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METEOR/034: Das Geheimnis der kosmischen Krümel (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 1/2010

Das Geheimnis der kosmischen Krümel

Von Thorsten Dambeck


Die Reise eines Meteoriten endet naturgemäß abrupt - mit dem Einschlag des Brockens auf der Erde. Ein solcher Himmelsstein birgt allerlei Geheimnisse. Ulrich Ott vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz gehört zu den wissenschaftlichen Detektiven. So entschlüsselt er etwa, wie lange der Meteorit im Weltraum unterwegs war.


Am Abend des 17. Januar 2009 sorgte eine gleißende Lichterscheinung für helle Aufregung. Zur besten TAGESSCHAU-Zeit erhellte ein Meteor über Norddeutschland für einige Sekunden den Himmel. Von Polen kommend zog die Feuerkugel über die Ostsee westwärts in Richtung Dänemark. Fast 600 Augenzeugen meldeten ihre Eindrücke, einige berichteten gar von Geräuschen wie Gewehrschüssen und Donnergrollen. In Schweden dokumentierte eine Überwachungskamera das Spektakel, und auch in den Niederlanden lichtete man den Boliden ab. Zwar stellte sich das Bildmaterial als ungeeignet heraus, um präzise ein potenzielles Aufschlaggebiet zu lokalisieren, trotzdem konnten schon Anfang März Fragmente des Meteoriten geborgen werden.

Der spektakuläre Fund war das Resultat einer systematischen Suche: Er geht auf das Konto des Meteoritenjägers Thomas Grau aus Brandenburg, der bereits 2002 in den Alpen als Erster ein Stück des "Neuschwanstein"-Meteoriten aufgespürt hatte (MAX PLANCK FORSCHUNG 4/2002, Seite 16 ff.). Diesmal wurde Grau auf der dänischen Insel Lolland fündig. Dort ging ihm ein Steinchen etwa so groß wie ein Tischtennisball ins Netz; es steckte zerbrochen einige Zentimeter tief in einem Erdloch nahe des Städtchens Maribo.

Forscher wie Ulrich Ott vom Max-Planck-Institut für Chemie profitieren vom Spürsinn des Jägers der himmlischen Steine. "Es ist nicht das erste Mal, dass wir unsere Proben auf diesem Weg bekommen", sagt er. Das Krümelchen, das der Postbote diesmal brachte, stammte vom Geologischen Museum in Kopenhagen; Grau hatte seinen Fund dort abgegeben. Die Laborwaage zeigte gerade einmal 115 Milligramm an - immerhin mehr als genug für die anstehende Analyse. Zuvor hatten bereits dänische und Münsteraner Kollegen eine Klassifizierung vorgenommen: Maribo, so der offizielle Name des Ostsee-Meteoriten, ist demnach ein kohliger Chondrit, also ein Exemplar reich an Kohlenstoff. Weniger als fünf Prozent der Meteoritenfälle gehören dieser seltenen Klasse an.


Der Schlüssel zur Reisezeit steckt in den Edelgasen

Seit Jahrzehnten erforschen die Mainzer Max-Planck-Wissenschaftler Meteorite. Von 1969 an kamen Analysen von Proben aus dem Gepäck der Mondfahrer hinzu - keine wissenschaftliche Einrichtung außerhalb der USA erhielt damals so viel Mondgestein wie die Abteilung Kosmochemie in Mainz. Otts kosmische Forschungsobjekte waren jedoch immer Meteorite: "Unsere Arbeit ist interdisziplinär ausgerichtet", erklärt der Forscher, dessen wissenschaftliche Heimat im Grenzgebiet zwischen Astrophysik, Chemie und den Geowissenschaften liegt.

"Hier läuft gerade eine Temperaturserie", erklärt Ulrich Ott auf dem Weg in die Laborräume, wo der Maribo-Probe bereits kräftig eingeheizt wird. Mit 400 bis 1800 Grad Celsius werden im Verlauf mehrerer Tage die gasförmigen Bestandteile schrittweise aus dem Himmelsstein getrieben. Ott und seine Kollegen haben es insbesondere auf die Edelgase abgesehen, oder genauer: die Mengenverhältnisse der Edelgasisotope. Denn daraus lässt sich die Dauer der Reise aus den Gefilden der Planetoiden bis zum Aufschlag in der dänischen Provinz berechnen.

Und das geht so: Nachdem der Stein einst aus seinem Mutterkörper herausgeschlagen wurde, war er der allgegenwärtigen kosmischen Strahlung ausgesetzt. In seinem Innern kamen Kernreaktionen in Gang, die Isotopenverhältnisse begannen sich deshalb zu ändern. Ott erläutert: "Die interessanten Effekte sieht man am besten bei seltenen Isotopen, etwa Neon-21." Die Atomkerne dieser speziellen Sorte des Edelgases enthalten zusammen 21 Protonen und Neutronen. Normalerweise sind nur drei Promille davon im Neon enthalten. "Mit dem Ne-21-Gehalt eines Meteoriten können wir das Bestrahlungsalter genau bestimmen", sagt Ott. Bestrahlungsalter heißt der Fachbegriff für die Dauer der kosmischen Reise.

Das Labor ist erfüllt vom Surren der Pumpen, die Messungen erfordern ein Ultrahochvakuum. Über den mit Aluminiumfolie wärmeisolierten Leitungen der Apparatur thront ein gläsernes Gefäß, von dem ein Dutzend fingerartiger Fortsätze nach unten zeigen. Darin sind die Probenstücke in silbrige Nickelfolie verpackt. Sie stammen von ganz verschiedenen Meteoriten. Neben dem von Maribo und einigen anderen befindet sich dort auch ein besonderes Exemplar: "Den hat uns ein Kollege aus Wien zugeschickt", sagt Ott. "Die Mineralogen waren sich unsicher, ob es überhaupt ein Meteorit ist. Die Vermutung war: Wenn er tatsächlich aus dem All stammt, dann möglicherweise vom Mars."

Die Edelgasanalyse des unsicheren Kantonisten liegt bereits vor. Und Ott ist sich sicher: Von der Erde stammt der mysteriöse Stein nicht, vielmehr hat er eine lange kosmische Odyssee absolviert. "Die hohen Gehalte an Ne-21 belegen ein hohes Bestrahlungsalter, etwa 20 Millionen Jahre." Das spreche aber gegen einen Ursprung vom Mars, denn Marsmeteoriten schaffen den Transfer schneller, typisch sind wenige Millionen Jahre.


Spürnase für Edelgase

Meteorite auf Edelgase zu untersuchen ist schwierig, die betreffenden Konzentrationen sind oft sehr gering. Das Messverfahren des Mainzer Edelgas-Massenspektrometers funktioniert im Prinzip wie folgt: Zunächst werden die gasförmigen Bestandteile der Probe durch schrittweises Erhitzen verdampft. Chemische Methoden trennen die Nicht-Edelgase aus dem Gasgemisch ab, sie spielen bei der weiteren Analyse keine Rolle. Helium und Neon gehen zuerst in die Messapparatur, die anderen Edelgase werden auf der Oberfläche von gekühlter Aktivkohle eingefangen. Aus diesem "Zwischenspeicher" werden sie durch Heizen wieder entlassen, jede Atomspezies bei einer typischen Temperatur. Bei minus 123 Grad kommt zuerst das Argon frei, gefolgt vom Krypton. Um das Xenon zu entlassen, bedarf es einiger Hitze, etwa 150 Grad.

Das Prinzip der Analyse: Ein Heizfaden strahlt Elektronen ab, die mit den Edelgasatomen zusammenstoßen und diese dabei ionisieren. Eine angelegte Hochspannung sorgt dafür, dass die Ionen der einzelnen Edelgas-Isotope entsprechend ihrer Masse abgelenkt werden. Im Unterschied zur herkömmlichen Massenspektroskopie sind die Pumpen während der Messung geschlossen. Keine Gasatome dürfen für die empfindlichen Messungen verloren gehen.


Nanodiamanten aus gerade mal 1000 Kohlenstoffatomen

Das Gas-Massenspektrometer, mit dem Ulrich Ott und seine Kollegen das Himmelsgestein enträtseln helfen, ist ein sehr empfindliches Gerät. Das muss es auch sein, denn die Konzentrationen der Edelgase in Meteoriten sind oft gering (siehe oben). Gleichwohl sind diese Messungen am Max-Planck-Institut für Chemie seit Langem Routine, eine Art Service, der zum Kanon der Analysen in der Meteoritenforschung gehört. Während die Ziffern für die Edelgase vom Helium bis zum Xenon auf dem Monitor erscheinen, erzählt Ott von seinem eigentlichen Forschungsgebiet: präsolare Körner. Diese Phasen sind in manche Meteorite eingebettet, sie lassen sich gesondert untersuchen.

"Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit winzigen Diamanten, sie enthalten gerade mal 1000 Kohlenstoffatome", erklärt der Max-Planck-Forscher. Diese Nanodiamanten sind älter als das Sonnensystem. Ihre Identifizierung als Relikte aus dem interstellaren Raum sei ebenfalls ein Ergebnis von Edelgasanalysen; erst durch sie wurde offenbar, dass Meteorite solche uralten Bestandteile beherbergen.

