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INTERVIEW/037: Unbestechliche Gitarre - Könner, Träumer, Virtuose ..., Dieter "bornzero" Bornschlegel im Gespräch (SB)


Instrument, Stimme, Körper

Interview am 18. Juli 2014 im Harburger Kulturcafé Komm du



Dieter Bornschlegel ist ein Ausnahmegitarrist nicht nur aufgrund seines Könnens an der E-Gitarre, das er zuletzt als Mitglied der Band Guru Guru unter Beweis stellte. Den 1954 in Dortmund geborenen und heute in Marburg lebenden Musiker zeichnet das Streben nach einer künstlerischen Unabhängigkeit aus, der er Karrierestreben und Verkaufserfolge nachordnet. Daß er seine überall in der Bundesrepublik stattfindenden Konzerte als Soloperformer bestreitet, ist Ausdruck seines Interesses an persönlicher Weiterentwicklung und dem Erschließen neuer musikalischer Horizonte.

Was bornzero, so der für Abschluß und Neubeginn an der Jahrtausendwende gewählte Name, unter dem Titel "psychedelic freakstyle sologuitar" zum besten gibt, wechselt mühelos zwischen volltönenden Rockriffs, perkussivem Technosound und komplexen Harmoniefolgen. Dieter Bornschlegel scheint mit seiner Akustikgitarre regelrecht zu verwachsen, schlägt er ihre Saiten doch nicht nur auf übliche Weise zu gegriffenen Akkorden an, sondern traktiert sie auch wie einen perkussiven Klangkörper. Dazu positioniert er das Instrument horizontal auf den Oberschenkeln und bedient das Griffbrett fast wie ein Hammerklavier. Ob in dieser ungewöhnlichen Position oder konventionell unter den Arm genommen - bornzero entlockt Corpus und Saiten der Gitarre mit Fingern, Handballen oder einem Schlagzeugbesen Resonanzen, die ihr Klangspektrum auf orchestrale Weise erweitern.

Daß er dazu auch noch singt, Effektgeräte aller Art bedient sowie den Füßen Schellen überstülpt und ihnen das Eigenleben eines Taktgebers verleiht, macht seinen Soloauftritt zu einem abendfüllenden Ereignis. So auch im Kulturcafé Komm du in Hamburg-Harburg, dessen Gäste er an diesem sonnigen Freitag an einer furiosen Demonstration seines körperbetonten Spiels teilhaben ließ. Vor dem Auftritt beantwortete Dieter Bornschlegel dem Schattenblick einige Fragen zu seiner Laufbahn als Gitarrist und seinem künstlerischen Selbstverständnis.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Dieter "bornzero" Bornschlegel
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Dieter, gestern ist Johnny Winter gestorben. Konntest du ihm als Jugendlicher etwas abgewinnen?

Dieter Bornschlegel: Ja, der war schon echt eine Nummer. So wie er wollte ich auch spielen können.

SB: Was hat dich in den 60er Jahren zur Musik geführt?

DB: In ganz jungen Jahren habe ich zu Hause zufällig eine ungestimmte Gitarre entdeckt, habe darauf rumgeklimpert und nette kleine Melodien erfunden. Als mir dann jemand mal die Gitarre gestimmt hat, ist meine Welt zerbrochen, weil alles weg war, was ich mir da an kleinen Melodien zusammengebastelt hatte. Weil ihm das so leid tat, hat er mir die ersten zwei Akkorde gezeigt.

SB: Ende der 60er Jahre herrschte eine Aufbruchsatmosphäre, es lag viel Neues in der Luft. Hat dich das beeinflußt und inspiriert?

