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HINTERGRUND/145: Rammstein - Soldaten, Arier, Wikinger (ROSA)


ROSA:38 - Die Zeitschrift für Geschlechterforschung - Februar 2009

Soldaten, Arier, Wikinger

Von Dunja Brill


Vor einigen Jahren stieg eine deutsche Band unter Verwendung von Stilelementen, die in der Popmusik bis dato verpönt waren, zu internationalem Ruhm auf: Rammstein stürmten mit einer Mischung aus harschen Gitarrenriffs, stampfenden Electro-Beats und einem martialischen, hypermaskulinen Image die Charts. Ihr Sound und ihre Inszenierung greifen auf im subkulturellen Underground des so genannten Industrial und Extreme Metal verwurzelte Stilcodes und Männermythen zurück, denen ein neues Forschungsprojekt zum Themenkreis Männlichkeit, 'Whiteness' und Gewalt in subkulturellen Musikszenen nachspürt.


Industrial, Extreme Metal und Männlichkeit

Industrial, eine Art Maschinenmusik, und Extreme Metal, eine extreme Spielart des Heavy Metal, sowie die sie umgebenden Szenen sind bislang selten wissenschaftlich oder kulturpolitisch thematisiert worden. Der Erfolg von Rammstein belegt allerdings die steigende popkulturelle Relevanz solcher scheinbar randständigen Musikszenen. Im Zuge der postmodernen Fragmentarisierung von Kultur und Wissen gewinnen Subkulturen und deren mediale Ausdrucksformen zunehmend an Bedeutung für die Verhandlung gesellschaftlicher Konstrukte, wie z.B. Gender.

Auch in hegemonialen Männlichkeitsbildern der Popkultur spielen - neben den normativen Kriterien Heterosexualität und 'Whiteness' als dominante ethnische Kategorie - nach wie vor traditionelle maskulin-heroische, soldatische Werte der Tapferkeit, Härte und Stärke eine tragende Rolle. Während solche archaischen Rollenbilder von hypermaskulinen Kämpfern und Kriegern im kulturellen Mainstream jedoch vielfach nur in sozial angepassten, rationalisierten Formen auftreten, brechen sie in den hier untersuchten Subkulturen in ihrer rohen, martialischen, oft unverhohlen antisozialen Urgewalt deutlich hervor.

Moderner Industrial hat seine Wurzeln im Ur-Industrial (atonale Geräuschmusik mit provokantem Gestus) der späten 70er und EBM (Electronic Body Music, eine repetitive, basslastige, harte Form elektronischer Tanzmusik) der 80er Jahre. Ursprünglich als 'Anti-Musik' konzipiert, operiert der heute im subkulturellen Milieu angesagte, clubtaugliche Industrial mit harten, hämmernden Beats, extrem verzerrten Sounds und militant gebrüllten Vocals oder Sprach-Samples.

Extreme Metal ist ein Sammelbegriff für diverse aus dem Heavy Metal hervorgegangene Spielarten harter gitarrenlastiger Musik, die treibenden Gitarrenriffs, rasantem Schlagzeugspiel und growlenden bis kreischenden Vokaleinlagen frönen. Im Hinblick auf das Zusammenspiel zwischen Männlichkeit und 'Whiteness' besonders interessant ist das Subgenre Pagan Metal, welches musikalisch schwierig einzugrenzen ist - neben harschem Metal zeigt es Einflüsse nordischer Folklore - und sich vornehmlich über seine 'heidnischen' bzw. nordisch-mythologischen Inhalte definiert.


Hypermaskuline Krieger

Industrial und Extreme Metal ist auf inhaltlicher Ebene ein häufiger Rekurs auf teils mythisch überhöhte historische Motive gemein, die sowohl in Songtexten bzw. verwendeten Sprachsamples als auch in Tonträger-Artworks und inszenierten Band-Images durchscheinen. Solche Motive drehen sich zumeist um Kampf, Krieg, Militarismus oder gar Totalitarismus, und beinhalten somit vielfältige Referenzen zu Männlichkeit und 'Whiteness'. So finden sich im Pagan Metal starke Anklänge an nordische Mythologie, Wikinger-Historie und archaisches Kriegertum, häufig angereichert mit Fantasy-Elementen. Im Industrial dominiert die Beschäftigung mit historischen oder aktuellen Aspekten moderner Kriegsführung. Die historisch-mythologischen Motive, auf die Industrial und Extreme Metal zurückgreifen, enthalten häufig den Tropus des hypermaskulinen Kriegers. So posiert z.B. der deutsche Industrial-Musiker The Retrosic grimmigen Blicks mit Eisernem Kreuz und die irischen Pagan-Metal-Recken Mael Mordha präsentieren sich Schwert und Axt schwingend als kriegerische Barbarenhorde.

Sowohl im martialisch anmutenden Klangbild beider Genres als auch in den flankierenden verbalen und medialen Diskursen wird ein Bild von Männlichkeit gezeichnet, das von traditionellen maskulinen Stereotypen wie Härte, Gewalt und Kriegertum geprägt ist. Furchtlose Krieger und gestählte Soldaten scheinen hier omnipräsent, und viele Acts beschwören mittels Songtiteln bzw. Songtexten sowie Sounds und Samples düstere Szenarien aus Schlachten und Kriegen herauf. Prototypische Albumtitel wie 'Electronic Music Means War to Us' (Industrial-Act Hypnoskull) oder 'The Battle Begins' (Pagan-Metal-Band Fimbulthier) geben bereits einen Vorgeschmack auf die klangliche und konzeptuelle Ausrichtung der Musik.

