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PLANET/479: Ein Exoplanet kommt ins Schwitzen (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 10/12 - Oktober 2012
Zeitschrift für Astronomie

Kurzbericht
Ein Exoplanet kommt ins Schwitzen

Von Benjamin Knispel



Nach einer energiereichen Eruption seines aktiven Zentralgestirns verlor ein heißer Jupiter offenbar große Gasmengen. Dieses nun erstmals beobachtete Ereignis wiesen Astronomen mit Hilfe der Weltraumobservatorien Hubble und Swift nach.


HD 189733 b, so der Name des untersuchten Exoplaneten, scheint auf den ersten Blick nicht besonders außergewöhnlich, sind doch andere ferne Welten mit ähnlichen Eigenschaften bekannt. Ein internationales Astronomenteam entdeckte nun durch neue Transitbeobachtungen des Planeten vor dessen Mutterstern unerwartete Eigenschaften. Ein Ausbruch des Zentralsterns vergleichbar einem Flare auf der Sonne verdampfte offenbar Teile der Gashülle von HD 189733 b (siehe Bild in der Druckausgabe). So verlor der Planet rund 1000 Tonnen Wasserstoff pro Sekunde, die mit großer Geschwindigkeit ins All abströmten. Die Beobachtungen helfen den Wissenschaftlern, die Atmosphären von Exoplaneten, insbesondere um aktive Sterne, besser zu verstehen.

Der untersuchte Exoplanet gehört zur Klasse der so genannten heißen Jupiter. Diese umfasst Himmelskörper vom ungefähren Durchmesser des größten Planeten unseres Sonnensystems, die ihren Stern in sehr geringer Distanz umlaufen. Dabei heizt das Sternlicht die Riesenplaneten kräftig auf. HD 189733 b ist rund 15 Prozent größer und massereicher als Jupiter und umläuft sein Zentralgestirn in nur 2,2 Tagen auf einer Kreisbahn mit einem Radius von gerade mal 0,0313 Astronomischen Einheiten (rund zwölf Mondbahnradien). Sein Zentralstern, HD 189733, mit rund 80 Prozent der Sonnenmasse und einem Viertel der Sonnenleuchtkraft befindet sich einer Entfernung von rund 63 Lichtjahren zur Erde im Sternbild Füchschen. Diese geringe Entfernung macht den Exoplaneten zu einem idealen Ziel für detaillierte Untersuchungen und erlaubt den Astronomen, seine Atmosphäre genauer als bei anderen Sterntrabanten zu erforschen.


HD 189733 b hat eine Thermosphäre

So bestimmten sie schon Anfang 2012 die Eigenschaften der Gashülle mit Hilfe von spektroskopischen Beobachtungen des Weltraumteleskops Hubble. Rund 1000 Grad Celsius beträgt die Temperatur nahe der Wolkenobergrenze des Planeten, in größerer Höhe steigt sie sogar auf rund 2500 Grad Celsius an. Dies werteten die Forscher als ein Zeichen dafür, dass HD 189733 b wie unser Heimatplanet eine so genannte Thermosphäre hat. Dieser hohe Atmosphärenteil weist eine äußerst geringe Dichte auf, so dass die Gasteilchen seltener zusammenstoßen und hohe Geschwindigkeiten erreichen. So wird die Atmosphäre am Übergang in die Kälte des Weltraums rechnerisch mit zunehmender Höhe heißer.

Nun entdeckte ein internationales Astronomenteam um Alain Lecavelier des Etangs vom Institut d'Astrophysique de Paris, dass die Aktivität des Muttersterns die Atmosphäre von HD 189733 b innerhalb kurzer Zeit drastisch verändern kann. Die Wissenschaftler nutzten dabei aus, dass der heiße Jupiter periodisch vor seinem Zentralgestirn vorbeizieht. Dabei absorbiert die Planetenkugel einen Teil des Sternlichts vollständig, während ein anderer Teil die Gashülle des Planeten durchdringt. Das vom Stern beobachtete Licht wird so bei jedem Transit nicht nur geringfügig schwächer, sondern enthält auch die Fingerabdrücke der Gashülle des Himmelskörpers. Fächern die Forscher das Sternlicht in ein Spektrum auf, so finden sie charakteristische Abschwächungen einzelner Farben, aus denen sich die Zusammensetzung und Geschwindigkeit der Planetenatmosphäre ableiten lässt.

