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ARTIKEL/471: Burnout-Syndrom - Leiden der Ärzte im modernen Medizinsystem? (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2009

Burnout-Syndrom
Leiden der Ärzte im modernen Medizinsystem?

Von Prof. Dr. Karlheinz Engelhardt


Die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen führen bei vielen Ärzten zu Stress, Erschöpfung und Gefährdung der Gesundheit


Dass manche Patienten unter dem modernen Medizinsystem leiden, ist bekannt, z. B. dann, wenn ein vielbeschäftigter Arzt nicht genügend zuhört und den Bericht des Kranken während der Anamnese schnell unterbricht.

Aber auch Ärzte können unter den derzeitigen Umständen leiden. Sie arbeiten unter hohem Zeit- und Kostendruck. Kliniker werden durch das Diagnosis-Related-Groups (DRG) System gezwungen, die Verweildauer der Kranken kurz zu halten. Dadurch wird die Zeit des Arztes für den unmittelbaren Kontakt mit dem durch die Klinik geschleusten Patienten knapper als früher. Hetze und Überforderung tragen zur Unzufriedenheit und zum Leiden von Ärzten bei. Das sogenannte Burnout-Syndrom ist ein Ausdruck dieses Leidens.

Drei aktuelle Arbeiten zum Burnout-Syndrom seien deshalb hier vorgestellt. Zwei Artikel zu diesem Thema sind jüngst von Krasner und Mitarbeitern(1) sowie von Schanafelt(2) im JAMA veröffentlicht worden. Ein dritter Beitrag stammt von Cole und Carlin im Lancet(3). Alle Autoren sind Experten auf diesem Gebiet, die über Ursachen und Vermeidung von Burnout Erfahrungen gesammelt haben.


Burnout

Das Burnout-Syndrom(2) ist ein verbreitetes Problem, das durch folgende Hauptmerkmale charakterisiert ist: Verlust der Freude an der Arbeit (Emotionale Erschöpfung), Behandlung der Patienten als Objekte (Depersonalisation) und das Gefühl des eigenen Versagens. Die Arbeit erscheint sinnlos. Burnout hat sowohl bei Patienten als auch Ärzten Konsequenzen. Substanzabusus, Verlassen des Berufs und Suizide sind bei Ärzten mit Burnout erhöht(2). Sie haben weniger Empathie und die medizinische Irrtumsrate steigt. Auch Angst und Depression, die es bei Ärzten häufiger als in der Allgemeinbevölkerung gibt, können mit Burnout zusammenhängen. In den Vereinigten Staaten von Amerika sind 15 Prozent der Ärzte an irgendeinem Punkt ihrer Laufbahn nicht mehr fähig, ihren Aufgaben gerecht zu werden(3). Burnout ist nicht allein in den USA ein Problem. 2003 rief in Berlin ein europäisches Forum medizinischer Vereinigungen dazu auf, mehr auf Burnout zu achten. Patienten, die von Ärzten mit einem Burnout-Syndrom behandelt werden, haben weniger Vertrauen, befolgen, besonders bei chronischen Krankheiten, weniger die Therapie und sind mit der ärztlichen Betreuung insgesamt unzufrieden.


Verursachung durch das Medizinsystem?

Was sind die Ursachen für Burnout? Der Lancet(3) spricht von einer "Dehumanisierung der modernen Medizin" in den letzten vierzig Jahren. Medizinische Fakultäten, fährt der Artikel fort, lehren intensiv Naturwissenschaften und medizinische Technologie, aber zu wenig eine persönliche Arzt-Patient-Beziehung, die ein bewährtes Mittel gegen Burnout ist. Es gibt viele Ärzte guten Willens, die eine einfühlsame Betreuung ihrer Patienten wünschen. Die Beschleunigung medizinischer Abläufe, die vor allem auf Hightech zentrierte und ökonomisch-finanziell angetriebene Medizin verhindern oft die Umsetzung des guten Willens. Diese angespannte Situation mit Übertechnisierung, Stress und Durchschleusen der Kranken befriedigt weder Patienten noch Ärzte. So gibt es z. B. den Konflikt zwischen dem Wunsch klinischer Internisten, verschiedene Differenzialdiagnosen abzuklären, und der Forderung, sich auf eine DRG zu konzentrieren. Polymorbide Kranke werden zu einer Last für das betriebswirtschaftlich denkende Krankenhaus. Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen System erklärt teilweise die große Popularität der alternativen Medizin. Die Atmosphäre eines gehetzten medizinischen Betriebs, wo man weder zum Nachdenken noch zum Auf- und Durchatmen kommt, bedingt bei Ärzten nicht selten Selbstzweifel, Zynismus und Burnout(3).