DB: Da kam man ja nicht drumherum, ich war ja da mittendrin in diesem Geschehen. Davor allerdings hatte ich beiläufig die Musik meiner Eltern mitgehört, diese Peter-Alexander-Geschichten. Die Melodien waren okay, letztendlich sind die immer noch drin. Dann kam die ganze Beat-Geschichte. Ich begann, die Musik der 60er nachzuspielen. Als ich zwölf war, bildete ich zusammen mit meinem Bruder eine Coverband. Ich habe Small Faces nachgespielt, aber das war die Grenze meiner Möglichkeiten. Das beschränkte sich auf die gängigen Akkorde. Dann kam die Zeit mit Jimi Hendrix, den ich natürlich auch nachzuspielen versucht habe. Nachts bin ich oft aufgeblieben und habe AFN und BBC gehört, um herauszufinden, wie Hendrix das machte. Ich bin dann mit einer Freundin in die Nähe von Winsen gezogen und so nach Hamburg gekommen. Michael Naura hatte damals Chick Corea live im Onkel Pö vorgestellt. Was dessen Gitarrist Bill Connors gespielt hat, war schon gigantisch und hat mir sehr imponiert.

SB: Wie kam es zustande, daß du bei Atlantis eingestiegen bist. Hat dich jemand empfohlen?

DB: Genau, mich empfahl der damalige Gitarrist von Epitaph, Klaus Walz. Dann habe ich mir ein Konzert von Atlantis im Museum in Dortmund angesehen. Ich habe aber keinen Kontakt aufgenommen, weil ich dachte, daß sie niemanden brauchen. Nach einem Monat hat mir Klaus gesagt, hör mal, die suchen immer noch. Und dann bin ich nach Hamburg gefahren, um mich vorzustellen.

SB: Die Musik von Atlantis war ja für deutsche Verhältnisse ziemlich professionell.

DB: Sehr englische oder amerikanische Musik, songstrukturmäßig durchkomponiert. Aber ich war noch nicht so weit wie der Gitarrist Rainer Baumann und später Frank Diez, die waren mir einfach voraus.

bornzero mit horizontaler Gitarre - Foto: © 2014 by Schattenblick

Auf der Bühne des Kulturcafés Komm Du
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: In einem Interview hast du einmal gesagt, daß du mit deinem Beitrag zum zweiten Album von Atlantis nicht so zufrieden warst. Was war das Problem?

DB: Die hatten im Studio merkwürdige Vorstellungen. Auch heute mag ich es nicht, wenn jemand anfängt, am Ton zu frickeln und sagt, nun klingt es doch besser. Plötzlich ist man in einer ganz anderen Welt. Dann sagt einem jemand, so geht das aber nicht, spiele das nicht eins zu eins, dann klingt es gut. Wer hat da recht?

Zwischendurch hatten wir in England zwei Live-Gigs. Die Aufnahmetechniker der BBC hatten nur ein kleines Mischpult mit vier Mikrofonen. Dennoch war der Sound wesentlich besser als in diesem Studio, wo damals jeder, der Rang und Namen hatte, aufnahm. Ich war damals zu jung und konnte auch kein Englisch. Manchmal gastierten wir einen Monat in anderen Ländern, und dort ging ich sogar in deutsche Restaurants, weil ich dann "Wiener Schnitzel" sagen konnte. Einmal sagte Inga Rumpf zu mir, Jeff Beck macht so einen kleinen Triller, mach das doch auch mal, an der Stelle wäre das doch gut. Das habe ich nicht geschafft, und am Ende hat sie das dann eingespielt, ich war da einfach überfordert. Ich hatte im Gegensatz zu den anderen Gitarristen keinen Unterricht gehabt. Von denen hatte jeder einen Lehrer.

SB: Würdest du dich heute noch als Autodidakten bezeichnen?

DB: Ja, auf jeden Fall. Ich richte mich schon lange nicht mehr danach, was andere machen. Früher hatte ich noch bei anderen hingeguckt und mir gewünscht, auch so spielen zu können. Ein Schlossermeister guckt auch nicht mehr, was der andere macht. Der macht sein Ding und fertig.

Bildausschnitt zur Arbeit an der horizontalen Gitarre - Foto: © 2014 by Schattenblick

Zehn Finger und ein Griffbrett
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Hast du in der Zeit zwischen Atlantis und Guru Guru noch in anderen Gruppen gespielt?

DB: Ja, aber es war nichts Dolles. Das Ausscheiden aus Atlantis war eine richtige Trennung, da mußte ich alles völlig neu ordnen. Es war ja ein echter Entwicklungssprung gewesen, überhaupt zu Atlantis zu kommen. Die hatten die Band damals echt gehypt, da wollten sie wirklich etwas Großes draus machen. Das hat dann irgendwie nicht funktioniert. Aber ich merkte, das war die einzige Band mit einem funktionierenden Management, wo alles wirklich reibungslos lief. Und ich glaube, wir hatten die höchste Gage und die größte Anlage. Doch Atlantis kam für mich wahrscheinlich zu früh. Eigentlich hätte ich vorher noch ein, zwei Jahre in einer anderen Gruppe spielen müssen, vor allem fehlte mir die Erfahrung der Liveauftritte. Mit Atlantis war das eine richtige Popstargeschichte mit Groupies und Bravo. Danach war erst einmal nichts.

Da gab es noch die Geschichte mit der Band aus Kiel, das war eine richtige Tanzmusikgruppe. Wir spielten mit Atlantis hier in Hamburg in der Fabrik, wir waren zwei Tage hintereinander ausverkauft, das war ein tolles Heimspiel. Nach einem dieser Konzerte lud mich diese Kieler Combo zum Bier ein. Das war sehr vergnüglich, und weil wir uns so gut verstanden, schlugen sie mir vor, bei ihnen einzusteigen. Ein VierteljJahr nach Atlantis bin ich dazugestoßen und habe ein Jahr in Kiel gewohnt. Die Jungs waren echt geil, das fand ich im Gegensatz zu den Combos davor sehr erfrischend, irgendwie menschlich.

Musikalisch war es aber Tanzmusik, und auf dem Niveau verharrt man. Wir haben manchmal auf irgendwelchen Empfängen gespielt, und dort kommt die Bedienung zu dir und sagt: Macht die Musik leiser oder spielt mal das und jenes. Da war ich ein Niemand. Das war das Gegenteil, was ich mir von Musik und Freiheit vorgestellt hatte. Es war einfach eine Notlösung. Ich hatte einen Ausweg gesucht. Und außer den Kielern war keiner gekommen, der sagte, Dieter, auf dich haben wir gewartet.

bornzero mit konventionell gehaltener Gitarre - Foto: © 2014 by Schattenblick

Auch Rockriffs gehören zum Programm
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Wie bist du dann Mitglied von Guru Guru geworden?

DB: Ich hatte in einer Jazzrockgruppe in Ulm gespielt, deren Bassist schon ein Jahr davor bei den Gurus eingestiegen war. Als sie einen Gitarristen suchten, ist er auf mich gekommen. Guru Guru war eine ausgesprochene Liveband. Wir hatten schon mit Atlantis viel mit den Gurus auf Festivals gespielt. Das war überhaupt nicht mein Ding, da hatten sich bei mir echt die Fingernägel gekräuselt. Aber ich muß schon sagen, wenn man selbst auf der Bühne steht und mitspielt und da wirklich seine völlige Freiheit hat, außer ein paar Sachen, die Mani gerne wollte, ist es schon toll. Dann ist es etwas anderes. Aber heute würde ich mir kein Konzert mehr von ihnen anhören.

SB: In den Liveaufnahmen, die Guru Guru 1978 als Album veröffentlichte, warst du mit deinem dynamischen und vom Jazzrock beeinflußten Spiel sehr präsent. Wie würdest du den Stand der musikalischen Entwicklung dieser Formation beurteilen?

DB: Man konnte von allen was lernen. Der Bassist hatte es drauf, der Saxophonist hatte es drauf, bei Mani kann man sich streiten. Da hätte man sich manchmal gerne gewünscht, daß es einmal richtig abgeht, aber der hatte seine zwei, drei Dinger drauf und mehr auch nicht. Das ist okay, ich meine, das ist auch eine Leistung, wie er sich da seine Welt zusammengebastelt hatte. Da wäre einiges mehr drin gewesen, und ich habe auch versucht, seinen musikalischen Horizont zu erweitern.

SB: Zu der Zeit hattet ihr einen Auftritt im Knast Hamburg-Fuhlsbüttel. Wie war es damals in Santa Fu?

DB: Das fand ich schon ziemlich cool, einfach weil das alles gestandene Männer sind. Und wenn die anfangen zu klatschen und Radau zu machen, und das haben die bei unserem Auftritt getan, dann ist Power dahinter. Ich habe mir damals extra, weil ich mir dachte, in der ersten Reihe sitzen die Schwulen, ein ganz kurzes Höschen angezogen. Und dann hatten wir noch eine Stripteasetänzerin dabei, die hat der Mani spendiert, damit sie ein bißchen auf ihre Kosten kommen. Es war eine wirklich nette Begegnung mit sehr guter Stimmung.

SB: Wie ging es nach Guru Guru weiter mit deiner Laufbahn?

DB: Ich hatte so eine Combo in Marburg, wo ich zwischenzeitlich hingezogen war, das war meine erste eigene Band. Da fing ich an, mich selbst zu finden, zu entwickeln und richtig zu komponieren. Das hatte ich zwar schon immer gemacht, aber in Marburg fokussierte sich das. Ich konnte die Ideen, die mir vor Augen standen, dort weiterverfolgen. Die Kollegen, mit denen ich zusammen gespielt habe, haben mich darin bestärkt und mein Material übernommen. Ich habe für die ganze Band komponiert, habe auch angefangen zu singen, was ein entscheidender Schritt war, weil die Songs zum großen Teil darauf aufbauten.

SB: Du warst in den 90er Jahren noch einmal Gitarrist bei Guru Guru. Was bedeutet dir die Zeit bei dieser Gruppe rückblickend?

DB: Mit Guru Guru konnte ich mich entwickeln, ich konnte endlich Gitarre spielen. Davor waren Liveauftritte für mich immer mit Ängsten besetzt. Endlich erlebte ich Livegigs als befreiend, und dann auch mal in Japan zu spielen und zu wissen, gestern stand Joe Satriani an dieser Stelle, das hat schon Spaß gemacht. Guru Guru ist in Amerika und in Japan so bekannt wie hier und verkauft dort ebenso viele Platten. Die Japaner stehen auf Deutschrock, und Mani hat man dort im Wachsfigurenkabinett verewigt.

SB: Weshalb trennten sich eure Wege dann zum zweiten Mal?

DB: Es war Neid. In Japan habe ich meine Bandkollegen an die Wand gespielt, und das mochten sie nicht und wollten nicht mehr mit jemandem, der sie in den Schatten stellt, auf die Bühne gehen müssen. Es war eine ganz profane Geschichte, wobei sie einfach einen anderen Grund gesucht haben, weil Neid sich schlecht in Worte fassen läßt.

1996 hat ein Kamerateam ein tolles Guru-Guru-Konzert in Gießen gefilmt. Das waren die letzten Monate, in denen ich E-Gitarre spielte. Seither spielte ich fast nur noch Akustikgitarre. Vielleicht werde ich die gesamte Aufnahme, von der es schon drei Ausschnitte bei You Tube gibt, einmal als kleines Andenken an die Zeit, in der ich noch E-Gitarren gespielt habe, veröffentlichen.

SB: Wie kam es zu dieser Zäsur?

DB: Ich war enttäuscht von diesen ganzen Bandintrigen und hatte das Bedürfnis, etwas alleine auf die Beine zu stellen. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, irgendwo in einer anderen Gruppe zu spielen. Und heute möchte ich einfach keine Songs von jemand anderem spielen. Das kommt mir nicht in die Tüte.

Bornzero trommelt auf der vertikal gehaltenen Gitarre - Foto: © 2014 by Schattenblick

Resonanzraum Gitarrenkorpus
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Mit dem Gothic-Projekt "Dein Schatten" hast du dann ganz andere Musik gemacht. Wie bist du darauf gekommen?

DB: Ich lernte einen Menschen aus der Gothic-Szene kennen, der mich dazu anregte, ein Stück in diesem Stil zu produzieren. Ich kannte diesen Musikstil gar nicht, aber irgendwie habe ich im Verlauf mehrerer Wochen an einer Idee gearbeitet, bei der am Ende ein Song herauskam. Der Gothic-Fan, dem ich das Stück schickte, lud seine ganzen Freunde ein, und die waren begeistert. Ich sollte unbedingt weitermachen mit dieser Geschichte, doch das entscheidende war, daß er sich anbot, alles zu managen. Endlich war da jemand, der irgendwo anruft und sagt: "Ich hätte da jemanden für Sie". Er hat die Songs auch kritisch kommentiert und verfügte über ein musikalisches Konzept. Als ich vorschlug, ein Gitarrensolo mit hineinzunehmen, wandte er entsetzt ein: "Um Gotteswillen, keine Gitarrensolos, nein, das geht gar nicht!" Aber ich wollte mich auf diese Weise von anderen unterscheiden können.

Es hat ein paar Monate gedauert, da standen wir schon mit Bertelsmann vor einem Vertragsabschluß. Eine halbe Million Mark hätte die Produktion gekostet, ich sollte 50.000 Vorschuß erhalten, alles war schon klargemacht. Ich fuhr nach Hause, holte Computer und Software und schickte denen die Rechnung. Doch dann hieß es, ich hätte noch ein bißchen warten sollen. Das Label wäre noch ein halbes Jahr mit etwas anderem beschäftigt. Doch ein halbes Jahr wollte ich nicht warten, und die folgende Auseinandersetzung führte dazu, daß der Deal platzte.

Aber das Projekt Dein Schatten, das zwei CDs hervorgebracht hat, ist im Netz größer als Guru Guru und Atlantis. Das hat seinen eigenen Weg gemacht. Als es von dem Label nicht produziert wurde, die Songs aber schon fertiggestellt waren, habe ich die CDs einfach gebrannt und zu irgendeinem Klub oder Radiosender geschickt. Von Labels und dem ganzen Geschäft habe ich die Schnauze voll. Ich will live spielen, und die Leute können das mitschneiden. Vielleicht bringe ich mal eine Live-DVD raus, aber Aufnahmen mache ich nur für mich, oder ich stelle sie bei You Tube als Skizze ein, um nicht zu vergessen, daß ich einen neuen Song habe. Nein, das Musikgeschäft ist vergeudete Zeit, das bremst, das hat mich immer nur gebremst.

SB: Dir geht es also in erster Linie um deine persönliche musikalische Entwicklung?

DB: Das ist das einzige, was mich interessiert, ich will nicht eingeschränkt werden, ich will keine Songs aufnehmen, die ich vor einem halben Jahr gemacht, sondern die, die ich vor zwei Wochen gemacht habe, das ist das Ende der Fahnenstange. Mir gefällt, was ich jetzt mache. Mich kennt keiner, und das Reisen und neue Leute und Städte kennenzulernen, macht Spaß. Zudem werden meine Gagen allmählich höher. Und wenn ich eine Anlage mit bestimmten Qualitäten will, wird die gestellt. Ich habe mit allem abgeschlossen, spiele jetzt Akustikgitarre und trete alleine auf.

bornzero an der horizontalen Gitarre - Foto: © 2014 by Schattenblick

Taktiles Feingefühl produziert spacige Rhythmen
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Du hast im Vorfeld des Irakkriegs ein politisches Projekt mit Musikern im Protest gegen Kriegspropaganda initiiert. Wie bist du darauf gekommen?

