Schattenblick → INFOPOOL → MUSIK → REPORT


NACHLESE/028: 50 Jahre später ... The Flying Burrito Brothers - The Gilded Palace of Sin (SB)



We've got the telephones to say what we can't say
We all got higher and higher every day
Come on wheels take this boy away

The Flying Burrito Brothers - Wheels

Mit dem Album Sweethart of the Rodeo hatten The Byrds 1968 Country Rock als eigenständiges Genre etabliert. Der Einbruch langhaariger, Pot rauchender Hippies in die überaus konservative Country-Szene war auch für die Fans der Byrds gewöhnungsbedürftig, wiewohl der mit Pedal Steel Guitar, Harmoniegesang und Rock'n'Roll-Elementen aufgeladene Sound sich bestens in die psychedelische Musik der Ära einfügte. Mit Chris Hillman und Gram Parsons waren die maßgeblichen Protagonisten dieses neuen Musikstils bei den Byrds ausgestiegen und gründeten mit The Flying Burrito Brothers ein eigenes Projekt, um die künstlerischen Möglichkeiten des innovativen Hybrids aus Rock und Country weiter auszuloten.

Mit Sneaky Pete Kleinow stieß ein noch unbekannter Musiker zu der neuen Band, der die Pedal Steel Guitar als einer der ersten Gitarristen in einem Rock-Kontext verwendete. Er gehörte später zu den gefragtesten Session-Musikern an diesem Instrument und ist mit seinen gleißenden Licks auf zahlreichen Rock- und Folkalben zu hören. Gleiches galt für den Bassisten Chris Ethridge - auch er bestritt seinen Lebensunterhalt nach der kurzen Zeit bei den Flying Burrito Brothers vor allem als Sessionmusiker.

Zu dem zweifelhaften Ruf, als Hippies im Country-Genre zu wildern, trug das Coverfoto auf dem Debütalbum The Gilded Palace of Sin bei. Die vier Musiker präsentieren sich in einer entlegenen Wüstenlandschaft in Nudie Suits, mit schweren Borten und auffälligen Stickereien versehene Jacken des Schneiders Nudie Cohn. Er hatte die mit Halbedelsteinen und allerlei Ornamenten verzierte Bühnenbekleidung der Country & Western-Szene auf eine neue Ebene extravaganter Eindrücklichkeit gehoben, indem er figürliche Darstellungen und Symbole aufnähte, mit denen die KünstlerInnen ihre Bühnenperformance in eine Augenweide für Modefans verwandeln konnten. Auf Jacke und Hose Gram Parsons' prangten große grüne Hanfblätter und bunte Pillen, was keinen Zweifel an den Rauschmitteln seiner Wahl zuließ. In der in Fragen des Drogenkonsums stark polarisierten US-Gesellschaft konnte ein solches Statement schon Aufregung verursachen, doch betrunkene Cowboys waren denkbar schlechte Zeugen für die Gefahren einer Passion, der Gram Parsons nur wenige Jahre später erlag.

Die Vokalharmonien von Hillman und Parsons dominierten das Klangbild einer süßen Musik, die sich beim Publikum mit ohrwurmartigen Melodien festsetzen konnte, ohne jedoch so trivial zu werden, daß ein unerträglicher Grad an Überzuckerung erreicht worden wäre. The Gilded Palace of Sin war kommerziell nicht besonders erfolgreich und gilt dennoch heute als ein für das moderne Americana-Genre wegweisendes Album. Bob Dylan erkannte das Potential des Albums schon bei seiner Veröffentlichung im Februar 1969 und lobte es überschwenglich. Später haben zahlreiche MusikerInnen seinen Einfluß auf ihre eigene Entwicklung attestiert, und das Musikmagazin Rolling Stone führt es auf seiner 2013 veröffentlichten Liste der 100 besten Debütalben aller Zeiten auf Platz 99. Da Gram Parsons eng mit Keith Richards und Mick Jagger befreundet und bei den Aufnahmesessions zu Exile On Main Street in Südfrankreich zugegen war, sind die Country-Einflüsse der Rolling Stones zweifellos auch seiner Arbeit geschuldet.

In den einfach gestrickten Texten des Albums ging es weniger um Liebesleid und Herzschmerz als um tragische Dinge wie die Notwendigkeit einer Flucht nach Kanada, um nicht im Sarg aus Vietnam heimzukehren. Ein Gutteil der Abgrenzung der Band zur patriotischen Country-Szene ergab sich aus dem düsteren Unterton von Songs, die weit mehr mit dem Alltag US-amerikanischer Jugendlicher der Zeit zu tun hatten als die auf sie losgelassenen Heldenepen über Kriegshelden im Einsatz für Volk und Nation.

Ein halbes Jahrhundert nagt durchaus an der Patina eines der ersten Country-Rock-Alben. Heute ganz bestimmt nicht mehr spektakulär zu nennen, vermittelt es doch einen Eindruck davon, wie sehr die damalige Hippie-Szene bei allem Außenseitertum aus den Enttäuschungen und Hoffnungen ganz normaler Menschen erwachsen ist. "Wir haben keine Angst zu sterben" sangen Hillman und Parsons in dem bis heute bekannten Song Wheels. Der 1944 geborene Hillman ist der letzte Überlebende dieser Formation und zählt zu den wenig übriggebliebenen Repräsentanten einer kalifornischen Musikerszene, deren stilprägenden Einfluß auf die ihnen nachfolgenden Generationen US-amerikanischer KünstlerInnen zwischen Rock, Folk und Country zu würdigen zumindest hierzulande noch aussteht.

27. Februar 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang