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PFLEGE/393: Was heißt palliativmedizinische Versorgung? (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2009

Was heißt palliativmedizinische Versorgung?

Von Werner Loosen


Dr. Hermann Ewald vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, und Vorsitzender des Hospiz- und Palliativverbandes Schleswig-Holstein hat einige Punkte schriftlich formuliert: "Medizinische-fachliche Versorgung mit koordiniertem Einsatz und 24-stündiger Verfügbarkeit von spezialisiertem ärztlichen/pflegerischen Wissen; psychosoziale Beratung (Pflegeeinstufung, Organisation von Hilfsmitteln und häuslicher Versorgung, Hilfe bei Anträgen); liebevolle Begleitung - würde- und respektvoll, ehrlich und wahrhaftig, mit der nötigen Offenheit und dem Raum, die Bedürfnisse und Wünsche der Patienten und ihrer Familien zuzulassen." Das Ärzteblatt hat sich umgehört, um herauszufinden, wieweit diese Ansprüche erfüllt werden.


Hartnäckige Vorarbeit

Der Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin Dr. Klaus Wittmaack, Jahrgang 1957, ist seit 2002 am Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster (FEK) zuständig für die Palliativstation. Diese Station gibt es seit 1997: "Sie ist entstanden nach hartnäckiger Vorarbeit - die dauerte rund fünf Jahre! - einer Gruppe im Krankenhaus, die maßgeblich geleitet wurde von der Krankenhausseelsorge und der Hospizinitiative Neumünster. Frühzeitig gingen diese Kollegen daran, ehrenamtliche Mitarbeiter auszubilden. Interessierte Ärzte und Pflegekräfte stießen dazu, und alle zusammen haben es dann erreicht, dass am FEK eine Palliativstation gegründet wurde", erzählt Klaus Wittmaack. Dies alles geschah mit kräftiger Rückendeckung des Sozialministeriums in Kiel. Bis dahin gab es nur eine solche Station in Flensburg sowie ein Hospiz in Rendsburg. Sicher wünsche er sich mehr als die bisherigen fünf Betten, sagt Klaus Wittmaack, acht bis zehn könne er jederzeit belegen, zumal andere Stationen im FEK ihm Patienten zuweisen zusätzlich zu denen, die von außen kommen, aber: "Eine derart kleine Station hat den Vorteil, dass wir individuell und persönlich auf die Patienten zugehen können." Zudem werde derzeit daran gearbeitet, die ambulante Palliativversorgung auszubauen, "da ist die Bereitschaft nicht sehr groß, mehr Betten aufzubauen". Er arbeite aber daran, langfristig die Station zu vergrößern.

Klaus Wittmaack ist Mitglied im Hospiz- und Palliativverband Schleswig-Holstein (HPVSH). Dieser Verband sieht seine Aufgabe darin, die Betreuung Schwerstkranker jenseits von Krankenhäusern zu ermöglichen, etwa mit Ehrenamtlichen. Schon jetzt gibt es in Schleswig-Holstein etwa 60 Gruppen von Freiwilligen, so genannte Hospizinitiativen, die ehrenamtlich Patienten in ihrer letzten Lebensphase betreuen und mit Hospizen und Palliativstationen kooperieren. Der Verband sieht sich nach den Worten von Klaus Wittmaack nicht primär als Interessengemeinschaft der Ärzte, etwa wenn es um deren finanzielle Belange geht: "Vielmehr wollen wir vermitteln, dass wir für unsere Arbeit Zeit brauchen. Die palliativmedizinische Tätigkeit passt nicht in das enge Korsett unserer jetzigen kassenärztlichen Abrechnungsmöglichkeiten."

Gegenwärtig wird, wie gesagt, versucht, auch die ambulante Versorgung voranzubringen: "Im Grunde wird das aufgelegt, was bei uns früher schon funktioniert hat - die Kooperation von Hospizinitiative Neumünster, Palliativstation am FEK und Pflegedienst. Gemeinsam haben wir einen Kooperationsvertrag unter Fach gebracht, um die ambulante Versorgung von Palliativpatienten voranzubringen." Mit dem Hospiz- und Palliativnetzwerk Neumünster (HPNN) werde es ein entsprechendes Versorgungsnetz geben. Seit zwei Jahren wird an der nötigen Qualifizierung gearbeitet. Beispielsweise werden Palliativmediziner ausgebildet. "Ich rechne damit", sagt Klaus Wittmaack, "dass dieser Betrieb Ende 2009, Anfang 2010 läuft, inklusive Pflege und ärztliche Betreuung." Gegenwärtig sei man noch dabei, niedergelassene Hausärzte mit ins Boot zu holen, deren Anliegen es sei, die eigenen Patienten bis zum Schluss zu betreuen.