Für ihre spektroskopischen Untersuchungen mit dem Weltraumteleskop Hubble betrachteten die Forscher um Lecavelier des Etangs eine im Ultravioletten liegenden Emissionslinie des Wasserstoffs bei einer Wellenlänge von rund 122 Nanometern im Spektrum des Sternlichts. Sie verfolgten Änderungen dieser so genannten Lyman-alpha-Linie während zweier Transits im April 2010 und im September 2011. Dazu verglichen die Astronomen das Spektrum des Sternlichts vor dem Exoplanetentransit mit demjenigen während des Transits. Veränderungen im Spektrum eröffnen den Astronomen dann Einblicke in die Gashülle des Exoplaneten.


Wasserstoffhülle um HD 189733 b

Beim Transit im Jahr 2010 fanden die Wissenschaftler kein Zeichen der Planetenatmosphäre, denn es ließen sich keine Veränderungen im Spektrum der Wasserstofflinie nachweisen. Doch der Transit im September 2011 überraschte die Astronomen. Die spektroskopischen Messungen zeigten einen statistisch signifikanten Abfall der Emission in der Lymanalpha-Linie, ein klares Zeichen für eine zuvor nicht vorhandene Wasserstoffhülle um den Exoplaneten (siehe Kasten unten). Nach den Messungen fliegt der Wasserstoff mit Geschwindigkeiten von bis zu 230 Kilometern pro Sekunde vom heißen Jupiter weg, die deutlich über der Fluchtgeschwindigkeit des Himmelskörpers liegen. Der Exoplanet verlor im September 2011 offenbar Teile seiner Gashülle, doch wie es dazu kam, war zunächst rätselhaft.

Insbesondere die hohen Geschwindigkeiten des Gases erstaunten die Wissenschaftler, denn der Strahlungsdruck des Sternlichts allein konnte sie nicht erklären. So entwickelten die Forscher ein Computermodell der in der Exoplanetenatmosphäre freigesetzten Wasserstoffatome, das deren Wechselwirkung mit dem Licht und dem Teilchenwind des Sterns simulierte. So zeigten die Astronomen, dass neben dem Strahlungsdruck die Wechselwirkung mit den Protonen des Sternwinds die Wasserstoffatome auf die beobachteten Geschwindigkeiten beschleunigte. Zusätzlich lieferte das Modell Vorhersagen für die Verdampfungsrate des heißen Jupiter. Danach verlor der Exoplanet rund 1000 Tonnen Wasserstoff pro Sekunde während der Beobachtung im September 2011.

Dass dabei außerdem die kräftige Aktivität des Zentralsterns eine wichtige Rolle spielt, konnten die Astronomen mit zeitgleichen Beobachtungen mit dem Röntgenteleskop Swift zeigen. Dieses zeichnete acht Stunden vor dem Transit im September 2011 einen energiereichen Ausbruch des Zentralsterns auf (siehe Grafik in der Druckausgabe). Das Röntgen- und Ultraviolettlicht des Ausbruchs war zehntausendfach stärker als bei den stärksten beobachteten Ausbrüchen der Sonne. Sie erhitzten die Atmosphäre des Exoplaneten und blähten sie so weit auf, dass Strahlungsdruck und Sternwind gemeinsam den Wasserstoff ins All bliesen.

Diese Messungen zeigen erstmals, dass sich das Weltraumwetter, also die Auswirkungen stellarer Aktivität auf Planeten, nicht nur in unserem Sonnensystem, sondern auch bei Exoplaneten nachweisen lässt. In Zukunft können solche Beobachtungen helfen, Veränderungen planetaren Ursprungs in den Gashüllen von Exoplaneten von solchen zu unterscheiden, die durch die Aktivität ihres Zentralgestirns hervorgerufen werden.

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Absorption des Sternlichts durch die Wasserstoffhülle um den Planeten

Die Messungen des Weltraumteleskops Hubble zeigen die spektroskopisch aufgelöste Lyman-alpha-Linie des Wasserstoffs bei 121,6 Nanometern im Licht des Sterns HD 189733. Sie offenbart scheinbar zwei getrennte Maxima (M 1 und M 2), da der Linie die Absorption im interstellaren Gas überlagert ist (A). Für beide Transits von HD 189733 b vor seinem Mutterstern verglichen die Astronomen das Linienprofil vor und während des Transits. Im April 2010 (links) ließ sich keine Veränderung nachweisen, im September 2011 (rechts) nahm die Stärke der Linie während des Transits ab (orangefarbener Bereich) und weist vom Exoplaneten verdampfenden Wasserstoff nach.

