es ebenso wenig ein Gesetz. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) macht es mit ihrem Beratungskonzept vor, wie eine Suizidpräventionsberatung aussehen kann, die ergebnisoffen ist, dem Suizidenten nicht einzureden versucht, dass sein Leben entgegen seiner eigenen Überzeugung doch lebenswert sei, oder bemüht ist ihm zu vermitteln, dass das Leben eines Menschen in der Werteordnung des Grundgesetzes an oberster Stelle steht. Denn letzteres ist falsch. An oberster Stelle steht die Menschenwürde. Sie ist unantastbar; erst Artikel 2 nennt das Leben und lässt zudem Eingriffe in dieses Lebensrecht zu. Die verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmung schließt die Bestimmung über die Art und Weise eines würdevoll empfundenen Todes mit ein. Eine Lebenspflicht existiert nicht, höchstens aus religiösen Gründen, wenn man glaubt, das Leben als ein Geschenk Gottes nicht wegwerfen zu dürfen. Die Bundesrepublik Deutschland ist jedoch ein säkularer Staat, weshalb dieser Einwand gegen einen selbstbestimmten Tod nicht greift. Auch das Argument, ein liberaler Umgang mit selbstbestimmtem Sterben werde zu einem starken Anstieg von Suiziden, ja womöglich zu einer neuen Normalität bei der Beendigung des Lebens führen, wird verwendet.

Dem stehen nachprüfbare Zahlen gegenüber: Die DGHS hat 2021 120 Freitodbegleitungen vermittelt, DIGNITAS Deutschland 97 und der Verein Sterbehilfe 129, insgesamt also 346. Die Anzahl der Sterbefälle in Deutschland betrug im gleichen Jahr 1.016.899 Tote, davon allein im Straßenverkehr 2.569. Bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz lieferten die DGHS, DIGNITAS-Deutschland und der Verein Sterbehilfe den Beleg dafür, dass es derzeit keines wie auch immer gearteten normativen Schutzkonzeptes durch den Gesetzgeber bedarf. Ein solches bräuchte es nur, wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung schutzbedürftiger Menschen gäbe. Eine solche Gefährdung ist nicht erkennbar und schon gar nicht belegbar.

Trotzdem liegen dem Bundestag nun drei aus dem Parlament heraus entstandene Gesetzentwürfe vor, über die noch vor der Sommerpause ein Meinungsaustausch erfolgen soll, bevor voraussichtlich im Herbst darüber abgestimmt werden wird. Der zuletzt vorgelegte und restriktivste Entwurf ist der von Kirsten Kappert-Gonther (Die Grünen) und Lars Castellucci (SPD). Dem liberaleren von Renate Künast und Katja Keul (Die Grünen) et al. bescheinigen einige Juristen Unvereinbarkeit mit der Verfassung. Dazwischen bewegt sich der noch vor seiner Zeit als Gesundheitsminister von Karl Lauterbach eingebrachte. Einige Verfasser - Abgeordnete sowie zu Rate gezogene Lobbyisten in Gestalt von Ärzten, Kirchenvertretern und anderen - zögern, Selbstbestimmung zu erlauben, so als nähme man ihnen etwas weg, was der gekippte Paragraph 217 so schön geregelt hatte.

Am 30. März 2022 wurde von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und dem Deutschen Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) überraschend eine völlig neue Idee ins Gespräch gebracht. Die beiden Organisationen verlangen die Verabschiedung eines Gesetzes, das bundesweit die Grundlagen und Rahmenbedingungen für Angebote der Suizidprävention schafft. Die Debatte darüber müsse zeitnah im Bundestag geführt und ein entsprechendes Gesetz vor einer gesetzlichen Regelung zur Beihilfe zum Suizid verabschiedet werden, heißt es in der dazu herausgegebenen Pressemitteilung. Die Verfasser glauben gut informierten Kreisen zufolge selbst nicht, dass es dazu schnell kommen wird, steht dieses Thema doch nicht primär auf der Agenda der Politik. Immerhin stützen sie mit ihrem umfangreichen Vorschlag den restriktiven Entwurf von Kappert-Gonther und Castellucci, was bei Menschen, die das Karlsruher Urteil begrüßt haben, die Alarmglocken läuten lässt.

Noch reicht die Zeit, ein unnötiges Gesetz zu verhindern oder mindestens an den Entwürfen weiter zu arbeiten. Inspirationen für Änderungen existieren zu Hauf u.a. von der Humanistischen Vereinigung, dem Humanistischen Verband sowie in Form des Berliner Appells, den die DGHS, DIGNITAS, der Verein Sterbehilfe und die Giodarno-Bruno-Stiftung im Februar veröffentlicht haben.

Arbeitsfelder könnten u.a. die vorgeschriebenen Beratungen in eigens dafür eingerichteten Beratungsstellen für Suizidenten sein. Offenbar halten manche Verfasser Menschen, die ihr Leben beenden wollen, automatisch für beratungsbedürftig, unterstellen ihnen eine unüberlegte Entscheidung, nicht ausreichende Bildung oder leichtfertiges Handeln. Auch die geplanten Gespräche mit einem Psychiater für alle Antragsteller auf einen assistierten Suizid - egal, ob sie psychisch krank oder in der Vergangenheit auffällig gewesen sind - stellt eine Zumutung dar. Per Gesetz droht eine Entmündigung, weil ein Arzt unter Umständen zum Schutz des Bürgers vor sich selbst den Antrag ablehnt - auch wenn das Karlsruher Urteil genau dies sowohl Ärzten als auch Beratern, Politikern und allen anderen, die meinen, es besser zu wissen als der Suizident, verbietet, indem es die freie Entscheidung über den Tod, auch den assistierten, dem Sterbewilligen überlässt.

Jeder Bürger hat in den kommenden Monaten noch das Recht, Bundestagsabgeordneten seine Meinung und ggf. Erfahrung mitzuteilen und auf diesem Wege unter Umständen noch Einfluss zu nehmen auf ein Gesetz, dass zwar nicht Millionen von Menschen betrifft, aber Menschen in einer verzweifelten Lage, die der Gesetzgeber nicht noch erschweren sollte.

*) Der Begriff "geschäftsmäßig" bedeutet in der Sprache der Juristen wiederholtes Handeln, nicht zu verwechseln mit Geschäftemacherei im Profitinteresse.


Über die Autorin:

Christa Schaffmann ist Diplomjournalistin und arbeitet seit zehn Jahren als freie Autorin und PR-Beraterin, nachdem sie zehn Jahre Chefredakteurin von Report Psychologie, der Fach- und Verbandszeitschrift des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen, war.

Weitere Beiträge der Autorin zum Thema "Assistierter Suizid" in Form von Gesprächen mit Expert*Innen verschiedener Berufs- und Interessengruppen sind im Schattenblick unter dem kategorischen Titel "Am Lebensrand - der assistierte Suizid ..." zu finden unter:

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http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/ip_medizin_report_interview.shtml

Weitere Interviews folgen ...

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 173 vom 9. April 2022


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