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GESCHICHTE/070: Astronomie vor Galilei (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 5/09 - Mai 2009
Zeitschrift für Astronomie

Welt der Wissenschaft: Galilei-Serie, Teil 7
Astronomie vor Galilei
Tradition und Erneuerung der Beobachtungskunst von Claudius Ptolemäus bis Tycho Brahe

Von Giorgio Strano


Von den Anfängen der mathematischen Astronomie im 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts verwendeten Astronomen ausgeklügelte Messinstrumente, mit denen sie die Koordinaten der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Fixsterne mit immer höherer Präzision bestimmen konnten.


Die Figur des Astronomen ist in unserer idealisierten Vorstellung eng mit dem Teleskop verknüpft. Mit dem Auge am Okular des Instruments sucht er den Himmel ab, um ihm seine Geheimnisse zu entreißen. Seitdem Galileo Galilei vor 400 Jahren den Verführungen der himmlischen Sensationen erlag, die ihm die 30-fache Vergrößerung seines Teleskops enthüllte, und einen Großteil der Nacht am Teleskop zubrachte, haben Astronomen den Himmel mit immer leistungsstärkeren Instrumenten beobachtet. Und es ist noch kein Ende dieser Entwicklung in Sicht.

Aber seit der Einführung der Fotografie, insbesondere mit digitalen Detektoren, hat diese Idealvorstellung vom Astronomen mit der Wirklichkeit der Forscher, die heute an ihrem Computer sitzen und mit Hilfe ferngesteuerter, möglicherweise im Weltraum stationierter Teleskope ihre Daten sammeln, nur noch wenig zu tun. Die Idealvorstellung zeichnet aber auch nicht das Bild der Astronomen vor Galilei, die den Himmel mit Instrumenten beobachteten, die ganz anders funktionierten als Teleskope. Lange bevor die Astronomen die Gestalt der Himmelskörper bewunderten und ihre physikalische Natur erforschten, lag ihr Interesse darin, die Koordinaten von Sternen und Planeten und die wichtigsten Bestimmungsgrößen der Himmelskugel mit der höchstmöglichen Präzision zu ermitteln. Ihr Erfolg hing dabei vom Einsatz verschiedener Instrumente ab, die meist mit unterschiedlichen Messskalen ausgestattet waren. Im Lauf der Jahrhunderte haben diese Instrumente wichtige Entdeckungen ermöglicht, von der Präzession der Äquinoktien über die abnehmende Schiefe der Ekliptik und die wichtigsten Ungleichmäßigkeiten der Mondbahn bis hin zu den drei keplerschen Gesetzen. Mit dem Aufkommen des Teleskops sind diese Instrumente der »freiäugigen« Astronomie nicht gleich verschwunden. Vielmehr verhalf ihnen das Teleskop zu noch höherer Präzision.


Die alexandrinische Beobachtungstradition

Die erste vollständige Formalisierung der Astronomie verdanken wir einem Menschen, über den wir fast nichts anderes wissen. An seiner vermuteten Wirkungsstätte im Museum von Alexandria hat Claudius Ptolemäus (2. Jahrhundert n. Chr.) die Arbeiten großer Mathematiker wie Apollonios von Perge (3. Jahrhundert v. Chr.) und Hipparch von Nikaia (2. Jahrhundert v. Chr.) perfektioniert. Insbesondere seine »Mathematiké Syntaxis« (Mathematische Zusammenstellung) war über Jahrhunderte hinweg das umfassende, streng geordnete Standardwerk, in dem sich alle zur Lösung eines astronomischen Problems erforderlichen Theoreme nachschlagen ließen. Jedem Theorem war die verwendete empirische Grundlage vorangestellt, die neben den Beobachtungsdaten auch die Beschreibung der Instrumente umfasste, mit denen sie gewonnen wurden. In dieser Hinsicht war die »Syntaxis« auch ein praktisches Handbuch der Astronomie und ihr Erfolg erklärt zum Teil, warum die Instrumente zur Himmelsbeobachtung von der Antike bis zum 17. Jahrhundert mehr oder minder dieselben blieben.

Den ersten Platz in der Rangordnung der ptolemäischen Theoreme belegte der Lauf der Sonne entlang der Ekliptik, auf welche die Bewegungen aller Planeten bezogen wurden. Aus der gemessenen größten und kleinsten Zenitdistanz, welche die Sonne im Laufe eines Jahres zur Mittagszeit erreicht, das heißt aus dem Unterschied der Höhe der Winter- und der Sommersonnenwende, konnten der Breitengrad des Beobachters und die Neigung der Ekliptik zum Himmelsäquator bestimmt werden. Dabei war der Frühlingspunkt, in dem die Ekliptik den Himmelsäquator schneidet, wenn die Sonne von der Süd- in die Nordhalbkugel wandert, der gemeinsame Bezugspunkt des äquatorialen und des ekliptikalen Koordinatensystems.

Für die Untersuchung des Sonnenlaufs nannte Ptolemäus drei Instrumente (siehe Bildunterschriften 3 und 4). Das erste, die Solstitial-Armille, war ein Bronzering mit quadratischem Querschnitt, der auf einer Säule montiert war. Der Ring, dessen seitliche Stirnfläche in 360 Grad und entsprechende weitere kleinere Abschnitte unterteilt war, umschloss einen mit zwei Schattenzeigern ausgestatteten, schmaleren Ring und wurde in die Meridianebene gestellt. Um den Höchststand der Sonne zur Mittagszeit zu messen, wurde der innere Ring so lange gedreht, bis der Schatten des oberen Zeigers in die Mitte des unteren Zeigers fiel.

Dieselbe Beobachtung ließ sich auch mit einem zweiten, leichter bedienbaren Instrument durchführen, das in der italienischen Renaissance »Plinto« genannt wurde. Es war eine Platte aus Holz oder Stein mit einer ebenen, quadratischen Stirnseite, auf der ein Viertelkreis mit Teilstrichen markiert war. Im Kreismittelpunkt war ein Stift angebracht, der als Ausgangspunkt für die Markierung diente. Stellte man die quadratische Stirnseite der Platte in die Meridianebene, so konnte der Beobachter die Zenitdistanz der Sonne bestimmen, indem er den Punkt markierte, an dem das Zentrum des Schattens, den der Stift zur Mittagszeit warf, den Messquadranten schnitt. Aus der halben Summe und der halben Differenz der bei Sonnenwende gemessenen größten und kleinsten Zenitdistanz ließen sich so jeweils der Breitengrad des Beobachters und die Neigung der Ekliptik ermitteln.

Die vorteleskopischen Beobachtungen bildeten die Grundlage für die Ableitung der keplerschen Gesetze.

Den Durchgang der Sonne durch die Äquinoktialpunkte bestimmte man hingegen mit dem dritten Instrument, der Äquatorial-Armille. Dieser Ring mit quadratischem Querschnitt wurde in die Ebene des Himmelsäquators gestellt und hatte keine Skalenteilung. Als Ptolemäus die »Mathematiké Syntaxis« schrieb, waren zwei solcher Äquatorial-Armillen an öffentlichen Orten in Alexandria aufgestellt, eine weitere existierte zu Zeiten Hipparchs. Zur Bestimmung der Tagundnachtgleiche beobachtete man den Schatten, den der obere Teil des Ringes warf und der direkt ins Zentrum der Innenseite fiel, wenn die Sonne den Himmelsäquator passierte. Der Ablesefehler lag bei ungefähr sechs Stunden, ließ sich aber durch Mittelung über die zehn- oder hundertfach wiederholte Messung der Durchgänge der Sonne durch das Äquinoktium verringern. Auf dieser Grundlage konnte Ptolemäus die Jahreslänge bereits bis auf wenige Minuten genau bestimmen.

Auf die Untersuchung der Sonne folgte die Untersuchung des Mondes, die hauptsächlich mit zwei Geräten, dem Astrolab und dem parallaktischen Instrument durchgeführt wurde. Der Mond vermittelte zwischen dem Tag, wenn die Sonne die Lage der Ekliptik anzeigt, und der Nacht, wenn sich die Koordinaten von Sternen und Planeten relativ zur Ekliptik bestimmen lassen.

Das erste Instrument, das Astrolab (das heißt »Stern-Nehmer«, aus dem griechischen astron lambano), bestand aus sechs Ringen mit quadratischem Querschnitt. Der äußere Meridianring trug die Achse der Himmelspole, um die sich alle anderen Ringe drehen konnten. Zunächst waren dies zwei gleiche Ringe, die im Winkel von 90 Grad zueinander angeordnet waren, um den die Wendepunkte enthaltenden Kolur (so hieß der durch beide Pole verlaufende Großkreis) und die Ekliptik darzustellen. Der Längengrad der Sonne, der den entsprechenden Tafeln entnommen wurde, ließ sich auf der Messskala des Ekliptikrings mit einem vierten Kollimatorring einstellen, der außen um eine Achse der Ekliptikpole gedreht werden konnte. Durch gemeinsames Drehen aller Ringe um die Himmelspole konnte man den Ekliptikring mit Hilfe der üblichen Methode der Schattenprojektion am Kollimatorring mit der Himmelsekliptik synchronisieren. Danach wurde ein fünfter, weiter innen liegender Ring, der seitlich in 360 Grad und entsprechend feiner unterteilt war, um die Achse der Ekliptik gedreht, bis sich der Mond in dieser Ringebene befand. Die ekliptikale Länge des Mondes ließ sich auf der Messskala des Ekliptikrings ablesen, der Breitengrad konnte der Beobachter durch Bewegung des sechsten und letzten Rings, der mit Lochvisieren ausgestattet war, im fünften Messring ablesen.

Die Unsicherheit der Zeitmessung begrenzte die Genauigkeit der antiken Positionsastronomie.

Ptolemäus benutzte dieses sphärische Astrolab (auch Armillarsphäre genannt), um die Mondtheorie des Hipparch weiterzuentwickeln. Um aber den Mond, welcher der Erde ja viel näher ist als die anderen Gestirne, als Bezugspunkt beim Wechsel zwischen Tag und Nacht nutzen zu können, mussten die Beobachter die Auswirkungen der Parallaxe auf die scheinbare Position bestimmen.

Zu diesem Zweck entwarf Ptolemäus ein großes und empfindliches »parallaktisches Instrument«, bestehend aus einem vertikalen, hölzernen Lineal, dessen Skala in 60 Hauptteile unterteilt war. Die Skala war vier römische Ellen (circa 160 Zentimeter) lang und an jedem Ende mit einem Zapfenscharnier ausgestattet. Am oberen Scharnier war ein zweites, in der Meridianebene schwenkbares Lineal befestigt, das ebenfalls vier Ellen lang und mit zwei Lochvisieren ausgestattet war. Am unteren Scharnier war ein schmaleres Lineal befestigt, das dazu diente, die Position des freien Endes des zweiten Lineals abzulesen. Durch Schließen des Instruments ließ sich die Position auf der Vertikalskala ablesen, die letztlich die Länge der von der Zenitdistanz des Mondes aufgespannten Kreissehne anzeigte. Aus dem Vergleich der Meridianmessungen des Mondes in der kleinsten Zenitdistanz (fast ohne Parallaxe) und in der größten Zenitdistanz (mit erheblicher Parallaxe) schloss Ptolemäus, dass der Mond ungefähr 60 Erdradien von der Erde entfernt ist.

Nachdem er seine Mondtheorie definiert hatte, verwendete Ptolemäus die Armillarsphäre, um die Bewegung der anderen fünf bekannten Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn zu untersuchen und um Hipparchs Sternkatalog zu aktualisieren. Die Beobachtung erfolgte analog zu der tagsüber zur Bestimmung der Mondposition verwendeten Technik. Der Kollimator- und der Ekliptikring stellte der Astronom jedoch nicht auf den Längengrad der Sonne, sondern auf den Längengrad des Mondes ein. Nachdem alle Ringe gemeinsam gedreht worden waren, bis der Mond in der Ebene des Kollimatorrings erschien, ließ sich mit den beiden innersten Ringen des Astrolabs ein Stern oder Planet anpeilen und seine Länge und Breite ermitteln.

Aus Interesse für die Finsternisse behandelt Ptolemäus auch ein Instrument zur Messung der scheinbaren Winkeldurchmesser von Sonne und Mond. Die »vier Ellen lange Dioptra«, die er Hipparch zuschreibt, die aber bereits Archimedes von Syrakus (287 - 212 v. Chr.) eingeführt hatte, war ein Richtscheit mit Längsnut, bei dem man das Auge an einem Ende anlegte. Am anderen Ende befand sich ein Stift (nach Archimedes) oder ein Plättchen (nach Ptolemäus), das man in der Nut verschieben konnte. Den Winkeldurchmesser der Sonne oder des Mondes erhielt man aus dem Verhältnis zwischen der Länge des bedeckenden Abschnitts und seinem Abstand vom Auge, wenn die Scheibe des beobachteten Gestirns genau bedeckt erschien.

Ein anderes wichtiges Instrument, den Gnomon, erwähnt Ptolemäus nur kurz: ein vertikaler Stab zur Bestimmung der Zenitdistanz der Sonne aus der Länge seines auf eine horizontale Ebene geworfenen Schattens. Der Gnomon hatte bei den astronomischen Beobachtungen der Babylonier, Griechen und Ägypter eine zentrale Rolle gespielt; aber weil sein Schattenende unscharf war und nicht das Zentrum der Sonnenscheibe anzeigte, waren seine Möglichkeiten begrenzt. Die anderen in der »Syntaxis« beschriebenen Instrumente überwanden diese Grenzen.

Ptolemäus erwähnt nicht jene Art von Dioptra, die Heron von Alexandria im ersten Jahrhundert v. Chr. erfunden hatte. Dieses Instrument ließ sich mit Hilfe zweier Zahnräder, die durch Schraubvorrichtungen verriegelt werden konnten, auf Azimut und Höhe einstellen; seine Verwendung für astronomische Messungen bei Nacht war aber aufgrund der schwierigen Zeitmessung problematisch. Während eine gute Sonnenuhr bis auf wenige Sekunden genau war, wich eine Wasseruhr (oder Klepshydra) bereits innerhalb weniger Stunden einige Minuten ab, egal wie gut sie gebaut war. Wie jedoch jeder Astronom wusste, war die exakte Bestimmung der Zeit grundlegend, um mit Azimutkoordinaten zu arbeiten. Eine Abweichung von nur einer Minute von der wahren Beobachtungszeit konnte einen Fehler bis zu einem Viertelgrad bei der Umrechnung von Azimut- und Höhenkoordinaten in Rektaszension und Deklination beziehungsweise in Längen- und Breitengrad bedeuten. Mit der Armillarsphäre, auf der die ekliptikalen Koordinaten der Gestirne direkt abgelesen werden konnten, beseitigte Ptolemäus das Problem der Zeitmessung.


Der Islam und die Geburtsstunde des Observatoriums

Die »Mathematiké Syntaxis« wurde von berühmten Mathematikern aus Alexandria wie Pappos und Theon (4. Jahrhundert n. Chr.) gelesen und studiert. In den Beschreibungen der Instrumente des Ptolemäus entdeckten sie verschiedene Lücken und Unstimmigkeiten, denen sie abhelfen wollten. Theon verspürte das Bedürfnis, nützliche Hinweise zur Aufstellung der Instrumente hinzuzufügen. In seinem Kommentar zur »Syntaxis«, den er um das Jahr 360 schrieb, beschäftigte er sich eingehend damit, wie horizontale Bodenflächen zu realisieren seien und wie auf diesen die zur Bestimmung der Meridianebene der Beobachtung erforderliche Nordsüdrichtung aufgezeichnet werden sollte. Derartiges hatte Ptolemäus nicht behandelt, da er es für bekannt oder für eine Aufgabe des Architekten hielt. Eine Methode zur Markierung der Meridianlinie findet sich beispielsweise im »De architectura« des Vitruv (1. Jahrhundert v. Chr.).

Pappos konzentrierte sich in seinem Kommentar zu den sechs Büchern der »Syntaxis«, den er um das Jahr 320 schrieb, auf technologische Aspekte des Instrumentenbaus: Er machte detaillierte Angaben zu den Verbindungselementen, zur Verlötung der Bronzeteile der Armillarsphäre und zu den hölzernen Komponenten des parallaktischen Instruments. Für das Astrolab schlug er vor, den äußersten Ring in einen siebten, koplanaren Skalenring einzupassen, um die Neigung der Polachse zum Horizont variieren zu können. Das Astrolab ließ sich so auf die Breite des jeweiligen Beobachtungsorts einstellen. Darauf, dass Pappos an ein tragbares Gerät dachte, weist auch der Durchmesser von nur einer Elle (circa 40 Zentimeter) hin, den der äußere Ring haben sollte, sowie der Hinweis, das Instrument aufzuhängen. Für das parallaktische Instrument stellte Pappos klar, dass die verwendeten Lineale oder Richtscheite nicht auf derselben Ebene liegen durften, weil sie sich dann nicht übereinander schieben ließen, um auf der Vertikalskala die Position des freien Endes des oberen drehbaren Lineals abzulesen.

Proklos (412 - 485), der letzte griechischsprachige Kommentator der »Syntaxis«, wies sich nicht immer als profunder Kenner der Astronomie aus. In seiner »Hypotyposis« (Entwurf) schrieb er ausführlich über die Solstitial-Armille, die auf einen quadratischen Ständer mit bestimmten Abmessungen montiert wurde, einen Durchmesser von nur einer halben römischen Elle (rund 20 Zentimeter) hatte und dennoch eine Skaleneinteilung von bis zu einer Bogenminute zuließ. Seiner Aussage nach ließen sich alle Funktionen des Plinto und des parallaktischen Instruments in der Solstitial-Armille zusammenfassen, während die Armillarsphäre das andere für den Astronomen wirklich nützliche Instrument war.

Diese Fülle von Originalbeschreibungen und mehr oder minder bedeutenden Kommentaren gelangte in die Hände der islamischen Mathematiker. Die »Syntaxis« des Ptolemäus wurde bereits zu Beginn des 9. Jahrhunderts in Bagdad auf Wunsch des Kalifen Abd Allah al-Mamun ins Arabische übersetzt. Nachdem das Werk die Bezeichnung »Al-magisti« (das Große) erworben hatte, war es fortan als »Almagest« bekannt. Dieses Werk gab den Anstoß zu neuen Forschungen in Theorie und Praxis. Insbesondere der Wunsch, die Ergebnisse zu aktualisieren und sie für zivile, religiöse und astrologische Zwecke zu nutzen, führte dazu, dass verschiedene Kalifen die Herstellung von Präzisionsinstrumenten förderten. Al-Mamun förderte den Bau zweier Observatorien in Bagdad und Damaskus, um neue Daten zur Aktualisierung der Tafeln zur Sonnenbewegung zu erhalten. Damit sollten der Kalender, die Tageszeit und die heilige Himmelsrichtung nach Mekka bestimmt werden. Beide Observatorien waren mit ptolemäischen Instrumenten ausgestattet, die deutlich größer waren als in den griechischen Texten überliefert. Beispielsweise befand sich im Observatorium von Damaskus ein großer Marmorquadrant, der dem Plinto des »Almagest« nachempfunden war und dessen Radius zehn Ellen (etwa vier Meter) betrug.

Die Tendenz, Instrumente großer Abmessungen zu bauen, tritt in der islamischen Astronomie beständig auf. Größere Messskalen erlaubten feinere Gradeinteilungen, so dass Instrumente mit größeren Abmessungen eine höhere Präzision zu gewährleisten schienen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Dimension und Präzision war aber nicht selbstverständlich, da größere Instrumente mit größeren Konstruktionsfehlern behaftet und stärkeren Verformungen ausgesetzt waren als kleinere Geräte. Dies belegt ein Gnomon aus Eisen, den al-Mamun in Bagdad errichten ließ: Das zehn Ellen hohe Instrument erwies sich als untauglich, weil sich seine Maße im Laufe des Tages ständig mit der Temperatur veränderten.

Bei dem Versuch des Kalifen al-Amir bi-Ahkam Allah, in Kairo ein Observatorium zu errichten, traten dieselben Materialprobleme auf. Das Prachtstück des Observatoriums, mit dessen Bau im Jahre 1120 begonnen wurde, sollte eine Solstitial-Armille aus Kupfer sein, die so groß war, dass ein Mann auf seinem Pferd hindurchreiten konnte. Die Konstruktion stellte die technischen Fertigkeiten der beteiligten Handwerker auf eine harte Probe: Um die Gussform der Armille herum wurden zehn Öfen aufgebaut, die mit je zwei Paar Blasebälgen ausgerüstet waren; der Guss, der vom Kalifen persönlich überwacht wurde, musste wiederholt werden, bevor ein befriedigendes Ergebnis erzielt werden konnte. Dennoch zeigten schon die ersten Beobachtungen, dass das Instrument unter seinem Eigengewicht nachgab, so dass Abweichungen von mehr als einem Grad auftraten.

Vielleicht gerade aufgrund ihrer Vorliebe für große Instrumente zeichnete sich in der islamischen Welt die Tendenz ab, astronomische Observatorien einzurichten, die als hochgradig organisierte Institutionen begriffen wurden. Das heißt nicht, dass es an privaten Initiativen fehlte, ganz im Gegenteil: Sie wurden von sowohl intellektuell fähigen als auch wirtschaftlich gut situierten Persönlichkeiten ergriffen. Beispielsweise führte Mohammed al-Battani zwischen 877 und 918 in Rakka, im Norden des heutigen Syrien, Beobachtungen mit einem Gnomon, einem Quadranten und einem parallaktischen Instrument durch. Auf der Grundlage seiner Ergebnisse verfasste er eine Abhandlung mit aktualisierten Tafeln der Planetenbewegungen. Auf private Initiative hin wurden auch alternative Wege zu Ptolemäus gesucht. Ibn Sina (980 - 1037), besser bekannt als Avicenna, führte Beobachtungen mit einem selbst erfundenen azimutalen Instrument durch, dessen Basis einen Durchmesser von etwa sieben Metern hatte. Allerdings erzielte dieses Instrument aus denselben Gründen, die zur Aufgabe von Herons Dioptra geführt hatten, keine brauchbaren Ergebnisse.

Angesichts Dutzender selbstständiger Astronomen kamen die lokalen Herrscher zu dem Schluss, dass nur eine spezielle Institution gültige Ergebnisse gewährleisten konnte. Die Merkmale dieser Art von Institution zeichneten sich etwa im 12. Jahrhundert vollständig ab. Ein Observatorium sollte verfügen über: 1) einen geeigneten Ort für die Beobachtungen; 2) ein Hauptgebäude mit den Großinstrumenten, darunter ein Mauerquadrant, eine Solstitial-Armille, eine Äquatorial-Armille, ein parallaktisches Instrument (so ausgeführt, dass es sich um seine Vertikalachse drehen ließ) und eine Armillarsphäre; 3) ein Nebengebäude oder »kleines Observatorium« mit Rechengeräten wie Himmelsgloben, flachen Astrolabien, Schiebern, Zirkeln etc.; 4) eine Bibliothek mit allen erforderlichen mathematischen Abhandlungen; 5) eine Forschungsgruppe, geleitet von einem exzellenten Mathematiker; 6) ein langfristiges, auf systematischen Beobachtungen basierendes Forschungsprogramm. Die Abhängigkeit einer solchen Institution von Finanzmitteln, die von der Politik bereitgestellt wurden, führte dazu, dass sich der Forschungszweck oft nach den Interessen der Machthaber richtete. Hatte man sich zuvor mit den Problemen beschäftigt, die den religiösen Führern am Herzen lagen, also der Bestimmung des Kalenders, der Zeit sowie der Richtung nach Mekka, so beschäftigte man sich nun mit der Entwicklung der Astrologie, die der Regierung für ihre Entscheidungsfindung sehr nützlich erschien.

Das erste islamische Observatorium, das all diese Merkmale erfolgreich in sich vereinte, wurde zwischen 1259 und 1263 auf Wunsch von Hülägü Khan, einem Enkel des Dschingis Khan, auf einem Hügel in der Nähe von Maragheh im heutigen Aserbaidschan errichtet. Seine Leitung wurde Nasir at-Din at-Tusi (1201 - 1274), einem der größten Mathematiker der Zeit, anvertraut, der ein systematisches Beobachtungsprogramm für einen Zeitraum von dreißig Jahren vorschlug. Dieser Zeitraum war unbedingt erforderlich, um mit den großen ptolemäischen Instrumenten alle Bewegungen der Gestirne einschließlich eines vollständigen Saturnumlaufs zu erfassen. Hülägü forderte hingegen, dass die ersten Ergebnisse, das heißt neue astronomische Tafeln, viel früher zur Verfügung stehen sollten. So erstellte at-Tusi ein Programm für zwölf Jahre, die Zeit eines vollständigen Jupiterumlaufs. Zwar sollte erst der Sohn von Hülägü die »Zij-i Ilkhani« (Tafeln des Ilkhan) in Empfang nehmen, doch auch vor Ablauf der zwölf Jahre geizte at-Tusi nicht mit astrologischen Ratschlägen und war bei deren Formulierung derart versiert, dass er dem Khan oft seine eigenen Wünsche unterschob. Unter der Leitung von at-Tusi wurde das Observatorium von Maragheh ein Begegnungszentrum für bedeutende Mathematiker, die mit Hilfe der gesammelten astronomischen Daten eine erste theoretische Reform der ptolemäischen Astronomie einleiteten.

Die beiden anderen größeren islamischen Observatorien hatten nicht dieselbe Fortune. Um das Jahr 1420 baute und leitete Ulugh Beg (1394 - 1449), Enkel von Tamerlan und allgemeiner Förderer der Wissenschaften, das Observatorium von Samarkand. Das bemerkenswerteste Ergebnis von Ulugh Beg und seinen Assistenten war die Erstellung der »Zij-i Sultani« (Tafeln des Sultan), denen ein neuer, originaler Sternkatalog zur Seite gestellt wurde, der zweite nach dem »Almagest«. Giyath ad-Din Jamshid ak-Kashi (gestorben 1429) war der wichtigste Mathematiker des Observatoriums. Seinen Notizen zufolge war der Katalog das Ergebnis von Beobachtungen, die mit einem sphärischen Astrolab aus Kupfer durchgeführt worden waren. Der Niedergang des Observatoriums begann mit der Ermordung Ulugh Begs durch seinen Sohn, der sich mehr für die Politik als für die Sterne interessierte. Noch heute sind jedoch Spuren des enormen Mauerquadranten (oder möglicherweise Sextanten) vorhanden, den Ulugh Begh für die Beobachtung der Sonne verwendete. Seine marmorverkleidete Messskala hat einen Radius von gut 40 Metern (siehe Bildunterschrift 5).

Ein traurigeres Schicksal ereilte das Observatorium von Istanbul, das von 1575 bis 1577 im Auftrag des Sultans Murad III. erbaut und von Taki at-Din Mohammed al-Rashid ibn Maruf geleitet wurde. Um seine ersten astrologischen Prognosen zu formulieren, wartete Taki ad-Din nicht, bis die Positionen aller Gestirne während eines Umlaufs des Saturn oder Jupiter erfasst waren. Die Prognosen, insbesondere die aus der Kometenerscheinung im Jahre 1577 abgeleitete Prognose über den glücklichen Ausgang des Feldzugs, den der Sultan gegen Persien führte, stellten sich als verfehlt heraus. Dieser Umstand bekräftigte die von den gegen das Observatorium eingestellten religiösen Oberhäuptern vorgetragenen Verdachtsmomente, dass Taki ad-Din mit dem Planeten Saturn im Bunde sei. Im Jahre 1580 befahl der Sultan den Abriss des Observatoriums »vom Apogäum bis zum Perigäum«, was mit Zustimmung von Taki ad-Din auch geschah. Wie die großen ptolemäischen Instrumente aussahen, die für das Observatorium gefertigt wurden, ist immerhin durch die Miniaturen einer handschriftlichen Abhandlung belegt, die in der Universitätsbibliothek in Istanbul aufbewahrt wird (siehe Bildunterschrift 6).


Die europäische Reform der Astronomie

Das lateinsprachige Europa bekam über die islamische Vermittlung Kenntnis von den Ergebnissen der hellenistischen Astronomie von Alexandria. Seit dem 12. Jahrhundert gelangten die ersten lateinischen Fassungen griechischer Werke auf der Grundlage arabischer Übersetzungen nach Europa. Die erste war die von Gherardo da Cremona (circa 1114 - 1187) in Toledo angefertigte Übersetzung des »Almagest«. Ausgangspunkt ihrer Verbreitung war Spanien, wo sich beide Kulturen begegneten. Hier versammelte König Alfonso X. von Kastilien (1221 - 1284), genannt »El Sabio« (der Weise), eine Gruppe islamischer, christlicher und jüdischer Astronomen um sich. Als großer Schirmherr der Wissenschaften förderte Alfonso X. die mehrbändige Verfassung eines Werks, der »Libros del saber de astronomia«. Neben neuen Tafeln zu den Planetenbewegungen wurde darin die Verwendung verschiedener Rechengeräte islamischen Ursprungs und einiger Beobachtungsinstrumente der ptolemäischen Schule beschrieben, wie beispielsweise die Armillarsphäre.

Europäer, die sich mit Astronomie befassten, waren von den islamischen wie auch von den ptolemäischen Geräten in doppelter Hinsicht abhängig. Im Jahre 1268 zog Roger Bacon (circa 1214 - 1292) Papst Clemens IV. gegenüber den resignierten Schluss, dass für die Astronomie Ausgaben in gewaltiger Höhe von mehr als zweihundert oder dreihundert (damaligen) Pfund Sterling erforderlich seien, um Instrumente aus islamischer Herstellung zu erwerben - dabei war er von den geringen örtlich vorhandenen Kompetenzen überzeugt. Eine andere Ansicht vertrat der Abt von St. Albans, Richard von Wallingford (1292 - 1336): Er versuchte sich durch eigene Neuerfindungen von den islamischen Rechengeräten und den ptolemäischen Beobachtungsinstrumenten unabhängig zu machen. Zumindest im Fall der Beobachtungsinstrumente waren die Ergebnisse jedoch nicht zufriedenstellend. Der von Wallingford im Jahre 1326 zur Messung der Himmelskoordinaten konstruierte »Rectangulus« erwies sich als Fehlschlag; er bestand aus verschiedenen Messlinealen, die über Scharniere miteinander verbunden und teils mit Visiervorrichtungen versehen waren. Mehrere Senklote dienten dazu, jeweils die Richtung und die Neigung der Lineale anzuzeigen.

Zwei andere Instrumente, die aus der alexandrinischen Tradition entwickelt wurden, waren erfolgreicher. Das »Torquetum« (von lateinisch: torqueo = drehen) wurde im 8. Jahrhundert erstmals beschrieben und war Wallingford gut bekannt, denn er nahm es in die Liste der Instrumente am Ende seiner Abhandlung über den Rectangulus auf. Es handelte sich um eine Weiterentwicklung der Armillarsphäre von Ptolemäus. Die Bronzeringe waren durch Messingscheiben ersetzt worden, dadurch waren die Bauteile des Instruments nicht mehr ineinander, sondern übereinander angeordnet (siehe Bilduterschrift 7). Die horizontale Basis fungierte als Träger einer Äquatorebene mit einer ersten drehbaren Messscheibe, die eine zweite drehbare, entsprechend der Schiefe der Ekliptik geneigte Messscheibe trug. Diese Ekliptikscheibe verfügte über einen mit einer Visiervorrichtung ausgestatteten Dreharm, auf dem sich ein weiterer Träger einer dritten, lotrecht zur Ekliptik angebrachten Messscheibe befand. Ein zweiter Dreharm mit Visiervorrichtungen, an dem eine Halbscheibe mit Senklot angebracht war, vervollständigte das Instrument. Mit Hilfe dieser Konstruktion ließen sich auf dem Torquetum die ekliptikalen Koordinaten der Gestirne bestimmen. Stellte man die Ekliptikscheibe auf den Äquator ein, so konnte der Beobachter die äquatorialen Koordinaten vermessen. Stellte man schließlich auch die Äquatorscheibe in die Horizontalebene, ließen sich die azimutalen Koordinaten bestimmen. Allerdings ergaben sich beim Einsatz dieses vielseitigen Instruments durch das Überlagern der Drehachsen und Drehgelenke erhebliche Messfehler.

Das zweite Instrument, der Jakobsstab (auch Kreuzstab oder Gradstock genannt, Bildunterschrift 8), taucht erstmals im 14. Jahrhundert in der Beschreibung des jüdischstämmigen Mathematikers Levi ben Gerson auf. Das Instrument war eine Weiterentwicklung der »vier Ellen langen Dioptra« aus alexandrinischer Tradition. Es bestand aus einem langen Stab, auf dem ein kleinerer Stab als senkrechter Schieber verlief. Der Winkelabstand zwischen zwei Gestirnen wurde gemessen, indem man das Auge an ein Ende des langen Stabs setzte und den Schieber vor- und zurückbewegte. Aus dem Verhältnis zwischen Länge und Abstand des Schiebers vom Auge in der Stellung, in der die mit Visiereinrichtung versehenen Schieberenden die beiden Gestirne berührten, ließ sich der gesuchte Winkel bestimmen. Alternativ dazu konnte man zur Messung der Höhe des Gestirns über dem Horizont das Instrument in der Senkrechten halten.

Die wahre Renaissance der beobachtenden Astronomie in Europa begann mit Johannes Müller aus Königsberg (1436 - 1476), bekannt auch unter dem Namen Regiomontanus (siehe Bildunterschrift 9). Wie sein Lehrmeister Georg von Peurbach (1423 - 1461), Professor der Astronomie in Wien, war er der Überzeugung, dass Neuerungen in der Sache auf antike mathematische Werke zu gründen seien. Regiomontanus verfolgte diesen Weg, indem er griechische Originaltexte suchte, Übersetzungen, Kommentare und neue Auflagen herausgab, aber auch ein Observatorium in Nürnberg einrichtete. Neben der »Epytoma in Almagestum Ptolomei«, einem um 1462 fertig gestellten Kompendium, in dem auch alle traditionellen Beobachtungsmittel aufgeführt sind, hinterließ Regiomontanus Schriften über das Torquetum, die Armillarsphäre (in der Tradition der Kommentatoren von Ptolemäus mit sieben Ringen, siehe Bildunterschrift 9), das parallaktische Instrument (in der um die senkrechte Achse drehbaren Version aus der islamischen Tradition) und den Kreuzstab.

Diese Schriften wurden von Johann Schöner (1477 - 1547) gesammelt und im Jahre 1544 mit ergänzenden Beobachtungen aus dem Nürnberger Observatorium posthum veröffentlicht. Aus den Daten ist ersichtlich, dass Regiomontanus den Kreuzstab und das parallaktische Instrument nutzte, während erst sein Schüler und Mäzen Bernard Walther (1430 - 1504) das sphärische Astrolab im Observatorium einführte. Nachdem sein Meister unter ungeklärten Umständen in Rom gestorben war, bestimmte Walther die Positionen der Sterne und Planeten mit der bis dahin noch nie erreichten Genauigkeit von fünf Bogenminuten.

Die von Regiomontanus innerhalb der ptolemäischen Tradition eingeleitete Erneuerung beeinflusste unter anderem Nikolaus Kopernikus (1473 - 1543). Kopernikus war kein systematischer Beobachter: Zur Eichung seiner in »De revolutionibus orbium coelestium« (1543) vorgestellten heliozentrischen Planetenmodelle verwendete er Daten der Antike, die von Regiomontanus handschriftlich kursierenden Daten sowie eigene Daten. Schon im Jahre 1514 hatte er in einem der Türme der Grenzmauer der Kathedrale von Frombork, wo er Domherr war, ein Observatorium mit drei Holzinstrumenten eingerichtet. Es gab dort einen Quadranten, eine Armillarsphäre und ein parallaktisches Instrument (Bildunterschrift 10), das sich um die Vertikalachse drehen ließ. Nur zu diesem gibt es genaue Angaben, da es glücklicherweise vierzig Jahre nach Kopernikus Tod in die Hände des größten Beobachters der gesamten präteleskopischen Astronomie fiel.

Tycho Brahe (1546 - 1601) war ein Adliger aus Dänemark, der sich schon von Jugend an mit Astronomie befasste und sich vornahm, sie auf der Grundlage neuer, genauester Beobachtungen zu reformieren. Seit seiner Studienzeit konstruierte Tycho Messinstrumente unterschiedlicher Art. Er war profunder Kenner der ptolemäischen Tradition, aber auch offen für die Vorschläge, die ihn aus Kassel erreichten. Dort versuchte Landgraf Wilhelm IV. (1532 - 1592), die Bestimmung der Himmelskoordinaten der Gestirne bei ihrem Meridiandurchgang mit kostspieligen mechanischen Uhren zu perfektionieren. Vielleicht hatte Tycho auch ein offenes Ohr für die Neuigkeiten aus den großen islamischen Observatorien, jedenfalls aber hatte er das Glück, in König Friedrich II. von Dänemark einen einzigartigen Förderer zu finden, der bereit war, ihn über jedes vernünftige Maß hinaus finanziell zu unterstützen.

Nachdem er 1576 die Insel Hven im ¥resund als Lehen erhalten hatte, begann Tycho mit der Verwirklichung eines Observatoriums, das er mit selbst konstruierten Instrumenten ausstattete: mit Azimutalquadranten, Sextanten, Armillarsphären und parallaktischen Instrumenten. Nicht alle diese Geräte erwiesen sich als brauchbar, denn man musste einsehen: Die kalten Winde, die gerade im Winter über die Insel Hven jagten, wenn die Zeit für Beobachtungen besonders günstig war, ließen nicht nur die eigens zur Aufstellung der Instrumente gebauten Terrassen von Uraniborg, sondern auch die zahlreichen dort arbeitenden Assistenten erzittern.

Im Jahr 1584 begann Tycho unweit der Stadt Uraniborg einen neuen, unterirdischen Bau. Es entstand das Observatorium von Stjerneborg, das mit zwei Quadranten, einem Sextanten und zwei sphärischen Astrolabien optimal ausgerüstet war (siehe Bildunterschrift 11). Die von Tycho und seinen Assistenten am neuen Observatorium durchgeführten Beobachtungen der Sterne und Planeten erreichten die bis dahin unbekannte Präzision von einer Bogenminute.

Dieser neue Meilenstein wurde nicht nur dank der allgemeinen technischen Lösungen erreicht, die Tycho einführte, um die Konstruktion der Instrumente zu vereinfachen. Auch seine technischen Neuerungen, wie etwa die Verwendung neuer Visiere oder neue Techniken der Skaleneinteilung, trugen hierzu bei (siehe Bildunterschrift 12). Tycho gab schließlich die traditionellen Lochvisiere auf und verwendete Visiere mit Schlitzen. Bei den Messskalen war seine Technik, zwischen zwei Hauptteilungen eine Reihe von Nebenteilungen anzuordnen, die mit Punkten markiert in Quersegmenten angeordnet waren.

Der Schlüssel für die außerordentliche Präzision, die in Hven erreicht wurde, lag jedoch in Tychos Fachwissen, mit dem er im Rahmen einer konsolidierten Tradition wohl dosierte Innovationen einführte. In den Jahren, in denen er Uraniborg einrichtete, versuchte er sich von der ptolemäischen Praxis zu befreien, die den Mond als Bezugspunkt für den Übergang zwischen Tag und Nacht vorsah. Er wollte den von Landgraf Wilhelm IV. eingeführten Versuch weiterentwickeln, den Meridiandurchgang der Gestirne dafür zu nutzen. Nachdem er bald gemerkt hatte, dass alle verfügbaren Uhren letztlich immer unzuverlässig waren, gab Tycho diesen Versuch auf, die ptolemäische Praxis weiterzuentwickeln.

Ihr Schwachpunkt bestand im Mond als Bezugspunkt. Der Mond besaß eine hohe Eigenbewegung (circa 30 Bogenminuten pro Stunde) und war tatsächlich schwer anzupeilen. Tycho fand im Planeten Venus einen neuen Bezugspunkt, der nahezu punktförmig war, eine geringere Eigenbewegung hatte (circa 2,5 Bogenminuten pro Stunde), und der in seltenen Fällen sogar bei vollem Tageslicht zu sehen war. Durch eine neue Auswertung des überlieferten ptolemäischen Wissens konnte Tycho Daten mit einer Präzision zusammenstellen, die später die Entdeckung der drei Gesetze über die Planetenbewegungen erst möglich machte, denn er vererbte diese Daten seinem brillanten Assistenten Johannes Kepler (1571 - 1630).


Das Ende einer Tradition

Die Beobachtungsinstrumente, die Ptolemäus skizziert hatte und die sich in einem langsamen Prozess von den ersten Kommentatoren des »Almagest« über die großen islamischen Mathematiker bis hin zu Tycho entwickelt hatten, wurden durch das Teleskop nicht verdrängt. In allen Observatorien, in denen die Präzisionsastronomie gepflegt wurde, überdauerten diese Instrumente neben dem Teleskop noch fast hundert Jahre. Mit der Zeit wurde das Teleskop in diese Instrumente integriert: Es ersetzte schließlich die Lochvisiere der alexandrinischen Tradition oder die von Tycho erfundenen Visiervorrichtungen mit Schlitzen und ermöglichte den Astronomen des 18. Jahrhunderts eine zuvor unerreichbare Präzision.