DB: Man hörte die ganzen Reden und wußte schon nach dem ersten Satz, daß kein Weg mehr am Krieg vorbeiführt und etwas passieren muß. Beim ersten und zweiten Golfkrieg konnte ich dieses feige Bombenschmeißen, bei dem die Menschen am Boden verrecken, schon nicht ertragen. Ich war früher gar nicht so politisch interessiert, aber ich bin es geworden. Meine Idee war, warum nicht ganz viele bekannte Musiker zusammenbringen und eine Endlostournee im Irak machen. Wenn Weltstars aus aller Welt im Irak gastieren, werden sie dann noch Bomben schmeißen, können sie sich das erlauben? Schaffen es unsere Medien noch, alle, die sich an diesem Protest beteiligen, für die Klapse zu empfehlen? Ich habe eine ganze Menge Bands für das Projekt gewinnen können, aber dann funkte die Politik dazwischen, und ich habe erfahren, wie link so etwas werden kann. Ich hielt es zunächst für eine gute Idee, das über Attac laufen zu lassen, doch das war ganz und gar nicht so. Mittlerweile ist mir klar, daß Attac nichts anderes als ein Auffangbecken ist, um die kritische Masse zu absorbieren und davon fernzuhalten, auf die Straße zu gehen, und stattdessen irgendwelche Kurse anzubieten.

Indem sie bestimmt haben, daß keine Lieder von Punkbands wie "Yankees raus" auf die CD dürfen, haben sie die Aktion ausgebremst. Es kam zu Diskussionen. Man glaubt es nicht, die wollten erst einmal nicht alles auf eine CD machen, sondern auf zwei. Dann haben sie KulturAttac gegründet, damit man das Projekt nicht mehr mit Attac, sondern nur KulturAttac in Verbindung bringt. Dann kam der Antisemitismusvorwurf, darauf läuft es ja immer hinaus. Ich saß nur noch da und habe gesagt, wenn wir noch ein bißchen warten, dann fängt der Krieg an, dann ist es zu spät. Wenn Krieg ist, können wir da nicht mehr spielen, dann ist alles vorbei. So ist es dann passiert, erst ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn wurde die CD herausgebracht. Was sollte ich jetzt damit tun? Ich gab Interviews im Radio, doch ich bin kein Rhetoriker. Ich wollte etwas machen und hatte keine Worte dafür.

bornzero im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Streitbar gegen den Krieg
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Meinst du, daß sich die Musikerszene generell ein bißchen mehr mit ihrer Prominenz für politische Fragen einsetzen könnte?

DB: Das passierte ja auch. Das lief zeitgleich mit dem Projekt Dein Schatten, das im Jahr 2000 begann, deswegen der Name bornzero, geboren null. Und 2001 fingen schon die Kriegsvorbereitungen an. Auf der ersten CD "Das ewige Eis" hatte ich schon ein Antikriegslied. Konstantin Wecker ist ja auch jemand, der sich engagiert. Als ich ihn dafür kritisiert habe, daß er mit den Montagsdemos nichts zu tun haben wollte, ist das bei ihm und seinem Umfeld nicht gut angekommen. Alle seine Erzählungen, die ganzen Friedensinitiativen haben noch keinen einzigen Krieg verhindert. Sie fahren erst in den Irak, wenn alles kaputt ist. Wenn, dann muß man vorher etwas tun. Man weiß doch, die machen Krieg, wollen ihn und bereiten ihn vor. Dann müssen wir ebenfalls schon vor dem Krieg mit den Vorbereitungen beginnen und planen, was wir machen können. Man muß planen wie die andere Seite. Einen Schritt weiter als die zu sein, das ist möglich.

