Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → ASTRONOMIE

GESCHICHTE/079: Die Entdeckung des Orionnebels (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 11/10 - November 2010
Zeitschrift für Astronomie

Die Entdeckung des Orionnebels
Historische Aufzeichnungen aus dem Jahr 1610 neu gesichtet

Von Harald Siebert


Im November des Jahres 1610, vor genau 400 Jahren, entdeckte der französische Gelehrte Nicolas-Claude Fabri de Peiresc den heute so berühmten Nebel im Schwert des Orion per Teleskop - noch im gleichen Jahr, als dieses neuartige Instrument mit Galileo Galilei seinen Einzug in die Astronomie hielt. Jetzt zugängliche Handschriften von de Peiresc werfen ein neues Licht auf den Orionnebel.


Der Orionnebel zählt zu den bekanntesten astronomischen Objekten. Sein rötliches Leuchten sowie die bizarren Farbverläufe faszinieren. In seiner ganzen Pracht zeigt er sich aber nur auf fotografischen Aufnahmen (siehe Bild ganz rechts). Beim Blick durchs Teleskop ist davon weit weniger zu sehen. Seine Ausmaße sind aber so gewaltig, dass er trotz einer Distanz von rund 1400 Lichtjahren selbst dem bloßen Auge noch als Lichtfleck erscheint. Angesichts dessen mag es verwundern, dass der Große Orionnebel erst seit wenigen hundert Jahren bekannt ist. Astronomiegeschichtlich ist dies allerdings eine recht kurze Zeit. Im 18. Jahrhundert fand dieser Nebel im Schwert des Orion dann Eingang in die im Jahr 1774 veröffentlichte erste Fassung des von Charles Messier (1730-1817) veröffentlichten Katalogs, worin er die Nummer 42 erhielt. Daraus resultiert die heute sehr gebräuchliche Bezeichnung M 42.

Die gängige Entdeckungsgeschichte scheint aber weniger gesichert als bisher angenommen, nachdem die handschriftlichen Notizen von Nicolas-Claude Fabri de Peiresc (1580-1737) in meiner Veröffentlichung in den »Annals of Science« im vergangenen Jahr erstmals vollständig zu lesen sind und in Übersetzung vorliegen. Die Aufzeichnungen des französischen Gelehrten werfen ein neues Licht auf die Beobachtungen und womöglich auch auf die Geschichte des Orionnebels selbst.


Für das bloße Auge unsichtbar

Die griechisch-römische Astronomie kannte genauso wenig einen Nebel im Schwert des Orion wie die chinesische oder arabische. Doch auch das Fehlen von Berichten aus vorteleskopischer Zeit erlaubt für sich genommen nicht den Schluss, dass der Orionnebel für das bloße Auge völlig unsichtbar war. Hierfür liefert der allseits bekannte Andromedanebel M 31 ein Beispiel. Obwohl dieser Nebel auch im Mittelalter mit bloßen Augen durchaus zu erkennen war - der persische Astronom Abd ar-Rahman as-Sufi (903-986) verzeichnete ihn nämlich in seinem Buch der Fixsterne -, blieb er im Abendland dennoch völlig unbekannt. So konnte Simon Mayer (15734), der den Andromedanebel im Jahr 1612 durch ein Teleskop erblickte, zeitweise als sein Entdecker gelten.

Genauso unbekannt wie M 31 blieb der Orionnebel den lateineuropäischen Astro nomen, solange das Teleskop noch nicht erfunden war. Den frühen Nachrichten über M 42 ist aber zu entnehmen, dass der Nebel im Schwert des Orion selbst im 18. Jahrhundert noch nicht mit bloßem Auge gesehen wurde. So diente Robert Hooke (1635-1703) dieser Nebelstern als Beispiel für eine teleskopische Entdeckung. Edmond Halley (1656-1742) zählte ihn im Jahr 1716 zu solchen Nebulae, die sich nur durch ein Fernrohr zeigten. Johann Elert Bode (1747-1826) setzte für die Beobachtung von M 42 noch gute Teleskope voraus, und wie sich dem Physikalischen Wörterbuch von Johann Samuel Gehler (1751-1795) entnehmen lässt, war M 42 im Gegensatz zum Andromedanebel Ende des 18. Jahrhunderts für das bloße Auge weiter unzugänglich.

Während wir heute mit bloßem Auge M 42 zumindest als einen Fleck im Schwert des Orion erkennen, war dies im 18. Jahrhundert offenbar nicht möglich. Das Fehlen von Berichten aus vorteleskopischer Zeit scheint daher darauf hinzuweisen, dass M 42 ohne Teleskop tatsächlich nicht zu sehen war.

Dies wirft die Frage nach einer Veränderlichkeit des Orionnebels auf. Darin liegt ein weiterer Unterschied zu M 31. Bei dem Nebel im Sternbild Andromeda handelt es sich um unsere Nachbargalaxie, die trotz ihrer ungeheuren Entfernung noch mit einer Helligkeit von 3,5 mag mit bloßem Auge leicht zu erkennen ist. Dass diese Galaxie womöglich schon immer als ein nebeliger Fleck erkannt wurde, lässt sich angesichts der physikalischen Natur des »Phänomens« erklären. Dementsprechend reichen die Berichte über M 31 bis in die vorteleskopische Zeit.


Früheste Berichte

Die ersten Nachrichten über M 42 stammen aus dem 17. Jahrhundert; lediglich vier historische Berichte sind bislang darüber bekannt geworden. Sie entstanden unabhängig voneinander und fanden in ihrer Zeit offenbar kaum Beachtung. Noch im Jahr 1674 kannte Robert Hooke keinen Entdecker für jenen Nebel im Schwert des Orion, der erst durch ein Teleskop zu sehen sei. Erst im 18. Jahrhundert wird Christiaan Huygens (1629-1695) als Entdecker des Orionnebels bekannt. Dieser hatte Messier 42 schon im Jahr 1659 in seinem Systema Saturnium ausführlich beschrieben und eine Abbildung davon geliefert (siehe Bild links). Huygens zufolge handele es sich um ein neues Phänomen, das, soweit er wisse, noch niemand bemerkt habe. Auch seien hierfür große Teleskope nötig. Anstelle des mittleren Sterns im Schwert des Orion habe er dadurch zwölf einzelne Sterne zu sehen bekommen, die Huygens in seinem Stich mit abbildet. Drei dieser Sterne lägen ganz nah beisammen - gemeint sind damit drei der vier Sterne des Trapez -, während vier weitere gleichsam wie durch einen Nebel hindurch schienen, dessen Ausdehnung Huygens in seinem Bild festhält. Dieser Bereich sei um vieles heller als der übrige Himmel, der wie durch eine Kluft (lateinisch: hiatus) zerrissen wirke, die einen Ausblick auf eine viel lichtere Gegend gebe. Im Unterschied zu den bekannten Nebeln lasse sich dieses Wunderding (portentum) nicht in einzelne Sterne auflösen. Es sei unveränderlich und behalte seinen festen Platz. Dergleichen habe Huygens noch nirgends unter den anderen Fixsternen beobachten können, wie er im Jahr 1659 abschließend bemerkt.

Fünf Jahre vor Huygens war solch eine Beschreibung zusammen mit einem Bild bereits vom italienischen Astronomen Giovanni Battista Hodierna (1597-1660) im zweiten Teil seines De systemate orbis cometici (Über die Systematik der Umlaufbahnen der Kometen, 1654) veröffentlicht worden (siehe linke Seite oben). Hodiernas Leistungen wurden jedoch erst seit den 1980er Jahren zur Kenntnis genommen (siehe SuW 7/2006, S. 46), obwohl er seinen Zeitgenossen und insbesondere Huygens sehr wohl bekannt war.

Einen noch früheren Hinweis auf den Orionnebel machte der Schweizer Astronom und Astronomiehistoriker Johann Rudolf Wolf (1816-1893) ausfindig: Sein Landsmann Johann Baptist Cysat (1587-1657) habe schon 1619 von einem Nebel im Schwert des Orion berichtet (siehe SuW 7/2006, S. 44). Damit galt Cyhsat als der Entdecker von M 42, bis ihm dieser Titel wieder streitig gemacht wurde. Der französische Astronom und Astronomiehistoriker Guillaume Bigourdan (1851-1932) (siehe Bild oben) wollte auf eine noch frühere Nachricht gestoßen sein: Schon 1610 habe sein Landsmann, der Universalgelehrte Nicolas-Claude Fabri de Peiresc (siehe Bild linke Seite), den Orionnebel gesichtet. Einigkeit herrscht heute darüber, dass sowohl Hodierna als auch Huygens den Orionnebel sahen. De Peiresc hatte seine Orionbeobachtungen zwar nicht veröffentlicht, was für sich genommen keine Schlüsse zulässt. Schließlich ging zu seinen Lebzeiten nichts aus seinem umfangreichen Schaffen in Druck. Er machte solch eine Entdeckung nicht einmal durch sein ausgedehntes Netzwerk von Briefpartnern in der gelehrten Welt bekannt. Auch seinerzeit so berühmte Freunde, wie Pierre Gassendi (1592-1655) und Athanasius Kircher (1602-1680), mit denen de Peiresc gemeinsam astronomische Beobachtungen durchführte, berichten nichts von einem Nebel im Schwert des Orion.


Die Dynamik von M 42 in historischer Zeit

Anders als beim Andromedanebel M 31 sprechen im Fall von M 42 die historischen Zeugnisse dafür, dass die Helligkeit dieses heute so beeindruckenden Nebels ganz allmählich wuchs, bis er sogar für das bloße Auge sichtbar wurde. Die These eines langsamen Sichtbarwerdens stünde nicht in Widerspruch mit dem, was wir heute über die physikalische Natur von M 42 wissen.

Der Orionnebel ist ein Emissionsnebel und Teil eines Sternentstehungsgebiets. Durch ihre energiereiche Strahlung regen die eingebetteten jungen Sterne die Gaswolke zum Leuchten an - sie emittieren Licht. Dies geschieht durch das Ionisieren der darin befindlichen Wasserstoffatome durch die Strahlung der heißen Sterne. Die freigesetzten Elektronen stehen dann für das Gas zum Wiedereinfang bereit. Bei dieser Rekombination senden die Atome Strahlung verschiedener Längenwellen aus, im sichtbaren Bereich vor allem diejenige der roten Wasserstofflinie.

Diese sehr heißen massereichen Sterne gehören zur Huygens-Region, die im Zentrum des Großen Orionnebels liegt (siehe Bild S. 33). Darunter finden sich auch jene des Mehrfachsterns Theta Orionis. In ihrer viereckigen Anordnung bildet Theta 1 Orionis das so genannte Trapez des Orion. Diese Trapezsterne haben ein geschätztes Alter von nur dreißigtausend bis hunderttausend Jahren. Astronomisch betrachtet handelt es sich hierbei um ein vergleichsweise junges Objekt.

Kosmische Phänomene sprengen in der Regel jeden historischen Rahmen. Daher wäre es ein Glücksfall, ließe sich die Entstehung des Orionnebels historisch belegen. Doch von der Dynamik dieses Phänomens ist der subjektive Anteil kaum zu trennen: Durch die Verwendung immer besserer Teleskope ließ sich M 42 immer besser sehen und sichtbar machen. Gleichwohl vollzog sich im Zeitraum historischer Aufzeichnungen ein langsames Sichtbarwerden, welches auf das physikalische Phänomen selbst zurückzuführen ist. Denn die frühen Berichte über M 42 erlauben den Schluss, dass der Große Orionnebel an Helligkeit gewann und innerhalb von weniger als dreihundert Jahren die Sichtbarkeitsschwelle für das bloße Auge überschritt.

Die Berichte erlauben den Schluss, dass der Orionnebel vor weniger als 300 Jahren für das bloße Auge sichtbar wurde.

Um eine Momentaufnahme dieser erstaunlichen Dynamik zu gewinnen, kommt de Peirescs Bericht besondere Bedeutung zu. Bislang war es allerdings nicht möglich, sich mit dem Inhalt seiner Aufzeichnungen näher auseinandersetzen. Bigourdan hatte die entsprechenden Passagen aus de Peirescs Journal des observations zwar veröffentlicht. Seine Transkription der lateinischen Handschrift liefert aber einen fehlerhaften Text, der eine vollständige Lektüre oder eine Übersetzung der Aufzeichnungen nicht zulässt. Mit meiner neuen Textgrundlage ist es nun erstmals möglich, de Peirescs Beobachtungsnotizen komplett zu lesen.


Astronomie im Kreis von de Peiresc

In der zweiten Januarwoche des Jahres 1610 wurden durch Galileo Galilei (1564-1642) erstmals neue Himmelskörper in unserem Sonnensystem entdeckt. Bei Jupiter zeigten sich durch ein Teleskop betrachtet vier unbekannte kleine Wandelsterne. In fortgesetzten Beobachtungen gelang es Galilei, diese neuen Gestirne als Monde des Jupiter zu identifizieren (siehe SuW 12/2008, S. 48). Im März desselben Jahres veröffentlichte Galilei als Erster diese Entdeckung. Sein Sidereus nuncius (Sternenbote) machte binnen Monaten diese und andere noch nie gemachte Beobachtungen europaweit bekannt. Diesen in der gelehrten Welt so sehr gefeierten Autor hatte de Peiresc Jahre zuvor persönlich kennengelernt. Als der junge de Peiresc 1599 zum Studium der Rechte nach Padua kam, verkehrte er im Kreise von Gian Vincenzo Pinelli (1535-1601) und war dem dortigen Professor für Mathematik, Galileo Galilei, vorgestellt worden. Das bisher nie Gesehene, wovon Galileis Sternenbote kündete, war allein durch jenes jüngst erfundene optische Gerät ermöglicht worden. De Peiresc ließ sich ein Fernrohr oder die dafür nötigen Linsen durch seinen Bruder in Paris beschaffen. So war er in der Lage, mit eigenen Beobachtungen zu beginnen.

Noch im November des Jahres 1610 machte er sich daran, die Monde des Jupiter in Augenschein zu nehmen. Bei seinen Beobachtungen verfolgte er offenbar dasselbe Ziel wie Galilei. Die Umlaufzeiten und Stellungen der Jupitermonde konnten als eine Art von kosmischer Uhr dienen, um den Längengrad zu bestimmen. Vor Einführung des Schiffchronometers in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stellte die Längengradbestimmung ein großes Problem für die Seefahrt dar. Um dieses zu lösen, wurden im 17. Jahrhundert viele Ansätze verfolgt. Solange es technisch noch nicht möglich war, präzise seetaugliche Uhren herzustellen, kamen die Jupitermonde als himmlische Zeitgeber in Betracht. Unabhängig von Galilei bemühte sich auch der Kreis um de Peiresc darum, möglichst genau die Stellung der Jupitermonde über einen längeren Zeitraum hinweg zu bestimmen. Aus seinem Journal des observations geht hervor, dass er diese Beobachtungen zusammen mit Freunden machte. Die erste Eintragung hierüber findet sich für den 24. November 1610 und die letzte für den 21. Juni des folgenden Jahres.


Venusphasen und vermeintliche Monde

Über die folgenden drei Wochen hinweg ab dem 24. November 1610 richteten die Beobachter ihr Teleskop auch auf das weiter südwestlich gelegene Sternbild Orion - Jupiter selbst stand im Krebs. Sie hatten an einem der Ostfenster von de Peirescs Haus in Aix-en-Provence Stellung bezogen. Was sie hier im Winter 1610 sahen, notierte de Peiresc auf zwei Seiten seines Journal des observations (im Bild rechts ist die erste der beiden dargestellt). Orion war allerdings nicht das eigentliche Ziel der soeben begonnenen Beobachtungsreihe. Überdies scheint de Peiresc das, was er unter den Orionsternen erblickte, für weniger spektakulär gehalten zu haben als andere Entdeckungen, die ihm das Teleskop ermöglichte.


De Peiresc entdeckt die Venusphasen

Am 12. Februar 1611 habe sich ihm Venus ganz sichelförmig gezeigt (linkes Teilbild). De Peiresc entdeckte die Venusphasen unabhängig von Galilei, noch bevor dieser seine eigene Beobachtung 1612 veröffentlichte. Überdies scheine die Venus Monde (satellites) zu besitzen, wie de Peiresc für dieselbe Nacht notiert (rechtes Teilbild). Auch an den darauf folgenden Tagen will er zwei Monde der Venus beobachtet haben, einen kleineren (minor) und einen größeren (major). Sie zeigten dieselben Phasen wie die Venus selbst, was de Peiresc eigens notiert und in mehreren Zeichnungen festhält. Fraglich ist, ob er überhaupt Himmelskörper an diesen Tagen neben der Venus zu sehen bekam. Als mögliche Erklärung könnten wohl durchaus auch Reflexionen an den Linsen seines Teleskops dienen.

(Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.)


Der Venus widmete er ganze Seiten seines Journals, und dies nicht ohne Grund. Denn de Peiresc gelang es, die Venusphasen zu beobachten. Für den 12. Februar 1611 und die folgenden Tage vermerkt er in seinem Journal, dass die Venus sichelförmig (forniculata) wie der Mond zu sehen sei (siehe Kasten oben).

Für den Kreis um de Peiresc war das ptolemäische Weltbild somit schon Anfang 1611 widerlegt: Die Venusphasen sind mit dem geozentrischen System unvereinbar. Sie lassen sich überzeugend nur dadurch erklären, dass die Venus um die Sonne läuft, ganz wie es Kopernikus gefordert hatte und von Tycho Brahe in seinem geo-heliozentrischen System berücksichtigt worden war. De Peiresc glückte diese Beobachtung unabhängig von Galilei, der seine Entdeckung erst im Jahr 1612 veröffentlichte.