Erst das Aufkommen wirklich zuverlässiger, über mehrere Tage hinweg sekundengenauer Uhren bedeutete das endgültige Aus für die Instrumente der freiäugigen Astronomie. Viel mehr noch als das Teleskop machten diese Uhren den Traum zur Wirklichkeit, den die Astronomen zwei Jahrtausende lang geträumt hatten: Jetzt endlich konnte man die Himmelskoordinaten eines Gestirns mit nur einem, genau in der Meridianebene des Beobachtungsorts aufgestellten Messkreis - dem klassischen Passageinstrument - und einem Chronometer bestimmen.

Aus dem Italienischen von Susanne Grandel.


Giorgio Strano ist Kurator der Sammlungen im Institut und Museum für Wissenschaftsgeschichte (IMSS) in Florenz. Er beschäftigt sich vor allem mit der Geschichte der Astronomie von der Antike bis ins 17. Jahrhundert.


Literaturhinweise

Astronomie vor Galilei. Spektrum der Wissenschaft Dossier 4/2006.

du Mont, B.: Ulugh Beg, Astronom und Herrscher in Samarkand. In: Sterne und Weltraum 9 - 10/2002, S. 38 - 46.

Evans, J.: The History and Practice of Ancient Astronomy, Oxford University Press, New York 1998.

Price, J. D.: Precision Instruments to 1500, in: Singer, C. A History of Technology, Oxford University Press, New York 1954 - 1984, v. 3, S. 582-619. Sayili, A.: The Observatory in Islam, Arno Press, New York 1981.

Schwan, H.: Die Sternkataloge des Ptolomäus, Ulugh Beg und Tycho Brahe im Vergleich. In: Sterne und Weltraum 9 - 10/2002, S. 48 - 51.

Strano, G.: L'osservatorio essenziale: fortuna e ricezione degli strumenti astronomici di Tycho Brahe dall'Europa alla Cina, Giornale di Astronomia 33, n. 4, S. 8 - 15, 2007.

Strano, G.: Strumenti alessandrini per l'osservazione astronomica: Tolomeo e la »Mathematiké syntaxis«, Automata 2, S. 79 - 92, 2007.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
Claudius Ptolemäus verfasste im 2. Jahrhundert n. Chr. die »Syntaxis«, die erste systematische Darstellung der Astronomie. In islamischer Zeit wurde das Werk als »Almagest« bezeichnet.

Bildunterschrift 2:
Tycho Brahe (1546 - 1601), hier nach einem zeitgenössischen Porträt unbekannter Provenienz, gilt als der größte Astronom der vorteleskopischen Zeit.

Bildunterschrift 3:
Ptolemäus beschreibt drei Instrumente zur Beobachtung der Sonne, von links nach rechts: die Solstitial-Armille, den »Plinto« und die Äquatorial-Armille. Es folgen die beiden Instrumente zur Mondbeobachtung das sphärische Astrolab, auch Armillarsphäre genannt, und das »parallaktische Instrument«.

Bildunterschrift 4:
Die »vier Ellen lange Dioptra« diente nach Ptolemäus zur Bestimmung des Winkeldurchmessers der Sonne oder des Mondes (oben). Rechts ist die Dioptra des Heron von Alexandria dargestellt.

Bildunterschrift 5:
Ulugh Beg, Herrscher von Samarkand und begeisterter Förderer der Wissenschaften, ließ im 15. Jahrhundert diesen großen Quadranten (oder Sextanten) errichten, dessen marmorverkleidete Messskala einen Radius von gut 40 Metern hatte. Links blickt man von Süden, in der Mitte von Norden in das Instrument. Die Skizze ganz rechts illustriert, wie die Beobachtungen an diesem gigantischen Instrument mit mobilem Visiergerät durchgeführt wurden.

Bildunterschrift 6:
Im 16. Jahrhundert ließ Sultan Murad II. das astronomische Observatorium von Istanbul errichten, befahl jedoch bald danach dessen Abriss. So sind von den verwendeten Instrumenten nur deren Darstellungen in zeitgenössischen Miniaturen verblieben - hier die Darstellung des sphärischen Astrolabs.

Bildunterschrift 7:
Das Torquetum, eine frühmittelalterliche Weiterentwicklung der Armillarsphäre, diente der Vermessung der ekliptikalen und äquatorialen Koordinaten der Gestirne.

Bildunterschrift 8:
Der mittelalterliche Jakobsstab war eine Weiterentwicklung der »vier Ellen langen Dioptra« des Ptolemäus.

Bildunterschrift 9:
Johannes Regiomontanus aus Königsberg führte die astronomische Tradition der Antike fort und belebte sie neu. Die nebenstehende Darstellung der Armillarsphäre stammt aus seinen eigenen Schriften. Ihm verdankte Kopernikus die Kenntnis der Beobachtungsdaten aus der Antike.

Bildunterschrift 10:
Das parallaktische Instrument des Kopernikus gelangte in den Besitz Tycho Brahes, der es selbst einsetzte und auch beschrieb.

Bildunterschrift 11:
Die drei größten Instrumente von Tychos Stjerneborg waren von oben nach unten der Sextant, der Quadrant und die Armillarsphäre.

Bildunterschrift 12:
Durch die Einführung neuer Visiere und Messskalen konnte Tycho Brahe die Leistungsfähigkeit seiner Instrumente erheblich verbessern: Seine Positionsbestimmungen waren bis auf eine Bogenminute genau. Mit ihm erreichte die vorteleskopische Astronomie ihren Höhepunkt.


© 2009 Giorgio Strano, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1, 2, 3, 4, 5 und 6 der Serie finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Naturwissenschaften -> Astronomie ->
GESCHICHTE/064: Galileis Revolution und die Transformation des Wissens (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/065: Wie entstehen neue Weltbilder? (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/066: Die Ursprünge des Teleskops (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/067: Galileis astronomische Werkstatt (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/068: Das Rot der Augen - Die Erforschung der Sonne zur Zeit Galileis (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/069: Wie auf Erden, so im Himmel. Zwei Welten - eine Physik (Sterne und Weltraum)


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Quelle:
Sterne und Weltraum 5/09 - Mai 2009, Seite 42 - 52
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2009