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INTERVIEW/064: HipHop Open Air - das Selbstverständnis zählt ...    Pyro One im Gespräch (SB)


Interview am 5. Mai 2018 in Hamburg-St. Pauli


Der Berliner Rapper Pyro One trat auf dem Klassenfest - HipHop Open Air gegen Staat und Kapital 2018 gewissermaßen außer Konkurrenz an. Zum einen, weil es unter Linken ohnehin nicht um Wettbewerb, wie von der Marktgesellschaft eingefordert, gehen sollte, was gerade im HipHop mit seine Fehden und Battles nicht selbstverständlich ist. Zum andern, weil er in einer ideologiebestimmten Lagerbildung, die der politisch bewußte HipHop analog zur linken Bewegung maßstabsgerecht reflektiert, zumindest von einigen nicht zu der auf dem Hamburger Fischmarkt anwesenden Szene gezählt wird.

Dabei gehörte der Auftritt von Pyro One zu den eindrücklichen Ereignissen dieses sonnigen Nachmittags auf dem Hamburger Pflasterstrand. Der solo gerappte Titel "Heldentaten" karikierte das Verhältnis von Staat und Rechtsterrorismus mit Reimen wie "Einer macht den Anschlag, einer füllt den Aktenschrank; Einer schickt den V-Mann, einer ruft den Anwalt an; (...) Keine Sorge, alles ist gut; Schwarz, Gold, Blut, alles ist gut". Die Selbstdarstellung des Musikers im Stück "Hi" greift einen elementaren Projektionsmechanismus zwischen Menschen auf, um die eigene Unabhängigkeit und Streitbarkeit zu bekräftigen: "Wir schieben alle unseren eigenen Film, und galoppieren in Schubladen, die andere füllen; Hi, ich bin Pyro, gekommen um zu stören." Im Anschluß an seinen Auftritt beantwortete Pyro One dem Schattenblick einige Fragen zum politischen Anspruch seiner Musik.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Pyro One
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Pyro, wie lange bist du schon im HipHop unterwegs?

Pyro One: Ich mache das tatsächlich schon eine ganze Weile. 2009 habe ich mein erstes Album veröffentlicht, war aber davor schon in zwei Bandkonstrukten unterwegs. Seit 2009 trete ich immer mal wieder solo auf, zwischendurch auch in einem Künstlerkollektiv. Das Ende ist noch nicht absehbar.

SB: Du machst ausgesprochen politische Texte. Besteht für dich manchmal die Verführung, dich an einen größeren Massengeschmack zu wenden, um auch ein bißchen Geld damit zu verdienen?

Pyro One: Ich fände es ja gut, wenn der Massengeschmack eher in meine Richtung gehen würde und man die Option hätte, quasi mit politischen Liedern, wobei nicht jeder Song zwingend politisch sein muß, aber doch mit etwas straighteren Inhalten Leute zu erreichen. Das funktioniert bei einigen Bands ganz gut. Es gibt inzwischen durchaus politische Musik, die in den Mainstream einsickert. Ich glaube, da ist viel Bewegung. Ich bin, was man den klassischen Untergrund-MC nennt, und mit der Nischenrolle auch ganz glücklich. Ich kann Konzerte spielen, komme rum, und über die Jahre gibt es ein gutes Netzwerk. Ob das wie heute ein paar mehr Leute sind oder im Keller 20, hat beides seinen Reiz.

Nun bin ich lange genug dabei, um zu wissen, daß das, was ich mache, schon etwas sperrig ist. Daher wird jetzt nicht mehr eine Tür aufgehen und jemand vom Label stehen, der mir einen Goldkoffer überreicht. Wenn man Alben macht, gibt es natürlich immer mal wieder die Überlegung, etwas zu probieren, um vielleicht noch andere Leute oder Kids außerhalb dieser politischen Blase zu erreichen, aber im Grunde geht mir der Pop Appeal völlig ab. Ich habe wenig Interesse dran, mich anzubiedern, um im Mainstream zu landen. Im Grunde reicht es, wenn man von außen immer mal wieder reinpiekt. Die Leute brauchen eigentlich nur zu wissen, daß das stattfindet, und dann hängt es von ihnen ab, ob sie sich von dieser Radio- oder Mainstream-Suppe einlullen lassen oder auch anderen Sachen eine Chance geben.

SB: HipHop ist wegen der Geschichte von Kollegah und Farid Bang ins Gerede gekommen. Wie bewertest du die mediale Reaktion auf diese zweifellos üble Zeile und welche Auswirkungen hat dies auf das gesellschaftliche Bild von HipHop?

Pyro One: Auch wenn es jetzt eine krasse Crew war, die da durchs Dorf getrieben wird, gesellschaftlich wird sich meiner Meinung nach nicht viel ändern. HipHop bleibt eine Schmuddelmusik und wird in Deutschland irgendwie nicht so richtig verstanden oder nur hofiert, wenn Fanta 4 im ganz großen Maßstab irgendeinen Radio-Pop macht. Darauf kann man sich noch einigen, aber wenn irgendwelche Migrations-Kids von ihrer Lebenswirklichkeit erzählen und dementsprechend auch sprachlich anders unterwegs sind als ich zum Beispiel, hat es bei den Leuten, die diese Musik dann bewerten, immer schon Reibungspunkte gegeben. Ich glaube, grundsätzlich gibt es nicht unbedingt eine Motivation, das zu verstehen.

Wenn dann so etwas wie mit Kollegah und Farid Bang passiert, gibt es einfach wieder Futter für das bestehende Bild, dann heißt es, das ist typisch für Rapper mit Migrationshintergrund. Da wird gar nicht mehr differenziert. An dieser Kontroverse stört mich zum Beispiel, daß diese Zeile immer mit Kollegah zusammengebracht wird, obwohl sie von Farid Bang stammt, was aber am Ende nichts daran ändert, daß die Zeile scheiße ist. Ich war nie ein besonderer Freund des Battle-Raps, auch wenn ich die Sachen gelegentlich höre, weil ich ein Rap-Fan bin. Deswegen weiß ich auch, warum das sprachlich auch immer mal eins drüber ist oder daß dahinter der Versuch steckt, einen Skandal zu erzeugen. Das finde ich nicht besonders spannend und auch ein bißchen albern, weil immer wieder versucht wird, den nächstgrößeren Tabubruch hinzukriegen, als würde es nur darum gehen, wieder auf den Index zu kommen. Im Prinzip ist das auch nur eine kapitalistische Verwertung, also wie können wir Platten verkaufen.

SB: Offensichtlich sind Rapper mit Videos, in denen es wirklich nur um Koksen und Sexismus und Leute im Drogengeschäft umbringen geht, ziemlich erfolgreich.

Pyro One: Wenn man sich die Mühe macht, reinzuhören und zu differenzieren, wird man schon herauskriegen, welche Leute ihre tatsächliche Lebensrealität widerspiegeln oder nur in einem Hollywoodfilm unterwegs sind. Ich finde jetzt nicht, daß Rap immer authentisch sein muß, man darf auch mal übertreiben, aber spannend wird es, wo Leute die Tür aufmachen und ihre Welt zeigen. Das ist auch die Stärke von Rap, daß Leute quasi zeigen können, wie es in ihrem Viertel zugeht. Das kann ganz banal sein, aber oft sieht man auch echte Überlebenskämpfe. Das kommt ja nicht von irgendwoher.

Es gibt im Rap so leichte Tendenzen zur Pädagogisierung, wo sich ganz viele Sozialarbeiter und solche, die sich mit dieser Jugendkultur beschäftigen, am Rap abarbeiten. Da wird es schwierig. Sicherlich haben die Rapper nicht so eine politische Sozialisation wie man selber, aber man muß mit diesen Leuten partizipieren und sie ranholen. Man kann sich natürlich die ganze Zeit hinstellen und über Leute sprechen. Alle sagen Refugees welcome, aber laß doch die Leute für sich selber sprechen, gebt ihnen ein Forum. Ob das jetzt sprachlich immer so klar geht, ist eine andere Frage. An der Veranstaltung hier finde ich spannend, daß hier viele Acts sind, deren Sprache ich nicht teile, aber es ist die Sprache ihrer Lebenswelt, die man erst einmal akzeptieren muß. Wenn man die Leute sprechen läßt, kann man darüber in einen Austausch kommen, und dann ist es vielleicht auch möglich, zu fragen: Warum sind deine Homies Spasten? An dieser Stelle wird es überhaupt erst interessant.

SB: Glaubst du, daß man einen Begriff wie "Hurensohn" auch auf eine ironische Ebene heben kann, oder kommt er doch immer als Schimpfwort rüber?

Pyro One: Wir benutzen statt dessen gerade "Söder-Sohn", das finde ich ganz schön. Vorher war es immer "Hundesohn", aber das finde ich den Hunden gegenüber ungerecht. Natürlich kann man alles ironisieren, und im HipHop kommen ganz viele Sachen oft superironisch daher. Wenn man das aber so wie eine Zwiebel abschält - was bleibt dann im Kern übrig? Fehlt die Substanz, so ist die Ironie nur eine Form, die ausdrücken soll, ich bin mega abgecheckt. Bei "Hurensohn" weiß ich, was es bedeutet, es hat einen festen Stellenwert als Beschimpfung, aber wenn ich es trotzdem benutze, finde ich es schwierig. Ich versuche es zu vermeiden und wüßte auch nicht, daß es in meiner Sprache großartig vorkommt. Klar schimpfe ich auch, ich schreibe ja die Texte und lasse sie auch einen Tag liegen, um noch einmal drüberzulesen und zu fragen, ob das jetzt mein Mittel ist, um Wut auszudrücken oder geht es vielleicht cleverer, gibt es schönere Wege zum gleichen Ziel?

