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ARTIKEL/464: Genetische Beratung nach Pränataldiagnostik - keine einfachen Lösungen (pro familia)


pro familia magazin 4/2009
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik + Sexualberatung e.V.

"Es gibt keine einfachen Lösungen"
Genetische Beratung im Rahmen der medizinischen Indikation nach Pränataldiagnostik

Von Gabriele du Bois


Im Rahmen der Diskussion um die geplante Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs nach medizinischer Indikation wurde deutlich, dass oft nur ungenaue Kenntnisse darüber bestehen, was nach einem auffälligen Befund der Pränataldiagnostik geschieht und wie der Entscheidungsprozess abläuft. Wir haben Gabriele du Bois vom Deutschen Ärztinnenbund gebeten, dem pro familia magazin Erfahrungen aus ihrer humangenetischen Praxis zu schildern.


Frau G., 43 Jahre alt, 17. Schwangerschaftswoche, bittet telefonisch und mit tränenerstickter Stimme um einen Termin zur genetischen Beratung, weil der Schnelltest einer Fruchtwasseruntersuchung die Diagnose Trisomie 18 bei ihrem Kind ergeben hat. Ihr Frauenarzt hat ihr dringend zu einem Gespräch mit der Humangenetikerin geraten.

Im Gespräch mit der Schwangeren und ihrem Partner wird zur Vorgeschichte berichtet, dass sie einen 7-jährigen, gesunden Sohn haben, dass es aber auch zwei frühe Fehlgeburten gegeben hat, zuletzt vor sechs Jahren. Jetzt ist es erfreulicherweise noch einmal zu einer Schwangerschaft gekommen. Wegen des Alters von Frau G. war eine Fruchtwasseruntersuchung von Anfang an geplant. Am Tag der Punktion waren im Ultraschall Wassereinlagerungen beim Kind im Bereich der Brust, des Bauchraumes und auch des Gehirns aufgefallen. Zur schnelleren Diagnostik ist ein Schnelltest durchgeführt worden mit dem Ergebnis Trisomie 18.


Ein Ausnahmezustand für die Schwangere

Wegen der schwerwiegenden Diagnose, die dem Paar mitgeteilt werden muss, wird zum vereinbarten Termin auch eine psychosoziale Beraterin der örtlichen Schwangerenberatungsstelle, einem Modellprojekt in Baden-Württemberg, dazu gebeten.

Die Schwangere weiß die Diagnose des Kindes von Ihrem Frauenarzt seit drei Tagen und ist noch immer in einem Ausnahmezustand. Sie kann nur schwer sprechen und bricht immer wieder in Tränen aus.

Die Humangenetikerin legt dem Paar anhand von Chromosomenbildern die Entstehung der Störung dar, die Ursache - Verteilungsstörung in der Eizelle, am ehesten als Folge des erhöhten Alters der Mutter - und die Prognose für das Kind. Kinder mit Trisomie 18 gehen erfahrungsgemäß meistens als Fehlgeburt ab - auch noch im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel. Kinder, die die ganze Schwangerschaft überleben, sterben in den ersten Wochen bis Monaten an ihren schweren Fehlbildungen wie Herzfehlern, Hirnfehlbildungen und viele andere Störungen mehr. Auch das Wiederholungsrisiko einer solchen Störung wird besprochen. Die Beraterinnen fragen nach Vorstellungen zum weiteren Vorgehen. Der Ehemann hat sich bereits im Internet informiert und kann recht sicher sagen, dass die Schwangerschaft nicht weitergeführt werden soll. "Wir wollen unser Kind nicht nach der Geburt sterben sehen." Frau G. ist noch nicht soweit. Sie stockt bei ihrer Antwort lange und sagt dann: "Es wird so schrecklich werden, wenn der Bauch wächst und mich alle Leute mit guten Wünschen bedenken wollen." Sie wägt ab, wie es sein könnte, wenn sie die Schwangerschaft weiterführt. Dem Paar wird versichert, dass sie genug Zeit haben und sich genug Zeit für eine ausgewogene Entscheidung nehmen sollen. Beide wollen den Endbefund der konventionellen Chromosomenanalyse abwarten, der in der Regel 10 bis 12 Tage Zeit braucht.

Weiter kommt zur Sprache, ob und wie mit der Familie und Freunden über das Kind gesprochen werden soll. Wie verläuft ein Schwangerschaftsabbruch? Was wird mit dem Kind nach einem Schwangerschaftsabbruch passieren? Hier wird auf die Möglichkeit hingewiesen, das Kind beerdigen zu lassen.

Eine Woche später wird mit dem Ergebnis der konventionellen Chromosomenanalyse die Diagnose Trisomie 18 bei dem Kind bestätigt. Frau G. hat sich inzwischen nach reiflicher Überlegung und Gesprächen mit der psychosozialen Beraterin sowie dem betreuenden Frauenarzt zum Schwangerschaftsabbruch entschieden. Die Beerdigung des Kindes ist für sie ein tröstlicher Gedanke. Die Humangenetikerin stellt eine medizinische Indikation aus.