Neben den Minidiamanten untersuchen die Wissenschaftler auch größere Körner, immerhin im Mikrometer-Format. Mit aufwendigen Methoden werden sie aus der Matrix des Meteoritengesteins herauspräpariert. Einige Isotope in diesen Körnchen zeigen dramatische Auffälligkeiten. Untersuchungen von Peter Hoppe, ebenfalls vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie, zeigen: Während das Isotopenverhältnis des Kohlenstoffs mit den Atomgewichten 12 und 13 fast überall im Sonnensystem rund 90 beträgt, fallen diese Körner völlig aus dem Rahmen: Bei manchen werden Werte gefunden, die zwei Größenordnungen niedriger liegen, wiederum andere zeigen ein fast 100-fach höheres Isotopenverhältnis.

Warum ist das so? Man geht davon aus, dass Sterne am Ende ihres Daseins Staub ausstoßen. Auf diesem Weg gelangte alte Sternsubstanz von roten Riesen oder aus explodierenden Supernovae bis in die solare Urwolke, aus der sich später die Sonne, die Meteoriten und die Planeten formten. Die Isotopen-Anomalien eröffnen also Einblicke ins Innere dieser Sterne und die dortige Synthese der chemischen Elemente - eine Art genetischer Fingerabdruck unserer stellaren Urahnen.


Neue Messapparatur für interstellaren Staub

Auch im Maribo-Meteoriten könnte es noch die Ur-Körner geben; Ott liest aus seinen Messungen einen Gehalt an Nanodiamanten im Promillebereich heraus. Eine wichtige Vorbedingung dafür ist, dass Maribo in den viereinhalb Milliarden Jahren seiner Existenz nur vergleichsweise milden Erwärmungen ausgesetzt war, nämlich höchstens 200 Grad Celsius. Zu einer detaillierten Untersuchung auf präsolares Material wird es jedoch wohl nicht kommen, da in Dänemark bislang nur wenig Maribo-Material gefunden wurde, gerade einmal 30 Gramm.

Derweil steht dem Mainzer Institut für die Edelgas-Analyse in diesem Jahr ein Empfindlichkeitssprung ins Haus: Dann geht eine neue Messapparatur zur Untersuchung von Mikrometeoriten, interstellarem Staub und einzelnen präsolaren Körnern in Betrieb. Unterdessen sind im Labor alle Edelgase der Maribo-Probe bestimmt und die Messdaten ausgewertet. Das Resultat überrascht Ott nicht: "Maribos Bestrahlungsalter liegt bei rund einer Million Jahren", erklärt er. Verglichen mit den gewöhnlichen Steinmeteoriten eine sehr kurze Reisedauer. Für diese Meteoritenklasse sei das jedoch nicht ungewöhnlich. Das krümelige Material könne den harten Bedingungen im Weltall wohl nicht viel länger widerstehen. Und auch die hitzige Prozedur in Mainz war am Ende zu viel für das kosmische Staubkorn: "Es ist verdampft", sagt Ott ungerührt. "Unsere Messungen sind eben keine zerstörungsfreie Methode."


Glossar

Isotop
Bezeichnung für verschiedene Atomarten eines chemischen Elements, deren Atomkerne die gleiche Ordnungszahl (Protonenzahl), aber unterschiedliche Neutronenzahlen und somit auch verschiedene Massenzahlen haben.

Kosmische Strahlung
Eine hochenergetische Teilchenstrahlung aus dem Weltall, die vor allem aus Protonen, Elektronen und vollständig ionisierten Atomen besteht. Die Strahlung stammt von der Sonne, aber auch von Supernovae und Neutronensternen sowie aus extragalaktischen Quellen wie aktiven Galaxien und Quasaren.

Meteoroid, Meteor, Meteorit
Die Begriffe werden häufig verwechselt: Ein Meteoroid ist ein mehr oder weniger großer Brocken, der im Weltraum seine Bahn zieht. Tritt ein solcher Meteoroid in die Erdatmosphäre ein, verursacht er eine Leuchterscheinung, Meteor genannt. Ein besonders heller Meteor heißt auch Feuerkugel oder Bolid. Während die meisten nur staubkorngroßen Krümel verglühen, fallen die größeren Brocken als Meteoriten zu Boden.

Supernova
Das plötzliche helle Aufstrahlen eines Sterns, wobei die Leuchtkraft um das Millionen- bis Milliardenfache zunimmt. Es gibt mehrere Typen von Supernovae, zwei Mechanismen werden grundsätzlich unterschieden: die Explosion eines sehr massereichen Einzelsterns, der am Ende seines Lebens allen Kernbrennstoff verbraucht hat, sowie die durch den Materietransfer zweier Sterne (weiße Zwerge) innerhalb eines Doppelsternsystems ausgelöste Detonation eines der Sterne.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 1/2010, Seite 47-51
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2010