Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → BIOLOGIE

BERICHT/039: Geobiologe der Uni München erforscht australische Unterwasserwelt (MünchnerUni Magazin)


MünchnerUni Magazin 03/2009
Zeitschrift der Ludwig-Maximilians-Universität München

LMU-Geobiologe erforscht die australische Unterwasserwelt im Rausch der Riffe

Von Anja Burkel


Urzeitliche Schwämme? Kraken? Leuchtfische? Über die Wesen, die vielleicht seit Millionen von Jahren die Tiefen des Queensland-Plateaus im australischen Korallenmeer bevölkern, können Forscher bislang nur mutmaßen. Bald soll sich das ändern. Ein Team von Wissenschaftlern schickt ein ferngesteuertes Gefährt in 1.000 Meter Tiefe, wo es Bilder aufnehmen und Proben sammeln soll. Professor Gert Wörheide hofft auch auf seltene koralline Schwämme.


Ein Schwarm kleiner Fische umschwirrt die Steilwand; oben leuchtet der Himmel, unten geht es dunkel in die Tiefe. Das Foto hat Gert Wörheide Mitte der 90er-Jahre mit einer Unterwasserkamera aufgenommen, als er mit Flossen und Pressluftflasche durch Riffhöhlen des Queensland-Plateaus im australischen Korallenmeer tauchte. Dort, wo das Wasser fast schwarz wird, wo man als Taucher nicht hinkommt, will er hin.

Im Moment sitzt Professor Wörheide noch an seinem Schreibtisch des Departments für Geo- und Umweltwissenschaften an der LMU. Seit vergangenem Jahr hat er den Lehrstuhl für Paläontologie inne, leitet zudem die Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie und ist Sprecher des GeoBio-CenterLMU. Auf der Holzplatte vor ihm thront ein sogenannter "koralliner Schwamm" der Gattung Vaceletia, ähnlich denen, die er damals in den australischen Riffhöhlen fand. "Im Lauf der Jahre hat der Schwamm ein massives und verzweigtes Skelett aus Kalk gebildet", erklärt Wörheide, zu dessen Forschungsschwerpunkten die molekulare Paläobiologie, Biodiversität und Evolution wirbelloser Meerestiere sowie die Biomineralisation gehören. "Durchaus ungewöhnlich für Schwämme, die normalerweise ja eher weich sind. Solche korallinen Schwämme waren schon im Mesozoikum, also im Erdmittelalter vor mehr als 200 Millionen Jahren, Riffbildner und bieten uns nun ein einmaliges Fenster in die Vergangenheit." Nahe Verwandte des verzweigten Vaceletia-Schwammes fand man bislang nur in der Tiefsee des Norfolk Ridge zwischen Neukaledonien und Neuseeland - am Queensland-Plateau nun erstmals auch im Flachwasser.

Der Fund aus den 90er-Jahren inspirierte den Münchener Geobiologen dazu, weiter in die Tiefen des Queensland-Plateaus, seiner Osprey- und Shark-Reefs, hinabzudringen. Das Besondere an dieser Unterwasserregion des Great Barrier Reef, des weltweit größten Korallenriff-Systems: "Das Queensland-Plateau hat sich vor cirka 65 Millionen Jahren vom Australischen Kontinent abgespalten, schon als Australien noch mit der Antarktis verbunden war." Seit etwa 40 Millionen Jahren war das Plateau immer "marin", also unter Wasser - und keinen Schwankungen des Meeresspiegels unterworfen. So konnten sich dort, so vermuten die Forscher, über mehrere Millionen Jahre Unterwasserorganismen halten, sogenannte "Reliktfaunen".

Die Frage, die man sich vor der Tiefseeexpedition am Queensland-Plateau stellt, ist: Welche Lebewesen gibt es in seinen Tiefen überhaupt? Und im Speziellen: Inwieweit hängt die Fauna des Queensland-Plateaus mit der des Great Barrier Reef zusammen? Erkenntnisse über Organismen, die dort unten möglicherweise mehr oder weniger unverändert seit Millionen von Jahren leben, könnten für biotechnologische Anwendungen genutzt werden und zur Klärung von Fragen um die Entwicklung des Lebens auf der Erde beitragen. Sollten weitere neue Schwammarten gefunden werden, werden diese eine Ressource für das internationale "Sponge Barcoding"-Projekt darstellen, mit dem Wörheide und seine Kollegen Schwämme aus den Meeren der Welt systematisch katalogisieren.

