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NACHLESE/016: 50 Jahre später ... Big Brother and the Holding Company - Cheap Thrills (SB)



Whoa, call me mean or call me evil
I've been called much worser things, all things around,
Yeah, but I'm gonna take good care of Janis, yeah,
Honey, ain't no one gonna dog me down.

Janis Joplin - Turtle Song

"Approved by Hell's Angels Frisco" - rechts unten auf dem berühmten Cover des Albums Cheap Thrills prangt das schwarze Logo eines Rockerclubs, das man zumindest aus heutiger Sicht nicht auf einer LP mit psychedelischer Hippie-Musik erwarten würde. Im Kalifornien der 1960er Jahre waren Begegnungen derart verschiedener Sub- und Gegenkulturen noch möglich, nachzulesen etwa in Tom Wolfes Buch "The Electric Kool-Aid Acid Test" über die Merry Pranksters, die mit ihrem buntbemalten Bus durch die Lande fuhren und sogenannte Acid Tests abhielten. Diesen zwischen Messe und Party angesiedelten, an verschiedenen Orten der pazifischen Küste der USA abgehaltenen Feste fanden zu einer Zeit statt, als LSD noch nicht verboten war, und wurden auch von Hell's Angels besucht.

Natürlich war das Verhältnis der Rocker zu den Hippies bestenfalls als ambivalent zu bezeichnen, entsprachen die mit wehenden Klamotten und Sandalen schon von weitem als Drop Outs zu erkennenden Jugendlichen doch keinesfalls den ausgesprochen maskulinen, in schwarzes Leder gewandeten Rockern. Politisch eher rechts stehend, wie die Hell's Angels bewiesen, als sie am 16. Oktober 1968 in Oakland in Absprache mit der Polizei eine Antikriegsdemonstration angriffen, waren sie als Outlaws dennoch für Bündnisse gegen die Staatsmacht zu gewinnen. Nach diesem in der kalifornischen Gegenkultur lautstark kritisierten Eklat wurde ein Treffen mit dem Initiator der Merry Pranksters, Ken Kesey, organisiert, der gute, nicht zuletzt über gemeinsamen LSD-Konsum gestiftete Kontakte zu den Hell's Angels unterhielt.

Dabei handelten der Dichter Allen Ginsberg und der Beat-Poet Neal Cassady mit dem Angels-Chef Sonny Barger eine Art Nichtangriffspakt aus. Hunter S. Thompson, der mit seinem 1966 veröffentlichten Buch "Hell's Angels: The Strange and Terrible Saga of the Outlaw Motorcycle Gangs" als eine Art Biograph des Rockerclubs galt, berichtete, daß der bekennende Schwule Ginsberg so einen starken Eindruck bei Sonny Barger hinterließ, daß dieser gar nicht anders konnte, als dem Deal zuzustimmen. Barger wiederum, der später Karriere als Autor diverser Bücher über die Geschichte der Hell's Angels machte, war ein Freund von Janis Joplin, was erklärt, wie der schwarze Button auf das ansonsten höchst bunte und anarchische Cover geriet.

Robert Crumb, der mit Mr. Natural, Fritz The Cat und vielen anderen schrägen Figuren der kalifornischen Counterculture ein heute als kulturhistorisch wertvoll anerkanntes Denkmal setzte, soll für die Illustration des Albums "Cheap Thrills" lediglich 600 Dollar bekommen haben. Es war ursprünglich für die Rückseite der Platte gedacht, denn jeder Titel der LP wurde mit einer kleinen Zeichnung gewürdigt, ebenso die MusikerInnen der Band Big Brother and The Holding Company, die für das Album verantwortlich zeichneten. Nachdem die Plattenfirma Columbia Records den ursprünglichen Plan der Gruppe, sich auf dem Cover nackt im Bett zu präsentieren, abgelehnt hatte, und Janis Joplin, ohnehin ein Fan von Robert Crumb, von den Zeichnungen begeistert war, wurden sie als Front Cover eines emblematischen Werkes des West Coast Sounds legendär und später von der Redaktion des Rolling Stone Magazins auf Platz Neun der hundert wichtigsten Plattencover der Popgeschichte gesetzt.

Die Musik des im August 1968 veröffentlichten Albums verströmt eine Aura der Authentizität nicht nur wegen der typischen Klangkulisse eines Live-Konzertes, sondern weil der ungeschliffene Gitarrensound auch einmal neben dem richtigen Ton liegen konnte. Tatsächlich wurde nur das letzte Stück Ball and Chain im legendären Konzertgebäude The Fillmore in San Francisco aufgenommen, alle anderen Publikumsgeräusche wurden im Studio hineingemischt, um den Eindruck eines Live-Auftrittes zu erzeugen. Vermutlich hatte dieser produktionstechnische Kniff mit dem damals schon legendären Ruf der Sängerin von Big Brother and the Holding Company zu tun, die Leute mit ihrer intensiven Stimme direkt ins Herz zu treffen.