Die Zukunft der Palliativmedizin in Schleswig-Holstein sieht Klaus Wittmaack optimistisch: "Wir können hier auf gute bestehende und funktionierende Strukturen zurückgreifen. Schwierig ist es gelegentlich, die entsprechenden Ideen erfolgreich in die Fläche zu tragen." Dennoch - fünf Palliativstationen und die genannten 60 Gruppen sowie 14 vom Sozialministerium geförderte Projekte sind schon ein wichtiger Schritt in das angestrebte Netzwerk. "Dies wird ein wichtiges Thema bleiben, denken Sie an die Altersstruktur und die Entwicklung schwerer Krankheiten." Klaus Wittmaack wünscht sich weiter ein gutes Miteinander, ein konstruktives Arbeiten aller in diesem Bereich Tätigen, die Hausärzte eingeschlossen. Die Voraussetzungen dafür seien vorhanden.


Ambulante Versorgung

In Geesthacht ist der Schmerz- und Palliativarzt Dr. Hans-Bernd Sittig, Jahrgang 1957, niedergelassen, er kümmert sich seit knapp 20 Jahren um die hier angesprochene Thematik. Er hat seine Praxis in einem MVZ und betreut daneben ein Hospiz.

"Wir gehen einer einzigartigen Arbeit nach - es geht um Menschen mit chronischen Schmerzen und Tumoren, denen wir helfen, möglichst ohne Schmerzen zu sein, sodass sie nicht in ein Krankenhaus oder Heim müssen. Und für diese Menschen haben sich überall in Schleswig-Holstein Niedergelassene zusammengefunden, die sich regelmäßig treffen, um eine noch bessere Vernetzung zu erreichen, inklusive Aus- und Weiterbildung." Diese Ärzte arbeiten zusammen in der Arbeitsgemeinschaft spezialisierte ambulante Palliativversorgung Schleswig-Holstein (SAPV). "Getrübt wird die Freude über die gute Zusammenarbeit dadurch, dass vieles von dem, was in diesem ärztlichen Bereich notwendig ist, etwa die ständige Rufbereitschaft, nicht bezahlt wird. Der Aufwand bildet sich in der allgemeinen Vergütung nicht ab. Für vieles gibt es nicht einmal Gebührenziffern, kann also nicht abgerechnet werden - denken Sie an den großen Zeitaufwand. Bei mir geht es insofern", sagt Hans-Bernd Sittig, "als ich einem MVZ angeschlossen bin, da wird es nicht so eng."

Dauernd muss er mit den Kassen diskutieren, er kämpft mit Regressen, da die Kassen nicht der Ansicht sind, seine Arbeit sei wirtschaftlich und sinnvoll: "Nun ja, ich bin bei denen auffällig, weil ich sehr viele Gesprächsleistungen erbringe - wen wundert das bei dieser Klientel! Also habe ich nebenher mit zahlreichen Gerichtsterminen zu tun. Aber das ist notwendig bei dieser Arbeit, ich sehe das alles als Vorleistung innerhalb meines politischen Auftrags. Und ich hoffe nach wie vor, dass die Kassen das irgendwann begreifen, dass es zu Verträgen kommt!"

Notwendig wären also vernünftige Verträge mit den Kassen, sie sollen merken, dass hier eine vernünftige Versorgung entsteht, und es wäre ihr Auftrag, das zu bezahlen, das ist ihr medizinisch-ethischer Auftrag.

Hans-Bernd Sittig ist überzeugt: "Wenn wir hier ein gutes Programm hinbekommen, dann hat das Signalwirkung für ganz Deutschland!" Dafür aber seien endlich verlässliche Zusagen nötig. Es gehe um sehr wenige Patienten, die aber sehr teuer seien - bis zu 25.000 Euro in den letzten vier Wochen -, davon gebe es in Schleswig-Holstein rund drei- bis viertausend. Sie brauchen sehr intensive menschliche und medikamentöse, pflegerische und psychische Betreuung. Das koordiniert derzeit niemand, sagt Sittig, das könne der Hausarzt nicht allein, "das bieten wir an, auch um die hausärztlich tätigen Kollegen zu entlasten und nicht etwa, um ihnen etwas wegzunehmen!" Der Standpunkt der Kassen, hier sei ehrenamtliches Engagement nötig, sollte sich in den kommenden zwei Jahren ändern, hofft Hans-Bernd Sittig. Die Politik könne helfen, wenn sie immer lauter sage, dass in diesem Bereich etwas passieren müsse. Es gehe um Menschen in einer Extremsituation, denen wohnortnah geholfen werden müsse.

