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INSTRUMENTE/348: ALMA - eine neue Ära der Submillimeter-Astronomie (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 4/13 - April 2013
Zeitschrift für Astronomie

ALMA - eine neue Ära der Submillimeter-Astronomie

Von Markus Schmalzl



Am 13. März dieses Jahres wurde ALMA, das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array, feierlich eingeweiht. Auf 5000 Meter Höhe in der Wüste Chiles gelegen, setzt dieser Verbund aus 66 Antennen neue Maßstäbe in der Radioastronomie. Er wird die Wissenschaft über das nächste Jahrzehnt hinaus revolutionieren.


In Kürze
  • Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array, kurz ALMA, befindet sich auf einer 5000 Meter hoch gelegenen Ebene in der chilenischen Atacamawüste.
  • Die Luft an diesem Standort ist so trocken und dünn, dass der Zugang zur Submillimeterstrahlung des kosmischen Staubs und Gases eröffnet wird.
  • Insgesamt 66 Antennen lassen sich zu einem Einzelteleskop zusammenschalten - so viele wie nie zuvor.
  • Damit lässt sich erstmals im Bereich der Submillimeterwellen eine Auflösung von wenigen Millibogensekunden erreichen.


Wie entwickelten sich Galaxien in der Frühzeit des Universums? Wie entstehen und sterben Sterne? Wie bilden sich Planeten? Woher kommt das Leben? Auf all diese Fragen wollen die Astronomen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die eine oder andere Antwort finden. Große Hoffnungen setzen sie dabei in das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA). Denn gerade Beobachtungen im Millimeter- und Submillimeter-Wellenlängenbereich können für die Lösung dieser Fragen entscheidende Puzzleteile liefern.

Insbesondere bei diesen Wellenlängen, die länger sind als diejenigen der Infrarotstrahlung, aber kürzer als diejenigen der Radiostrahlung, strahlt kalte Materie, so wie sie größtenteils in Molekülwolken und interstellarem Medium vorkommt, am stärksten. Für das menschliche Auge absolut dunkel erscheinend, leuchten diese Objekte mit Temperaturen von nur einigen 10 Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt gerade dort hell auf. Ebenso liegt in eben genau diesem Wellenlängenbereich eine Vielzahl von Moleküllinien, die Rückschlüsse auf Temperatur, Dichte, Geschwindigkeiten oder auch chemische Prozesse erlauben.


Das Streben nach räumlicher Auflösung

Hinsichtlich der räumlichen Auflösung erreicht ALMA Spitzenwerte; aber auch diesem Antennenverbund sind natürliche Grenzen gesetzt. Solange eine Antenne als einzelnes Radioteleskop betrieben wird, ist die Bildschärfe stets schlechter als bei einem optischen Teleskop. Selbst die größten Antennen der Welt mit ihrem Durchmesser von rund hundert Metern haben ein schlechteres Auflösungsvermögen als ein Amateurfernrohr. Der Grund: Zwar nimmt die Auflösung mit dem Durchmesser des Teleskops zu, mit größerer Wellenlänge nimmt sie aber ab. Um etwa eine mit dem Acht-Meter-Spiegel des Very Large Telescope vergleichbare Bildschärfe zu erhalten, würde man bei Millimeter-Wellenlängen auf Grund der rund tausendfach größeren Wellenlänge eine Antenne mit einem Durchmesser von acht Kilometern benötigen. Deshalb müssen andere Wege gefunden werden, um die Auflösung zu steigern. Eine Möglichkeit ist dabei die interferometrische Überlagerung der Signale mehrerer Einzelteleskope (siehe Kasten »Radiointerferometrie mit ALMA« weiter unten).

Das berühmteste Exemplar eines solchen Radiointerferometers ist zweifelsohne das Very Large Array (VLA) im US-Bundesstaat New Mexico. Bereits seit Ende der 1970er Jahre führt es interferometrische Beobachtungen bei Zentimeter-Wellenlängen durch, und es diente auch Hollywood bereits mehrfach als Filmkulisse. Erst in den 1980er Jahren war man durch Fortschritte in Instrumentierung, Antennenkonstruktion und Empfangstechnologie in der Lage, auch Interferometer bei Millimeterwellenlängen zu bauen. Geräte wie zum Beispiel das Plateau-de-Bure-Interferometer in den französischen Alpen, das es ermöglichte, das Signal von zunächst drei (heutzutage sechs) 15-Meter-Antennen zu kombinieren, öffneten neue Türen hinsichtlich räumlicher Auflösung und Sensitivität bei Wellenlängen bis zu einem Millimeter. Kurz nach der Jahrtausendwende nahm schließlich das Submillimeter Array (SMA) auf Hawaii mit acht Sechs-Meter-Antennen seinen Betrieb auf, welches das erste bildgebende Interferometer bei Submillimeter-Wellenlängen war.


