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HINTERGRUND/125: Was macht eine Sprache singbar? (idw)


Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf - 07.05.2008

"Will der Herr Graf ein Tänzchen nun wagen?"


Was macht eine Sprache singbar? Welche Sprache erscheint besser geeignet für die Oper: das Italienische, das Französische, das Deutsche? Warum ist der Dreivierteltakt der natürliche Feind des Französischen? Der Düsseldorfer Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Elmar Schafroth untersucht Opernarien und Libretti.

Keine Frage, Sprachklischees haben Tradition. Es gibt sie seit dem 16. Jahrhundert, als sich die Nationalstaaten und die Nationalsprachen herausbildeten. Einer der Höhepunkte: der "Buffonistenstreit" im 18. Jahrhundert.

Hier schieden sich Europas Geister. Welcher Form war der Vorzug zu geben? Der traditionellen französischen Oper, der "opera seria"? Oder der lustigen italienischen Schwester, der "opera buffa"? 1761 führte Voltaire einen berühmten Briefwechsel mit dem italienischen Schriftsteller und Übersetzer Deodati de Tovazzi über die Überlegenheit der italienischen oder der französischen Oper. Voltaire sprach dem italienischen Idiom die Tauglichkeit für Musik schlichtweg ab. Knapp zehn Jahre zuvor scharfrichterte Philosophen-Kollege Rousseau indes: "...il n'y a ni mesure ni melodie dans la Musique Francoise (...) le chant Francois n'est qu'un aboyement continuel, insupportable à toute oreille non prévenue" ("nichts als ein ständiges Gebell, unerträglich für das unvorbereitete Ohr").

Mozarts Meinung über die französische Sangeskunst war ebenso vernichtend. 1778 giftete er: "Wenn nur die verfluchte französische Sprache nicht so hundsfüttisch zur Musique wäre! - das ist was Elendes - die Teütsche ist noch göttlich dagegen - und dann erst die sänger und sängerinnen (...) sie singen nicht, sondern sie schreyen - heülen - und zwar aus vollem halse, aus der nase und gurgel." "Sprache und Musik: Untersuchungen zur Prosodie gesungener Sprachen anhand von Opernarien und ihrer Libretti - eine kulturwissenschaftlich-linguistische Studie". So lautet der Titel eines Forschungsprojektes von Prof. Dr. Elmar Schafroth (Romanische Philologie).

Prosodie? "Darunter versteht man in der Sprachwissenschaft einen Wortakzent, wie etwas betont wird, den Tonhöhenverlauf, die Satzmelodie. In unserem Projekt, im Zusammenhang mit dem Singen, die Art und Weise, wo die Akzente gesetzt werden, wie die Metrik umgesetzt wird von der gesprochenen zur gesungenen Sprache", erläutert Schafroth.

Eine der Fragen: Wie kommt eine Sprache zurecht, wenn die Musik bestimmte metrische Vorgaben macht? Ein Zwischenergebnis: "Es zeigt sich rasch, dass, wenn man so will, der Dreivierteltakt der 'natürliche Feind' des Französischen ist. Das Französische gliedert sich in rhythmische Einheiten, und jede davon ist, bei natürlicher Sprechweise, auf der letzten Silbe betont. Zum Beispiel: Beethoven wird im Französischen Beeth-o-ven ausgesprochen. Es ist also eine Deformation, die der Sprache im Dreivierteltakt widerfährt. In der Oper ist hier natürlich der Librettist gefragt, aber auch der geschickteste wird das Problem nie ganz lösen können. Es ist nahezu unmöglich, den Text so zu gestalten, dass er immer auf der letzten Silbe betont ist. Hier haben wir also eine starke Unnatürlichkeit im Verhältnis zum gesprochenen Französisch, was auch im 18. Jahrhundert aufgefallen sein dürfte."


Schafroths Projekt wird aus Mitteln des Forschungs- und Innovationsfonds der Universität finanziert und besteht aus drei Teilen.

Teil 1 ist die kulturwissenschaftliche Analyse, Aussagen über die Ästhetik und die Sangbarkeit von Sprachen stehen im Zentrum.

Teil 2 beschäftigt sich mit der linguistisch-typologischen Analyse, der phonologischen und prosodischen Beschreibung und der materiellen "Ausstattung" von Sprachen für den Gesang (Vokale, Akzentverhältnisse, Silbenstruktur, rhythmische Einheiten, Vokalverschmelzung, Silbenerweiterung usw.). Ziel ist eine Typologie sprachwissenschaftlicher Parameter, mit Hilfe derer sich die Sprachen überhaupt vergleichen lassen.

