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BIOCHEMIE/151: Rätsel um kuriose Planctomyceten gelöst (idw)


Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH - 12.05.2015

Rätsel um kuriose Planctomyceten gelöst

Lehrmeinung über fehlende Zellwand bei ungewöhnlichen Bakterien widerlegt


Planctomyceten sind weltweit vorkommende, sehr außergewöhnliche und bisher wenig erforschte Bakterien. Seit den frühen neunziger Jahren gehen Forscher davon aus, dass Planctomyceten keine typische Bakterienzellwand aus Peptidoglycan besitzen. Wissenschaftler am Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH in Braunschweig konnten nun mit modernsten Methoden nachweisen, dass Planctomyceten, anders als erwartet, doch eine Zellwand aus Peptidoglycan besitzen. Die Forschungsarbeiten wurden in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck Institut für Biochemie (Martinsried), der Eberhard Karls Universität Tübingen und dem Helmholtz Institut für Infektionsforschung durchgeführt. