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NACHLESE/005: 50 Jahre später ... The Doors - The Doors (SB)



Oh tell me where your freedom lies
The streets are fields that never die
Deliver me from reasons why
You'd rather cry, I'd rather fly

The Doors - The Crystal Ship

Wer über das Blut in den Straßen Amerikas, über den Mörder, der schon zu dir unterwegs ist und über das Pflaster, das immer heißer wird, weil die mahlenden Zähne des Grizzly an unseren Hacken kleben, singt, scheint mit Love and Peace nicht viel am Hut zu haben. Vielleicht hat Jim Morrison bevorzugt desolate Lebenssituationen und gesellschaftliche Gewaltverhältnisse zum Anlaß seiner Texte genommen, um die Hoffnungen der Hippies mit einer übermächtigen Realität zu konfrontieren, die gerade deshalb eine andere, darüber hinausgehende Zukunft hervorbringen könnte. Ist der sogenannte Summer of Love 1967 in den Annalen der Popgeschichte allgegenwärtig, so setzten die bereits 1965 gegründeten Doors einen düsteren, eher in den Underground-Clubs der Städte als den im Licht der Sonne tanzenden Festivals auf dem Lande beheimateten Gegenakzent.

Organist Ray Manzarek und Sänger Jim Morrison hatten 1965 Film- und Theaterwissenschaften an der University of California abgeschlossen. Gitarrist Robbie Krieger und Schlagzeuger John Densmore komplettierten das Quartett, das seinen Namen aus einem Vers des als Mystiker bekannten englischen Dichters William Blake und dem damals sehr populären Buch "The Doors Of Perception" des englischen Schriftstellers Aldous Huxley ableitete. Die von Blake und Huxley geöffneten Türen zwischen dem Bekannten und Unbekannten standen für den Übertritt in eine fremde und bizarre Welt. Morrison, der für die meisten Texte der Gruppe verantwortlich zeichnete, war von den absurden und chaotischen Aspekten des Lebens fasziniert und bezog sich immer wieder auf das Motiv der Vergänglichkeit, des Todes und unaufhaltsamen Wandels, das jede Sinnstiftung unterminiert.

Das Debütalbum, das im Januar 1967 erschien, wartete sogleich mit zwei epochalen Klassikern auf. Während das siebenminütige Light My Fire die psychedelische Ästhetik der Zeit in vollen Zügen auskostete, ohne sich in abstrakte und dissonante Klanglandschaften zu verirren, stimmten die Doors mit dem fast zwölfminütigen Werk The End bereits zweieinhalb Jahre vor dem Woodstock-Festival den Abgesang auf die sogenannte Flower Power-Ära an. Die Reise voller mythischer Bilder und archaischer Symbole endet mit der Ermordung und Schändung der eigenen Eltern, was für die damalige Zeit eine unerhörte Provokation war. Dramatische Live-Auftritte in bester Theatertradition, bei denen Jim Morrison seine poetischen Ambitionen in rituellen Happenings auslebte, bestätigten den allgemeinen Eindruck, es mit ausgemachten Bürgerschrecks zu tun zu haben. Als Sohn eines Admirals repräsentierte Morrison einen Bruch mit den moralischen Traditionen des weißen Amerikas, der, wie die damaligen Feuilletonisten in der Mehrzahl nicht begriffen, schlichtweg Ausdruck einer neuen Phase avancierter Kulturproduktion war.

Das bezeugte auch der Alabama Song, mit dem die Doors einen Titel der Brecht/Weill-Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" adaptierten. Allein damit waren sie der künstlerischen Entwicklung der Popmusik um Jahre voraus, erfreuten sich Zitate aus den 1920er Jahren, als die Werke Bert Brechts, Hanns Eislers und Kurt Weills für ein anderes Deutschland standen, doch später unter vielen Popmusikern großer Beliebtheit. An die das Establishment gleichsam kritisierende und von ihm gefeierte Kultur der europäischen Avantgarde anzuknüpfen, der Morrison auch mit seiner Begeisterung für die Dichtung eines Antonin Artaud oder Charles Baudelaire Reverenz erwies, kennzeichnete die Doors als Exponenten einer urbanen Künstlerelite, die sich stets über den Widerspruch zu hegemonial werdenden Formen der Unterhaltung definiert.

Dabei bedarf es zum Verständnis ihrer Songs keiner literarisch geschulten Exegese. Auf dem Debütalbum veröffentlichte Stücke wie Soul Kitchen, The Crystal Ship oder Twentieth Century Fox bestechen durch sprachlich komprimierte Gemütsverfassungen, situative Analysen und zeitkritische Beschreibungen, die Morrisons Ruf als großartigen Texter allemal unterstreichen. So begründeten The Doors 1967 eine aufgrund des Todes von Jim Morrison am 3. Juni 1971 in einem Pariser Hotel eine mit der Veröffentlichung von L. A. Woman im April 1971 endende, gerade einmal vierjährige Karriere.

Ihr Nachruhm ist beträchtlich, wie die multimediale Verarbeitung der Bandgeschichte belegt. Insbesondere in der Kunstszene erfreuten sich die Doors stets großer Beliebtheit. So gab es in den 1970er Jahren auf dem Dach der Hamburger Kunsthalle eine Bar, in der fast ausschließlich Musik dieser Gruppe gespielt wurde. Eine Renaissance ihres Vermächtnisses findet eigentlich permanent statt, wie die zahllosen Adaptionen von Doors-Stücken durch andere Gruppen und Musikerinnen belegen. Der Tod Ray Manzareks, der den musikalischen Stil der Doors mit seinen Tasteninstrumenten am meisten prägte, am 20. Mai 2013 schließt jede weitere, auch nur rudimentäre Auferstehung der Gruppe aus. In einer Pressekonferenz im Sommer 1997 bestätigte er, daß die düsteren Visionen der Gruppe keine hergeholte Effekthascherei waren: "Wir leben in genau dem zynischen Albtraum, vor dem wir in den Sechzigern immer gewarnt hatten".

21. Juni 2017


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