Die nächste Generation von Radioteleskopen

In den Köpfen der Wissenschaftler schwirrten jedoch schon Ideen für die nächste Generation von Radioteleskopen im Millimeter- und Submillimeter-Wellenlängenbereich. In den USA gab es bereits in den 1980er Jahren Pläne für den Aufbau eines gigantischen Radiointerferometers. Auf europäischer Seite wurden derartige Anstrengungen Anfang der 1990er Jahre durch die Europäische Südsternwarte (ESO) in Garching unternommen, die bis dahin durch die Observatorien auf La Silla und Paranal ihren Fokus hauptsächlich auf Beobachtungen bei optischen und Nahinfrarot-Wellenlängen gelegt hatte (siehe SuW 2/2013, S. 44).

Da sich jedoch herausstellte, dass eine Institution alleine nicht in der Lage sein würde, ein Projekt dieser Größenordnung zu stemmen, kam es schließlich zu einer transatlantischen Zusammenarbeit: 1999 unterzeichneten die National Science Foundation (NSF) und die ESO als Repräsentanten der US-amerikanischen und europäischen Wissenschaftsgemeinden ein Abkommen, in dem sie ihr Interesse an einem gemeinsamen Radiointerferometer bekundeten. Der finale Startschuss wurde dann im Februar 2003 gegeben, als ESO und NSF dem Bau von ALMA endgültig zustimmten. Im September des Folgejahres schließlich wurde aus ALMA mit dem Beitritt Japans, das sich ebenfalls um ein eigenes (Sub-)Millimeter-Interferometer bemühte, ein globales Unterfangen.

Heute besteht das Projekt aus den drei Partnern Europa, Nordamerika und Ostasien in Zusammenarbeit mit der Republik Chile. Die Finanzierung des europäischen Anteils übernimmt dabei die ESO. Die restlichen Geldmittel werden von den USA, Kanada, Japan sowie Taiwan zur Verfügung gestellt. Die Gesamtkosten für den Bau von ALMA - mit rund einer Milliarde Euro veranschlagt - werden unter den Partnern aufgeteilt. Aufbau und Betrieb werden in Europa ebenfalls durch die ESO verwaltet, während in Nordamerika und Ostasien das National Radio Astronomy Observatory (NRAO) beziehungsweise das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) diese Aufgabe übernehmen.


ALMA - das höchstgelegene Teleskop der Welt

Als Standort für ALMA einigte man sich auf die Chajnantor-Hochebene im Norden Chiles nahe der bolivianischen Grenze. Diese Region zeichnet sich durch ihre extrem trockene Witterung und stabile Atmosphäre aus. Gerade für Beobachtungen bei Submillimeterwellenlängen ist geringe Luftfeuchtigkeit ein absolutes Muss, da nur dann die irdische Lufthülle für diese Art von Strahlung durchlässig ist. Des Weiteren darf die Menge an Wasserdampf nicht allzu schnell variieren. Ansonsten wäre die für interferometrische Beobachtungen geforderte Genauigkeit in der Überlagerung der Signale - bis auf Bruchteile einer Wellenlänge genau - nicht mehr möglich.

Mit einer Höhe von fast 5100 Metern liegt Chajnantor etwa 250 Meter über dem höchsten Gipfel der Alpen, dem Mont Blanc. Arbeiten in dieser Höhe sind eine Herausforderung für Mensch und Maschine. Der Sauerstoffgehalt in der Luft ist um 50 Prozent geringer als auf Meereshöhe, und der Anteil an Wassermolekülen in der Atmosphäre ist hundert- bis tausendfach niedriger. Um die Belastung für Arbeiter und Astronomen so gering wie möglich zu halten, wird ein Großteil der Arbeit in einem Basislager, der Operations Support Facility (OSF), verrichtet, das in einer Höhe von 2900 Metern in rund 28 Kilometer Entfernung zum Standort des Teleskops liegt (siehe Bild S. 40 der Druckausgabe unten). Hier befindet sich auch das Kontrollzentrum, von dem aus die Teleskope gesteuert und Beobachtungen ausgeführt werden. Des Weiteren erfolgt am OSF die Instandhaltung der Antennen und Empfänger.


Antennenlieferung als Bausatz

Als Teil des Übereinkommens zwischen ESO, NRAO und NAOJ hat sich jeder der ALMA-Partner bereit erklärt, einen gewissen Anteil der Antennen zur Verfügung zu stellen. Die ESO und das NRAO fertigten jeweils 25 Zwölf-Meter-Antennen. Das NAOJ stellt zwölf Sieben-Meter-Antennen sowie vier weitere Antennen mit jeweils zwölf Meter Durchmesser.

Die Antennen werden dabei in mehrere Einzelteile zerlegt nach Chile verschifft. Am OSF besitzt jeder der Subunternehmer der ALMA-Partner, die für den Antennenbau zuständig sind, eigene Montageanlagen, in denen die Antennen schließlich vollständig zusammengebaut werden. Bevor sie dann offiziell an das ALMA-Projekt übergehen, werden sie am OSF umfangreichen Tests unterzogen.

So müssen die Antennen eine Oberflächengenauigkeit von 25 Mikrometern aufweisen und in der Lage sein, eine Position am Himmel auf 0,6 Bogensekunden genau anzusteuern. Dies entspricht dem scheinbaren Winkeldurchmesser eines Golfballs in einer Entfernung von 15 Kilometern. Zudem müssen sie bei Temperaturen zwischen -20 und +20 Grad Celsius ohne Leistungseinschränkung funktionieren und den mitunter harschen Wind- und Wetterbedingungen widerstehen können.

Jede dieser Antennen ist mit hochmodernen, extrem rauscharmen Empfängern ausgestattet, die es erlauben, astronomische Signale mit bisher nie da gewesener Empfindlichkeit zu empfangen. Jede ALMA-Antenne kann mit bis zu acht verschiedenen Receivern bestückt werden, die Beobachtungen im Wellenlängenbereich von 0,3 bis rund 3 Millimeter ermöglichen (dies entspricht einem Frequenzbereich von 950 bis 85 Gigahertz).


Otto und Lore sorgen für Bewegung

Nach Fertigstellung und Übergabe begibt sich eine Antenne auf die fast 30 Kilometer lange Reise vom OSF hinauf zur so genannten Array Operations Site (AOS) auf der Hochebene. Eine Antenne mit ihrem Gewicht von rund 100 Tonnen umzusetzen, ist aber durchaus kein Kinderspiel. Speziell für diesen Zweck wurden die beiden Transporter Otto und Lore konstruiert. Ausgestattet mit 700-PS-Dieselmotoren sind diese beiden Fahrzeuge durch ihre 14 einzeln ansteuerbaren Reifenpaare in der Lage, jede der ALMA-Antennen millimetergenau zu platzieren. Dies ist durchaus eine Herausforderung, wenn man bedenkt, dass diese monströsen Gefährte selbst 20 Meter lang und 10 Meter breit sind und ein Gewicht von rund 130 Tonnen auf die Waage bringen (siehe Bild S. 41 der Druckausgabe).

Spezielle Vorkehrungen sind notwendig, um ein Beschädigen der kostbaren ALMA-Antennen während des Transports zu verhindern. Und auf dem Weg vom OSF in 2900 Meter Höhe hinauf auf mehr als 5000 Meter sinkt die Leistung der Die selmotoren wegen des geringeren Sauerstoffgehalts auf lediglich 450 PS - das ist jedoch immer noch genug, um mit einer Geschwindigkeit von rund fünf bis zehn Kilometer pro Stunde langsam, aber sicher ans Ziel zu kommen.


Der ALMA-Korrelator

Einmal in der Hochebene an der Array Operations Site angekommen, wird die Antenne auf einer der zahlreichen vorbereiteten Stationen abgestellt, die für die Anbindung ans Strom- und Datenübertragungsnetz sorgen. Die von allen Antennen empfangenen Signale laufen über Glasfaserkabel im AOS Technical Building, dem höchstgelegenen Hightechgebäude der Welt, zusammen. Dort steht mit dem ALMA-Korrelator ein Supercomputer, der die Signale der Antennen miteinander kombiniert und ALMA somit erlaubt, wie ein einzelnes Teleskop zu agieren. Der nur für diesen Zweck konstruierte Korrelator enthält mehr als 2000 Platinen sowie rund 20 Millionen Lötstellen und kann mit seinen 134 Millionen Prozessoren bis zu 17 Petaflops pro Sekunde, also 17 Billiarden Gleitkommaoperationen pro Sekunde ausführen (siehe Bild). Somit gehört er zweifelsohne zu den weltweit schnellsten Supercomputern - und ist gewiss der höchstgelegene.

Der ALMA-Korrelator, der insgesamt aus vier identischen Quadranten besteht, wurde Ende 2012 fertiggestellt. Einer dieser Quadranten wurde bereits Ende 2009 genutzt, um erstmals das Signal zweier Antennen auf der Chajnantor-Hochebene zusammenzuschalten und das für Interferometrie typische Beugungsmuster zu beobachten. Diese so genannten »First Fringes« markierten dabei einen wichtigen Schritt hin zu ALMA, da ausschließlich Bauteile verwendet wurden, die auch für die Verwendung im fertigen Teleskop konzipiert waren.


Auflösung ist nicht gleich Auflösung

Die Chajnantor-Hochebene ist mit insgesamt 192 Antennenstationen ausgestattet. Das ist fast dreimal mehr, als Antennen zur Verfügung stehen. Diese großzügige Auslegung ermöglicht, die Anordnung des Interferometers an die Erfordernisse der Beobachtungen anzupassen.

ALMA wird dabei über einen Zeitraum von mehreren Monaten durch schrittweises Umpositionieren von Einzelantennen zwischen einer kompakten Antennengruppierung (mit einer maximalen Basislinie von rund 150 Metern) und einer wesentlich weitläufigeren Konfiguration (mit einer maximalen Basislinie von rund 16 Kilometern) hin und her wechseln. Mit diesem maximalen Antennenabstand in der ausgedehnten Konfiguration vermag ALMA bei Submillimeter-Wellenlängen eine Auflösung von 5 Millibogensekunden zu erreichen. Damit wird die Auflösung des Weltraumteleskops Hubble um das Zehnfache übertroffen.

Man würde zunächst meinen, dass eine größtmögliche Auflösung das Ziel einer jeden Beobachtung sein sollte, und man deswegen stets möglichst lange Basislinien zur Verfügung stellen sollte. Jedoch läuft man dann mit heutigen Radiointerferometern Gefahr, große räumliche Skalen herauszufiltern (siehe Kasten »Radiointerferometrie mit ALMA«). Um diesem Effekt, zumindest zum Teil, entgegenzusteuern, kommen die vom NAOJ gelieferten Antennen ins Spiel, die ein separates, kompaktes Antennenfeld bilden.

Während nämlich die insgesamt 50 Zwölf-Meter-Antennen von ESO und NRAO im so genannten Main Array eine maximale Basislinie zwischen 150 Metern und 16 Kilometern einnehmen können, beträgt ihre kleinste realisierbare Basislänge 12 Meter (entsprechend dem Durchmesser einer Einzelantenne). Die Anordnung aus zwölf Sieben-Meter- und vier Zwölf-Meter-Antennen aus Japan, die das Atacama Compact Array (ACA) formen, ist so konzipiert, dass sich möglichst kurze Basislinien realisieren und somit großskalige Strukturen vermessen lassen. Werden Objekte beobachtet, bei denen sowohl große als auch kleine Strukturen aufgelöst werden sollen, so bietet ALMA durch das Zusammenspiel des Main Arrays und des ACAs die bestmögliche Lösung.

Während ALMA also einerseits hinsichtlich der räumlichen Auflösung mit dem Weltraumteleskop Hubble mithalten kann, gibt es andererseits gravierende Einschränkungen bezüglich des Blickfelds. Zum Beispiel hat ein Bild von Hubbles ACS-Kamera, mit der unter anderem die Hubble-Deep-Field-Aufnahmen gewonnen wurden, ein Sichtfeld mit einer Größe von etwa 12 Quadratbogenminuten. Mit ALMA benötigt man - abhängig von der Wellenlänge - dutzende bis einige hundert Einzelaufnahmen, um die gleiche Fläche am Himmel abzudecken.

Mit heutigen, bodengebundenen Nahinfrarot-Teleskopen, die sich mit ihren neuartigen Kameras mit Gesichtsfeldern in der Größenordnung von einigen Quadratgrad auf großskalige Himmelsdurchmusterungen spezialisieren, kann ALMA somit bei Weitem nicht mithalten. Das Hauptaugenmerk liegt deswegen auch eher in der detaillierten Beobachtung spezieller, ausgewählter Objekte am Himmel.


Erste ALMA Tests und Beobachtungen

Seit der Übergabe der ersten Antenne Ende 2008 wurden diese quasi im Akkord fertiggestellt und auf das Chajnantor-Plateau geliefert. Im Frühjahr 2012 war durch die Anlieferung der 33. Antenne bereits die Hälfte der geplanten Anzahl vor Ort, und zum Jahresende war diese Zahl bereits auf 53 angewachsen.

