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INTERVIEW/055: Hip-Hop Straßenklassenfest - in der Sprache der Leute ...    Derbst im Gespräch (SB)


... und im Sound der Straße

Klassenfest gegen Staat und Kapital am 30. April 2016 in Hamburg


Auf dem Hamburger Klassenfest war der Rapper Derbst in seinem Element, steht doch die streitbare Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen und ihre Überwindung zur Aufhebung aller Klassengegensätze im Mittelpunkt seines persönlichen wie künstlerischen Anliegens. Ob solo oder zusammen mit S. Castro - die politische Position ist klar und entschieden, und das a capella für die im nordsyrischen Rojava im Kampf gegen den IS gefallene Internationalistin Ivana Hoffmann zeigt, daß Hip-Hop ohne große Mittel Menschen bewegen kann, wenn nur die Botschaft stimmt. Nach seinem Auftritt beantwortete Derbst dem Schattenblick einige Fragen.


Auf der Bühne des Klassenfestes - Foto: © 2016 by Schattenblick

Derbst
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Derbst, wie lange machst du schon politischen Rap?

Derbst: Ich habe damit 2009, kurz vor meinem 16. Geburtstag angefangen. Zwei Jahre später machte ich Tracks, bei denen ich noch Ernst Busch gesampelt habe und sehr plakativ war. Als ich dann bei Ruhrpott Illegal, einem Label aus Gladbeck, unter Vertrag war, gab es eine Phase, in der ich so ein bißchen aus den Augen verloren habe, warum ich das mache, weil ich mit Leuten unterwegs war, die es mir nicht anders vorgegeben haben. In diesen Kreisen hat man sehr viel Wert auf Geld gelegt. Leider habe ich das erst mitbekommen, nachdem ich den Vertrag schon unterschrieben hatte. Dann gab es verschiedene Komplikationen und komplette Besetzungswechsel in dem Label, wo ich es nur noch mit Leuten zu tun hatte, die zu politischen Themen anders standen als ich. Da mußte ich erst einmal rauskommen. Jetzt bin ich mit neuem Namen und neuen Projekten so weit, daß ich wieder zum Ursprung zurückkomme und eigentlich das mache, was ich immer schon machen wollte, nämlich politischen Rap sowohl für die Straße als auch für jedermann. Es soll etwas sein, mit dem sich die Leute einfach als Hip-Hop-Kultur identifizieren können und kein reines conscious-political Antifa-Ding drin sehen. Ich will, daß sich auch Leute meine Lieder anhören können, die sich selber noch nicht so tief mit solchen Themen auseinandergesetzt haben.

SB: In deinen Stücken reflektierst du auch subjektive Eindrücke und Erlebnisse. Orientierst du dich dabei in deiner Sprache an lyrischen bzw. literarischen Vorbildern, zumal du früher Ernst-Busch-Lieder gecovert hast?

Derbst: Mittlerweile nehme ich mir eher ein Beispiel an Leuten, die einfach Rap machen in Deutschland, wie zum Beispiel Celo & Abdi und Haftbefehl aus dem Azzlack oder von politischen Rappern. Bei der Sprache ist es mir wichtig, nicht zu Traditionen zurückzukehren, in denen jedes zweite Wort Proletariat oder Hammer und Sichel lautet. Vielmehr versuche ich vom Vokabular her möglichst direkt und so zu sprechen, wie es die Leute tun, die die heutigen Verhältnisse unmittelbar zu spüren bekommen. Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, der im Hafen arbeitet, wird er mir mit Sicherheit nichts von politischer Ökonomie erzählen, sondern davon, wie es ist, jeden Tag gefickt zu werden. So etwas würden Leute, die sich politisch korrekt ausdrücken, niemals sagen, obwohl es inzwischen eine ganz normale Formulierung ist. Das ist nur ein Beispiel dafür, daß ich versuche, die heutige Sprache miteinzubeziehen und nicht in alten Traditionen steckenzubleiben.

SB: Allerdings hast du beim Auftritt mit S. Castro auch klare klassenkämpferische Parolen benutzt.

Derbst: Ja, das sind die Songs, bei denen ich weiß, daß sie von Genossen gehört werden, die schon länger dabei sind und sich darin einfach wiederfinden.

SB: Meinst du, daß es heute unter Jugendlichen tatsächlich so etwas wie eine Abneigung gegen linke Rhetorik gibt, obwohl damit auch Inhalte verknüpft sind? Die Frage der Klasse beispielsweise geht ja auf eine gesellschaftliche Widerspruchslage zurück.

Derbst: Das Traurige dabei ist, daß einerseits gepredigt wird, daß imperialistische Kriege gut für die Menschheit sind, während andererseits jede Form von kämpferischer Rhetorik im Politischen abgelehnt wird. Ich kann mich noch erinnern, daß mein Geschichtslehrer einmal erzählt hat, daß man die KPD insofern mit der NSDAP vergleichen könne, als beide Fackelzüge hatten. Diese Sicht hängt sicherlich mit unserer Bildung in diesem System zusammen. Man macht an absolut leeren und oberflächlichen Merkmalen fest, daß alles, was mit Hammer und Sichel in Verbindung steht, schlecht ist. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, im Spiegel gelesen zu haben, daß der Hitler-Stalin-Pakt auch aus einer anderen Perspektive betrachtet werden kann. Dann ist es auch nicht überraschend, daß viele Jugendliche zwar sagen, ich habe Bock auf Befreiung, aber mit den roten Fahnen will ich nichts zu tun haben, weil ich schon in der Schule gelernt habe, daß das nicht gut ist. Das zeigt, daß sich die Leute nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben.


Derbst mit Pyrotechnik - Foto: © 2016 by Schattenblick

A Capella für eine in Rojava gefallene Genossin
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Versuchst du, in deinen Texten auch ein Bewußtsein zu schaffen für Widersprüche oder Leute für den Internationalismus zu interessieren?

Derbst: Ja, ich versuche auf jeden Fall, hier und da Inhalte klarzumachen, aber die Frage ist doch, auf welche Weise sich Zusammenhänge so konkret wie möglich beleuchten lassen. Wenn ich etwa zu einem Arbeiter sage, dein Kollege, der mit dir zusammen am Fließband steht, ob es jetzt ein Türke, Deutscher oder Pole ist, hat mit dir weit mehr zu tun als dein deutscher Chef, dann ist das für ihn sofort verständlich. Daher versuche ich, Klassenverhältnisse an nachvollziehbaren Beispielen zu erklären. Daß ihnen ihr Chef den Mehrwert ihrer Arbeit wegnimmt, muß in die Sprache der Leute übersetzt werden, indem man ihnen zum Beispiel sagt, die Materialien, aus denen du das und das zusammenbaust, kosten nur wenig, ist es nicht seltsam, daß das fertige Produkt dann so teuer ist und du so wenig daran verdienst. Diese Vermittlungsarbeit muß man leisten.

SB: Auf welche Weise bist du politisiert worden?

Derbst: An einem bestimmten Punkt in meinem Leben bin ich bei meinen Eltern Hals über Kopf ausgezogen und habe alles hinter mir gelassen. Ich mußte auf einmal alleine klarkommen. Das hat mir weit mehr gebracht als all die Jahre, in denen ich bei meinen Eltern behütet lebte und irgendwie Theorie gelesen habe. Ich wußte von den Begriffen her, wer der Feind und was schlecht ist an den Arbeitsverhältnissen, aber ohne Vollzeit gearbeitet zu haben, hätte ich das nicht aus einem praktischen Anspruch heraus für mich erkennen können. Deswegen versuche ich in meinen Texten auch rüberzubringen, welche Dinge ich erfahren und nicht nur gelesen habe.

SB: Du wurdest in Ostdeutschland geboren. Hast du noch eine Art von DDR-Sozialisation erfahren?

Derbst: Das ist bei mir ein zweischneidiges Schwert. Väterlicherseits waren alle Parteimitglieder, die absolut hinter der DDR standen und noch heute der Ansicht sind, daß der sozialistische Staat unter Umständen nicht kaputt gegangen wäre, wenn es Honecker nicht gegeben hätte. Wie auch immer, auf jeden Fall spielt der Anti-Stalinismus mit hinein in die Generation vor dem Mauerfall, was sich auch daran zeigt, daß am Ende die Basis weggebrochen ist. Egal, wie teilweise argumentiert wird, die grundsätzlichen Widersprüche lassen sich nicht verleugnen, auch wenn man darauf beharrt, daß alles, wie es gewesen ist, gut war. Ich persönlich habe weder eine Pro- noch eine Contra-Einstellung zur DDR. Dennoch glaube ich definitiv, daß daraus etwas Gutes hätte werden können. Meine Mutterlinie hingegen hat schon vor der Wende Westfernsehen geguckt und sich danach über den Zusammenbruch der DDR gefreut. Kurioserweise hatte ich noch Jahre nach der Wende eine Jugendweihe.

SB: Du lebst jetzt in Hamburg. Hast du davor in Ostdeutschland gewohnt?

Derbst: Ich lebe schon lange im Westen. Wir wohnten in der Nähe von Jena, sind aber, als ich acht Jahre alt war, ins Ruhrgebiet gezogen.

SB: Dann hast du die Aufmärsche der Nazis nach der Wende nicht mehr direkt miterlebt.

