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NACHLESE/020: 50 Jahre später ... Jefferson Airplane - Crown Of Creation (SB)



It is said we become whom we love. We who loved Jefferson Airplane shook off our postwar skins, said farewell to the '50s and marched through the '60s toward the new Jerusalem. It was a Blakean city that was as much a state of mind as architecture, one of unbridled freedom built on the ashes of nationalism, conformity and materialism. San Francisco was the emblematic meeting ground. Jefferson Airplane, the premiere standard-bearers of the Summer of Love, ushered us through its psychedelic gates. (...)

They gave us anthems of love. They gave us instructions for action - feed your head! Got to revolution! And within Crown Of Creation, a requiem for a time all too brief. Yet their message enduringly calls, for all who listen, to unite once more through the collective consciousness of love.

Patti Smith 2017 zum Einfluß von Jefferson Airplane auf die eigene künstlerische und menschliche Entwicklung [1]

Die "Krone der Schöpfung" fand keine Gnade in dem Titelsong des gleichnamigen Albums von Jefferson Airplane. Die von Paul Kantner und Marty Balin 1965 in San Francisco inmitten der Szene, aus der die wichtigsten West Coast Bands der Hippie Ära hervorgehen sollten, gegründeten Gruppe reflektierte den Geist der Zeit des Vietnamkrieges und der permanenten Bedrohung atomarer Vernichtung in vielen Liedern mit postapokalyptischen Szenarios und zivilisationskritischen Sentenzen. Die angemaßte darwinistische Suprematie der "Crown Of Creation" wird durch die Aussage, der Mensch habe nicht einmal einen Platz, wo er sich hinbegeben könne, also der ihm ganz und gar zustehe, konterkariert. Die angestrebte Stabilität wird ihm nur auf eine Weise zuerkannt - als Platz unter den Fossilien, die der Entdeckung durch Lebewesen in einer ungewissen Zukunft harren. Paul Kantner hatte für den Text des Liedes die Erlaubnis des Science Fiction-Autors John Wyndham eingeholt, aus seiner 1955 veröffentlichten Geschichte The Chrysalids zu zitieren, in der das Szenario einer notdürftig nach dem nuklearen Krieg überlebenden Menschheit entworfen worden war.

Die Sängerin Grace Slick scheute nicht davor zurück, Crown Of Creation nach seiner Aufführung bei einem Fernsehauftritt mit erhobener Faust der Black Panther Party zu widmen. Jefferson Airplane waren 1968 mit der Besetzung Kantner, Balin, Slick, Jorma Kaukonen, Jack Casady und Spencer Dryden auf dem Gipfel ihrer Kreativität angelangt und nutzten ihre Bekanntheit auch dazu, die nicht nur auf pazifistische Weise friedensbewegte, sondern durchaus sozialrevolutionär bewegte Counterculture mit Hymnen wie Volunteers oder We Can Be Together auf gemeinsames Kämpfen einzustimmen. Anlässe dazu gab es in der US-Gesellschaft der 1960er Jahre genügend.

Die militärischen Interventionen und Aggressionen, mit denen die USA vor allem in Südostasien und Lateinamerika ihre Vormachtstellung beanspruchten, fanden ihre innere Entsprechung in der massiven Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung, die am 4. April 1968 in der Ermordung Martin Luther Kings gipfelte. Die ungeheure Betroffenheit unter vielen Jugendlichen und dem liberalen Bürgertum, die dieser Anschlag ausgelöst hatte, war der durch den christlichen Bürgerrechtler entfachten Hoffnung auf ein besseres Morgen in einer nicht mehr von tiefen Gräben des Hasses und der Unterdrückung durchzogenen Gesellschaft geschuldet. Im Unterschied zur Gegenwart 2018, die von finalen Katastrophenszenarios und neofaschistischen Machtansprüchen umstellt ist, in der die linke Bewegung vor allem Abwehrkämpfe um den Erhalt einmal erreichter Freiheiten führt und die gesellschaftlich einflußreichen Kräfte sich auf ein zusehends autoritär durchgesetztes Krisenmanagement verlegt haben, konnten die Menschen damals noch an die Zukunft einer ganz anderen Gesellschaft glauben.

Jefferson Airplane entsprachen dieser Hoffnung zum einen auf negative Weise, indem sie die herrschenden Verhältnissen und die Zerstörung der natürlichen Lebenswelt, die gerade in Kalifornien ein wichtiger Punkt der Kritik war, in ihren Texten mit starken Bildern in Szene setzten. Zum anderen sangen sie in charakteristischer Mehr- und Gegenstimmigkeit Lieder über die Befreiung von moralischen und ideologischen Zwängen, so in Triad über eine Liebe zwischen drei Menschen. Das Lied stammte aus der Feder von David Crosby, der es als Mitglied der Byrds verfaßt hatte. Diese lehnten es jedoch aufgrund seines prekären Inhaltes ab, so daß er es an Jefferson Airplane weiterreichte.