Bereits mit der Ankunft der ersten Antennen begannen Anfang 2010 auch Beobachtungen im Rahmen des so genannten Commissioning and Science Verification Programms. Ziel war, die Funktionsfähigkeit von ALMA zu testen und die wissenschaftlichen Ergebnisse auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Zu diesem Zweck wurden bereits bekannte Objekte von ALMA ins Visier genommen und mit Beobachtungen anderer Observatorien verglichen. Durch die rasch steigende Zahl von Antennen war ALMA relativ bald in der Lage, deren wissenschaftlichen Ergebnisse zu reproduzieren oder bereits zu übertrumpfen. Neben der Anzahl der Antennen spielen dabei auch die exzellenten Beobachtungsbedingungen auf der Chajnantor-Hochebene eine Rolle, die ALMA einen Standortvorteil verschaffen.

Mit Vorfreude blickten Astronomen deshalb auf den ersten öffenlichen ALMA-Beobachtungszyklus, bei dem eigene Messungen beantragt werden konnten. Das Hauptaugenmerk lag zwar immer noch im weiteren Aufbau des Teleskops, aber trotzdem wurde ein gewisser Anteil der Zeit für wissenschaftliche Beobachtungen zur Verfügung gestellt. Mitte 2011 wurden insgesamt mehr als tausend Projekte für den ersten öffentlichen Beobachtungszyklus (Cycle 0) beantragt, von denen jedoch aus Zeitgründen lediglich zehn Prozent Beobachtungszeit zugesprochen wurde. Von Ende 2011 bis Ende 2012 wurden insgesamt rund 700 Stunden für wissenschaftliche Beobachtungen aufgewendet. Die Möglichkeiten in Cycle 0 im Vergleich zu ALMA in seiner finalen Konfiguration waren stark eingeschränkt. Obwohl lediglich 16 Antennen und nur vier von acht Receiverbändern zur Verfügung standen, war ALMA bereits das bei Weitem beste Submillimeterteleskop weltweit. Somit war es nicht erstaunlich, dass bereits in dieser frühen Phase des Projekts einige bahnbrechende Ergebnisse erzielt werden konnten (siehe Kasten »Erste ALMA-Highlights« weiter unten).


Die Zukunft ist rosig

Seit Januar 2013 befindet sich ALMA nun bereits im zweiten öffentlichen Beobachtungszyklus (Cycle 1). Darin stehen der Wissenschaftsgemeinde rund 800 Stunden und mindestens 32 der bereits mehr als 50 gelieferten Antennen zur Verfügung. Erneut bewarben sich Astronomen aus der ganzen Welt mit rund tausend Beobachtungsanträgen, von denen in Cycle 1 nur etwa 20 Prozent mit ALMA-Daten rechnen dürfen.

Parallel zu den wissenschaftlichen Beobachtungen wird jedoch noch immer der Aufbau weiter vorangetrieben. Bis Ende dieses Jahres soll ALMA endgültig fertiggestellt sein.

Doch damit noch nicht genug. Es sind bereits Pläne in der Schublade, die Hardware zu verbessern und den für die Beobachtungen zugänglichen Frequenzbereich zu erweitern. Somit wird ALMA über dieses Jahrzehnt hinaus die Wissenschaft wesentlich vorantreiben und mit seinen Ergebnissen einen großen Beitrag zum Verständnis des Universums leisten.