Die Arbeitsgemeinschaft besteht aus 14 Teams in Schleswig-Holstein mit jeweils vier bis fünf Ärzten und Pflegern. Dieses System hat die Politik angestoßen, sie unterstützt die existierenden regionalen Teams. Nach Einschätzung von Hans-Bernd Sittig gibt es in Schleswig-Holstein noch nicht genug spezialisierte Palliativmediziner: "Wir sind dabei, die fehlenden Kollegen auszubilden."


Schleswig-Holstein weit vorn

Dennoch - die Palliativmedizin in Schleswig-Holstein ist deutlich weiter als in anderen Bundesländern. Dr. Henrik Herrmann, Leiter der Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung der Ärztekammer Schleswig-Holstein, nennt dafür vier Gründe: Es habe schon früh ganz viele Kollegen(innen) gegeben, die sich um dieses Thema gekümmert hätten. Ebenfalls von Anfang an habe es einen intensiven interkollegialen Austausch gegeben, also den von Ärzten, Pflegekräften und Mitarbeitern der Hospize. Das Sozialministerium in Kiel unterstütze alle diesbezüglichen Bemühungen, "da haben wir Rückenwind". Schließlich habe auch die Akademie frühzeitig begonnen, das Thema Palliativmedizin anzubieten, und zwar bevor es im Weiterbildungsrecht verankert worden sei. Zur Frage der mangelnden Unterstützung durch die Krankenkassen sagte Henrik Herrmann: "Es ist leider richtig, dass wir bei der geschilderten guten Entwicklung in diesem Bereich der Medizin, der politisch gewollt und tatkräftig unterstützt wird - auch finanziell -, große Schwierigkeiten haben, die Krankenkassen zu bewegen, für die hier notwendigen medizinischen Leistungen aufzukommen. Immer wenn es um sprechende Medizin, um die Stützung der Arzt-Patienten-Beziehung und um Zuwendung für die Patienten geht, dann verzögern die Krankenkassen die finanzielle Unterstützung." Er hoffe, dass sich dies in absehbarer Zeit ändere - zugunsten der Menschen, die auf die Hilfe der Palliativmediziner angewiesen seien.


Schulterschluss der Leistungserbringer

Nach Ansicht der Krankenkassen sind seitens des Landessozialministeriums zu viele Projekte genehmigt worden, die für eine flächendeckende Versorgung in Schleswig-Holstein gar nicht benötigt würden. Das Ministerium weist darauf hin, bei der Landesförderung handele es sich um die Förderung von Modellprojekten, die auch der Erprobung von Strukturen dienten. Jede regionale Projektgruppe setze sich auch mit den Bedarfen auseinander. Zudem werde innerhalb der Gesamtgruppe der Projekte auch nach überregionalen Lösungen gesucht, die es ermöglichen, für alle Menschen in Schleswig-Holstein eine spezialisierte ambulante Versorgung vorzuhalten: "Durch die Vorarbeit der Projektgruppen zur Etablierung von Palliative Care Teams sind in Schleswig-Holstein Strukturen geschaffen worden, die sich in anderen Bundesländern so (flächendeckend) nicht finden lassen." Zudem habe sich durch die Etablierung der Arbeitsgemeinschaft (ASPVSH) eine Kommunikations- und Vertrauenskultur untereinander entwickelt, die - trotz vorhandener Konkurrenzen - einen Schulterschluss der Leistungserbringer in Schleswig-Holstein ermöglicht habe.

Werner Loosen, Faassweg 8, 20249 Hamburg


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200902/h090204a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Dr. Klaus Wittmaack
- Dr. Hans-Bernd Sittig
- Dr. Henrik Hermann
- Karte: Standorte zur Etablierung von Palliative Care Teams in Schleswig-Holstein


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Februar 2009
62. Jahrgang, Seite 26 - 29
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Karl-Werner Ratschko (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009