Diese Hörner der Venus (Veneris cornua), die Enden der Venussichel, die de Peiresc so deutlich sehen konnte, waren für sich genommen schon spektakulär. De Peiresc wähnte sich aber noch einer weiteren Sensation auf der Spur. Bei seinen Beobachtungen glaubte er nämlich, zwei Monde (satellites) der Venus entdeckt zu haben, welche dieselben Phasen aufwiesen wie sie selbst (siehe Kasten oben, rechtes Bild). Dass auch die Venus Monde habe, wie de Peiresc an mehreren Tagen berichtet, konnte für seine Zeit durchaus plausibel scheinen. Schließlich hatte Galilei soeben erst die vier heute nach ihm benannten Jupitermonde entdeckt. Auch bei Saturn sollte er später seltsame Begleiter sehen - Teile des Ringsystems -, die er als »Ohren« bezeichnete. Dass ausgerechnet Venus keine Monde hat, konnte de Peiresc nicht wissen.


Galileis Stillschweigen über M 42

Während de Peiresc seine Venusbeobachtungen ausführlich dokumentierte, sind seine Aufzeichnungen zum Orion weder eigens datiert noch mit Zeichnungen versehen. Was er dort sah, notierte er eher beiläufig am Seitenrand seines Jupiterberichts für Ende November, Anfang Dezember des Jahres 1610 (siehe Bild S. 37). Ent sprechend enttäuschend dürfte der Anblick von M 42 aber auch gewesen sein - verglichen damit, wie wir den Orionnebel heute schon mit bloßem Auge sehen.

Dadurch ließe sich auch das Stillschweigen seitens Galileis erklären. Dieser berichtete in seinem Sidereus nuncius im Jahr 1610 von so viel Neuem, das sich dank des Teleskops erblicken ließ, und führte eindrucksvoll das ungeheure Potenzial des neuen Instruments vor Augen. Sein Sidereus nuncius erwähnt zwar den seit der Antike bekannten »Nebel« im Kopf des Orion, den offenenen Sternhaufen Collinder 69 bei Lambda Orionis, und liefert dafür eine eigene Abbildung. Dagegen fehlt von dem neuen Nebel im Schwert desselben Sternbilds jede Spur in diesem wie in allen anderen Werken Galileis. Zwar ergaben neuere Untersuchungen, dass Galilei die entsprechende Region im Orion sehr viel intensiver beobachtete, als sich dies in seinen Veröffentlichungen niederschlägt (siehe SuW 7/2006, S. 41). Doch lässt sich der Orionnebel eben nicht in einzelne Sterne auflösen. Dies aber gelang Galilei erstmals mit dem Teleskop bei anderen Nebelsternen - nebulosae wie zum Beispiel Praesepe im Sternbild Krebs, die seit der Antike bekannt waren. Galilei selbst hätte also, wie vielleicht andere seiner Zeitgenossen, guten Grund gehabt, im Orionnebel schlichtweg eine optische Täuschung, eine atmosphärische Störung zu sehen, die keine Nachricht wert erschiene.


De Peirescs Beobachtungsnotizen von Ende 1610

In den Monaten November und Dezember des Jahres 1610 berichtet de Peiresc zehn Mal über das Sternbild Orion, während er eigentlich damit beschäftigt war, die Jupitermonde zu beobachten. Offenbar bekam er an zehn dieser Beobachtungstage im Orion etwas zu sehen, das er einer eigenen Notiz für wert hielt. Aus der Chronologie seiner Jupiteraufzeichnungen lässt sich schließen, dass die früheste Orionbeobachtung in den ersten sieben Tagen vom 24. bis zum 30. November 1610 erfolgt sein muss. Der letzte Eintrag bezüglich Orion fällt auf den 10. Dezember. Seine Aufzeichnungen finden sich heute im Journal des observations, zu dem die astronomischen Blätter de Peirescs zusammengefasst worden sind. Dieser Band gehört zu den Beständen der Bibliothèque Inguimbertine in Carpentras (Frankreich). Nach meiner eigenen Recherche vor Ort zu urteilen, finden sich darin keine weiteren Berichte über Orion oder den Orionnebel.

Somit stützte Bigourdan allein auf die unten übersetzten Textpassagen seine Annahme, dass de Peiresc den Orionnebel im November 1610 entdeckt habe. Diese Beobachtungsnotizen vollständig zu lesen und zu übersetzen wurde aber erst 2009 durch eine neue Textgrundlage, eine korrekte Transkription möglich. Im Kasten »De Peirescs Beobachtungen« ist die Übersetzung des Originals zeilenweise wiedergegeben.


Das Neue an diesem Phänomen

Die Bezeichnung nubecula, die de Peiresc für dieses ungeklärte Phänomen gewählt hat, weist auf dessen Andersartigkeit hin. Eine Streichung in seiner allerersten Notiz zu dieser Beobachtung mag verraten, dass de Peiresc wohl zunächst die Bezeichnung nebulosa für das beobachtete Phänomen wählen wollte (siehe Bild im Kasten unten). Solchen Nebeln (nebulosae), die seit der Antike bekannt waren, konnte seine Beobachtung aber nicht ganz entsprochen haben. So wählt de Peiresc mit nubecula (Wölkchen) eine völlig unübliche Bezeichnung. Im Sidereus nuncius spricht Galilei nur ein einziges Mal von einer nubecula. Damit bezeichnet er den täuschenden Glanz oder Schleier, mit dem die Sterne dem bloßen Auge erscheinen, während sich durch ein Teleskop betrachtet deutlich ihr rundlicher Körper abzeichnet.

Als Nebel kam das beobachtete Phänomen für de Peiresc offenbar nicht in Betracht. Dagegen gesprochen haben könnten zum einen dessen unstete Sichtbarkeit, die schon in den allerersten Tagen bemerkt wurde, sowie die schwankende Ausdehnung, die darauf folgend festzustellen war (siehe Kasten unten). Zum anderen scheint es nicht nur schwieriger, sondern teils auch schwächer zu sehen gewesen sein als einer der bekannten Nebel. Auch wollte de Peiresc darin allenfalls ein Wölkchen oder Nebelchen (nubecula) erblicken.

Der gewählte Deminutiv (von nubes für Wolke) dürfte von der geringeren Intensität oder Dichte des beschriebenen Phänomens herrühren. Denn trotz seiner Wolkigkeit und selbst bei größter Ausdehnung war es möglich, zwei einzelne Sterne darin mal besser, mal schlechter auszumachen. De Peiresc und seine Mitbeobachter beschreiben folglich ein Objekt von wolkig nebeligem Aussehen, das sich nicht permanent am Himmel zeigte und in seiner Sichtbarkeit genauso schwankte wie in seiner Intensität und Größe.

