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ENTWICKLUNG/849: Poröse Implantate - Ganz wie der eigene Knochen (RUBIN)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2012
Ruhr-Universität Bochum

Ganz wie der eigene Knochen

Materialforscher entwickeln Herstellungsverfahren für poröse Implantate



Knochenersatz wie eine künstliche Hüfte muss vielen Ansprüchen genügen: Implantate müssen verträglich und haltbar sein, ähnliche Eigenschaften haben wie der Knochen und sich gut mit diesem verbinden. Titan ist wegen seiner guten Bioverträglichkeit seit Langem als Implantatmaterial im Einsatz. Jülicher Forscher arbeiten daran, die Eigenschaften der Titanmaterialien immer weiter zu verbessern und die Herstellungsverfahren speziell für poröse Implantatwerkstoffe zu optimieren.


Massives Titan ist wesentlich steifer als menschlicher Knochen. Die unterschiedliche Elastizität von Implantat und umgebendem Knochen kann auf Dauer dazu führen, dass sich Implantate lockern. Vor einigen Jahren entwickelten die Jülicher Forscher der Arbeitsgruppe Pulvermetallurgie um Dr. Martin Bram (Institut für Energie- und Klimaforschung IEK-1: Werkstoffsynthese und Herstellungsverfahren am Forschungszentrum Jülich, RUB-Prof. Dr. Detlev Stöver) daher poröse Implantatmaterialien aus Titan. "Auch der natürliche Knochen hat im Innern poröse Anteile, die elastischer sind als die feste äußere Schicht", erklärt Dr. Bram. Forscher am RUB-Universitätsklinikum Bergmannsheil testeten die Bioverträglichkeit solcher Implantatwerkstoffe in Zellkulturversuchen (s. Info). Sie konnten zeigen, dass sich Knochenzellen auf der Implantatoberfläche vermehren und auch in die Poren hineinwachsen. Eine feste Verankerung des Implantats durch Einwachsen des Knochens in die poröse Implantatoberfläche ist vor allem dann wünschenswert, wenn nur noch wenig eigener Knochen vorhanden ist, zum Beispiel wenn ein künstliches Hüftgelenk ersetzt werden muss. Hüftpfannen aus porösem Titan sind für solche Zwecke bereits auf dem Markt, ebenso wie Zahnimplantate, deren äußere Schicht porös ist, sodass sie besonders fest in den Kiefer einwachsen.


info

BIOVERTRÄGLICHKEIT PORÖSER IMPLANTATE

Um die Bioverträglichkeit poröser Implantate zu prüfen, nutzen Mediziner des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil unter der Leitung von Prof. Dr. Manfred Köller adulte Stammzellen. Solche Zellen, die auch bei Erwachsenen noch vorkommen, sind in der Lage, sich je nach Bedarf zu verschiedensten Körperzellen auszudifferenzieren, beispielsweise zu Muskel- oder auch Knochenzellen. Auf Implantate aufgebracht, können sie die Heilung von Knochendefekten beschleunigen.

Die Forscher besiedelten verschiedene Proben aus dem porösen Implantatmaterial mit adulten Stammzellen und lagerten sie zwischen zwei und acht Tagen bei Körpertemperatur aus. Dann färbten sie die Zellen mit bestimmen Farbstoffen, sodass lebende Zellen grün, abgestorbene rot erschienen (s. Abb. oben). Ergebnis: Die Zellen überleben auf porösen Titan-Formkörpern und fühlen sich umso wohler, je kleiner die Metallpartikel sind, aus denen die Probe besteht (s. Abb. unten). Anheftung und Zellteilung waren bei Partikelgrößen bis 45 Mikrometer am erfolgreichsten. Rauere Proben aus größeren Partikeln wurden weniger gut besiedelt. Für die Bioverträglichkeit spielt es keine Rolle, ob das Implantat auf herkömmliche Weise oder per Metal-Injection-Moulding (MIM) hergestellt wurde.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb.: Fluoreszenz-Aufnahmen von mit adulten Stammzellen besiedelten, 60 Prozent porösen Titan-Proben nach einer Inkubationszeit von 48 Stunden und acht Tagen.

Abb.: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von adulten Stammzellen auf einer porösen Titanoberfläche nach einer Inkubationszeit von acht Tagen. Man erkennt, wie eine Zelle in die Poren des Implantatmaterials hineinwächst und sich darin aufspannt.


