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STATISTIK/287: Für jede Situation eine Pille - Doping am Arbeitsplatz (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2009

Für jede Situation eine Pille - Doping am Arbeitsplatz

Von Dirk Schnack


Viele gesunde Arbeitnehmer in Schleswig-Holstein haben am Arbeitsplatz schon einmal zu leistungssteigernden oder stimmungsaufhellenden Medikamenten gegriffen. Eine Hochrechung der DAK ergab, dass 63.000 Erwerbstätige im Norden mit derartigen Arzneimitteln nachgeholfen haben.

Die Arbeitswelt ist im Wandel, die Konkurrenz steigt. Manche Beschäftigte verspüren so viel Druck, dass sie glauben, die Erwartungen nur mit medikamentöser Unterstützung erfüllen zu können. Die Medikamente sollen aufputschen oder beruhigen, Gedanken an Nebenwirkungen werden verdrängt. Wie stark dieses Phänomen in Schleswig-Holstein verbreitet ist, zeigt der aktuelle Gesundheitsreport der DAK, die das Thema zum Schwerpunkt ihres diesjährigen Berichts gemacht hat und dafür 3.000 Arbeitnehmer befragen ließ. Danach halten 20 Prozent der Befragten die Risiken dieser Arzneimittel im Vergleich zum Nutzen für vertretbar. 18,5 Prozent kennen mindestens eine Person, die leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente ohne medizinisches Erfordernis nimmt. Fünf Prozent bestätigen, als Gesunder schon einmal mit derartigen Medikamenten nachgeholfen zu haben.

Hochgerechnet auf alle Arbeitnehmer in Schleswig-Holstein wären dies 63.000 Menschen. Rund ein Prozent aus dieser Gruppe gibt an, Tabletten täglich bis mehrmals im Monat ohne medizinische Erfordernisse einzunehmen. "Fast genauso viele dopen planvoll, je nach Belastung und individueller Verfassung", teilte die Krankenkasse mit. Dabei zeigt sich, dass Männer tendenziell eher zu leistungssteigernden Mitteln neigen, während Frauen eher dazu neigen, ihre Stimmung aufzupolieren. Bezugsquelle für die Tabletten sind Kollegen, Freunde und die Familie. Elf Prozent beziehen sie über den Versandhandel. Die meisten Empfehlungen für solche Mittel kommen aus dem Freundeskreis und der Familie, in 28 Prozent der Fälle von einem Arzt. Wie die Kasse berichtete, lässt ein Vergleich von Verordnungs- und Diagnosedaten vermuten, dass Beschäftigte Medikamente zum Teil auf eigenen Wunsch in der Arztpraxis erhielten, um mehr zu leisten oder stressresistenter zu werden. DAK-Landesgeschäftsführerin Regina Schulz warnte: "Der Wunsch, immer perfekt zu sein, lässt sich auch durch Medikamente nicht erfüllen." Auf lange Sicht bestehe ein hohes Nebenwirkungs- und Suchtpotenzial. Sie gab zu bedenken: "Wer für jede Situation eine Pille einnimmt, verlernt, seine Probleme selbst zu lösen." Schulz sieht uns erst am Beginn einer Entwicklung. Sie sprach von einer "Medikalisierung der Gesellschaft".


Empfehlung für leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente

49,9 % von Kollegen, Freunden, Bekannten, Familie
28,3 % von einem Arzt
10,7 % in der Apotheke
24,0 % von anderen

N = 646 Befragte, Mehrfachantworten möglich
(Quelle: DAK-Bevölkerungsbefragung)


Zugleich präsentierte die DAK den aktuellen Gesundheitsreport für Schleswig-Holstein. Danach ist der Krankenstand im vergangenen Jahr auf 3,2 Prozent gestiegen. Durchschnittlich fehlte ein DAK-Versicherter 11,6 Tage im Jahr. Als "alarmierend" bezeichnete die DAK die Entwicklung bei den psychischen Krankheiten. Sie legten im Vergleich zum Vorjahr mit über 13 Prozent überproportional zu. Insbesondere die Fehltage aufgrund von Depressionen (plus 30 Prozent) trugen dazu bei. Als Ursache hat die DAK "chronischen Stress in der Arbeitswelt" ausgemacht.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200906/h090604a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Foto: Regina Schulz


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2009
62. Jahrgang, Seite 18
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2009