Von bekannten Nebeln dürfte es sich durch eben seine Schwankungen unterschieden haben. De Peirescs nubecula konnte nach damaligem Verständnis aber auch deshalb kein Nebel sein - wie zum Beispiel die von Galilei behandelten Nebel im Orion oder die Praesepe, die seit der Antike bekannt waren -, weil sich dieses Wölkchen nicht in einzelne Sterne auflösen ließ und so beim Blick durchs Teleskop verschwunden wäre. Vielmehr wurde es erst durch das Teleskop zugänglich und blieb trotz der darin sichtbaren Sterne weiter bestehen.


De Peirescs Beobachtungen

Seit dem Jahr 2009 sind die Beobachtungsnotizen von Nicolas-Claude Fabri de Peiresc (1580-1637) durch eine korrekte Transkription vom Autor dieses Beitrags erstmals vollständig zu lesen. Im Folgenden behält ein lateinisches Wort immer dieselbe Entsprechung im Deutschen; nachträglich ergänzt ist die Datierung. Sie ist der Chronologie von de Peirescs Jupiteraufzeichnungen entnommen.

24.-30.11.1610: »Im Orion der mittlere [Stern] ..., aus zwei Sternen zusammengesetzt: eine Art erleuchtetes Wölkchen gab er auf den ersten Blick wieder von sich bei nicht ganz heiterem Himmel.«
1.12.1610: »Das Wölkchen hat sich nicht gezeigt im Orion bei heiterem Himmel.«
3.12.1610: »Das Wölkchen hat sich nicht gezeigt im Orion bei heiterem Himmel.«
4.12.1610: »Das Wölkchen hat sich von Neuem gezeigt im Orion, vielleicht weil die Luft nicht klar genug gewesen sei und sich darum auch der vierte Jupitermond nicht gezeigt hat.«
5.12.1610: »Der Himmel war nicht heiter, und so groß zeigte sich das Wölkchen in Orions mittlerem [Stern], dass die zwei Sterne kaum unterschieden werden konnten, und so zeigte sich auch im obersten Stern ein Wölkchen.«
6.12.1610: »Im Orion hat sich nur im mittleren Stern ein Wölkchen gezeigt, und nichts hinderte die Unterscheidung in zwei Sterne.«
7.12.1610: »Der Himmel ist sehr bewölkt gewesen und das Wölkchen hat sich über aus groß gezeigt im mittleren [Stern] des Orion, sodass die zwei Sterne sich nicht leicht gezeigt haben.«
8.12.1610: »In Orions mittlerem [Stern] zeigte sich recht groß das Wölkchen, das dennoch nicht verhinderte, dass sich die zwei Sterne unterschieden.«
9.12.1610: »Der Himmel war völlig heiter, und dennoch fehlte nicht das Wölkchen in Orions mittlerem [Stern]. Aber schier unzählige Sternchen zeigten sich oberhalb des dritten [Sterns] im Orion.«
10.12.1610: »Deutlich waren die Zwischenräume [zwischen den Jupitermonden], und immer zeigte sich wie gewohnt das Wölkchen im Orion.«

De Peirescs Wölkchen: In den Tagen vom 24. bis zum 30. November 1610 sichtete de Peiresc bei zwei Sternen des Orion ein kleines Wölkchen (lateinisch: nubecula) und dies zum wiederholten Male. Danach blieb diese Erscheinung an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, an denen gute Sichtbedingungen herrschten, aus.

Dagegen waren die Witterungsverhältnisse sogar schlechter, als das Wölkchen am 4. Dezember erneut zum Vorschein kam, während de Peiresc einen der Jupitermonde unter diesen Umständen nicht sehen konnte. Um dieses unstete Wölkchen zu erklären, erwog de Peiresc offenbar, dass dessen Erscheinen vielleicht auf die schlechteren Sichtbedingungen selbst zurückzuführen sei. De Peiresc und seine Mitbeobachter dachten wohl zunächst, sie hätten es womöglich mit einem rein atmosphärisch bedingten Phänomen zu tun. Diese Vermutung mochte sich an den vier darauffolgenden Tagen sogar bestätigen: Bei nicht klarer Sicht trat das Wölkchen am 5. Dezember besonders groß in Erscheinung und war an Tagen sichtbar, an denen das Wetter unverändert blieb.

Doch am 9. Dezember verhielt es sich anders: Bei völlig klarem Himmel war das Wölkchen trotzdem zu sehen. Auch am letzten Tag der Orionbeobachtungen muss gute Sicht geherrscht haben. Dennoch zeigte sich wie gewohnt jene wolkige Erscheinung im Orion. An diesen zwei letzten Tagen dürften sich de Peiresc und seine Mitbeobachter davon überzeugt haben, dass schlechte Sichtverhältnisse nicht Ursache für das Wölkchen im Orion sein konnten.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die erste Notiz über den Orionnebel machte de Peiresc zwischen dem 24. und 30. November 1610. Offenbar wollte er das unbekannte Himmelsphänomen zunächst als Nebel bezeichnen. Das gestrichene, nicht zu Ende geschriebene Wort am Anfang der vierten Zeile könnte nebu[losa] lauten. Dagegen wählte er den völlig ungebräuchlichen Begriff nubecula (Wölkchen).


Entdeckung des Orionnebels?

Laut Guillaume Bigourdan sei aus den oben angeführten Beobachtungsnotizen direkt zu entnehmen, dass de Peiresc den Orionnebel im Jahr 1610 entdeckt habe. Über diese Behauptung hinaus liefert Bigourdan leider keine eigene Interpretation, wie diese Aufzeichnungen zu lesen sind. Denn aus ihnen geht leider nicht her vor, wo sich in diesem nicht gerade kleinen und zudem nebelreichen Sternbild jenes merkwürdige Wölkchen zeigte. Es wird auch kein bestimmter Teil des Orion genannt, wie zum Beispiel Kopf, Fuß, Gürtel, Rücken, Keule oder gar das Schwert. Am häufigsten erwähnt de Peiresc einen mittleren Stern des Orion (media Orionis).

