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INSTRUMENTE/304: Den Himmel neu entdecken (RUBENS)


RUBENS - Nr. 152 vom 1. Juni 2011

Den Himmel neu entdecken

RUB-Astronomen bauen mit am grössten Radioteleskop der Welt

Von Meike Drießen


"Sie haben Ihr Ziel erreicht", meldet das Navi auf der Hauptstraße von Daubenrath. Das stimmt nicht ganz, aber eine Straßenadresse hat unser Ziel nicht. Wir suchen einen Acker zwischen dem Dörfchen Daubenrath und dem nächsten kleinen Ort nahe Jülich. Einfach Richtung Nord-Osten fahren und bei einem Wegekreuz links abbiegen, hat uns Enno Middelberg geraten. Der RUB-Astronom war schon mal hier, im letzten November, um die erste Hälfte der LOFAR-Station (s. Info) der RUB aufzubauen, Teil des größten Radioteleskops der Welt.


Die Straßen sind menschenleer, kein einziges Auto kommt uns entgegen. Da ist das Kreuz, wir biegen ab und sehen schon den RUB-Kleinbus und ein paar andere Autos in einem Feld. Dahinter ein Holzzaun, ein grauer Container, eine Dixi-Toilette und eine Handvoll Menschen - wir sind richtig. Enno Middelberg, mit Sonnenbrille und Hut, die Schuhe verstaubt, kommt uns entgegen, Neuankömmlinge sind hier nicht zu übersehen.

"Wir kommen super voran", freut er sich; gestern hatte er noch Sorge, ob das Team an einem Tag fertig werden kann. Um acht Uhr früh haben die 24 Astronomen, Gaststudenten und freiwilligen Helfer angefangen, die ersten von 96 Antennen zusammen zu setzen. Überall auf dem einen Hektar großen Acker schauen Kabelenden aus dem Boden heraus, an die die Antennen angeschlossen werden. Ihre Anordnung ist zufällig, aber an allen LOFAR-Stationen genau gleich. Da auch ihre Ausrichtung für die Genauigkeit der Messdaten eine Rolle spielt, hat ein Vermessungsbüro nach den Vorgaben der Astronomen die Standorte der einzelnen Antennen auf dem Feld mit Pflöcken genau markiert. Eine Gartenbaufirma hat entsprechend die Kabel im Boden vergraben. Den Rest erledigen die Forscher selbst. Es wäre einfach zu teuer, das machen zu lassen.


Sonnenbrand vom Bücken

Aber die Truppe arbeitet flott und übers Wetter kann man heute nicht klagen: Die Sonne lacht von blauen Himmel, bis 24 Grad sind angesagt. "Ich hab Sonnenschutzfaktor 30 genommen heute Morgen, ich hoffe, das hält", meint eine Helferin. "Nur hier die Stelle am Rücken habe ich vergessen, die nur rausschaut, wenn ich mich bücke..."

Bücken müssen sie sich oft: Über jedes Kabelende legen die Forscher eine quadratische schwarze Kunststoffplane mit einem Loch in der Mitte, darauf ein grobes Gitter, die man auch beim Bau verwendet. Dann werden die Kabel der Antenne durch die Plane und durch ein Plastikrohr gezogen, das schließlich ungefähr anderthalb Meter in der Mitte der Plane aufragt. Im runden Hütchen obenauf verbirgt sich die Elektronik. Zu vier Seiten verlassen oben dünne Kabel das Rohr - je zwei Kabel bilden eine Dipolantenne, wie man sie auch vom Radio kennt. Ihre Enden werden mit Heringen an den vier Ecken der Plastikplane befestigt - fertig. Sieht nach nichts aus, wird aber für Astronomen neue Welten erschließen.

Die von den Antennen empfangenen Daten laufen im grauen Container zusammen, der ein kleines Rechenzentrum beherbergt. Seit drei Tagen ist eine Technikerin damit beschäftigt, die hereinkommenden Kabel anzuschließen. Von hier aus wandern die Daten der Antennen weiter ins nahe Forschungszentrum Jülich. Astronomen arbeiten dort zwar nicht. Aber die Forscher befassen sich mit der Archivierung und Verarbeitung der enormen Datenmassen, die LOFAR produziert. "Wir erwarten etwa ein Peta-Byte Daten pro Jahr - das heißt 1000 Tera-Byte", sagt Enno Middelberg. Da braucht man schon Großrechner. Die Weiterverarbeitung der Daten passiert schließlich in Groningen, wo das LOFAR-Projekt seinen Ursprung hat.

Die riesige Menge an Daten ist auch der Grund, warum LOFAR erst jetzt realisiert werden kann. Eigentlich ist das Prinzip so nahe liegend, dass man sich wundert, warum es bisher noch keiner umgesetzt hat. "Ein herkömmliches Radioteleskop besteht aus einem Parabolspiegel und einem Empfänger in der Mitte, auf den alle von der Schüssel empfangenen Radiowellen reflektiert werden", erklärt Enno Middelberg. "Man kann sich das wie eine 1-Pixel-Kamera vorstellen - das abgebildete Feld am Himmel ist daher winzig. Wenn man nun stattdessen die ganze Schüssel mit Empfängern auskleidet, vergrößert man das Feld. Wenn man die Schüssel dann plattdrückt, hat man LOFAR. So kann man natürlich viel größere Teleskope bauen als es mit einer beweglichen Struktur möglich wäre."


Kreis aus Quadraten

Und LOFAR ist viel größer als das heute bearbeitete Feld. Zum einen machen die diesmal aufgestellten Antennen nur eine Hälfte der RUB-Station aus. Sie detektieren Radiowellen zwischen 20 und 80 Megahertz (MHz). Die andere Hälfte haben die Forscher im November aufgebaut, bei Sturm und Regen im knöcheltiefen Matsch. Diese 96 weiteren Antennen, eingebettet in Styropor und verborgen unter schwarzen Planen, empfangen Wellen zwischen 120 und 240 MHz. "Die Wellenlängen bei diesen Frequenzen sind mit mindestens 125 Zentimetern viel kürzer als bei den anderen Antennen - da betragen sie zwischen vier und 15 Metern", erklärt Middelberg. "Deswegen kommt es bei den kleineren Antennen noch mehr auf Präzision an. Daher die Styropor-Verpackung." Die Anzahl von 96 Antennen ergibt sich übrigens aus dem Problem, aus Quadraten einen Kreis zu legen. Den Frequenzbereich zwischen 80 und 120 MHz sparen die Forscher aus: Er wird für den UKW-Funk genutzt und ist überfüllt von Radiosendern, die die aus dem All empfangenen Wellen überlagern.

Zum anderen ist LOFAR sogar noch viel größer als das gesamte Feld bei Daubenrath. Es gibt fünf solcher Stationen in Deutschland, vielleicht bald sechs, dazu mehrere in den Niederlanden, weitere in England, Schweden und Frankreich; Polen und Italien haben ebenfalls Interesse angemeldet.

Die eigentliche Besonderheit von LOFAR liegt aber in der Software. Sie macht es möglich, die Antennen, die selbst nicht beweglich sind, auf unterschiedliche Art anzusteuern. So entscheidet sich, ob man Radiowellen der Sonne analysiert, wie Potsdamer Forscher, ob man Pulsare sucht, wie Bonner Forscher, oder Phänomene außerhalb unserer Galaxie, wie die Bochumer Astronomen. "Theoretisch könnte man auch mehreres gleichzeitig untersuchen", sagt Enno Middelberg. Aber da ist ja immer das Problem mit den großen Datenmengen...


Brötchenleute unterwegs

Weil daher eben nicht alles zeitgleich geht, müssen die Forscher Beobachtungszeit beantragen. Die Gruppen, die in die Entwicklung und den Aufbau von LOFAR investiert haben, haben natürlich Sonderrechte. Andere Forscher, die Interesse an der Nutzung haben, müssen sich zunächst hinten anstellen. Normalweise dauert es zwischen einem halben und einem Dreivierteljahr bis man die beantragte Beobachtungszeit bekommt. Auf dem eigenen Laptop landen allerdings nicht die immer noch viel zu umfangreichen Messdaten, sondern ein daraus im Großrechner generiertes Bild.

Davon versprechen sich die Forscher Außergewöhnliches: Bisher hat man den Himmel noch nie mit so großer Genauigkeit in diesem Frequenzbereich untersuchen können. "Wir werden erst mal eine Katalogisierung des gesamten Himmels machen - da werden wir mit Sicherheit einiges Neue entdecken", ist Middelberg überzeugt. Die LOFAR-Forscher haben es vor allem auf Erkenntnisse über Magnetfelder im All abgesehen. "Davon wissen wir noch so gut wie nichts", sagt der Astronom. Radiowellen werden davon beeinflusst und lassen Rückschlüsse auf Magnetfelder in ihren Quellen zu.

Erst mal kümmert sich Enno Middelberg aber um ganz Irdisches: "Ich würde jetzt mal die Brötchenleute losschicken", sagt eine Doktorandin, "hast Du den Schlüssel vom Mietwagen?" Im Nachbardorf haben die Astronomen einen Imbiss geordert, der abholbereit ist. Zeit für eine Zwischenbilanz: 26 fertige Antennen stehen, viele weitere sind fast aufgebaut. "Wie haben einen kleinen Engpass, weil wir nur eine Technikerin hier haben, die die Antennen ans Netz anschließen kann. Die kommt kaum hinterher", erklärt Enno Middelberg. "Aber es sieht super aus, wir schaffen das heute auf jeden Fall - wenn Sie noch ein bisschen da bleiben, muss ich nix mehr machen!" Da fahren wir doch lieber wieder ab.


LOFAR

Das "International LOFAR Telescope" (ILT) wurde hauptsächlich von ASTRON konzipiert, dem Niederländischen Institut für Radioastronomie, in Zusammenarbeit mit einer Reihe von internationalen Partnern. Zurzeit sind fünf deutsche LOFAR-Stationen in Betrieb. Die deutschen LOFAR-Partner haben sich zu GLOW, dem "German LOng Wavelength" Konsortium zusammengeschlossen, dessen Sprecher Prof. Dr. Ralf-Jürgen Dettmar (Astronomisches Institut der RUB) ist. Mitglieder sind die astronomischen Institute der Universitäten in Bielefeld, Bochum, Bonn und Köln, das Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, die Jacobs-Universität Bremen, das Max-Planck-Institut für Astrophysik und der Exzellenzcluster Universe in Garching, die Sternwarte Hamburg, das Forschungszentrum Jülich, das Astrophysikalische Institut Potsdam und die Thüringer Landessternwarte Tautenburg. Die Jülicher Station wird von der Ruhr-Universität Bochum, der Jacobs-Universität Bremen und dem Forschungszentrum Jülich gebaut. Die Mittel wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung bereit gestellt.

In seiner endgültigen Form wird sich das LOFAR-Teleskop aus mindestens 36 Einzelstationen zusammensetzen. Die Antennen bilden, elektronisch miteinander verbunden, ein riesiges Radioteleskop mit der Fläche von halb Europa.


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Quelle:
RUBENS - 18. Jahrgang, Nr. 152 vom Juni 2011, S. 3
Herausgeber: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
Tel: 0234/32-23 999, -22 830, Fax: 0234/32-14 136
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2011