Teil 3 umfasst die musikalisch-linguistische Analyse. Hier geht es um das Zusammenspiel von Text und Musik, untersucht werden markante Opernarien in den jeweiligen Originalsprachen und in den Übersetzungen. Als Beispiele wählte Schafroth Mozarts "Le Nozze di Figaro" (Originalsprache Italienisch), Mozarts "Zauberflöte" (Originalsprache Deutsch) sowie Bizets "Carmen" (Originalsprache Französisch).

Kernziel des Projektes: Sprachklischees zu untersuchen. "Das Deutsche gilt zum Beispiel als sehr brockig, das Italienische als am besten singbare Sprache, zum Französischen gibt es unterschiedliche Meinungen", erläutert Schafroth.

Leitfrage für Schafroth: Was macht eine Sprache zu einer singbaren? Markantes Beispiel in dem Düsseldorfer Forschungsprojekt: Die Analyse von Figaros weltberühmter "Cavatina" (Takt 1 bis 4, 13 bis 16) aus Mozarts "Le Nozze di Figaro", 1786 uraufgeführt.

Se vuol bal- / la - re / si- gnor Con / ti- no,
Si tu veux / dan- ser/ mon pE- tit / com -tE,
Will der Herr / Graf ein/ Tänz- chen nun/ wa- gen,

il chi- tar- / ri- no / le suo- ne / rò sì
de la gui / ta- rE / je te joue- / rai oui
Mag er's mir/ sa- gen, / ich spiel ihm / auf, ja

Schafroth: "In der italienischen Originalversion sind die Betonungen, wie sie in der gesprochenen Sprache auch vorkommen. Das Deutsche bewegt sich im Bereich des Normalen. Im Französischen fällt auf, dass es sich nur retten kann, indem es die stummen 'e's, etwa in com-tE, einführt, die normalerweise nicht gesprochen werden, aber hier den Takt auffüllen." Dieses angehängte offene "e", der "mobile Akzent" als zusätzliche Silben", wird nicht nur beim Singen, sondern auch bei der Rezitation von Gedichten oder besonders pathetischer Reden bis heute gerne im französischen Sprachraum genutzt. Dennoch bleibt beim "Figaro"-Beispiel das Problem der Betonung: "dan-ser" und "mon petit" wirken unfranzösisch.

Aus allen drei Opern werden jeweils drei Arien ausgesucht, danach, Takt für Takt, in eine Datenbank mit einem eigenen Codierungs- und Markierungssystem eingegeben. Die Leitfrage ist dann: Wo muss die Sprache "reparieren", damit der Metrik gefolgt werden kann? "Mit 'Reparieren' meine ich beispielsweise das 'e', das hinzukommt oder getilgt wird. Oder etwa, wenn im Deutschen eine Silbe ausgelassen wird, wie bei 'Mag er's mir sagen'."

Schafroths erste vorsichtige Folgerungen: "Gesungene und gesprochene Sprache sind sich im Italienischen in Bezug auf Rhythmus und Sprachmelodie offenbar deutlich näher als im Französischen. Zwar kann es auch im Italienischen keine völlige Kongruenz zwischen Sprechakzent und Taktakzent geben, jedoch ist die Übereinstimmungsquote sehr hoch. Das Deutsche nimmt auf dieser Skala eine Mittelstellung ein, da der Wortakzent zwar nicht auf eine bestimmte Silbe festgelegt ist, sondern im Prinzip auf jeder Silbe liegen kann, z. B. "Tänz-chen", "lebendig", "Melodie". Sehr häufig ist es jedoch die erste Silbe."

Offene Frage: Sind die italienische und die französische Sprache also per se operntauglich, das Französische indes weniger? "Bizets 'Carmen' ist zeitlos schön", resümierte der Sprachwissenschaftler in einer Publikation. "Und das sicherlich auch im französischen Original. Diese Tatsache sowie Erfolg und Tradition des französischen Chansons sollten eigentlich bereits genügen, um Aussagen wie diejenigen von Rousseau und Mozart zu widerlegen. Letzten Endes ist alles natürlich auch eine Frage des individuellen Geschmacks - und vielleicht doch einer bestimmten Haltung der Sprache, dem Land gegenüber?"

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution223


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Rolf Willhardt, 07.05.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2008