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BERICHT/011: Kulturcafé Komm du - Tüdelband heizt ein (SB)


Vun Schietwedder un annerm Malöör

Die Hamburger Tüdelband am 20. Februar 2013 im Kulturcafé "Komm du"



"Mien Gott, he kann keen plattdütsch mehr und he versteiht uns nich," [1] besang Knut Kiesewetter in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Entwurzelung eines 'Landeis', das zum Studieren in die Stadt zog. Es war sicherlich auch der Versuch einer Ehrenrettung für eine Sprache, die gemeinhin als die der kleinen Leute auf dem flachen Land etwas abschätzig gehandelt wird.

Dabei wird leicht vergessen, daß das Platt oder Niederdeutsche über Jahrhunderte rund um Ost- und Nordsee nicht nur die gültige Schriftsprache war, sondern auch die Sprache von Recht und Gesetz, Handel und Diplomatie, eine Kultursprache mit Weltrang. Erst mit dem Niedergang der Hanse, der Ausbreitung der Reformation und der Erfindung des Buchdrucks wandelte sich der gesamte öffentliche Sprachgebrauch zum Hochdeutschen. Wer danach etwas auf sich hielt, konnte zwar Plattdeutsch, bevorzugte aber das Hochdeutsche. Platt galt fortan als minderwertig, ländlich und bildungsfern und blieb der Kommunikation innerhalb von Familie, Nachbarschaft und Freundeskreis vorbehalten.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Frontfrau Mire von der Hamburger Tüdelband
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Wer sich für das Plattdeutsche interessiert, weiß, daß diese Mundart mehr ist als ein derber "Schnack", daß sie sehr feinsinnig und poetisch sein kann. Die Bedeutung des Begriffes "Plattdeutsch" ist eben nicht einfach mit "Sprache des platten Landes" zu übersetzen. Vielmehr ist "Plattdeutsch" die Sprache, in der man etwas "deutlich, verständlich, frei heraus" sagt. [2] Inhalte lassen sich zudem in unglaublicher Kürze vermitteln, manch scharfes Wort auf sanfte Weise verpacken. Nie fühlt sich beispielsweise jemand so verletzt, wenn er "Döösbaddel" genannt wird, als wenn ihn jemand mit dem hochdeutschen Pendant "Trottel" betitelt. Und auch das "Schiet", etwa in "Schietwedder", kommt längst nicht so hart daher wie seine Entsprechung im Hochdeutschen.

All das dürfte den Reiz dieser und anderer Mundarten und Dialekte ausmachen, deren Niedergang so oft besungen wie ihre Renaissance beschworen wurde. Heute sprechen 60 Prozent der Deutschen (noch oder wieder) einen Dialekt. Das ergab eine Umfrage des Instituts für Deutsche Sprache im Jahr 2009. [3] Deutsche Mundart lebt nicht nur in Vereinen, Volkshochschulkursen und auf regionalen Theaterbühnen, sondern hat auch Eingang gefunden in Rundfunk- und Fernsehformate und in die Pop- und Rockmusik.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Mire und Jacob
Foto: © 2013 by Schattenblick

Erfolgreichstes Beispiel dürfte die Kölschrockband BAP um den Frontmann Wolfgang Niedecken sein. Anfangs konnten sich die Bandmitglieder kaum vorstellen, daß ihre kölschen Texte außerhalb des Rheinlandes verstanden werden würden, wenig später tourten sie nicht nur durch die Schweiz, Österreich, Luxemburg, Belgien und Dänemark, sondern auch in China, Nicaragua und Mosambik.

Eine Band mit bayerischem Dialekt, die mit landestypischen Outfits, Klängen und Texten deutsche Bühnen rockt, ist die Bläsercombo LaBrassBanda, die jüngst beim Wettbewerb um "unseren Song für Malmö" mit ihrem Song "Nackert" den zweiten Platz belegte.

Und in Hamburg feierte das Rapper-Trio Fettes Brot mit ausgeprägten niederdeutschen Elementen Erfolge und bewies, daß man es auch oder gerade mit plattdeutschen Texten in die Charts schafft. [4]

Das Niederdeutsche hilft dem einen oder anderen auch dabei, sich zu profilieren, sich mit einem "Unique Selling Point" zu versehen, kommentiert Jan Graf, plattdeutscher Liedermacher, Verleger und Autor für die NDR-Sendereihe "Hör mal'n beten to", den Trend in einem Interview mit der taz. [5]