KASTEN
 
Radiointerferometrie mit ALMA

Was wird eigentlich gemessen?
Der schematische Aufbau eines Radiointerferometers lässt sich mit dem Zusammenschalten zweier Antennen erklären (siehe Grafik unten). Zunächst empfangen beide Teleskope unabhängig voneinander das Signal der beobachteten Quelle. Das Signal wird jedoch eines der Teleskope später erreichen als das andere. Dieser Zeitunterschied wird üblicherweise elektronisch durch eine Art »Verzögerungsschleife« korrigiert. Somit lassen sich beide Signale im Korrelator »in Phase« überlagern. Das dabei entstehende Interferenzmuster wird durch den Kontrast beschrieben. Diese »Visibility« genannte Größe ist mathematisch gesehen eine komplexe Zahl und wird üblicherweise durch Amplitude und Phase beschrieben (siehe SuW 11/2004, S. 32).
Welche Auflösung kann erreicht werden?
Das Auflösungsvermögen eines Instruments wird üblicherweise definiert als der Minimalabstand, den zwei Punktquellen haben müssen, um sie noch einzeln erkennen zu können. Für ein Einzelteleskop ist dieses in etwa gegeben durch das Verhältnis von beobachteter Wellenlänge λ zu Antennendurchmesser D. Bei einem Radiointerferometer kann man die Auflösung auf &lambda/B erhöhen, wobei B dem projizierten Abstand der beiden Einzelantennen (der so genannten projizierten Basislinie - im Folgenden einfach Basislinie genannt) entspricht.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen Visibilities und der Quellstruktur?
Die Visibilities sind mit der Helligkeitsverteilung am Himmel mathematisch verknüpft über eine Fourier-Transformation. Als Beispiel sind in der Grafik rechts die Amplitudenverteilungen für einige Objekte in Abhängigkeit von der Länge der Basislinie gezeigt: eine Punktquelle, eine kleine Scheibe mit einer Helligkeitsverteilung in Form einer Gaußkurve, und eine große, gleichförmig leuchtende Scheibe.
Eine spezielle Eigenschaft der Fourier-Transformation ist, dass große Objekte in der Bildebene zu kleinen Objekten in der Fourier-Ebene werden und umgekehrt. Die große Scheibe zeigt mit zunehmender Basislinienlänge rasch fallende Amplituden, während die kleinere Scheibe auch noch bei längeren Basislinien hohe Amplituden aufweist. Ein Absinken der Amplituden mit zunehmender Basislinie ist somit allgemein ein Hinweis auf die Präsenz einer ausgedehnten, räumlich aufgelösten Struktur. Konsequenterweise weist eine Punktquelle, ein quasi unendlich kleines Objekt in der Bildebene, gleich bleibende Amplituden bei allen Basislinien auf (und ist dort quasi unendlich groß).
Bei aufgelösten Objekten erlaubt die Form der Amplitudenverteilung Rückschlüsse auf die genaue Geometrie der Quelle. Eine Helligkeitsverteilung in Form einer Gaußkurve resultiert auch in der Fourier-Ebene in einer gaußförmigen Verteilung. Für eine gleichförmig leuchtende Scheibe hingegen zeigen sich markante Nullstellen und Nebenmaxima. Andere Objekte (zum Beispiel Doppelsterne, Ringe und Spiralstrukturen) können ebenfalls durch typische Amplitudenverteilungen identifiziert und charakterisiert werden.
Warum benötigt man so viele Antennen?
Der schematische Aufbau eines Radiointerferometers zeigt, wie man das Signal zweier Einzelantennen miteinander kombiniert. Ein Großteleskop mit vielen Antennen wie ALMA besteht dabei prinzipiell aus vielen solcher Zwei-Element-Interferometern. Der Vorteil vieler Antennen liegt dabei klar auf der Hand, da die Zahl der Basislinien quasi quadratisch mit der Anzahl der Antennen steigt. Des Weiteren erhöht sich natürlich die Lichtsammelfläche, was es erlaubt, dieselbe Bildtiefe in kürzerer Beobachtungszeit zu erhalten.
Wie werden nun Bilder erstellt?
Gerade bei komplexen Strukturen der Quelle lassen sich aus dem bloßen Betrachten der Visibilities keine Rückschlüsse mehr ziehen. Da sich bei Radiointerferometern mit vielen Antennen sowohl Amplitude als auch Phase der Visibility messen lassen (im Gegensatz zur Nahinfrarot-Interferometrie, wo lediglich die Amplitudeninformation gemessen werden kann), ist es möglich, die Rücktransformation aus der Fourier-Ebene in die Bildebene zu vollführen. Um ein perfektes Bild zu erhalten, wäre es jedoch nötig, die Visibilities aller Basislinien zu wissen. Im Realfall wird man mit nur einigen wenigen Basislinien Vorlieb nehmen müssen, was bei der Bildrekonstruktion zu Artefakten führen kann. Mit Hilfe verschiedenster Algorithmen versucht man, diese so gut wie möglich zu unterdrücken.
Wieso werden großskalige Strukturen herausgefiltert?
Der Durchmesser einer Einzelantenne ist für Interferometer die kürzest mögliche Basislinie (für die Main-Array-Antennen von ALMA also 12 Meter). Bei sehr ausgedehnten Quellen kann dies bedeuten, dass bei allen Basislinien die Amplituden der Visibility sehr niedrig sind und bisweilen im Signalrauschen gar nicht mehr messbar sind. Dies führt dazu, dass ein Objekt weniger hell erscheint, als es eigentlich ist, und manchmal sogar völlig »verschwindet«. Vor allem bei kurzen Wellenlängen ist dies ein nicht unüblicher Effekt. Die großen Planeten unseres Sonnensystems, aber auch Molekülwolken oder nahe Galaxien, leiden mehr oder weniger stark unter diesem Filtereffekt. Um dieses Problem zu vermeiden, gibt es das Atacama Compact Array (ACA), bestehend aus einem Interferometer mit zwölf Sieben-Meter-Antennen und vier Zwölf-Meter-Einzelantennen. Das Interferometer mit seinen kleineren Antennen sowie die Einzelantennen bieten die Möglichkeit, die Lücke der Basislinien zwischen null und der kürzesten Basislinine des Main Array zu schließen und somit auch große räumliche Strukturen zu »sehen«.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Schematischer Aufbau eines Radiointerferometers.
- Amplitudenverteilungen für einige Objekte in Abhängigkeit von der Basislänge.

