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ARTIKEL/021: BVMed-Konferenz zu MedTech-Innovationen in der klinischen Praxis am 3. Mai 2012 (BVMed)


BVMed - Bundesverband Medizintechnologie e.V. - 4. Mai 2012

BVMed-Konferenz zu MedTech-Innovationen in der klinischen Praxis:
"MedTech-Unternehmen und Ärzte müssen frühzeitig enger zusammenarbeiten"


Mannheim/Berlin. Deutschland ist in der klinischen Forschung mit Medizintechnologien gut aufgestellt. Die erste und größte Hürde für kleine Unternehmen und Neugründungen ist es aber, die Finanzierung in der frühen Phase sicherzustellen, um klinische Daten zu generieren sowie ärztliche Meinungsführer für die Innovation zu gewinnen. Das verdeutlichten die Experten der BVMed-Konferenz "Medizintechnische Innovationen in der klinischen Praxis" am 3. Mai 2012 in Mannheim. Die mittlerweile achte Veranstaltung zum Thema bot zahlreiche Fallbeispiele für Innovationstransfer und Innovationsförderung im Bereich der Medizintechnologien. Die meisten Ideen für neue MedTech-Verfahren kommen dabei aus der Ärzteschaft, die gemeinsam mit den Ingenieuren der Unternehmen vorangetrieben werden, betonte BVMed-Geschäftsführer Joachim M. Schmitt. In der Plenumsdiskussion wurde vor allem die Frage diskutiert, wie große medizintechnische Ideen von kleinen Startups ausreichend gefördert und finanziert werden können. Dabei wurden von einem Innovationsfonds bis zu Abgabenlösungen unterschiedliche Vorschläge unterbreitet.

Als Kernfrage für die Einführung von medizintechnischen Innovationen bezeichnete Thom Rasche von Earlybird das Thema, wie man in die Klinik kommt und die richtigen Ärzte und Unterstützer findet. Ulf Pommerening von EBS bezeichnete die frühzeitige Zusammenarbeit von Medizinern und Startups als Erfolgsfaktor. Auch die Krankenhausärzte wie der Chirurg Prof. Dr. Hans-Peter Bruch oder der Kardiologe Prof. Dr. Malte Kelm betonten die Bedeutung eines frühzeitigen gemeinsamen Vorgehens von Kliniken und MedTech-Unternehmen. Innovationsbehinderer seien häufig negative Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, die Ärzte schnell abschrecken würden. Jon H. Hoem von Miracor Medical Systems kritisierte den bürokratischen und zu langsamen Prozess zur Genehmigung der Klinischen Prüfung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Dies liege unter anderem an der starken Pharma-Orientierung der Behörde, die diese Denkweise auf MedTech-Verfahren übertrage.

Dies gelte auch für die Ethikkomissionen. Insgesamt sei der Prozess bis zum Start einer Klinischen Studie damit deutlich langsamer als beispielsweise in den Niederlanden.

BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt betonte in seinem Einführungsreferat die große Dynamik und Vielfalt der MedTech-Branche. Krankenkassen und Unternehmen haben dabei ein gemeinsames Interesse: Innovationen in den Markt einzuführen, die dem Patienten nutzen. Und die Produkte müssen sicher sein. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Marktzulassung hätten sich bewährt, so Schmitt. Allerdings seien alle Beteiligten aufgefordert, das Innovationsklima in Deutschland weiter zu verbessern. Bei der Diskussion um die Nutzenbewertung von Medizinprodukten spricht sich der BVMed für eine "sachgerechte Bewertung" aus. Dazu gehört ein differenziertes Vorgehen bei Medizinprodukten. Zum einen nach der Risikoklasse: von Klasse I (geringes Risiko) bis Klasse III (höheres Risiko). Zum anderen bei Klasse III und II b danach, ob die neue Methode ein Me-Too Produkt/Verfahren, eine Modifikation (Schrittinnovation) oder eine Neuentwicklung (Sprunginnovation) ist. Schmitts Fazit: "Die Nutzenbewertung kommt. Deshalb sollten Unternehmen die Anforderungen an den Nutzennachweis von Anfang an berücksichtigen."


Der erste Teil der Diskussionsveranstaltung zeigte die Perspektive der Entwickler auf.

Elmar Bourdon, Manager des Mannheim Medical Technology Cluster, betonte, dass 95 Prozent der MedTech-Unternehmen eine mittelständische Struktur haben. Die kleinen und mittleren Unternehmen sind auf dem Weg von der Innovation in die klinische Praxis gleichen strukturellen und systemischen Wachstumshemmern ausgesetzt: Zum einen dem Zugang zur Vergütung ihrer Innovation, zum anderen dem Thema "Health Technology Assessment" bzw. Nutzenbewertung, da bei neuen Verfahren der Kosten-Nutzen-Nachweis fehlt. Das MedTech-Cluster Mannheim bietet hier durch den "MMT Inkubator" konkrete Unterstützung durch Industrieprofis. Ziel ist es, "die Wachstumshemmer gezielt auszuschalten", so Bourdon.