Foto: © 2013 by Schattenblick

Tim, Malte und Mire
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die meisten allerdings tun es aus Spaß an der Sache. So auch die Songwriterin und Rock- und Popmusikerin Mire alias Miriam Buthmann: "Ich habe am Anfang meine Texte alle in deutsch geschrieben, und dann angefangen, einen ins Platt zu übersetzen. Und das hat so einen Spaß gemacht, daß ich jetzt nur noch auf Platt singe." Seit drei Jahren tut sie das nicht mehr allein. Mit der Tüdelband - dazu gehören außer Mire (Gesang, Gitarre, Akkordeon und Klavier), die momentan Kirchenmusik im Bereich Jazz, Pop und Rock studiert, auch Malte (Schlagzeug), der den Popkurs an der HfMT und der "Hamburg School of Music" absolviert hat, Tim (Gitarre), Student am Conservatorium van Amsterdam für Jazz-Gitarre, und Jakob (Bass), der ebenfalls in Amsterdam E-Bass studiert - tourt sie durch Deutschland und die Niederlande, 80 Konzerte waren es allein im letzten Jahr. Auf großen Bühnen sind die vier inzwischen ebenso zuhause wie in kleinen Clubs, in Wohnzimmern, auf einer Hallig, in Läden oder auch im Knast. Am 20. Februar spielten sie im jüngst eröffneten Kulturcafé "Komm du" in Harburg. Von der Größe der Bühne waren sie überrascht: "So viel Platz haben wir sonst selten."

Zwei Stunden unterhielten sie das Publikum mit Songs von erstaunlicher musikalischer Bandbreite, viel Rockiges, etwas Blues, ein bißchen Hawaii, leisere, melancholischere Töne in "An dat Enn vun de Nacht" oder "Winnertied", das stimmungsvoll die kalte Jahreszeit beschreibt, in der bisweilen das gemeinsame Schweigen schöner ist als das Reden. Die Texte handeln vom Alltag, von der Sehnsucht, die immer im Gepäck ist, von der Facebook-Mania oder von zwei Kühen in "Op Land", die sich nichts mehr zu sagen haben. Eine fetzige Interpretation des Hans Albers-Klassikers "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins", - den haben wir ordentlich bearbeitet! - ist ebenso dabei wie das eher witzige "Pupur un Gold", das vom Wiedersehen statt vom Abschiednehmen handelt. Es ist Musik zum Mitgehen, Mittanzen und Mitsingen.

Foto: © 2013 by Schattenblick

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Bisweilen ein wenig geradebrecht, oft aber auch sehr sensibel trägt die Band - charmant moderiert von Frontfrau Mire, die gelegentlich auch Übersetzungshilfen gibt - ihre selbst komponierten und getexteten, mit diversen Instrumenten virtuos begleiteten plattdeutschen Lieder vor, denen allen zweierlei anzumerken ist: die Freude am Musizieren und am Plattdeutsch. Diese Begeisterung vermittelten sie auch bei ihrem Auftritt im "Komm du", und das so sehr, daß das Publikum alsbald mitwippte, klatschte und sich von den Animationen der quirligen Sängerin mitreißen ließ.

Da störte es wenig bis gar nicht, daß das Plattdeutsche zumindest im Urteil von mit dieser Sprache vertrauteren Ohren bisweilen ein wenig hinkte und teils sogar unfreiwillig komisch wurde, etwa wenn sich die Sängerin in die "Klüsen" von Uwe "verkiekt" hatte, was vielleicht von manchem mit "Augen" übersetzt wird, tatsächlich aber ursprünglich als "dicke Klüsen", also als müde, geschwollene Augen, etwa nach einer durchzechten oder tränenreichen Nacht, zu verstehen ist. [6] Auch ihre Begeisterung für "de lingelang", das bei "Dat gröne Huus op'n Diek" (steht es tatsächlich auf, oder in Wirklichkeit nicht achtern Diek?) so oft und gern verwendet wurde, ließ den Kenner schmunzeln, reicht doch in diesen Fällen schlicht ein "lang"; "de lingelang" fällt man in der Regel eher mal hin.

Na, mookt nix! All das interessierte bei diesem beschwingten Vortrag im stimmungsvollen Ambiente wenig. Die Tüdelband, die nach wenigen Jahren mittlerweile den Kinderschuhen ent- und in die Profiliga aufgestiegen ist, überzeugte vielleicht nicht durch plattdeutsche Originalität (was sie auch nicht für sich beansprucht), sondern in erster Linie durch musikalische Vielfalt.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Tüdelband: Tim, Malte, Mire und Jacob (v. lks)
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Wer konnte, folgte den Texten, den anderen blieb nichts anderes übrig, als sich vom gelungenen Sound dieser jungen Band, deren Chemie sichtlich stimmte, einfangen zu lassen. Bleibt den vier Musikern zu wünschen, daß sie sich diese unverbrauchte, spaßgetriebene Frische im hart umkämpften Musikbiz noch eine Weile erhalten.

Anmerkungen
[1] Mein Gott, er kann kein Plattdeutsch mehr, und er versteht uns nicht.
[2] http://www.sprachlog.de/tag/etymologie/page/7/
[3] http://www.goethe.de/ges/spa/sui/de6250720.htm
[4] http://www.ndr.de/kultur/norddeutsche_sprache/plattdeutsch/plattdeutsch6.html
[5] http://www.taz.de/!109379/
[6] Der aus der Schiffahrt stammende Begriff beschreibt die "Ankerluke" oder Luftschlitze beim U-Boot.


25. Februar 2013