Wenn de Peiresc den Orionnebel gesehen hat, dann muss es sich hierbei um den mittleren Stern im Schwert des Orion handeln, Theta Orionis. An sechs von zehn Beobachtungstagen ist von dieser media die Rede. Durch die wiederholte Verwendung dieser Bezeichnung liegt die Vermutung nahe, dass es sich hierbei um einen feststehenden Namen handelt. Tatsächlich lässt sich in den Sternverzeichnissen von Nikolaus Kopernikus (1473-1543), Christoph Clavius (1538-1612) und Johann Bayer (1572-1625) der Name Media Orionis finden. Doch tragen gleich mehrere Oriongestirne diese Bezeichnung (Epsilon Orionis, Phi 2 Orionis, 29 Orionis, 27 Orionis), darunter auch der mittlere Stern im Schwert des Orion, Theta Orionis (siehe Bild oben).

Die Entdeckungsgeschichte des Orionnebels, wie sie seit nunmehr 90 Jahren zu lesen ist, erscheint somit wenig gesichert. Denn das Wo dieser Beobachtung geht aus de Peirescs Aufzeichnungen keineswegs hervor und müsste eigens noch geklärt werden. Hierfür böten allenfalls die von ihm verwendeten Sternbezeichnungen wie mittlerer, oberster, dritter Stern einen weiteren Anhaltspunkt. Ob er diese sehr vagen Sternbezeichnungen unmittelbar aus der Beobachtung gewonnen hat, oder ob sie aus einem Sternverzeichnis seiner Zeit stammen, ist dabei nicht einmal sicher.


Erster Doppelstern und Sternhaufen

Umso sicherer dagegen lässt sich diesen Aufzeichnungen entnehmen, dass de Peiresc im Sternbild Orion mehr entdeckte als bisher angenommen. Gleich zu Beginn seiner Orionnotizen berichtet er, dass dieser mittlere Stern aus zwei Sternen zusammengesetzt sei, worauf er wie derholt zu sprechen kommt (siehe Kasten S. 38 unten). Daraus lässt sich schließen, dass de Peiresc einen Stern, den er bis dahin für einen Einzelstern hielt, durch das Teleskop doppelt sah. Sollte es sich dabei wirklich um den mittleren Stern im Schwert des Orion handeln, dürfte er anstelle des Mehrfachsterns Theta Orionis, die zwei hellsten Teilsterne desselben Theta 1 Orionis und Theta 2 Orionis, zu sehen bekommen haben. Bislang galt der italienische Astronom Benedetto Castelli (1577 oder 1578-1643) als Entdecker der Doppelsterne: Er berichtete Galilei im Jahr 1617, dass ihm Mizar durch ein Teleskop betrachtet doppelt erscheine (siehe SuW 7/2006, S. 41). De Peiresc hingegen beschreibt dieses Phänomen bereits in demselben Jahr, als Galilei seinen Sidereus nuncius veröffentlichte. Er liefert damit den frühesten Hinweis auf diese neue Art von Sternen. Auch scheint de Peiresc als Erster von einem Sternhaufen zu berichten: Am 9. Dezember 1610 will er »schier unzählige« kleine Sterne »oberhalb des dritten Sterns im Orion« gesehen haben (siehe Kasten S. 38 unten).

Erneut stellt sich aber die Frage, welchen Stern de Peiresc damit bezeichnet haben mag. In den Sternverzeichnissen von Nikolaus Kopernikus, Christoph Clavius, Tycho Brahe und Johann Bayer tragen mehrere Sterne die Bezeichnung Tertia Orionis (Theta Orionis, 33 Orionis, Phi 1 Orionis, 6 Orionis, Psi Orionis). In keinem dieser vier Sternverzeichnisse bildet solch ein »dritter Stern im Orion« einen Teil des Sternbilds zusammen mit einer Media Orioni, diesem »mittleren Stern«, den de Peiresc so oft erwähnt. Die gängigen Sternverzeichnisse der Zeit erlauben es also nicht, de Peirescs »dritten Stern« als den Dritten im Schwertgehänge (Iota Orionis = 44 Orionis) zu deuten. Allerdings findet sich bei diesem südlichen der drei Sterne im Schwert des Orion tatsächlich ein Sternhaufen mittlerer Dichte, NGC 1980. Doch in den Sternverzeichnissen taucht Iota Orionis nicht als Tertia auf. Daher muss es vorerst Spekulation bleiben, welchen Stern de Peiresc gemeint haben mag und welchen Sternhaufen er wirklich sah.


Zwei neue Nebel im Orion

Noch eine weitere Entdeckung lässt sich aus den Aufzeichnungen de Peirescs entnehmen. Denn, was bislang offenbar überlesen wurde, waren es zwei Wölkchen, die de Peiresc im Orion gesichtet haben will: Die Existenz dieser zweiten nubecula geht aus dem Eintrag vom 5. Dezember hervor, wo de Peiresc von einem Wölkchen auch im obersten Stern berichtet (ac in suprema quoque stella). Am darauf folgenden Tag war dieses Objekt offenbar schon nicht mehr zu sehen. Denn nur im mittleren Stern (in media tantum stella) sei am 6. Dezember ein Wölkchen sichtbar gewesen. Er erwähnt keinen Nebel, obwohl ihm der astronomische Begriff (nebulosa) für Objekte, wie sie Galilei im Sidereus nuncius bebildert und beschreibt, bekannt gewesen sein muss: der Nebel im Sternbild Krebs (Nebulosa Praesepe) sowie der Nebel im Kopf des Orion (Nebulosa Orionis), die sich durch das Teleskop in viele Sterne auflösen ließen.

Hieraus mag sich eine Schwierigkeit ergeben, Bigourdan in seiner Deutung von de Peirescs Aufzeichnungen zu folgen: Sollte de Peiresc M 42 entdeckt haben, dann müsste er gleich zwei solcher Orionnebel gesehen haben. Zumindest vermerkt de Peiresc keinen Unterschied zwischen den beiden Objekten. Nur ihre Lage ist verschieden. Hierüber macht er aber keine genauen Angaben, sodass man sogar die Entdeckung von M 42 in Zweifel ziehen könnte. Sollte sich aber durch weitere Forschung bestätigen lassen, dass de Peiresc mit seiner media Orionis tatsächlich den mittleren Stern im Schwert des Orion meint (Theta Orionis), dann könnte er mit jener suprema stella den obersten Stern im Schwertgehänge bezeichnet haben (42 Orionis).


