Schattenblick →INFOPOOL →MUSIK → REPORT

BERICHT/004: Podiumsdiskussion in Hamburg - "Zeitgenössische Oper heute, wohin?" (SB)


Das leere Gespräch
Oper - eine Kunstform, die ihrem Ende entgegensieht?


Anläßlich des Jubiläums "333 Jahre Oper in Hamburg" und der in diesem Zusammenhang erstmals in Hamburg aufgeführten Oper "Lear" von Aribert Reimann, lud am 23. Januar 2012 eine repräsentative sechsköpfige Opernprominenz in Gestalt einer Regisseurin und eines Regisseurs (Karoline Gruber und Philipp Himmelmann), zweier Komponisten (Aribert Reimann und Oscar Strasnoy) und, als Vertreter der Institution, der leitenden Dramaturgin der Hamburger Staatsoper (Kerstin Schüssler- Bach) und des Operndirektors (Francis Hüsers), der den Abend moderierte, ins Parkett-Foyer zu einer Podiums-Diskussion über die Frage: "Zeitgenössische Oper heute - wohin? Wie müssen neue Opernwerke beschaffen sein, damit sie einerseits innovativ und andererseits auf dem Markt bestehen können? Wie sollen Opernhäuser, Musiker und Regisseure mit diesen Werken umgehen?"

Die repräsentative Opernprominenz, v.l.: Philipp Himmelmann, Karoline Gruber, Aribert Reimann, Oscar Strasnoy, Francis Hüsers und Kerstin Schüssler-Bach - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die repräsentative Opernprominenz, v.l.: Philipp Himmelmann, Karoline Gruber, Aribert Reimann, Oscar Strasnoy, Francis Hüsers und Kerstin Schüssler-Bach
Foto: © 2012 by Schattenblick

Auch wenn das Publikum dem Podium sehr viel näher saß als normalerweise der Opernbühne, entsprach die gefühlte Distanz zu den elitären Diskutierenden mindestens der eines Orchestergrabens. Nicht in erster Linie, weil es sich um eine Diskussion unter Experten und nicht etwa mit Experten handelte, sondern weil die Gesprächspartner sich den ganzen Abend lang wechselweise Fragen und Probleme zuschoben, die einzig als Auslöser teils längerer, teils kürzerer, aber durchgängig unreflektiert, unsortiert und zufällig wirkender, in der unangenehmen Bedeutung des Wortes "persönlicher" Statements dienten über fremde, vor allem aber über eigene Werke und Aufführungen, die für Nichtspezialisten keinerlei Relevanz hatten.

Der Grund für diese an der offiziell angekündigten Fragestellung auf geradezu verblüffende Weise vorbeiplätschernde Scheindiskussion mag die Tatsache sein, daß für fünf der Experten nach ihren eigenen, beinahe wörtlich übereinstimmenden Aussagen von vornherein feststand, daß "solange Menschen leben, sie singen werden und solange sie singen, Opern bestehen werden", und daß folglich eine menschliche Existenz ohne Oper völlig unvorstellbar wäre - es sei denn, der Staat vermasselt's mittels eines politischen oder finanziellen Vetos!

Auch wenn es vermutlich eher als Ausdruck eines Unbehagens über das unterirdische Niveau der Diskussion als über das Publikum zu werten war, trug es dennoch nicht gerade zum Gefühl bei, als potentieller Diskussionspartner willkommen zu sein, daß Philipp Himmelmann sich spätestens ab der Halbzeit resigniert oder verstimmt aus der Scheindebatte ausklinkte und fortan seinen gelangweilten Blick auf einem beliebigen Punkt an der Foyerdecke parkte - obschon man seine Langeweile nachzuvollziehen und bis zu einem gewissen Grad sogar nachzusehen keinerlei Mühe hatte. Dennoch hätte es zur "Befeuerung der Diskussion" sicher mehr beigetragen, wenn er sich auch weiterhin an ihr beteiligt hätte, zumal er der einzige war, für den nicht feststand, daß die Weiterexistenz der Oper in keinster Weise gefährdet ist, und der von jedem Opernkomponisten nicht nur ein dringendes Anliegen für sein Schaffen forderte, sondern auch eine zwingende Notwendigkeit, sich gerade dieser Kunstform zu bedienen, um seinem Anliegen Ausdruck zu verleihen. Daß Himmelmann sogar, wenn auch sehr verhalten, die Idee der Katharsis streifte und daß er auf Liebe und Tod als die beiden großen Geheimnisse schlechthin verwies, ließ wenigstens ahnen, daß das Gespräch sich durchaus auch Bereichen hätte widmen und sich möglicherweise mit Fragen befassen können, die dem Interesse des Publikums sicherlich mehr entgegen gekommen wären.

Daß allerdings das Publikum, das seinem Durchschnittsalter und seinen Zustimmungsbekundungen nach größtenteils aus Opernfreunden und Gesinnungsgenossen der Expertenrunde bestand, offenbar trotz alledem voll auf seine Kosten kam, zeigte sich beispielsweise am lauten fröhlichen Applaus bei Strasnoys Argumentation, er und Reimann lebten doch eigentlich ganz gut als Komponisten zeitgenössischer Opern - "...alles ist relativ, also wir sind nicht so erfolgreich wie Puccini, aber gut, wir leben, es ist nicht so schlecht" - und zeugte nicht gerade von einem frischen und belebenden Wind in der Opernszene.