So wie hier berichtet, kann eine genetische Beratung nach Pränataldiagnostik aussehen. Die Humangenetiker sind hier in der schwierigen Lage, dass sie zum einen eine Frau/ein Paar beraten sollen, die in einem Ausnahmezustand sind. Sie sind geschockt über die Nachricht, dass das von ihnen gewünschte Kind nicht gesund ist. Andererseits müssen Humangenetiker den Eltern Informationen über die medizinische Situation des Kindes vermitteln. Nur so können die Eltern die Schwere des Krankheitsbildes einschätzen und sich selbst von der Bedeutung eines Kindes mit dieser Krankheit für sie selbst und die Familie eine Vorstellung machen.


Spezialisierung auf Humangenetik

Humangenetiker sind Ärztinnen und Ärzte, die auf dem Gebiet genetisch bedingter Erkrankungen spezialisiert sind. Ihre Tätigkeit umfasst die Aufklärung, Erkennung und Behandlung erblicher Störungen einschließlich der genetischen Beratung von Patienten und ihren Familien. Es geht zum Beispiel darum, das Ergebnis einer naturwissenschaftlichen Untersuchung, d.h. die Chromosomen- und Genanalyse, als Ursache eines bestimmten Krankheitsbildes zu erklären. Dann müssen aber die Bedeutung und das Umgehen mit der Krankheit im konkreten Einzelfall abgewogen werden. Genetische Berater werden in der Weiterbildung zum Facharzt speziell für die psychosozialen Aspekte der genetischen Beratung ausgebildet. Für manche Eltern kommt aus persönlichen Gründen ein Schwangerschaftsabbruch nicht in Frage. Aber bei schweren Fehlbildungen oder Erkrankungen wollen solche Eltern bei der genetischen Beratung die Ursache und das Wiederholungsrisiko klären lassen. Wenn das Risiko hoch ist, dass diese Störung auch beim nächsten Kind auftritt, können sie auf weitere Kinder verzichten. Es gibt auch Eltern, die keinerlei Abweichung von der Norm bei ihrem Kind akzeptieren wollen. Als Humangenetiker hat man zwar das Recht, eine medizinische Indikation zu verweigern, wenn man überzeugt ist, dass eine bestimmte Störung beim Kind für die Eltern tragbar ist. Das Kriterium ist nicht die Störung des Kindes, sondern die Zumutbarkeit für die Mutter. Das Dilemma ist aber, wie ein Humangenetiker beurteilen soll, ob eine bestimmte Störung beim Kind für die Schwangere noch zumutbar ist oder nicht. Besonders schwierig sind Situationen, in denen es keine sichere Voraussage über die Prognose des Kindes gibt, zum Beispiel Fehlbildungen des Gehirns, von denen sich nicht sagen lässt, ob sie die geistige Entwicklung des Kindes beeinträchtigen werden oder nicht. Auch bei neu entstandenen Chromosomenveränderungen (balancierte Translokationen) ist die Bedeutung für die Entwicklung des Kindes oft unklar.

Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischer Indikation sind immer eine schwere psychische Belastung für alle Beteiligten. Gesprächsangebote für die Schwangere und ihren Partner werden gemacht und werden auch von den Schwangeren eingefordert, sowohl zu medizinischen Fragen als auch zu psychosozialen Problemen. Oft kann nur so eine fundierte Entscheidung getroffen werden, die das ganze Leben über seine Richtigkeit behält. Aber die Angebote sollten freiwillig sein.


Gesetzentwurf mit immensem bürokratischen Aufwand

Der Gesetzgeber hat im geänderten Schwangerschaftskonfliktgesetz "verordnet", dass Schwangere und ihre Partner vor jeder Untersuchung und nach jedem Ergebnis mehr Information und mehr Beratung erhalten müssen. Im Falle der Diagnose eines schwer behinderten Kindes legt er eine Bedenkzeit von 3 Tagen fest zwischen der Beratung dem Schwangerschaftsabbruch. In der Pflicht sind dabei nur die Ärztinnen und Ärzte, die Schwangeren können auf die Angebote verzichten, müssen allerdings ihren Verzicht unterschreiben. So wird ein immenser bürokratischer Aufwand der Absicherung auf die Ärztinnen und Ärzte zukommen. Dass sich auf diesem erzwungenen Weg mehr Schwangere und Paare zum Austragen eines behinderten Kindes entschließen werden, lässt sich schwer vorstellen. Der Vorwurf, dass Ärztinnen und Ärzte bisher ihre Aufgaben und Pflichten so schlecht erfüllt haben sollen, dass ein solches Gesetz erforderlich wurde, trifft viele zu Unrecht.

Zugunsten der Schwangeren ist zu hoffen, dass ärztliche und psychosoziale Berater durch diese verordnete Zusammenarbeit ihre gegenseitigen Kompetenzen besser kennen und schätzen lernen. Ein Schwangerschaftsabbruch mit optimaler medizinischer und psychosozialer Beratung und ausreichender Entscheidungszeit kann von der Frau auf jeden Fall besser verarbeitet werden. Aber: es gibt keine einfachen Lösungen und jeder Fall ist individuell.


Dr. Gabriele du Bois, Fachärztin Humangenetik, seit 1993 tätig als genetische Beraterin in eigener Praxis mit Chromosomenlabor

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Quelle:
pro familia magazin Nr. 04/2009, S. 27-28
Herausgeber und Redaktion:
pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2010

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