Das Aussehen von M 42 Ende 1610

Mit diesen zwei Orionnebeln, von denen de Peiresc berichtet, ergibt sich ein Widerspruch in der gängigen Entdeckungsgeschichte. Man darf aber annehmen, dass de Peiresc sehr viel weniger von M 42 zu sehen bekam als spätere Astronomen. Das liegt zum einen an seiner technischen Ausstattung und geringen Beobachtungspraxis. Zum anderen könnte dies aber auch aus der dynamischen Natur von M 42 selbst herrühren, wie sie sich in historischer Zeit belegen lässt. In den frühesten Berichten über den Orionnebel schreibt Huygens 1659 am ausführlichsten über das Aussehen von M 42. Er sieht darin nicht nur ein völlig neues Phänomen, sondern hält es auch für unvergleichlich und einmalig. De Peiresc hingegen macht keinen Unterschied zwischen einem Wölkchen, das er bei einem »mittleren« Stern des Orion sah, und einem weiteren Wölkchen, das er beim »obersten« entdeckte.

Sollte es sich bei der einen nubecula um den Orionnebel handeln, dann berichtet de Peiresc übereinstimmend mit Huygens und Hodierna, dass sich dieses »wolkige« beziehungsweise »lichte« Himmelsgebiet über die zwei Hauptkomponenten, Theta 1 Orionis und Theta 2 Orionis, des mittleren Sterns im Schwert des Orion erstreckt. Beide sah de Peiresc nur als Einzelsterne, während Huygens sie in weitere Sterne auflöste (siehe Bild S. 34 unten), was Hodierna nur für Theta 2 Orionis gelang (siehe Bild S. 34 oben rechts).

De Peiresc berichtet am 5. Dezember 1610 von einem weiteren Wölkchen beim »obersten Stern«. Falls de Peirescs damit den nördlichen der drei Schwertsterne im Orion (42 Orionis) meinen sollte, könnte er hier den bläulich leuchtenden Reflexionsnebel NGC 1977 nördlich von M 42 gesehen haben.

Ist es also nur seinem schwächeren Teleskop geschuldet, dass de Peiresc den Orionnebel für weniger spektakulär hielt als Huygens und Hodierna vierzig Jahre später? Zumindest liefert de Peiresc ein konkretes Vergleichsobjekt: Sollte es sich bei jenem »obersten Stern« tatsächlich um 42 Orionis handeln, dann käme als zweites Wölkchen, von dem de Peiresc berichtet, ein Reflexionsnebel in Betracht, den wir heute dort verzeichnen: NGC 1977 (siehe Bild oben). Demnach könnte das Wölkchen im Zentrum des heutigen Orionne bels ähnlich ausgesehen haben wie der Reflexionsnebel NGC 1977 im darüber liegenden Schwertstern 42 Orionis. Der Anblick, den M 42 in frühen Teleskopen bot, dürfte damit nur wenig mit dem Großen Orionnebel von heute gemein haben. Eine Vorstellung davon, wie dieser Ende 1610 erstmals zu sehen war, lässt sich vielleicht mit einem Blick auf NGC 1977 gewinnen.


Sah de Peiresc den Orionnebel?

De Peirescs Aufzeichnungen selbst haben weit mehr zu bieten als aus ihrer ersten Veröffentlichung im Jahr 1916 zu erfahren ist. Zusammen mit seinen Freunden in Aix-en-Provence gelang de Peiresc im Jahr 1610 mit einem Teleskop die wohl früheste Beobachtung eines Doppelsterns und eines Sternhaufens. Weiter berichtet er von zwei Wölkchen, die sich bei zwei verschiedenen Sternen im Orion zeigten, eines sehr schwankend in seiner Größe und beide nicht immer sichtbar. Die erstmals vollständige Lektüre von de Peirescs Aufzeichnungen stellt aber zugleich infrage, was bislang als sicher galt. Aus seinen Notizen geht nicht eindeutig hervor, dass er den Orionnebel sah. Denn für all diese Beobachtungen bleibt de Peiresc eine genaue Angabe schuldig, wo in diesem nicht gerade kleinen, aber nebelreichen Sternbild er seine Entdeckungen machte. Solange die von ihm genannten Sterne nicht identifiziert sind, muss daher Spekulation bleiben, was er wirklich sah. Sollte sich de Peirescs Entdeckerschaft aber doch noch bestätigen lassen, dann liefern uns seine Aufzeichnungen ein etwas anderes Bild vom Orionnebel, als wir ihn heute kennen.


Harald Siebert studierte Philosophie in Augsburg und an der Sorbonne. In Paris und Berlin promovierte er in Wissenschaftsgeschichte. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin. Zu seinem Spezialgebiet zählen Astronomie und Kosmologie der Frühen Neuzeit.


Literaturhinweise

Bigourdan, G.: La découverte de la nébuleuse d'Orion par de Peiresc. In: Comptes rendus de l'Académie des Sciences 162, S. 489-490, 1916. Digitalisiert unter: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k3115n)

Chapin, S. L.: The Astronomical Activities of Nicolas-Claude Fabri de Peiresc. In: Isis 48/1, S. 13-29, 1957.

Harrison, Th. G.: The Orion Nebula: Where in History is it? In: Quarterly Journal of the Royal Astronomical Society 25, S. 65-79, 1984.

Herczeg, N. Tibor: The Orion Nebula. A chapter of early nebular studies. In: The Message of the Angles - Astrometry from 1798 to 1998 (Hrsg.: P. Brosche, W.R. Dick, O. Schwarz, R. Wielen), S. 246-258. Harri Deutsch, Thun, 1998.

de Peiresc, N. C. F.: Journal des observations. Bibliothèque Inguimbertine, Carpentras, Frankreich, 1803.

Siebert, H.: Die Anfänge der Stellarastronomie. Erste Bilder und Berichte von Doppelsternen nach Einführung des Fernrohrs. In: Stern und Weltraum 7/2006, S. 41-49.