SB: Du hast viel über Gentrifizierung und das Erkämpfen von Freiräumen gesungen. Bist du in Berlin in einer der Initiativen gegen Zwangsräumungen oder ähnliches aktiv?

Pyro One: Ich bin aufgrund von Lohnarbeit und einer 100-Prozent-Stelle jetzt nicht bei jeder Demo dabei, aber tatsächlich ist das meine politische und musikalische Sozialisation bis heute. Also 90 Prozent meiner Auftritte haben einen linken Hintergrund und finden oft in besetzten Häusern statt. Deswegen weiß ich diese Strukturen zu schätzen und weiß, wie wichtig es ist, daß es in den durchgentrifizierten Räumen immer noch Plätze gibt, wo etwas Subversives passiert und eine Subkultur am Start ist. Die Situation wird schwieriger, aber die Plätze gibt es noch, um so wichtiger ist es, um sie zu kämpfen und darauf zu achten, daß sie bleiben.

SB: Wir haben es hierzulande wie weltweit mit einer starken Rechtsentwicklung zu tun. Du hast dich auf der Bühne klar gegen Rassismus und Homophobie ausgesprochen. Wäre es aus deiner Sicht nicht auch in der Linken wichtig, das Mittel der Kultur oder solche Veranstaltungen wie hier verstärkt einzusetzen, um Leute zu mobilisieren und davon abzubringen, sich von rechten Entwicklungen, die auch der Dynamik von Trends folgen können, einfangen zu lassen?

Pyro One: Das wird die Musik nicht schaffen, denn an Leute, die in einem geschlossenen faschistischen Weltbild aufwachsen, kommt man nicht ran. Rap entwickelt nach meinem Gefühl zunehmend, wie früher beim Punk und Rock zu beoachten, ein Grauzonenproblem, sei es durch Fußballfans oder rechtsoffenes Zeug im Web. Da spielt dann auch der Antisemitismus mit hinein. Ich glaube, man kann einfach immer wieder nur nerven und darauf verweisen, daß so etwas einfach nicht passieren darf. Rechter Rap ist für mich weiterhin völlig irreal, aber dennoch passiert es. Inzwischen kann man sich darüber nicht mehr lustig machen, denn die rechte Szene hat Budgets für Musik, sie drehen Videos, die rein objektiv - über die Inhalte braucht man nicht zu reden - nicht mehr ganz kacke sind. Weil Rap die größte Jugendkultur ist, erreichen sie auch Leute. Die Nazis sind schon immer so vorgegangen. Läuft Skateboarding, dann gibt es von Thor Steinar eine Skateboard-Marke.

Das wird die Musik nicht schaffen, sie kann sich immer nur die Plätze zurückholen, indem sie sagt, wenn du ein Nazi bist, hast du hier nichts zu suchen, ich lasse mir die Musik nicht von Faschos wegnehmen. Ob das dazu führt, Leute von ihrer rechten Gesinnung abzubringen, weiß ich nicht. Das ist vielleicht zu viel verlangt, aber man kann immer wieder nerven und muß dranbleiben.

SB: Du wirst innerhalb der Linken einem bestimmten politischen Lager zugeordnet, wie heute auch kurz auf der Bühne erwähnt wurde. Wie gehst du damit um?

Pyro One: Ich werde über Künstlerkollektive oder Labels, mit denen ich gearbeitet habe, ohne mich selber jemals klar positioniert zu haben, eher in eine Anti-D-Schublade gesteckt mit entsprechend klaren Schubladengrenzen. Daher finde ich eine Einladung wie hier zum Klassenfest spannend, weil in Berlin hätte es so etwas womöglich nicht gegeben. Wenn ich jetzt überlege, was eine adäquate Gruppe in Berlin zum Roten Aufbau sein könnte, sind die Trennwände noch höher. Ich hatte mit den Orga-Leuten hier vorhin einen guten Austausch, wo dieser Punkt gar nicht thematisiert wurde. Aber gestern bei Facebook, als ich für die Veranstaltung vorgestellt wurde, kam das Thema dann doch auf. Meines Erachtens war das nicht zwingend notwendig, aber es passiert halt immer noch.

Jetzt ist 2018. Die Fixierung der deutschen Linken auf den Nahostkonflikt hat bei den vielen Problemen, die es sonst noch gibt, schon etwas Pathologisches. Wenn Leute zusammenkommen, wird es immer Widersprüche geben, daher finde ich den Ansatz hier, über Schubladengrenzen hinweg zu schauen, spannend. Damit wird den gemeinsamen Schnittmengen, die es definitiv gibt, sei es bei antirassistischen, antisexistischen oder feministischen Positionen, Raum gegeben. Wenn die Linke es nicht schafft, miteinander ins Gespräch zu kommen, wie soll dann eine Wirkung nach außen entstehen? Deswegen lief das für mich hier ganz gut.

SB: Pyro, vielen Dank für das Gespräch.


Pyro One mit Mikro - Foto: © 2018 by Schattenblick

Auf der Bühne des Klassenfestes 2018
Foto: © 2018 by Schattenblick


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