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NACHLESE/009: 50 Jahre später ... The Byrds - Sweetheart of the Rodeo (SB)



As through this life you travel, you meet some funny men Some rob you with a six-gun, some with a fountain pen
Woody Guthrie - Pretty Boy Floyd, gecovert von The Byrds

Mitte der 1960er Jahre stagnierte der klassische Rock'n Roll in den USA auf dem Niveau einer fließbandmäßig produzierten Unterhaltungsmusik, und der radiotaugliche Mainstreampop sorgte mit Motown-Rhythmen, Surfsound und Beatmusik nicht gerade für Abwechslung. Die Industrie warf Batterien von Hitsingles auf den Markt, die im Drei-Minuten-Takt pulsierten und außer schönen Melodien wenig Anhaltspunkte für Heranwachsende boten, Kritik an der herrschenden Ordnung, an Rassismus, Krieg und Kapitalismus zu finden. Doch auch die Ausflüge in neuentdeckte innere Welten fanden im Hitradio U.S.A. nicht statt. Um so beliebter waren die Folkmusik eines Bob Dylan oder die langen Improvisationen der Grateful Dead bei Jugendlichen, die sich trauten, Fragen aufzuwerfen, deren Beantwortung in politischer Radikalisierung und der Eroberung der Straßen als auch im massenhaften Ausstieg aus der etablierten Gesellschaft bestand.

Weit ausgreifende Ideen und hochpoetische Zeilen, dazu mit laut aufspielendem Blues Rock präsentiert, begeisterten auch Musiker wie Roger McGuinn von The Byrds. Diese Band konnte im Juni 1965 mit dem Dylan-Stück Tambourine Man die erste Folk Rock-Single in den US-Charts plazieren. Die 1964 zur Hochzeit der über die USA schwappenden Beatlemania in Los Angeles gegründeten Byrds hatten bis auf ihr uniformes Styling, das im Popbusiness dieser Zeit einfach zur Bühnenpräsentation dazugehörte, mit der Musik der Pilzköpfe nichts gemeinsam. Inspiriert wurden sie statt dessen von Bob Dylan, von dem sie zahlreiche Songs coverten. Trotz großer Fluktuationen unter den Musikern waren die Byrds am unverwechselbaren Sound ihres Frontmannes Roger McGuinn, dessen Stimme an Hank Williams erinnerte und dessen zwölfsaitige Gitarre einen spezifischen metallenen Sound produzierte, zu erkennen.

In der frühen psychedelischen Ära Kaliforniens schufen die Byrds einen neuartigen Folk Rock, der mit exzessivem Gitarrenklang und opulentem Einsatz anderer Saiteninstrumente Maßstäbe der psychedelischen Musik setzte. Ihr mehrstimmiger Gesang berichtete von Reisen durch - heute würde man sagen - virtuelle Räume, und trotz der Dementi der Gruppenmitglieder war klar, daß Mr. Spaceman vor allem geistige Regionen meinte, wenn dieser Eight Miles High durch die Fifth Dimension flog, so der Titel des ersten Albums dieser Ära. Während andere Gruppen gerade erst begonnen hatten, mit ungewöhnlichen Soundcollagen zu experimentieren, klang die psychedelische Welle bei den Byrds mit dem im Januar 1968 veröffentlichten The Notorious Byrd Brothers, dem fünften und letzten Album der Gruppe, zu dem David Crosby Stücke beisteuerte, schon wieder aus.

Der bis heute aktive Musiker hatte sich nie vom verbotenen Gebrauch halluzinogener Substanzen distanziert und war maßgeblich dafür verantwortlich, daß den Byrds der Ruf anhing, eine der führenden Acid-Bands zu sein. Da er sich auch sonst als Bad Guy profilierte, indem er etwa General Motors in Fernsehshows, die der Autokonzern sponsorte, als umweltfeindlich brandmarkte, wurde er Ende 1967 von den anderen Bandmitgliedern hinausgeworfen. Das führte zu einem grundlegenden Wandel ihres musikalischen Stils, wandten sich Roger McGuinn, Chris Hillman und der für Crosby neu zu den Byrds hinzugestoßene Gram Parsons nun doch ohne Scheu vor dem reaktionären Image des Genres der Country Musik zu. Zwar hatten die Byrds schon früher, insbesondere auf Anregung von Chris Hillmann, der in der Bluegrass-Szene groß geworden ist, mit Ausflügen in die weiße US-Volksmusik gespielt, doch insbesondere der Einfluß Parsons', der zuvor schon mit untypischen Rockelementen im Country von sich reden gemacht hatte, sorgte dafür, daß sie einige bis heute gespielte Klassiker dieses Genres auf Platte brachten.

