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HINTERGRUND/113: Robert Schumann wird erforscht (highlights/Uni Bremen)


"highlights" - Heft 17 / September 2006
Informationsmagazin der Universität Bremen

Robert Schumann - ein Musikgenie wird erforscht

Der Musikwissenschaftler Ulrich Tadday beschäftigt sich seit 15 Jahren mit dem Komponisten und hat ein neues Handbuch über ihn herausgegeben


Er war der letzte große Komponist des 19. Jahrhunderts mit einem Universalanspruch: Robert Schumann schrieb Klaviersonaten, Symphonien, Opern, Lieder, Chorwerke und Kammermusik. Er war aber nicht nur Musiker und Komponist, sondern auch Chorleiter und Dirigent; sein eher kurzes Leben war privat wie beruflich turbulent. Es endete vor 150 Jahren in einer Heilanstalt, in die sich Schumann wegen manisch- depressiver Stimmungen begeben hatte. Sein Leben, sein reichhaltiges kompositorisches Werk und seine Kompositionsweise beschäftigen seit Jahrzehnten eine Reihe von Musikwissenschaftlern im In- und Ausland - unter anderem Professor Ulrich Tadday von der Universität Bremen. Der Hochschullehrer aus der Hansestadt gilt als einer der besten Kenner des Genies. Er ist Herausgeber eines aktuellen Schumann-Handbuches, das im Juli 2006 erschienen ist und einen ganz neuen Blick auf Robert Schumann eröffnet.

Der 1810 in Zwickau geborene Schumann gibt den Forschern noch immer viele Rätsel auf. Er fühlte sich schon als Schüler zu etwas Besonderem berufen. In einer bildungsbürgerlichen Familie par excellence groß geworden und zum Jurastudium verdammt, entschloss er sich Anfang der 1830er Jahre Musiker zu werden. Zunächst begnadeter Pianist, wurde er kurze Zeit später wegen einer Fingerlähmung zum Komponisten. Die Leidenschaft für die Musik trieb ihn zum Komponieren und zu Tätigkeiten wie der eines Städtischen Musikdirektors in Düsseldorf; er wirkte aber auch als Dichter, Schriftsteller und Journalist. Privat füllte er Rollen als Geliebter, Ehemann und Vater aus. Später wurde Schumann krank, plagte sich mit psychischen Problemen und starb schließlich 1856 in einer Heilanstalt. Die Zeugnisse seines Lebens und seiner Tätigkeiten wurden und werden intensiv aufgearbeitet. Noch immer sind zahlreiche Aspekte des Künstlers im Dunkeln verborgen.

Es ist die Aufgabe von historischen Musikwissenschaftlern wie Ulrich Tadday, Licht in dieses Dunkel zu bringen. "Wir konstruieren durch unsere Forschungstätigkeit zwar Geschichte - aber wir erfinden sie nicht, sondern suchen immer neue Fakten zusammen und stellen sie in einen plausiblen Zusammenhang", so Tadday. Das interpretierende Verstehen von Kompositionen ist eine der wichtigsten Leistungen der Musikwissenschaft, die es oft mit Bergen von unbearbeitetem Material und wertvollen Originalquellen zu tun hat. Tagebücher, Skizzenhefte, Handschriften, Notenblätter, Briefwechsel und vieles mehr werden dabei gesichtet, geordnet und bewertet. Ulrich Tadday nennt Beispiele: "Viele Komponisten haben ihre Werke nur handschriftlich skizziert. Oftmals gibt es zwei oder drei undatierte Versionen davon - welche ist 'die Richtige'? Nicht selten wurden Entwürfe dann so genannten Kopisten zur Abschrift übergeben. Auch dabei sind manchmal erhebliche Abweichungen vorgekommen. Oder die Noten wurden später gedruckt, aber fehlerhaft. Dann kam es zu einem Zweitdruck, der vielleicht lange unentdeckt blieb - aber mit dem plötzlichen Auftauchen eine ganz andere Interpretation des Werkes zulässt." Beethoven beispielsweise habe Ideen in ein Skizzenbuch geschrieben und dann Wochen später an anderer Stelle zu dieser Idee weitere Gedanken hinzugefügt. Tadday: "Beethoven wusste, dass diese beiden Impulse zusammengehören. Musikwissenschaftler finden so etwas heute oft erst nach mühevoller Arbeit heraus."