Aribert Reimann und Oscar Strasnoy in gutem Einvernehmen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Aribert Reimann und Oscar Strasnoy in gutem Einvernehmen
Foto: © 2012 by Schattenblick

Unter den geschätzt rund 80 Anwesenden ließen sich nur bei gezieltem Suchen auch einige junge Erwachsene ausmachen. Nicht anders setzt sich das Gros der Besucher einer Opernvorführung zusammen, ausgenommen bei experimentellen Produktionen wie beispielsweise Mozarts Don Giovanni, der ab September 2011 in einer Inszenierung von Doris Dörrie auf dem Spielplan der Hamburger Staatsoper stand. Mozarts traditionelle Oper, als Event verpackt, war in diesem Fall geradezu zum Tip unter den jungen Leuten geworden, die sonst gewohnt sind, zu ihrer Unterhaltung von den preisgünstigen oder gar kostenfreien Möglichkeiten im neuen Medienzeitalter Gebrauch zu machen.

Aber ganz grundsätzlich kann man sagen, daß, egal ob jung oder alt, lediglich ein vergleichsweise winziger Prozentsatz der Gesellschaft sich Theaterbesuche überhaupt leisten und von dem dort herrschenden elitären Ambiente und der glanzvollen, vom Esprit der Jahrhunderte erfüllten Atmosphäre profitieren kann und will, zum einen weil es heutzutage zeitgemäßer ist, sich von den Dramen des menschlichen Daseins auf der Kinoleinwand, im Fernsehen oder gar über das Internet, auf Handys, Tablets, Pc's und so weiter unterhalten zu lassen, zum anderen aber, weil das öffentliche Kulturleben in zunehmendem Maße für die Mehrheit der Bevölkerung und auch für das Bildungsbürgertum schlicht und ergreifend unerschwinglich geworden ist.

Der Vorschlag einer jungen Frau aus dem Publikum, nach dem Vorbild mancher anderer Länder in Zukunft alle kurz vor Vorstellungsbeginn nicht verkauften Plätze ab einem festgelegten Zeitpunkt zu herabgesetztem Preis - beispielsweise 10 Euro - den wartenden Interessenten zu überlassen, um möglichst jedermann in die Oper zu holen, wies der Operndirektor brüsk zurück. Und zwar mit der Begründung, man könne ja wohl kaum den Besuchern, die solides Geld für ihre Plätze bezahlt hätten, zumuten, neben Leuten zu sitzen mit Billigkarten - er jedenfalls könne so etwas seiner Klientel gegenüber nicht vertreten.

Francis Hüsers und Kerstin Schüssler-Bach im 'Gespräch' mit dem Publikum - Foto: © 2012 by Schattenblick

Francis Hüsers und Kerstin Schüssler-Bach im "Gespräch" mit dem Publikum
Foto: © 2012 by Schattenblick

Das einzige, was den Experten tatsächlich glaubhaft am Herzen lag, war der Fortbestand der Institution Oper als Wirtschaftsfaktor und Garant des persönlichen künstlerischen wie existenziellen Überlebens. Zurückgewonnen werden sollte die Wirkkraft der Bühnen, die in die Gesellschaft reicht, wobei Gesellschaft in der Diskussion jedoch, reduziert auf Publikum und für Subventionen zuständige Instanzen, ausschließlich als Gewährleisterin der "Fördertöpfe" in Erscheinung trat und keineswegs als der Widerpart, gegen den Theater (im umfassendsten Sinne) seit jeher - zeitweilig eben auch innerhalb der Operntradition - zum Streit antrat, um sie zu verändern. Nirgendwo ging es hier um einen Eingriff in die Wirklichkeit, sondern bestenfalls um das Wiederfinden und Spiegeln urmenschlicher Probleme, oder, wie es Strasnoy formulierte, Dinge des "kollektiven Unbewußten", um das Publikum bei der Stange zu halten.

Daß während der ganzen Diskussion die Frage nach dem Kern der Oper, den zu retten ja aus ebenfalls nicht näher definierten Gründen offenbar das lohnende Anliegen mindestens des eben angebrochenen Jahrhunderts sein soll (und nach der Expertenmeinung sein wird), nicht ein einziges Mal auch nur angedacht, geschweige denn zu Ende gedacht wurde, ebenso wenig wie die Frage nach der Aufgabe von Kultur schlechthin, war nicht das einzige, aber sicherlich das verblüffendste Nichtergebnis dieser Sonderveranstaltung.

Um nun zum ursprünglichen Thema der Podiumsdiskussion "Zeitgenössische Oper heute - wohin?" zurückzukehren: Wäre es nicht, wenn man die Diskussion denn schon letztlich auf den wirtschaftlichen Aspekt der Fragestellung fokussiert, eine Möglichkeit, die 84 Opernhäuser Deutschlands auf ein paar wenige zu reduzieren, um stattdessen Orte der Tradition nach Art des längst etablierten Weltkulturerbes zu schaffen? Orte, die Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowohl einen Einblick in eine früher sehr geschätzte und in dieser Form eventuell durchaus erhaltenswerte Musiktheatertradition bieten könnten, als auch eine Gelegenheit, sich mit Kultur, Denkweisen und Bedeutung vergangener Jahrhunderte im allgemeinen und mit dieser Kunstform im besonderen auseinander zu setzen, wobei die zeitgenössische Oper - eben als Oper - hier durchaus auch ihren Platz fände.

Die Hamburger Staatsoper im Abendglamour - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Hamburger Staatsoper im Abendglamour
Foto: © 2012 by Schattenblick

6. Februar 2012