Ursprünglich von McGuinn als Doppelalbum, das die Geschichte US-amerikanischer Populärmusik nachzeichnen sollte, geplant, ging der stark an Country angelehnte Sound des von März bis Mai 1968 in Nashville und Los Angeles eingespielten Albums Sweetheart of the Rodeo eher wenigen der alten Fans ins Ohr. Nicht zuletzt wegen der von Bob Dylan und Woody Guthrie verfaßten Songs auf dem Album wurde es zugleich von der alteingesessenen Szene in Nashville als subversiver Angriff langhaariger Hippies, deren höhnende Schmähung nicht selten Thema damaliger Country-Stücke war, auf ihren angestammten Besitzstand verstanden. Wenn etwa Merle Haggard 1969 in Okie from Muskogee erklärte, in dieser Stadt werde weder Marihuana geraucht, noch gehe man dort auf eine Reise, indem man LSD nehme, oder verbrenne auf der Main Street seinen Einberufungsbescheid in den Vietnamkrieg, dann gibt das recht authentisch wieder, für welche Werte Country zu dieser Zeit einstand.

Aufgrund des jähen stilistischen Bruches mit dem zuvor sehr erfolgreichen Psychedelik-Sound der Band war das Album kommerziell ein Flop. Heute wird es als eines der wichtigsten und einflußreichsten Country Rock-Alben der damaligen Zeit betrachtet. Gram Parsons verließ die Gruppe noch im selben Jahr wieder und zog als Vagabund des Country Rock solo durch die Lande. Er entdeckte und förderte Emmylou Harris, mit der er einige zeitlos schöne Duette wie Hickory Wind sang, das auch auf dem Byrds-Album vertreten ist. Seiner engen Freundschaft mit Keith Richards war die Hinwendung der Rolling Stones zur US-amerikanischen Musikkultur auf dem Doppelalbum Exile on Main Street zumindest teilweise geschuldet, und der schwer heroinabhängige Parsons war bei den Aufnahmesessions zu diesem Album in Südfrankreich als Gast zugegen. 1973 erlitt er, wie so viele Kollegen seiner Generation, den Drogentod und hat seitdem einen festen Platz als geradezu mythische Figur unter den Legenden weißer US-amerikanischer Populärmusik, ob nun Folk, Folk Rock, Country oder Country Rock genannt.

Auch der Bluegrass-Musiker Clarence White, ein Virtuose des Flatpicking, verhalf den Byrds als Sessionmusiker auf diesem und anderen Alben wie als späteres Vollmitglied zu einer musikalischen Reife, die den Vergleich mit den besten Vertretern bluegrassorientierten Country Rocks nicht scheuen mußte. Chris Hillman, der White aus den frühen 1960er Jahren von gemeinsamen Bluegrass-Sessions her kannte, lud ihn zu den Byrds ein, denen er bis ein halbes Jahr vor seinem Tod 1973 bei einem Autounfall angehörte. White führte die Gitarre als Soloinstrument in den Bluegrass ein, wo sie zuvor nur als Rhythmusinstrument Verwendung gefunden hatte. Sein kreatives Schaffen als Instrumentalist beeinflußte andere Gitarristen stark, und 2010 wurde er vom Gitarrenhersteller Gibson auf Platz 42 der 50 besten Gitarristen aller Zeiten plaziert, während die Zeitschrift Rolling Stone ihn 2003 auf Platz 41 der 100 größten Gitarristen aller Zeiten setzte.

Mit Clarence White und Roger McGuinn war der Sound der Byrds bis zur Auflösung der Gruppe 1973 von virtuoser und transparenter Gitarrenarbeit wie mehrstimmigem Harmoniegesang geprägt. Ihr Einfluß auf Gruppen wie R.E.M, Tom Petty & The Heartbreakers oder auch The Smiths ist unverkennbar, und auch die Beatles und Bob Dylan sollen Anleihen an ihren musikalischen Ideen gemacht haben. Heute gelten die Byrds als eine der wichtigsten US-amerikanischen Bands der 1960er Jahre, deren Einfluß auf die Popkultur weit größer ist, als ihre Charts-Erfolge ahnen lassen. Die besondere Bedeutung der beiden 1968 veröffentlichten Alben The Notorious Byrd Brothers und Sweetheart of the Rodeo ergibt sich daraus, daß sie den tiefgreifenden stilistischen Wandel der Byrds etwa zur Halbzeit ihrer im Kern achtjährigen Bandgeschichte dokumentieren und belegen, daß sie ebenso zur ersten Riege US-amerikanischer Rockgruppen wie Country- und Folk-Acts gehören.

31. Mai 2018


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