Der Bremer Hochschullehrer hat sich seit 15 Jahren der Schumann- Forschung verschrieben, weil ihn "Schumanns Musik mehr bewegt als jede andere klassische Musik." In die Bewertung des Komponisten und seiner Werke hat er in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Aspekte eingebracht. So widerspricht er der landläufigen Meinung, dass das Spätwerk von Robert Schumann ab 1848 "romantisch" geprägt sei: "Das stimmt nicht. Er ist in diesem Abschnitt seines Schaffens nicht reaktionär romantisch, sondern hochmodern, poetisch und realistisch zugleich." Die Sehnsucht nach einer heilen Welt und die Trauer darüber, dass der Mensch in einer solchen Welt nicht zu leben im Stande ist, habe melancholische Züge in die Schumannschen Werke jener Zeit getragen. "Aber Schumann setzt dieser Melancholie die Fantasie des Dichters und Komponisten entgegen, der in seinen musikalischen Kunstwerken die Melancholie zu heilen versucht." Gleichzeitig sei sich Schumann bewusst gewesen, dass Musik nur die Sehnsucht nach einer besseren Welt auszudrücken vermag: "Er wagt aber andere Weltentwürfe in seiner Musik. Er bewegt dort die Problematik der Moderne, ohne sie lösen zu können. Die Musik seines Spätwerkes durchziehen Brüche und Risse - wie sie auch in der Gesellschaft vorkommen."

Um diese Widersprüche auszuhalten, bediene sich der Künstler des Humors: "Er wechselt musikalisch immer wieder von der Frosch- in die Vogelperspektive. In der einen erscheint der Mensch klein, ängstlich und gottesfürchtig. In der anderen nimmt er den erhabenen Standpunkt des abwesenden Gottes ein." Die musikhistorischen Forschungen führen aber nicht nur zu philosophischen, sondern auch zu praktischen Ergebnissen, dazu, dass Schumanns Werke neu musiziert werden: So werden die vermeintlich romantisch sentimentalen Stücke heute schneller gespielt, klingen freundlicher im Ausdruck, leichter und heiterer.

Im Kreis der Schumann-Forschung nimmt der Bremer Hochschullehrer eine wichtige Rolle ein. Das im Juli von ihm herausgegebene Schumann- Handbuch ist ein neues Standardwerk, das auf 624 Seiten zahlreiche aktuelle Forschungsergebnisse präsentiert. Tadday hat das Handbuch konzipiert, strukturiert und lektoriert, selbst dafür geschrieben und die wichtigsten Schumann-Forscher der Zeit als Autoren gewonnen. Sechs Jahre Arbeit stecken in der Publikation, deren Namenregister allein ein "Schumann-Netzwerk" mit rund 750 Einträgen enthält. Ein neuer biografistischer Ansatz stellt Schumanns Leben nicht im zeitlichen Ablauf dar, sondern in seinen Funktionen: Welche Rolle spielte er als Vater, Ehemann oder Geliebter, welche als Chorleiter, Dirigent oder Redakteur?

Das Handbuch ist nicht der einzige Zugang Taddays zu Schumann. So arbeitet er gerade an einer Edition der Schulaufsätze von Robert Schumann, die ihm samt Lehrer-Kommentaren vorliegen. "Was Schumann schon als Primaner verfasst hat, bekommt heute kaum ein Student mehr hin", sagt Tadday anerkennend. In einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft nimmt er die Edition der Schriften Schumanns kritisch unter die Lupe. Und schließlich ist der Professor auch noch Herausgeber der "Musikkonzepte" - der ältesten musikwissenschaftlichen Schriftenreihe in Deutschland.


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Kontakt:

Prof. Dr. Ulrich Tadday
Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik
Universität Bremen
Postfach 330 440, D-28334 Bremen
Tel. (+ 49) 0421/218-2162
E-Mail: tadday@uni-bremen.de
http.//www.musik.uni-bremen.de


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Quelle:
HighLights - Informationsmagazin der Universität Bremen
Heft 17 - September 2006, S. 18-21
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen,
Redaktion: Universitäts-Pressestelle
Postfach 33 04 40, 28334 Bremen,
Telefon: 0421/218-27 51, Fax: 0421/218-42 70
Email: presse@uni-bremen.de
WWW: http://www.uni-bremen.de/campus/campuspress/highlights


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2007