Inmitten dieser so jugendlichen Revolte verspürte die 1939 geborene Grace Slick bereits die ersten Ausläufer des Alters, was sie im von ihr verfaßten Eröffnungsstück Lather anhand der Geschichte eines jungen Mannes verarbeitet, der den Erwartungen des Erwachsenendaseins gerecht werden soll, sich aber weiterhin wie in Kind fühlt. Das Lied war dem Drummer Spencer Dryden gewidmet, der kurz vor ihr als erster die damals für bedeutsam gehaltene Schwelle des Alter von 30 Jahren erreichen sollte. Weiterhin nackt am Strand zu liegen, Bilder in den Sand zu malen und Figuren in die Luft zu zeichnen, bleibt sein größtes Vergnügen. Bassist Jack Casady wurde, als er eben dies tat, von der Polizei verhaftet.

Das von Marty Balin verfaßte Stück The House At Pooneil Corners beeindruckt mit der poetisch verdichteten Dystopie atomarer Vernichtung. Alles bis auf die Stille wird verschwunden sein, vom Himmel herabstürzende Wassermassen werden die Asche der Gewalt abwaschen, die alles ist, was an den Menschen erinnert. Der war sehr überrascht davon, als die Sterne wie Spinnräder durch die Himmel wirbelten, die Sonne in sein Auge drängte und der Mond wie ein Geier über allem kreist. Er hatte gedacht, eine Träne würde den Krieg beenden, aber jemand bringt mich um, so die wenig erfreuliche Aussicht darauf, die Rechnung für das eigene Abwarten und Versagen im Angesichte sich immer höher auftürmender Gefahren präsentiert zu bekommen.

Der Avantgarde-Regisseur Jean Luc Godard war 1968 auf Einladung der Dokumentarfilmer D. A. Pennebaker und Richard Leacock nach New York City gekommen, um einen Film über die USA zu machen. In One P.M. ist auch eine Sequenz mit Jefferson Airplane zu sehen, die das Stück auf dem Dach eines Hotels spielen, bis die Polizei kommt und den Auftritt beendet - ein Jahr vor dem legendären Auftritt der Beatles auf dem Dach der Apple Studios in London.

An dem Album Crown Of Creation beeindruckt vor allem der klare Gesang von Grace Slick, die jede Silbe so deutlich wie nuancenreich akzentuiert, daß allein das Sprachbild Lust auf Zuhören macht. Es ging um Inhalte, die, poetisch verbrämt und metaphorisch verfremdet, allemal ankamen, denn die Nöte und Interessen US-amerikanischer Jugendlicher lagen bei aller Individualisierung doch nahe beieinander. Die Transparenz des Sounds und die klare Trennung der Instrumente bei der Abmischung brachten eine Klangästhetik hervor, die für die psychedelischen West Coast-Musik dieser Tage exemplarisch war.

Von dieser Besetzung der legendären West Coast Band leben nur noch Slick, Kaukonen und Casady. Spencer Dryden erlag im Januar 2005 einem Krebsleiden. Paul Kantner starb am 28. Januar 2016 am selben Tag wie Signe Toly Anderson, der ersten Sängerin der Band, die ihr etwas über ein Jahr lang angehörte und auf dem ersten Album der Gruppe 1966 singt. Marty Balin stellte sich daraufhin vor, wie beide im Himmel aufwachen und sich fragen, was sie nun machen sollen - natürlich eine Band gründen.

Der Sänger, Gitarrist und Mitbegründer der Jefferson Airplane starb am 27. September 2018 im Alter von 76 Jahren. Marty Balin stand dem Drogenkonsum der Gruppe eher abgeneigt gegenüber, was ein Grund dafür war, daß er die Gruppe 1971 verließ. Mit dem Musiker, der in Altamont von den Hells Angels bewußtlos geschlagen wurde, als er jemandem im Publikum, der von den Rockern bedrängt wurde, von der Bühne aus zur Hilfe eilte, ist eine der wichtigsten Gründungspersönlichkeiten der San Francisco Bay Area verstorben. Als passionierter Maler und Grafiker war er verantwortlich für zahlreich der durch ihre psychedelische Ornamentik auffallenden Veranstaltungsplakate dieser Zeit, die er unter anderem für seinen eigenen Club, das legendäre The Matrix, entwarf. So markiert das biologische Limit dieser Ära auch den Schlußpunkt einer Kunst, die bei aller Kommerzialisierung stets den Funken einer zumindest kulturellen Gegenposition in sich barg.


Fußnote:

[1] https://www.grammy.com/grammys/news/patti-smith-remembers-jefferson-airplanes-influence

24. Oktober 2018


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