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HINTERGRUND/159: Die Schönheit liegt im Ohr des Betrachters (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 8 vom 4. Mai 2010

Die Schönheit liegt im Ohr des Betrachters
Forschungen aus dem Institut für Musikinstrumentenbau an der TU Dresden vorgestellt

Von Martin Morgenstern


Ach, Sie hatten vor, sich in nächster Zeit eine Stradivari zuzulegen? Bitte vorher noch einmal diesen Text lesen und eine Menge Geld sparen, empfiehlt Martin Morgenstern


Knapp siebenhundert Violinen des Geigenbauers Antonio Stradivari, so schätzt man, sind heute noch irgendwo auf der Welt erhalten. Gelangen die Instrumente ausnahmsweise einmal zur Versteigerung, erzielen sie garantiert Rekordpreise. Warum? Weil "eine Stradivari" eben einzigartig klingt: süß und scharf irgendwie gleichermaßen; wiedererkennbar, völlig unverwechselbar, herrlich, golden, festlich und - yes - einfach wirklich sexy. Jeder ambitionierte Geigensolist sollte deswegen eine Stradivari sein Eigen nennen; der Walzerpapst André Rieu kaufte sich kurzerhand eine zweite, nachdem die Echtheit des zuvor erworbenen Instruments angezweifelt worden war.

An dieser Stelle kommt Gunter Ziegenhals ins Spiel. Der Mitarbeiter des Instituts für Musikinstrumentenbau an der Technischen Universität Dresden hat unlängst seine Doktorarbeit zur "subjektiven und objektiven Beurteilung von Musikinstrumenten" verteidigt. Er konnte nachweisen, dass die Bauart eines Musikinstruments selbst bei der qualitativen Expertenwertung nur den allerkleinsten Teil ausmacht. Viel wichtiger für die Bewertung sind drei andere Einflussfaktoren: der spielende Musiker, das gespielte Stück - und der Raum, in dem die Probe-Aufnahme entsteht.

Gunter Ziegenhals, der am Institut bereits jahrelang Instrumentenforschung betreibt, war vom Ergebnis seiner auf Fallstudien basierenden Arbeit selbst etwas überrascht. "Mit den erhobenen Daten ist zum ersten Mal zweifelsfrei nachgewiesen, dass bei allen vier von mir untersuchten Instrumentengruppen - Klarinette, Trompete, Gitarre und Geige - die Instrumente selbst den geringsten Einfluss auf die Ausprägung der Merkmale ausüben", berichtet der Forscher. "Die konkrete Verteilung des Einflusses schwankt zwar je nach Instrumententyp; interessant ist, dass bei Gitarren und Trompeten die Musiker den größten Einfluss ausüben. In jedem Falle ist jedoch der Musikereinfluss größer als der der Instrumente!" Dieses Phänomen war zwar immer wieder in Diskussionen angesprochen worden, ein Beweis stand jedoch bislang aus.

Betrachtet man übrigens alle Aufnahmen mit den vier Instrumententypen als Gesamtheit, so weisen die Gitarren mit Abstand die geringste Variation im Klang auf. Aufgrund der Tatsache, dass sich auf dem Gitarrensektor im Gegensatz zum Beispiel zu den Streichinstrumenten in Sachen Entwicklung heute sehr viel tut und Gitarren auch wirtschaftlich ein interessantes Produkt darstellen, wurden in der Vergangenheit Untersuchungen zur Musikalischen Akustik häufig an der Gitarre vorgenommen. Die Brauchbarkeit der Ergebnisse und insbesondere ihre Verallgemeinerung, merkt Gunter Ziegenhals an, sollte anhand seiner Ergebnisse nun wohl noch einmal überdacht werden. Und wenn Sie selbst vorhatten, Ihr mühsam erspartes TVL-Gehalt demnächst in ein namhaftes italienisches Streichinstrument zu investieren? "Vergessen Sie's", lächelt Dr. Ziegenhals. "Kaufen Sie sich lieber ein schönes Einfamilienhaus am Elbhang - und eine gute Geige eines lebenden Geigenbaumeisters.


Institut für Musikinstrumentenbau an der Technischen Universität Dresden, Sitz in Zwota (Vogtland), Forschung und Dienstleistung auf den Gebieten Akustik, Schwingungstechnik, Werkstoffe und Technologie. www.ifm-zwota.de


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 21. Jg., Nr. 8 vom 04.05.2010, S. 5
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2010