Die Verbindung von Männlichkeit mit Gewalt, Militarismus und Krieg ist ein nahezu universelles Merkmal patriarchaler Kulturen. [1] Der Krieger bzw. Soldat gilt traditionell als die Inkarnation von Maskulinität. [2] In modernen westlichen Gesellschaften erfüllen neben dem Militär zunehmend auch männlich-homosoziale Subkulturen mit ihren ritualisierten maskulinen Selbstinszenierungen eine ähnliche Funktion der Initiation in kriegerische Männlichkeitsideale. Im Industrial und Extreme Metal wird so tendenziell eine Idee von Maskulinität (re)produziert, die auf homosozialer Männerbündelei, Gewalt und Militarismus beruht.


Blut und Boden

Das Zusammenspiel zwischen Männlichkeit und 'Whiteness' in der Produktion von Differenz und Dominanz kann als "phallozentrischer 'Okzidentialismus'" [3] konzipiert werden, bei dem die Übereinanderlagerung hierarchischer binärer Oppositionen (männlich/weiblich, weiss/schwarz) hegemoniale Westliche Identitäten stabilisiert. Analog zu diesem Dominanzgefüge scheinen neben hypermaskulinen Männlichkeitsbildern in der nordischen Mythologie und im Wikinger-Kult des Pagan Metal häufig auch Anspielungen auf den Arier-Mythos 'weisser' Vorherrschaft durch. Die Beschwörung dieses Mythos, der gerade im deutsch-europäischen Kontext für die Konstruktion von 'Whiteness' zentral ist, [4] wurzelt hier meist in der Identifikation mit einem Gemenge aus hypermaskulinem, explizit 'nordischem' Krieger-Ahnentum und nationalistisch geprägter 'weisser' Ethnizität. Auch die im Industrial gängige Auseinandersetzung mit modernen Kriegen und Militarismus weist aufgrund ihres obsessiven Kreisens um den Zweiten Weltkrieg - und somit Aufgreifens totalitaristischer bzw. faschistischer Motive - gewisse Bezüge zu 'weissen' Überlegenheitsmythen auf.

Jenseits solcher problematischen Inhalte zeigen beide Genres jedoch auch progressive Tendenzen. Einige Acts aus dem Industrial- und Extreme-Metal-Umfeld üben sinnhaltige Kritik an einer zunehmenden Technisierung und Militarisierung der Lebenswelt. Über dystopische Kriegs- und Zerstörungsszenarien stellen Bands wie Napalm Death oder Winterkälte so teils sogar traditionelle Konzepte von Männlichkeit und 'weisser' kultureller Überlegenheit indirekt in Frage. Gefordert ist folglich eine unvoreingenommene, differenzierte Analyse extremer subkultureller Musik in ihren konkreten Rezeptionszusammenhängen.


Anmerkungen

[1] Gottschalch, Wilfried: Männlichkeit und Gewalt. Eine psychoanalytisch und historisch soziologische Reise in die Abgründe der Männlichkeit, Weinheim 1997; Pohl, Rolf: Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen, Hannover 2004.

[2] Ehrenreich, Barbara: Blutrituale, Ursprung und Geschichte der Lust am Krieg, München 1997: Seifert, Ruth: Militär, Kultur, Identität. Individualisierung, Geschlechterverhältnisse und der soziale Konstruktion des Soldaten, Bremen 1996.

[3] Rattansi, Ali: Ethnizitäten und Rassismen aus 'postmoderner' Sicht. in: Flatz, Christian, Riedmann, Sylvia, Kröll, Michael (Hg.). Rassismus im virtuellen Raum, Hamburg 1998. S. 82-120, hier S. 83

[4] Gerbing, Stefan und Torenz, Rona: Kritische Weissseinsforschung und deutscher Kontext. Über das Verhältnis von Deutschsein, Weisssein nun die Konstruktion des Ariers, Saarbrücken 2007; Seshadri-Crooks, Kalpana: Desiring Whiteness. A Lacanian analysis of race, London 2000.


Autorin
Dunja Brill hat Abschlüsse in Psychologie (Bonn), International Journalism (Edinburgh) und Media & Cultural Studies (European Doctorate, Brighton). Zur Zeit arbeitet sie am DFG-geförderten Projekt Sound-Schlachten - Männlichkeit, Gewalt und 'Whiteness' in extremen subkulturellen Musikszenen. Ihr Buch, 'Goth Culture - Gender, Sexuality, and Style' ist 2008 bei Berg Publishers (Oxford) erschienen.
www.dunjabrill.com


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Quelle:
ROSA:38 - Zeitschrift für Geschlechterforschung
Ausgabe Februar 2009, S. 26-27
Redaktionsanschrift:
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E-Mail: rosa.gender@gmail.com
Internet: www.rosa.uzh.ch

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2009