Die ihrerseits als Sängerin sehr erfolgreiche Stevie Nicks trat einmal zu Beginn ihrer Karriere mit der Band Fritz als Vorgruppe für Janis Joplin auf. Weil sie in die zu deren Auftritt vorgesehene Zeit hineinspielten, soll Janis die unbekannte Band ziemlich rüde angegangen sein. Dennoch war Stevie Nicks begeistert davon, wie sehr Joplin bei ihrem Auftritt aus sich herausging. Ihre Stimme sei nicht nur "stark und soulig" gewesen, sondern auch "schmerzerfüllt und wunderbar real", wird Nicks in den Liner Notes des Albums "Big Brother and the Holding Company - Live at Winterland '68" zitiert. "Sie sang in der großen Tradition der Rhythm & Blues-Sängerinnen, die ihre Heldinnen waren, aber versah jeden einzelnen Song mit ihrem eigenen, gefährlichen sexy Rock'n'Roll-Biß. Sie gab dir wirklich ein Stück ihres Herzens."

Tatsächlich war die Single-Auskopplung Piece of My Heart der größte Chart-Erfolg, den Janis Joplin zeitlebens hatte. Der vielleicht berühmtere, von Kris Kristofferson geschriebene Song Me and Bobby McGee wurde erst nach ihrem Tod am 4. Oktober 1970 veröffentlicht. Ein weiterer Höhepunkt des Albums war der von George Gershwin 1934 für die Oper Porgy and Bess komponierte Titel Summertime. Es soll über 25.000 verschiedene Aufnahmen dieses an einen Spiritual gemahnenden Jazz Standards geben, den der Autor der Oper, DuBose Heyward, mit einem höchst anrührenden Text versah. Summertime erscheint als ein Stück genuin schwarzer Kultur des US-amerikanischen Südens, auch wenn Komponist und Autor weiß waren.

In der Adaption von Janis Joplin tritt die dunkle Vergänglichkeit der sommerlichen Idylle so bedrohlich hervor, daß die ganze Tragik der aus massiver Unterdrückung entstandenen afroamerikanischen Musik Gestalt annimmt. Mit dem spektakulärem Gitarreneinsatz von Sam Andrew und James Gurley wird Summertime zu einem regelrechten Mahnmal für die schmerzerfüllte Geschichte der nach Nordamerika verschleppten AfrikanerInnen. 1997 würdigte das Fachmagazin Guitar Player diesen Solopart als eines der zehn wichtigsten psychedelischen Gitarrensoli der Musikgeschichte.

Die 1926 in Alabama geborene Big Mama Thornton hatte in den sechziger Jahren den Ruf, die größte Bluessängerin ihrer Zeit zu sein. Mit ihrer Stimme konnte sie Howlin Wolf ohne weiteres an die Wand singen, wie etwa in ihrer Aufnahme von Hound Dog zu hören, die sie 1952 einspielte und die Elvis zu seiner Version des Rock'n'Roll- Klassikers inspirierte. Kein Wunder also, daß Big Mama Thornton, deren Spitzname ihrer von massiver Statur unterstützten Größe von 1,83 Metern geschuldet war, neben Bessie Smith zu den Vorbildern der weißen Texanerin Janis Joplin gehörte. Das von Thornton verfaßte Stück Ball and Chain war ein Höhepunkt der Auftritte Janis Joplins und ist mit einer neunminütigen Version auf Cheap Thrills vertreten.

Der frühe Tod der Sängerin bescherte ihr den Nimbus eines Stars, demgegenüber der der anderen Musiker der Big Brother and The Holding Company verblassen mußte. Dabei gehört die 1965 in San Francisco gegründete Band zu dem Kreis von MusikerInnen, aus dem auch Grateful Dead, Jefferson Airplane und Quicksilver Messenger Service hervorgegangen sind. Die 1966 hinzugestoßene Janis verdankte der Gruppe ihren Aufstieg zum Weltstar ebenso, wie Peter Albin, Dave Getz, Sam Andrew und James Gurley von der herausragenden Ausdruckstärke ihrer Sängerin profitierten. Sie verließ Big Brother and the Holding Company Ende 1968, um Solopfade zu beschreiten. Wie vielfältig und ausgefallen die Szene war, in der sie berühmt wurde, zeigt auch einer ihrer ersten gemeinsamen Live-Auftritte. Der als Mantra-Rock Dance für den 29. Januar 1967 angekündigte Event war eine Benefiz-Veranstaltung zugunsten des Hare Krishna-Tempels in San Francisco, an der Allen Ginsberg, Moby Grape und Grateful Dead teilnahmen und bei der auch der Gründer der Hindubewegung, Bhaktivedanta Swami, zugegen war.

12. September 2018


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