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Erste ALMA-Highlights
Erläuterung:
Spiralstruktur um sterbenden Stern: Zwar war schon länger bekannt, dass rote Riesensterne in periodischen Abständen durch thermische Pulse Teile ihrer Hülle abstoßen. Überraschendes fanden Astronomen aber bei Beobachtungen des Sterns R Sculptoris. Neben der erwarteten äußeren Kugelschale zeigte sich auch eine spiralförmige Struktur in ihrem Inneren. Diese wird wohl durch einen bisher unentdeckten Begleitstern verursacht, der sich im Orbit um R Sculptoris befindet.
Literaturhinweis
Maerker, M. et al.: Unexpectedly large mass loss during the thermal pulse cycle of the red giant star R Sculptoris. In: Nature 490, S. 232-234, 2012
Sterne und Weltraum http://goo.gl/Zifd8

Erläuterung:
Schäferplaneten um den Stern Fomalhaut: Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Hubble (im Bild in blau) hatten bereits einen Staubring um den Stern Fomalhaut nachgewiesen. Aufnahmen mit ALMA (gelb) zeigten nun, dass dieser Ring wesentlich schärfer begrenzt ist als vorher angenommen. Forscher führen dies auf das Vorhandensein zweier Schäferplaneten an Innen- und Außenseite des Rings zurück. Durch ihre Masse von rund einer Erdmasse helfen sie den Ring in seiner Form zu erhalten, ohne ihn dabei zu zerstören.
Literaturhinweis
Boley, A.C. et al.: Constraining the Planetary System of Fomalhaut Using High-resolution ALMA Observations. In: The Astrophysical Journal Letters 750, S. L21 - L25, 2012
Sterne und Weltraum http://goo.gl/TwzZ1

Erläuterung:
Süße Nachrichten von ALMA: Bei Beobachtungen des jungen Protosterns IRAS 16293-2422 fanden Forscher erstmals um einen sich formenden Stern mit der Masse der Sonne die spektrale Signatur von Glykolaldehyd. Diese einfache Form von Zucker spielt in der Entstehung von Bausteinen des Lebens eine große Bedeutung, da er ein Zwischenprodukt in der Bildung von Ribonukleinsäure ist.
Literaturhinweis
Jørgensen, J.K. et al.: Detection of the Simplest Sugar, Glycoaldehyde, in a Solar-type Protostar with ALMA. In: The Astrophysical Journal Letters 757, S. L4 - L9, 2012
Sterne und Weltraum http://goo.gl/GBVgj

Erläuterung:
Gasplaneten bei der Fütterung beobachtet: Einer gängigen Theorie zufolge werden die charakteristischen Lücken in so genannten Übergangsscheiben durch sich dort formende Planeten gebildet. In einer solchen Scheibe um den noch jungen Stern HD 142527 hat ein internationales Team von Astronomen mit ALMA Hinweise darauf gefunden, dass diese Planeten durch zuströmendes Gas aus der Scheibe Material aufnehmen und somit an Masse gewinnen.
Literaturhinweis
Cassassus, S. et al.: Flows of Gas Through a Protoplanetary Gap. In: Nature 493, S. 191-194, 2013

Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.

 
KASTEN ENDE

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Markus Schmalzl promovierte am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Zurzeit ist er Postdoc bei »Allegro« (ALMA Local Expertise Group) an der Sternwarte Leiden, einem Teil des europäischen ALMA Regional Centres.