Ich habe mich da letztendlich an dieser ganzen Geschichte sehr zerrieben. Meine Beziehung ist daran zerbrochen, weil das für mich nicht auszuhalten war, ich habe diese Ungerechtigkeit gespürt, diesen Schmerz. Weil es letztendlich auch mich, weil es uns alle betrifft, weil ich weiß, wenn die das dort machen können, haben die keine Skrupel, das auch hier zu machen. Warum? Zehn Millionen Menschen sind damals gegen den Irakkrieg auf die Straße gegangen, in Madrid, in London, in Berlin und so weiter - und es ist nichts passiert! Zehn Millionen Menschen haben gesagt: Wir wollen den Krieg nicht, ihr macht einen Fehler. Und der Fehler ist für alle ersichtlich geschehen, dort findet ein Krieg nach dem anderen statt. Unsere Medien sind der Apparat, der die Kriegsmaschinerie unterstützt, nicht nur, weil sie dafür bezahlt werden, sie sind Teil des Apparates, der das macht.

SB: Du präsentierst deine Musik unter dem Titel psychedelic freestyle guitar. Wieso verwendest du den Begriff "psychedelisch" für dein Gitarrenspiel?

DB: Ich glaube, ich bin ein Spätzünder, was das betrifft. Ich weiß gar nichts über die mit diesem Begriff assoziierten Gruppen. Als ich sie früher auf Festivals hörte, mochte ich deren Musik nicht. Aber ich glaube, jetzt verarbeite ich das. Ich brauche da einfach ein bißchen länger. Wenn ich nun so spiele, kommen Leute zu mir und sagen, das ist ja Agitation Free, das klingt ja wie dies und jenes. Heute habe ich noch Effekte dabei, das ist dann manchmal psychedelisch. Aber ich kann mich auch mit der Akustikgitarre in den Park setzen und Techno spielen. Und die Leute denken, das geht doch gar nicht, was er da macht. Es macht Spaß, ich habe meinen Weg gefunden. Ich habe jetzt etwas, woran ich glaube und womit ich mich als Gitarrist wohlfühle.

Es war nicht die Offenbarung, es war im Kämmerchen sitzen und klimpern und noch einen drauf, bis zum Gehtnichtmehr. Wenn ich wie Joe Satriani spielen wollte, hätte ich mich fragen müssen, ob ich jetzt schneller als er spiele. Etwas anderes wäre für mich nicht in Frage gekommen. Ich hätte immer eine halbe Stunde mehr üben müssen als er. Das ist das Geheimnis. Das ist die Arbeit, der Schweiß, die Mühe, sich immer wieder aufzuraffen. Ich muß fünf Stunden am Tag üben, sonst kann ich das, was ich hier mache, gar nicht halten. Und ich will ja immer etwas Neues, sonst langweile ich mich.

SB: Woraus schöpfst du deine Ideen?

DB: Ich habe keine Platten zu Hause, ich höre mir auch nichts an. Fremde Musik sagt mir mittlerweile gar nichts mehr - oder sie berührt mich zu sehr, als daß ich sie an mich ranlassen will. Früher habe ich es nicht verstanden, was Musik, deren Kraft einen mitnehmen kann wie sonst kaum etwas, eigentlich ist. Du hast ganz am Anfang die Frage gestellt, warum ich mit der Musik anfing. Vielleicht ist es das. Jetzt habe ich die Möglichkeit, das zu spielen, was ich gerade brauche.

SB: Dieter, vielen Dank für das lange Gespräch.

Gitarrenkorpus, Griffbrett, Effektgeräte - Fotos: © 2014 by Schattenblick.

Gitarrenkorpus, Griffbrett, Effektgeräte - Fotos: © 2014 by Schattenblick Gitarrenkorpus, Griffbrett, Effektgeräte - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Fotos: © 2014 by Schattenblick


Anmerkung:


Dieter Bornschlegels Webauftritt mit Hörprobe unter:
http://born.jimdo.com/


7. August 2014