Die horizontale Achse zeigt die Geschwindigkeit des Wasserstoffgases, wobei positive Werte einer Bewegung vom Beobachter weg entsprechen, negative Werte einer Bewegung auf den Beobachter zu. Die Geschwindigkeiten von bis zu -230 Kilometern pro Sekunde lassen sich nur durch die Wechselwirkung mit dem geladenen Sternwind erklären, der in der Hauptsache aus Protonen besteht.

Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.


Benjamin Knispel promovierte an der Leibniz Universität Hannover und am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Er widmet sich unter anderem der Suche nach Radiopulsaren mit Einstein@Home und der Simulation der galaktischen Neutronensternpopulation als Quelle von Gravitationswellen.


Literaturhinweise

Lecavelier des Etangs, A. et al.: Temporal variations in the evaporating atmosphere of the exoplanet HD 189733b. In: Astronomy & Astrophysics 543, L4 - 8 (2012)

Huitson. C.M. et al.: Temperaturepressure profile of the hot Jupiter HD 189733b from HST sodium observations: detection of upper atmospheric heating. In: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 422, S. 2477 - 2488 (2012)

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w i s - wissenschaft in die schulen

Was ist WIS?
Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer, die ihren naturwissenschaftlichen Unterricht mit aktuellen und praktischen Bezügen anschaulich und abwechslungsreich gestalten wollen - und an Schülerinnen und Schüler, die sich für Vorgänge in der Natur begeistern und ein tieferes Verständnis des Universums gewinnen möchten.

Um diese Brücke von der Wissenschaft in die Schulen zu schlagen, stellt WIS didaktische Materialien als PDF-Dokumente zur Verfügung (kostenloser Download von unserer Internetseite (www.wissenschaft-schulen.de).

WiS in Sterne und Weltraum
Das WiS-Material »Mit »CoRoT« und »Kepler« auf der Suche nach der zweiten Erde« bezieht sich auf die Beiträge »Erdähnliche Planeten allüberall« auf S. 22 und »Ein Exoplanet kommt ins Schwitzen« auf S. 24. Es behandelt die Frage, was wir heute von diesen Objekten wissen und wie man die Parameter dieser Exoplaneten bestimmen kann. Zudem werden die beiden Forschungsmissionen Kepler und Corot besprochen.
(ID-Nummer: 1051348)

»Wie man Exoplaneten entdecken kann« steht im Zusammenhang mit den vorgenannten Beiträgen. Das WiS-Material stellt die indirekten Methoden des Nachweises von Exoplaneten vor und präsentiert dazu kleine Experimente und Modelle. Für ihr Verständnis ist schulisches Wissen ausreichend. Verdeutlicht werden die spektroskopischen, fotometrischen und astrometrischen Verfahren.
(ID-Nummer: 1051519)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 24:
Die künstlerische Darstellung zeigt das Abströmen der Atmosphäre von HD 189733 b als Reaktion auf eine energiereiche Eruption seines Muttersterns. Messungen mit dem Hubble Space Telescope wiesen die flüchtigen Gase nach und Beobachtungen mit dem Satelliten Swift fanden den stellaren Flare.

Sterneruption lässt Atmosphäre abströmen
http://goo.gl/Yug93

Abb. S. 25 oben:
Das Röntgenteleskop Swift wies nur acht Stunden vor dem Transit des Planeten im September 2011 einen starken Ausbruch des Zentralgestirns HD 189733 nach, bei dem die Leuchtkraft des Sterns im Röntgenbereich auf das mehr als 3,6-Fache des Normalwerts anstieg. Der Transitzeitpunkt ist durch den grau schattierten Bereich angezeigt.

Abb. S. 25 Mitte:
Das Bild zeigt eine kombinierte Swift-Aufnahme des Sterns aus zwei Einzelbildern, gewonnen eine Woche nach dem starken Ausbruch. Der aktive Stern tritt als intensive Röntgenquelle hervor.

© 2012 Benjamin Knispel, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 10/12 - Oktober 2012, Seite 24 - 26
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
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Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2012