Literaturhinweise

Shaver, P.: ALMA - ein riesiges Teleskop für Millimeterwellen. In: Sterne und Weltraum Special 3/2003: Europas neue Teleskope, S. 74-85
Leinert, C., Graser, U.: Interferometrie an Großteleskopen. Das Instrument MIDI erschließt den beobchtenden Astronomen ein neues Forschungsfeld. In: Sterne und Weltraum 11/2004, S. 32-39
Menten, K.M., Wyrowski, F.: Blick ins staubige Universum. Das wissenschaftliche Potenzial des Atacama Large Millimeter Array. In: Sterne und Weltraum 5/2009, S. 28-37

Weblinks unter:
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1185375

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w i s - wissenschaft in die schulen

Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

Was ist WIS?
Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer, die ihren naturwissenschaftlichen Unterricht mit aktuellen und praktischen Bezügen anschaulich und abwechslungsreich gestalten wollen - und an Schülerinnen und Schüler, die sich für Vorgänge in der Natur begeistern und ein tieferes Verständnis des Universums gewinnen möchten.

Um diese Brücke von der Wissenschaft in die Schulen zu schlagen, stellt WIS didaktische Materialien als PDF-Dokumente zur Verfügung (kostenloser Download von unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de).

Mit Hilfe der ID-Nummer sind diese auf der Seite www.wissenschaft-schulen.de/artikel/ID-Nummer als Download unter dem Link »Zentrales WiS!-Dokument« zugänglich.

WiS in Sterne und Weltraum

»ALMA mater« bezieht sich auf die beiden Artikel »ALMA - eine neue Ära der Submillimeter-Astronomie« auf S. 36 und »Den Sternen ein Stückchen näher« auf S. 44. In diesem Beitrag wird eines der Radioteleskope des Antennenverbunds detailliert betrachtet. Ausgehend von einem anfassbaren Papiermodell werden die prinzipiellen Anforderungen der wesentlichen Teleskopkomponenten verdeutlicht. Die vorgenannten Aspekte sollen dann mit Schulinhalten verbunden werden. Sie lassen sich mit einer Vielzahl von Aktivitäten für Schüler nachvollziehen, die sich sehr gut für Projektarbeit eignen.
(ID-Nummer: 1156171)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 36-37:
Das 5000 Meter hoch gelegene Plateau Chajnantor in der chilenischen Atacamawüste bietet dem ALMA-Observatorium exzellente Beobachtungsbedingungen. In dem Panoramabild von Stéphane Guisard wird das Antennenfeld durch den Mond beschienen, der hier inmitten des schimmernden Bandes der Milchstraße steht. Die beiden diffusen Objekte am linken Bildrand sind die Große und die Kleine Magellansche Wolke, zwei nahe Begleitgalaxien unseres Milchstraßensystems. Rechts neben der Kleinen Magellanschen Wolke zeichnet sich die Leuchtspur eines hellen Meteors ab.

Abb. S. 40 oben:
Der Ausbauzustand von ALMA im November 2010 auf der Array Operations Site (AOS): Neun Antennen sind bereits in das Interferometer integriert. Ihre Signale laufen in dem AOS Technical Building (rechts im Bild) zusammen und werden dort miteinander kombiniert.

Abb. S. 40 Mitte:
Der Beobachtungsbetrieb von ALMA wird vom Basislager, der Operations Support Facility (OSF), gesteuert. Im Hintergrund befinden sich die Werkstätten, in denen die angelieferten Einzelteile der Antennen zusammengebaut werden.

Abb. S. 41 oben:
Im April 2011 nahm der Transporter »Otto« die erste europäische Antenne Huckepack, um sie an das ALMA-Projekt zu übergeben. Dieser Moment markierte einen Meilenstein der europäischen Anstrengungen beim Aufbau von ALMA.

Abb. S. 41 unten:
Der ALMA-Korrelator, einer der schnellsten Supercomputer der Welt, nahm Ende 2012 seinen Betrieb auf. Im Bild sind einige Racks von einem der insgesamt vier identischen Quadranten zu sehen, die mit ihren insgesamt 134 Millionen Prozessoren bis zu 17 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde ausführen können.

Abb. S. 43:
Im Mai 2012 waren 33 Antennen geliefert. Zu diesem Zeitpunkt war somit bereits die Hälfte aller ALMA-Antennen fertiggestellt und in das Interferometer auf der Chajnantor-Hochebene integriert.


© 2013 Markus Schmalzl, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 4/13 - April 2013, Seite 36 - 43
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528 150, Fax: 06221/528 377
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9126 600, Fax: 06221/9126 751
Internet: www.astronomie-heute.de
 
Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2013