Gibt es Änderungsmöglichkeiten?

Ein Ausbildungsprogramm, das eine bessere Kommunikation mit dem Patienten und die Selbstreflektion der Ärzte über ihre tägliche Arbeit zum Ziel hatte, führte zu einer Reduktion von Burnout(1). Der Kurs schloss Übungen zur ärztlichen Selbstwahrnehmung und Berichte über Begegnungen und Erlebnisse während der Praxisarbeit (sog. Narrative Medizin) ein. Wie fühlt man sich beispielsweise, wenn man die Familie über den Tod eines nahen Angehörigen aufklären muss? Solche Situationen brauchen Achtsamkeit auf Worte und Emotionen der Familie und des Arztes. Ohne Bewusstseinsarbeit ist man in Gefahr, begangene Fehler zu wiederholen. Die beteiligten Ärzte erfuhren durch eine patientzentrierte Medizin mehr berufliche Befriedigung. Das Editorial(2) zu den Ergebnissen dieses Ausbildungsprogramms bestätigt, dass das Trainieren einer patientenbezogenen Vorgehensweise die Arztgesundheit verbessern kann. Ärzte wünschen selbst zu ihren Kranken gute Beziehungen, die aber durch ungünstige Umstände gefährdet werden, denn die Berücksichtigung der Perspektiven und Präferenzen eines Kranken kostet Zeit. Das gegenwärtige Medizinsystem bestraft Ärzte, die sich Zeit nehmen, und belohnt vor allem technische Interventionen.

Deshalb vertreten Cole und Carlin(3) die Ansicht, dass strukturelle und kulturelle Veränderungen der medizinischen Institutionen notwendig sind, um das Leiden von Ärzten im modernen Medizinsystem zu verringern. Diese Veränderungen müssten eine persönliche Betreuung mit balancierten Informationen und gemeinsamen Entscheidungen von Arzt und Patient sowie eine kritische und maßvolle Anwendung von Tests und bildgebenden Verfahren belohnen. Die Arzt-Patient-Interaktion, so der Tenor der hier vorgestellten Arbeiten, muss höher bewertet werden. Dadurch lässt sich Burnout der Ärzte reduzieren und die Zufriedenheit der Patienten steigern. Gleichzeitig werden unnötige Tests und Prozeduren vermieden, die mehr Schaden als Nutzen bringen.


Folgerungen für Klinik und Praxis

Burnout ist in vielen Berufsgruppen, auch unter Ärzten, ein verbreitetes und gefürchtetes Problem. Ärzte verlieren die Freude an der Arbeit, behandeln Patienten als Objekte und empfinden Versagen. Burnout kann zu Depressionen, Suizid, Substanzabusus und Verlassen des Berufes führen. Patienten, die von Ärzten mit Burnout behandelt werden, fühlen sich schlecht betreut. Als Ursachen nennen die Autoren die in Klinik und Praxis bekannten Beschleunigungskräfte, eine hightech- und ökonomiegetriebene Medizin, wodurch die Zeit für ausführliche Information und persönliche Beratung des Kranken verkürzt wird. Das führt zu Unzufriedenheit auf beiden Seiten. Als Prävention und Therapie schlagen die Autoren eine bessere Balance zwischen der in den medizinischen Fakultäten vorwiegend gelehrten krankheitszentrierten Medizin (Mechanismen der Krankheit, Pathophysiologie etc.) und einer auf die Perspektiven und Präferenzen des Kranken fokussierenden patientzentrierten Medizin vor, die zeitaufwendig ist. Zur Prävention gehört, dass nicht nur technische Prozeduren, sondern auch patientenbezogene Beratungsgespräche adäquat zu honorieren sind. Ausbildungsprogramme, die eine bessere Kommunikation mit dem Kranken zum Ziel haben, sind offenbar fähig, Burnout zu reduzieren und die Zufriedenheit mit dem Beruf zu erhöhen. Die drei Artikel erwähnen keine zusätzlichen Kraftquellen für Ärzte wie Musik, Literatur und Kunst. Es gibt Hinweise, dass sie persönliches Wachstum fördern und sich gleichzeitig positiv auf die ärztliche Arbeit auswirken, da sie meditativ wirken. In einer Ära zunehmender Geschwindigkeit ist Meditation ein bewährtes Gegenmittel.

Literatur beim Verfasser und im Internet www.aeksh.de
Prof. Dr. Karlheinz Engelhardt, Kiel

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200912/h09124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2009
62. Jahrgang, Seite 52 - 53
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2010

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