Siebert, H.: De Peirescs Nebel im Sternbild Orion - eine neue Textgrundlage für die Geschichte von M42. In: Annals of Science, 66/2, S. 231-246, 2009.

Strohmaier, G.: Die Sterne des Abd ar-Rahman as-Sufi, Verlag Müller und Kiepenheuer, Hanau/Main, 1984.


Weblinks zum Thema: www.astronomie-heute.de/artikel/1046945


*


w i s - wissenschaft in die schulen!

Damit Schüler aktiv mit den Inhalten dieses Beitrags arbeiten können, stehen auf unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung. Diese bestehen aus einem zentralen Arbeitsblatt mit einem Lesetext zum Orionnebel aus Uropas Astronomiebuch sowie einigen sich aus der Bearbeitung des Blattes ergebenden optionalen Aufgaben. Unser Schulprojekt führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad und dem Haus der Astronomie in Heidelberg durch.


*


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 33 oben:
Im Sternbild Orion leuchtet unterhalb der drei Gürtelsterne der Große Orionnebel. Im Schwert des Himmelsjägers, das vom mittleren Gürtelstern herabhängt, lässt er sich heutzutage mit bloßen Augen leicht erkennen. Wenigstens bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war er nur mit Hilfe eines Teleskops zu sehen.

Abb. S. 33 Mitte:
Der Große Orionnebel zeigt auf dieser Aufnahme seine ganze Pracht. Er wird hauptsächlich von der heißen leuchtkräftigen Sternen des Trapez in seinem Zentrum zum Leuchten angeregt. Die markierte Region der hellsten Teile des Nebels heißt Huygens-Region zu Ehren des niederländischen Astronomen Christiaan Huygens, der Mitte des 17. Jahrhunderts Theta 1 Orionis, das Tapez, in seine vier Einzelsterne auflöste.

Abb. S. 33 unten:
Die hellen Sterne der Huygens-Region im Zentrum des Orionnebels M 42 sind auf dieser Hubble-Aufnahme im sichtbaren Licht deutlich zu erkennen. Die vier Sterne 41 Orionis A, B, C und D (HD 37020, 21, 22 und 23) bilden zusammen Theta 1 Orionis. Zwei weitere Mitglieder des Mehrfachsterns Theta Orionis liegen weiter südwestlich. Sie bilden die Gruppe Theta 2 Orionis A und B (HD 37041 und 42).

Abb. S. 34 oben links:
Der französiche Gelehrte Nicolas-Claude Fabri de Peiresc (1580-1637) entdeckte im Jahr 1610 den Orionnebel.

Abb. S. 34 oben rechts:
Das erste Bild des Orionnebels stammt aus dem Jahr 1654 vom italienischen Priester und Forscher Giovanni Battista Hodierna. Er beschreibt ihn als dunklen Lichtschein. Der Holzstich stellt die Sterne des Orion-Schwerts spiegelverkehrt zur angezeigten Himmelsrichtung Westen (lat. occid[ens]) dar: links (im Norden) 42 Orionis (flankiert von HD 36958, HD 37058 und 45 Orionis), in der Mitte Theta 1 Orionis, das noch zusammengeklappte Oriontrapez (flankiert von zwei Theta-2-Orionis-Sternen, HD 37042 und HD 37041) sowie rechts 44 Orionis.

Abb. S. 34 unten:
Neben der Entdeckung des Saturnrings berichtet Christiaan Huygens in seinem Systema Saturnium von einem Phänomen, das völlig neu und unvergleichlich unter den Sternen sei: Im Süden des inneren Bereichs von M 42, dem helleren Bereich in dieser Zeichnung, sind die drei Theta-2-Orionis-Sterne (HD 37041, -42, -62) dargestellt, im Zentrum drei Sterne des Trapez (HD 37020, -22, -23); diese drei Komponenten von Theta 1 Orionis hatte Galilei zwar schon 1617 sehen können, veröffentlichte seine Beobachtung aber nicht.

Abb. S. 35 oben:
Der französische Astronom Guillaume Bigourdan (1851-1932) und spätere Präsident der Académie des Sciences wurde 1919 für seine Erforschung zahlreicher Nebelobjekte mit der Goldmedaille der Royal Astronomical Society ausgezeichnet. Er entdeckte insgesamt 71 NGC- und 260 IC-Objekte. Daneben schrieb Bigourdan auch als Astronomiehistoriker Geschichte: Seit seiner Veröffentlichung von 1916 gilt Nicolas-Claude Fabri de Peiresc als Entdecker von M 42.

Abb. S. 35 unten:
Erst mit der Erfindung des Fernrohrs und seine Einführung in astronomische Beobachtungen gelang Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, einem Zeitgenossen von Galileo Galilei, die Entdeckung des Orionnebels. Allerdings wurde dieser Fund erst sehr viel später wahrgenommen.

Abb. S. 37:
In seinem Journal des observations notierte de Peiresc die eigenen Orionbeobachtungen nur am Rande seiner Aufzeichnungen über die Jupitermonde, hier für den Zeitraum vom 24. November bis 4. Dezember 1610. Vier der sechs Einträge auf der rechten Hälfte der Seite beziehen sich auf Orion.

Abb. S. 40:
Diese Darstellung des Sternbilds Orion entstammt der Uranometria von Johann Bayer aus dem 1603. Der mittlere Stern im Schwertgehänge des mythischen Jägers ist das Mehrfachsystem Theta Orionis. Es liegt im Zentrum des Orionnebels, der Huygens-Region. Der Orionnebel ist nicht eingezeichnet.

Abb. S. 42:
De Peiresc berichtet am 5. Dezember 1610 von einem weiteren Wölkchen beim »obersten Stern«. Falls de Peirescs damit den nördlichen der drei Schwertsterne im Orion (42 Orionis) meinen sollte, könnte er hier den bläulich leuchtenden Reflexionsnebel NGC 1977 nördlich von M 42 gesehen haben.


© 2010 Harald Siebert, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


*


Quelle:
Sterne und Weltraum 11/10 - November 2010, Seite 32-42
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/52 80, Fax: 06221/52 82 46
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9126 600, Fax: 06221/9126 751
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2010