Ausgangsbasis für die Herstellung poröser Implantatwerkstoffe ist ein Metallpulver. Die Pulverpartikel werden in eine Form gepresst und bei hohem Druck für mehrere Stunden auf über 1000°C erhitzt (s. Abb. 1). Bei diesem sogenannten Sintern verbinden sich die Pulverpartikel untereinander und ein fester Metallkörper entsteht. Die Form der einzelnen Partikel bleibt dabei weitgehend erhalten, zwischen ihnen bilden sich infolge von Diffusionsprozessen Brücken aus.

Um nun Metallkörper zu erzeugen, die von Poren durchsetzt sind, deren Größe und Beschaffenheit genau planbar sind, nutzt man Platzhalter. Dazu dienen zum Beispiel Ammoniumhydrogencarbonat, Harnstoff oder Kochsalz (NaCl).

Das Pulvergemisch wird in die gewünschte Form gepresst, mechanisch auf Endkontur bearbeitet und dann vor dem Sintern in einem Trockenschrank erhitzt oder in ein Wasserbad getaucht - je nach Wahl des Platzhalters. Dieser löst sich dabei aus dem Metallkörper heraus und hinterlässt die gewünschten Poren. Erst danach folgt der Sintervorgang. "Dieser Prozess ist seit Langem etabliert, aber auch sehr aufwändig und für große Stückzahlen nur bedingt geeignet", erklärt Dr. Bram. "Besonders nach Entfernung des Platzhalters ist die Stabilität des Implantats gering und erfordert eine aufwändige Handhabung, um eine Schädigung vor dem Sintern zuverlässig zu vermeiden." Die Jülicher Forscher schauten daher eine alternative Formgebungsmethode bei der Kunststoffindustrie ab. Das Ergebnis nennt sich Metallpulver-Spritzguss oder Metal-Injection-Moulding (MIM) und besitzt ein hohes Potenzial zur automatisierten Formgebung.

Das Pulvergemisch wird dabei durch eine Schnecke in eine Form transportiert und darin verdichtet (s. Abb. 2). Um das Verfahren nutzen zu können, braucht man allerdings neben Metall- und Platzhalterpulver weitere Zutaten - sonst lässt sich das Pulvergemisch ebenso wenig verarbeiten wie die reine Mischung aus Mehl und Zucker bei der Herstellung von Spritzgebäck. Was beim Teig Milch und Eier sind, ist für das Pulvergemisch der Binder. Als mögliche Binder testeten die Forscher verschiedene Kunststoffe in unterschiedlichen Mengenanteilen. Etwa ein Viertel der Gesamtmasse wird an Binder zugesetzt, der z.B. aus einer Mischung aus Paraffin- und Polyethylen besteht. Der Kunststoff schmilzt im Laufe des Fertigungsprozesses. Da während des Verfahrens Temperaturen von 150°C und Drücke von 100 MPa herrschen, kann man auch nicht alle Platzhalter nutzen. Die oben genannten Carbonate zersetzen sich bereits bei 100°C. Die Forscher nutzen daher bevorzugt Kochsalz, dessen Schmelzpunkt bei ca. 800°C liegt.

© Ruhr-Universität Bochum

Abb. 2: Verfahrensablauf des Metallpulver-Spritzgusses mit Platzhaltern. Metallpulver, Platzhalter und Binder werden in einem beheizten Kneter gemischt, der sogenannte Feedstock wird dann in die Form gepresst. Das dann als "Grünling" bezeichnete Ergebnis wird teils vom Binder befreit, der Platzhalter (hier Salz) im Wasserbad entfernt. Danach wird gesintert. Dabei verschwindet auch der Rest des Binders.
© Ruhr-Universität Bochum

Nach der Verdichtung der Pulver in der Form werden Binder und Platzhalter in mehreren Schritten entfernt. Paraffin verschwindet im Lösemittelbad, der Platzhalter im Wasserbad, Polyethylen beim Erhitzen durch thermische Zersetzung. Die mechanische Festigkeit des Implantats wird wiederum durch den bereits erwähnten Sinterprozess erreicht.