Die Finanzierung von Startup-Unternehmen und deren Geldbedarf beleuchtete Thom Rasche, Partner bei Earlybird Venture Capital. Earlybird managt rund 500 Millionen Euro und hat bereits 70 Unternehmen finanziert. 2011 sind die Finanzierungsanfragen um über 40 Prozent angestiegen. Oft handelt es sich um US-amerikanische Startups, denen der FDA-Prozess zu lange dauert. Außerdem hat Europa eine große klinische Exzellenz und sehr gute MedTech-Cluster, beispielsweise in Süddeutschland, der Schweiz oder Irland. In Europa kostet der Weg von der Idee zum Marktzugang rund 15 bis 20 Millionen Euro und dauert durchschnittlich sieben Jahre. Das ist im Vergleich zu den USA schneller und günstiger, ohne das darunter die Patientensicherheit leidet. Hilfreich wäre ein "Innovationspool" zur Finanzierung von klinischen Studien kleiner und mittlerer MedTech-Unternehmen, die eine große Studie nicht alleine stemmen können.

Manfred Salat, Managing Director von InterMedCare, begleitet Start ups auf dem Weg von der Idee zur klinischen Routine. Das Beratungsunternehmen unterstützt MedTech-Startups dabei, strategische Ziele schneller zu erreichen. Klinische Studien seien sinnvoll, "um zu zeigen, dass man besser als eine etablierte Methode ist", so Salat. Die klinische Studie dürfe nicht zu kurz springen und auch gesundheitsökonomische Daten generieren. Anders sehe es bei neuen Therapiekonzepten aus. Hier müsse der Markteintritt frühzeitig vorbereitet werden, um den Kliniken den Nutzen aufzuzeigen und sie mit an Bord zu holen.

Eine unternehmerische Fallstudie präsentierte Jon H. Hoem, CEO von Miracor Medical Systems. Bei dem Verfahren handelt es sich um ein Impulssystem zur Verringerung des Myokardschadens und zur Wiederbelebung des ischämischen Myokards. Erste klinische Ergebnisse zeigen positive Effekte hinsichtlich schwerwiegender kardialer Ereignisse, Restenose-Raten und des langfristigen ereignisfreien Überlebens. Das CE-gekennzeichnete System besteht aus einer Impulskonsole und einem Einweg-Impulskatheter. Der Weg von der Idee zur CE-Kennzeichnung beziechnete Hoem als "strukturiert und planbar". Das sei innerhalb von drei Jahren möglich. "Die Herausforderung ist nicht die Marktzulassung, sondern die klinischen Studien und die Erstattung der Innovation". Dafür müsse man die richtigen ärztlichen Entscheider gewinnen und die klinische Studie sehr strategisch und gründlich planen. Hilfreich wäre es, wenn Krankenhäuser "Innovationszentren" etablieren würden, die die Bedürfnisse von kleinen MedTech-Unternehmen kennen und beachten und bei den internen Klinikprozessen unterstützen.

Eine Fallstudie zu neuartigen Gefäßprothesen stellte Harrie van Baars vor, Geschäftsführer von NonWoTecc Medical. Das Problem sei, dass das Blut die Gefäßprothese als Fremdkörper erkennt. Die Lösung liege in dem Nachbau der biologischen Matrix, um langfristig körpereigene Gefäße, wie sie beispielsweise bei der Bypass-Operation verwendet werden, ersetzen zu können. Das Unternehmen wurde 2007 gegründet. Die ersten Tierversuche begannen 2009, die erste Klinische Prüfung 2010. Erste Zwischenergebnisse gab es im August 2011. Sie zeigten auf, dass Änderungen im Design der Studie erforderlich sind. Die bisherigen Kosten der Klinischen Studie liegen bei 450.000 Euro. Van Baars Appell: "Klinische Prüfungen von Medizinprodukten sollten nicht mit pharmazeutischen Studien verglichen werden. Denn: die Chirurgie ist dreidimensional." Als sinnvolle Alternative zu den geforderten klinischen Nachweisen bezeichnete er eine "kontrollierte" Anwendungsbeobachtungen mit vorläufiger CE-Kennzeichnung.

