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HINTERGRUND/133: "Lauten-Symposium" des Instituts für Festkörpermechanik (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 3 vom 17. Februar 2009

Schwingungssystem zu komplex

Das "Lauten-Symposium" des Instituts für Festkörpermechanik
hinterließ mehr Fragen, als es beantwortete

Von Martin Morgenstern


Es hätte die Veranstaltung werden können, um pessimistische Behauptungen, die Königskinder Kunst und Wissenschaft könnten zusammen nicht kommen, zu widerlegen: das "Lauten-Symposium", veranstaltet vom Institut für Festkörpermechanik der TU Dresden. Eingeladen waren Lautenisten, Instrumentenbauer, Musikwissenschaftler und - natürlich - Festkörpermechaniker.

Man wolle hier einander entgegenkommen, leitete der Zürcher Instrumentenbauer Christian Hostetter die Veranstaltung ein, um die Laute gemeinsam auf den bautechnisch letzten Stand zu bringen, sie den veränderten soziokulturellen Bedingungen anzupassen, kurz: das nachzuholen, was findige Erbauer von Klavier und Geige schon vor zweihundert Jahren am jeweiligen Instrument erfolgreich gemeistert hatten. Hostetter ging dazu kurz auf die Geschichte der Laute ein, schilderte die bestehenden Probleme aus Sicht eines Praktikers: geringe Tragfähigkeit des Tons, Unwägbarkeiten des Materials, usw. Was dann folgte, war, zumindest aus Sicht eines Instrumentenkundlers, nichts weniger als eine Farce. Drei angehende Diplomanden des Instituts stellten in Power-Point-Vorträgen, von denen der längste sechzig (!) mit Differentialgleichungen vollgestopfte Folien zählte, ihr jeweiliges Forschungsfeld vor. Redeten ausführlich über die Finite-Elemente-Modellierung eines Lautenkorpus und sparten dabei nicht an Fachbegriffen, ohne sie zumindest kurz für die anwesenden Nicht-Physiker zu erläutern. Es wurde lediglich der Hinweis gegeben, die anwesenden Wissenschaftler mögen einem doch die Ungenauigkeiten und Verkürzungen der Darstellung nachsehen; man wolle ja verständlich für "die anderen" bleiben!

Gänzlich unerwähnt blieb der Fakt, dass auf Seiten vieler Instrumentenbauer vornehmlich die Ansicht herrscht, FE-Modellierung sei für ein komplexes Schwingungssystem wie das eines Musikinstruments - oft mit verschiedenen Holzarten für Boden, Zargen, Decke, deren Material-Parameter bis heute unbekannt sind - viel zu ungenau. Genügt es doch manchmal schon, die Decke des Instruments abzunehmen und mit einem etwas flexibleren Leim wieder aufzubringen, um fulminante Klangänderungen zu erzielen. Auf die weitere Nachfrage aus dem Publikum, warum man die Laute nicht "mit den Saiten" untersucht habe, war die fast schildbürgerliche Antwort, das Schwingungssystem werde dann zu komplex, um es zu beherrschen. Und vielleicht hätte dem Studenten, der über eine Stunde lang methodische Überlegungen zu Saitenschwingungen ausbreitete, einmal jemand mitteilen müssen, dass es aus Sicht eines Musikers, der bis zu seinem Diplom geschätzte zehntausend Stunden übend an seinem Instrument verbracht hat und den Klang einer Wolfram- von einer Silberbedampfung der Stahlsaite herauszuhören vermag, kaum Sinn haben dürfte, eine an allen Ecken und Enden vereinfachte Simulation durchzurechnen, die - zerknirscht zwischen den Zeilen zugegeben - mit praktischen Tests mitnichten übereinstimmte?

So redete man drei Stunden aneinander vorbei, und wohl noch länger. Allein: der grob verstimmte Autor dieses Artikels musste die Veranstaltung leider verlassen, da diesmal die Physiker das den Geisteswissenschaftlern vorbehaltene Privileg, Zeitpläne gnadenlos zu überziehen, übernommen hatten, und der nächste Termin dräute. Nicht, dass es nicht auch Verfehlungen der "anderen" gegeben hätte: das Konzert eines angereisten Lautenisten, der sich ständig verhaspelte, abbrach, neu begann und das Musikstück beschämt lächelnd mitten in einer Phrase enden ließ, zeugt vielleicht auch davon, wie wichtig man das "Lauten-Symposium" auf musikwissenschaftlicher Seite nahm.

Wenn übrigens die Honoratioren der Veranstaltung die interpretatorischen Verfehlungen des Musikers überhaupt bemerkten, so haben sie sie - allerhöflichst - überspielt. Das also war nichts anderes als ein mit Volldampf überfahrenes Hoffnungspflänzchen, C. P. Snows "Zwei Kulturen" wieder ein Stück näher zusammenzubringen. Und eine vertane Chance, die Universität als Hort kreativer, wissenschaftsübergreifender Forschung weiter zu etablieren.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 20. Jg., Nr. 3 vom 17.02.2009, S. 5
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2009