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GEWALT/224: Traumatisierte MigrantInnen - Erster Versorgungsbericht vorgelegt (LÄK Baden-Württemberg)


Landesärztekammer Baden-Württemberg - 12. Oktober 2011

Traumatisierte MigrantInnen

Landesärztekammer und Landespsychotherapeutenkammer legen ersten Versorgungsbericht vor


Schweißgebadet wacht Herr N. auf. Sein Herz rast, er bekommt kaum noch Luft und ist unfähig, sich zu bewegen. Sein Albtraum ist immer derselbe: Er wird verfolgt von Männern in Uniformen, deren Gesichter aus schwarzen Schatten bestehen. Männer mit Gewehren und Messern, die ihn verfolgen. Er läuft durch Straßen, Felder, durch den Wald, er läuft immer schneller, keucht, stolpert, fällt hin, rappelt sich auf und läuft weiter. Doch die Verfolger kommen immer näher. Er weiß: wenn sie ihn erreichen, geschieht Fürchterliches. Er hat es erlebt. Er wurde schon einmal gefangen genommen, er kennt die Folter in allen Variationen. Die Angst vor dem Erlebten treibt ihn an. Kurz bevor sie ihn erreichen, wacht N. auf.

Traumatisierte MigrantInnen, die vor Bürgerkrieg, politischer oder ethnischer Verfolgung geflohen sind, die teilweise Folter, psychischer oder körperlicher, oft auch sexueller Gewalt ausgesetzt waren, leiden lebenslänglich unter den seelischen und körperlichen Verletzungen, die ihnen zugefügt wurden. Um die traumatischen Erfahrungen verarbeiten zu können und den Anforderungen des Alltags gewachsen zu sein, benötigen sie professionelle Hilfe.

In Baden-Württemberg haben sich deshalb einige Behandlungszentren auf die ärztliche und psychologische dolmetschergestützte Psychotherapie von traumatisierten MigrantInnen spezialisiert. Die Arbeit der Zentren, die in einem Gesprächskreis um die Menschenrechtsbeauftragte der Landesärztekammer Baden-Württemberg regelmäßig ihre Erfahrungen austauschen, wird im 1. Versorgungsbericht vorgestellt, der jetzt gemeinsam von Landesärztekammer Baden-Württemberg und Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg herausgegeben wurde.

Die Veröffentlichung dokumentiert die häufigsten Ursachen und Folgen von Traumatisierung und beschreibt die Grundprobleme der medizinischen, psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung von traumatisierten MigrantInnen im deutschen Gesundheitssystem. Im Mittelpunkt der Publikation steht die Gliederung der ambulanten Versorgung in Baden-Württemberg und die Vorstellung der Arbeit der Zentren.

Allerdings sehen die Herausgeber auch erheblichen Reformbedarf: Denn die ambulante medizinische, psychosoziale und psychotherapeutische Versorgung von traumatisierten MigrantInnen in Baden-Württemberg wird insbesondere durch zwei entscheidende Punkte erschwert: zum Einen durch die fehlende Kassenzulassung der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer, zum Andern durch den Mangel an muttersprachlichen ÄrztInnen und TherapeutInnen, deren Ersatz durch das Hinzuziehen von DolmetscherInnen über die deutschen Krankenkassen nicht abgerechnet werden kann.

Die Veröffentlichung schließt mit zehn Forderungen im Hinblick auf den Reformbedarf der bislang gängigen ambulanten medizinischen, psychosozialen und psychotherapeutischen Versorgung traumatisierter MigrantInnen, die von den im Bericht vorgestellten Einrichtungen gemeinsam aufgestellt wurden.


Diese Informationen sind auch über die Homepage der Landesärztekammer Baden-Württemberg und der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg abrufbar:
http://www.aerztekammer-bw.de/35
http://www.lpk-bw.de


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Quelle:
Landesärztekammer Baden-Württemberg
Ärztliche Pressestelle
Leiter: Dr. med. Oliver Erens
Jahnstr. 38a, 70597 Stuttgart
Telefon: 07 11 - 769 89 99, Fax: 07 11 - 76 45 23
E-Mail: presse@aerztekammer-bw.de
Internet: www.aerztekammer-bw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2011