Auf diese Weise ist es gelungen, die Formgebung des porösen Implantats zu automatisieren. Diese Ergebnisse ermutigten die Jülicher Forscher zu einem weiteren Schritt bei der Nutzung des MIMVerfahrens. "Für manche Anwendungszwecke braucht man Implantate, die gleichzeitig Bereiche mit größerer Porosität und dichte Bereiche haben", erklärt Dr. Martin Bram. Beispiel: Ein kleines Implantat, das bei vollständiger Entfernung einer Bandscheibe zwischen zwei Wirbelkörper gesetzt wird, diese auf Abstand hält und auf lange Sicht eine knöcherne Brücke aufgrund der Porosität ermöglicht (s. Abb. 3). Solche Implantate werden eingesetzt und dann in die richtige Position gedreht. Für diese mechanische Belastung ist es notwendig, dass sie an einem Ende einen stabileren Bereich haben, während der größte Teil so porös sein soll, dass Knochenzellen der benachbarten Wirbelkörper einwachsen und sich fest mit dem Implantat verbinden können.

© Ruhr-Universität Bochum

Abb. 3: Prinzip des Wirbelsäulenimplantats für den kompletten Bandscheibenersatz. Das Implantat wird zwischen zwei Wirbelkörpern platziert und verbindet sich mit der Zeit mit den Knochen, sodass der Wirbelsäulenabschnitt versteift wird.
© Ruhr-Universität Bochum

Das MIM-Verfahren wurde dafür auf zwei Komponenten ausgelegt (2-C-MIM) und in der Doktorarbeit von Ana Paula Cysne Barbosa intensiv untersucht. Es werden zwei verschiedene Partikelmischungen von verschiedenen Seiten in die speziell konstruierte Form geleitet und dort verdichtet (s. Abb. 4). In der Kunststoffindustrie ist der Mehrfach-Spritzguss bereits gängige Praxis. Bei der Implantatherstellung gab es viele offene Fragen: Wie hoch kann der Anteil der Feststoffe gegenüber dem Binder sein? Wie viel Platzhalterpulver ist für den porösen Teil notwendig? Wie gut bewegt sich die jeweilige Masse durch die Maschine? Wie halten dichter und poröser Teil zusammen?

© Ruhr-Universität Bochum

Abb. 4: Prinzip des 2-C-MIM-Werkzeugs und Verfahrensablauf der Formfüllung. Die Form wird von zwei Seiten aus befüllt, zuerst wird die Pulvermischung für den dichten Teil des Implantats eingefüllt (gelb), dann die Mischung für den porösen Teil (blau).
© Ruhr-Universität Bochum

Die Forscher testeten verschiedene Zusammensetzungen aus Metall- und Platzhalterpartikeln und Bindern. Einige Mischungen erwiesen sich als ungeeignet, weil sie zu früh flüssig wurden. Andere ließen sich nicht gut durch die Schnecke in der Maschine transportieren. Es stellte sich heraus, dass der maximal mögliche Anteil fester Partikel bei der Mischung mit Platzhalter größer war (68%) als bei der Mischung ohne Platzhalter (64%), weil Partikel-Platzhalter-Mischungen eine höhere Packungsdichte besitzen. Daraus resultiert ein geringerer Bedarf an Binder bei der Platzhaltermischung. Die schließlich gewählte Bindermischung bestand aus 60% Paraffin, 35% Polyethylen und 5% Stearinsäure.

Ergebnis des 2-C-MIM-Prozesses sind formtreue Implantate; die Kontaktstelle zwischen dichtem und porösem Bereich ist wie gewünscht klar definiert (s. Abb. 5). "Durch diese Automatisierung könnten wir solche Implantate viel kostengünstiger herstellen", so Dr. Bram.

Ein Problem ist noch, dass sich außen auf dem Implantat, wo das Pulver mit der Form in Kontakt kommt, eine fast geschlossene Metallschicht ausbildet, sodass ein Teil der Poren nicht mehr für Knochenzellen zugänglich ist. "Daran arbeiten wir noch - wir müssen zuerst genau verstehen, was bei der Herstellung passiert und warum, um es dann verhindern zu können", so Dr. Bram.    md


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Dr. Martin Bram mit porösen Formkörpern nach dem Sintern. Im Hintergrund ist der Vakuumsinterofen zu sehen.

Abb. 5: Prototyp des Wirbelsäulenimplantats, hergestellt durch 2-C-MIM. Die Grenze zwischen dem porösen Teil des Implantats und dem dichten Teil ist klar zu erkennen.

Den Artikel mit Bildern finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/rubin-fruehjahr-2012/pdf/beitrag07.pdf

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Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2012, S. 42-45
Herausgeber: Rektorat der Ruhr-Universität Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2012