Mit einem Tiefwasservideosystem fand man vor einigen Jahren auf 300 Metern Tiefe eine aufregende Fauna. Doch tiefer kamen die Forscher damals nicht - dabei vermuten sie, dass die Region noch manches Geheimnis birgt. Ende dieses Jahres, endlich, werden sie versuchen, auf bis zu 1.000 Meter Tiefe vorzudringen - mit einem DFG-geförderten Projekt im Rahmen des GeoBio-Centers der LMU. Federführende Forscher neben Professor Wörheide sind Dr. Carsten Lüter vom Museum für Naturkunde in Berlin und Professor Joachim Reitner vom Geowissenschaftlichen Zentrum der Universität Göttingen. Vor Ort wird das "DeepDownunder"-Projekt unterstützt vom Queensland Museum und der University of Queensland im australischen Brisbane. Was die Forscher am Queensland-Plateau finden werden? "Riesenkraken? Quastenflosser? Perlboote? Wir wissen es einfach nicht", sagt Professor Gert Wörheide. Aber die Spannung ist groß.

Zunächst war geplant, mit einem bemannten U-Boot hinabzusinken. Logistische und insbesondere finanzielle Gründe, hervorgerufen durch die Weltwirtschaftskrise, verhinderten dies. Stattdessen soll nun ein sogenanntes "Remotely Operated Vehicle" (ROV) die Unterwasserfauna ergründen, betrieben vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, kurz marum, in Bremen. Vom Schiff aus wird das mit einem Greifarm und mehreren Kameras ausgestattete ROV ins Meer hinab gelassen und über ein langes Kabel mit Strom versorgt. Die Aufnahmen der Kameras können die Forscher am Bildschirm ständig mitverfolgen. "Sobald wir etwas Interessantes entdecken, nehmen wir mit dem ferngesteuerten Greifarm Proben", so Wörheide. "Mehrere Stunden kann das ROV so unter Wasser im Einsatz bleiben. Natürlich wäre ich lieber selbst hinuntergetaucht, wie ursprünglich geplant", erklärt der Geobiologe. "Das Erlebnis ist einfach ein anderes, man hat einen besseren und vollständigen Gesamteindruck des Lebensraumes." Aus wissenschaftlicher Sicht, in Bezug auf die Dokumentation und Probennahme, mache es aber keinen großen Unterschied. Für die Expedition haben Wörheide und seine Kollegen die Wochen vor Weihnachten gewählt; dann ist die Zeit der starken "Trade Winds" gerade vorüber, die Wirbelsturmsaison noch in sicherer Ferne und die See relativ ruhig. Schließlich sucht man optimale Wetterbedingungen für ein solch aufwändiges und kostspieliges Unterfangen.

Für Gert Wörheide ist es nicht die erste Unterwasserexpedition: Er war auf Fidji und Vanuatu im Indo-Pazifik, in der Karibik, im Roten Meer, und hat das Great Barrier Reef bereits "rauf und runter" betaucht. "Aber DeepDownunder wird meine bislang umfangreichste und wichtigste Expedition." Rund 20 Tage wird das Team unterwegs sein, mehrere Riffe des Queensland-Plateaus sowie den Außenhang des Great Barrier Reef anfahren und jeweils drei bis vier Tage an einer Stelle bleiben. Fixiert wird das Schiff mal per Anker, mal - in tieferen Gewässern - per Satellitennavigationssystem. Neben den Forschern und ihren Helfern wird unter anderem ein Dokumentarfilmer mit an Bord sein. Auf dem Boot gibt es Schlafplätze für 14 Personen sowie ein Feldlabor samt Binokularen, Analysechemikalien und Gefrierschränken.

Was Wörheide antreibt, die Unterwasserwelt zu erforschen? Unter anderem sei das die Faszination für marine Organismen und den "noch weitestgehend unbekannten Lebensraum Meer", der die Erde im Laufe Ihrer Geschichte geprägt habe. Nun könnten die Ergebnisse des DeepDownunder-Projekts die Zukunft der dortigen Unterwasserwelt mitbestimmen. Denn in nächster Zeit wird sich entscheiden, ob dort zum Beispiel ein Naturpark entstehen soll - oder etwa nach Gas gebohrt wird.

Ende November startet die Expedition. Sobald die Kameras des ROV erste Bilder liefern, werden diese auf der Internetseite www.deepdownunder. de zu sehen sein. Bislang schwimmen dort - als Platzhalter - fantastisch geformte Urzeitfische und schummrig leuchtende Unterwasserwesen.


*


Quelle:
MünchnerUni Magazin 03/2009, Seite 18-19
Herausgeber: Präsidium der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München
Redaktion: Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München
Tel.: 089/21 80-34 23, Fax: 089/33 82 97
E-Mail: mum@lmu.de
Internet: www.lmu.de/presse/mum


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2009