Derbst: Davon habe ich nur aus Gesprächen mit meinen Großeltern erfahren, die teilweise noch heute politisch unterwegs sind. Einige Familienangehörige versuchen selbst jetzt noch im hohen Alter, über eine Mitgliedschaft in der Linken etwas zu verändern. Sie haben mir auf jeden Fall berichtet, was in Freital und Heidenau bzw. Plauen, das nicht so weit weg ist von Jena, alles abgegangen ist. Ein Erlebnis hatte ich jedoch. Als ich nach Jahren wieder das erste Mal zu Besuch bei meiner Familie war, hörte ich - wir saßen gerade am Küchentisch - vom Fenster her Jugendliche auf der Straße gröhlen. Ich fragte, was das ist. Nazis, sagten sie. Mein Onkel wäre mit mir rausgegangen, wenn es irgend etwas gebracht hätte. Aber es waren zu viele, da konnte man nichts machen.

SB: Wie würdest du die aktuelle deutschsprachige Hip-Hop-Szene bewerten, etwa auch mit Blick auf die Antilopengang, um die es zeitweilig etwas Streit gegeben hat?

Derbst: Mit der Antilopengang habe ich mich nicht im besonderen auseinandergesetzt. Ich kenne einige Songs von ihnen, die mir aber musikalisch nicht zusagen. Aber insgesamt denke ich, daß in letzter Zeit durchaus Bewußtsein ins Deutschrap-Lager gekommen ist. Während nach 2000 vor allem Savas vorherrschte, der in seinen Texten rein auf den Battle-Rap setzte, hat in den letzten sechs oder sieben Jahren vermehrt der Azzlack-Rap Einzug gehalten in der Szene. Dieser echte Straßen-Rap kommt von Leuten, die in Ansätzen zeigen, daß sie bestimmte Logiken in diesem System verstanden haben. Zum Azzlack-Rap zählen heute in erster Linie Haftbefehl, Celo & Abdi und Olexesh. Beim Letzteren finden sich Zeilen wie Intégration, non monsieur, attention, révolution!

Darin steckt natürlich keine inhaltliche Fülle, und doch sind es Ansätze, an denen man merkt, daß die Leute sich Gedanken machen. Ihre Eltern sind vor zwei oder drei Generationen hierher gekommen mit Perspektiven und Wünschen, vielleicht wollten sie einfach nur ein gutes Leben haben, und dann wurden sie in irgendwelche heruntergekommenen Ghettos gesteckt. Jetzt will man ihnen ihre Wohnungen wieder wegnehmen, weil andere Leute auf einmal finden, daß es schick ist, so zu leben. Die Migranten haben keine Hoffnung mehr.

Natürlich gibt es auch solche, die sich völlig eindeutschen und alles von ihrer eigenen Kultur vergessen. Und dann behaupten sie, gute Beispiele für Integration zu sein, nur weil sie überhaupt nichts mehr mit dem zu tun haben, was sie einmal kulturell ausgemacht hat. Natürlich kommen solche Leute dann in führende Positionen bei den Grünen und stehen für eine gelungene Immigration in Deutschland. Dann gibt es wieder Negativ-Beispiele von Leuten, die ihr Leben lang geackert und alles getan haben, um in geregelte Bahnen zu kommen wie ihre deutschen Kollegen. Dafür, daß es nur für die Hautschule gereicht hat, können sie nichts. Im Moment gibt es immer mehr von ihnen im Deutschrap. Wir sitzen hier gerade einmal 50 Meter von Reeperbahn Kareem entfernt, der auf der Bühne rappt. Er verkörpert das Leben auf Hamburgs Straßen und singt davon. Das ist meiner Meinung nach weit mehr wert, als wenn irgendwelche deutschen Studentenlinken - ich will keine Namen nennen, weil ich gegen niemanden respektlos sein will - im Fachjargon über die Verhältnisse hier rappen und dann meinen, daß wir das bitte einmal kapieren sollen.

SB: Dein Auftritt ist sehr dynamisch, du wirkst, als ob du unter Strom stehst. Welcher Zorn treibt dich?

D: Wenn ich Texte schreibe, nehme ich mir sehr viel Zeit, um in eine bestimmte Stimmung hineinzukommen und mich wirklich von Gefühlen treiben zu lassen. Bei einer Live-Performance rappe ich die Texte dann einen nach den anderen durch, weil ich weiß, was ich erzählen will. Das Feeling ist daher bei jedem einzelnen Song dasselbe. Heute zum Beispiel habe ich einige Songs weggelassen, die ich eigentlich hätte spielen können und die den Leuten auch bekannt sind, aber ich fühle sie nicht mehr so, wenn ich sie spiele. Ich lasse es dann, weil ich schon will, daß möglichst eine echte Wut rüberkommt. Ich mache auf der Bühne auch keine einstudierte Performance, weil es mir zu dumm wäre, wenn ich nicht selber hundertprozentig dahinterstehen kann; und dann spürt man bei mir natürlich die volle Energie.

SB: Derbst, vielen Dank für das Gespräch.


Derbst und S. Castro - Foto: © 2016 by Schattenblick

Einander ergänzen um der Sache willen
Foto: © 2016 by Schattenblick


Klassenfest im Schattenblick

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18. Mai 2016


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