Ulf Pommerening, Managing Director von EBS Technologies, schilderte den Weg der Innovation "Patientenindividuelle Hirnstimulation nach Schlaganfall" in die klinische Praxis. EBS wurde 2007 gegründet. Das neue Verfahren ist eine nicht-invasive, patientenindividuelle Hirnstimulation, die zur Therapie von neurologischen Defiziten nach Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma eingesetzt werden soll. Eine im Januar 2012 abgeschlossene Studie (Evidenzgrad I b) konnte die Wirksamkeit des Verfahrens bestätigen. Bislang konnten 200 Patienten mit der Therapie behandelt werden. "Mit der CE-Zertifizierung im Mai 2012 beginnt die Kommerzialisierungsphase. Bereits in der Entwicklungsphase und auch jetzt in der Kommerzialisierung arbeitet EBS eng mit führenden Experten der Neurologie zusammen", so Pommerening. Die größte Hürde sei, dass Startups bereits vor der Finanzierung klinische Daten benötigen, die aber auch finanziert werden müssten.


Das zweite Panel der BVMed-Konferenz schilderte die Perspektive der Ärzte und Kliniken.

Wünsche der Anwender und Entwickler aus der Chirurgie formulierte Prof. Dr. Hans-Peter Bruch, Direktor der Klinik für Chirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck und Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC). Er sprach sich vor allem für eine stärkere Vernetzung und frühere Zusammenarbeit von MedTech-Innovatoren und Ärzten aus. Man müsse sich früher als natürliche Partner verstehen und die zunehmende Interdisziplinarität in der Medizin auch auf die Zusammenarbeit mit den Unternehmen übertragen. "Wir müssen die Frage beantworten: Wer macht was an welchem Ort? Wo sind die möglichen Partner? Welche Förderprogramme sind geeignet?" Die Zukunft der Chirurgie sei interdisziplinär, interprofessionell, sicher, atraumatisch und minimalinvasiv.

Anforderungen an die klinischen Einführungen von medizintechnischen Innovationen in der kardiovaskulären Medizin schilderte Prof. Dr. Malte Kelm, Direktor der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Wichtig sei nicht nur der ärztliche Meinungsführer, sondern auch ein gutes ärztliches Team, engagierte Sektionsleiter und gute Arbeitsgruppen sowie eine gute Einbindung der Klinikverwaltung und der Ethikkommissionen. Zu einer erfolgreichen Innovationseinführung gehöre nicht nur eine gute Technologie, sondern ein überzeugender Einfluss auf einen Krankheitsverlauf. "Das muss den Klinikern früh und gut vermittelt werden", so Kelm.

Die Innovationsbewertung im Beschaffungsprozess stellte Ulrike Hoffmann, Bereichsleiterin Strategischer Einkauf bei den Sana Kliniken, in den Mittelpunkt. Sie stellte fest , dass die Sachkosten in den letzten zehn Jahren stärker als die Personalkosten gestiegen seien. Das führte zu einer Entwicklung auf der Seite der Krankenhauseinkäufer, sich stärker zu Einkaufsverbünden zusammenzuschließen. Der Sana-Einkaufsverbund mit mehr als 500 Einrichtungen will Standards setzen und den Sachkosteneinkauf konzentrieren und optimieren. Diese Hürde müssen die MedTech-Unternehmen nehmen und nachweisen, dass das neue Verfahren neben den medizinischen auch wirtschaftliche Vorteile bietet. Ihr Fazit: "Durch eine sehr gute Versorgung der Routine schaffen wir Freiraum für Innovation".

Die Positionierung von Innovationen in einem Krankenhauskonzern schilderte Dr. Ulrich Knopp, Stellvertretender Kaufmännischer Leiter der Schön Klinik in Hamburg Eilbek. Der Konzern hat 15 Standorte und rund 88.000 behandelte Patienten. Er ist spezialisiert auf Orthopädie, Neurologie und Psychosomatik. Die vier wichtigsten Faktoren bei der Bewertung von Innovationen sind aus Sicht der Klinik: 1. Steigerung des Patientennutzen, 2. Erlangen der Qualitätsführerschaft, 3. Selektives Wachstum und Stärkung der Marktposition, 4. Nachhaltige Sicherung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Knopp: "Wenn mindestens eines der Kriterien erfüllt ist, ergibt sich ein Mehrnutzen für die Klinik". Dies müsse das Unternehmen der Klinik frühzeitig verdeutlichen.

Moderiert wurde die BVMed-Konferenz von der Hamburger Medizinjournalistin Renate Harrington.


Der BVMed vertritt als Wirtschaftsverband über 230 Industrie- und Handelsunternehmen der Medizintechnologiebranche. Im BVMed sind u. a. die 20 weltweit größten Medizinproduktehersteller im Verbrauchsgüterbereich organisiert. Die Medizinprodukteindustrie beschäftigt in Deutschland über 170.000 Menschen und investiert rund 9 Prozent ihres Umsatzes in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Verfahren.

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Quelle:
BVMed-Pressemeldung Nr. 40/12 vom 4. Mai 2012
V.i.S.d.P.: Manfred Beeres M.A.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2012

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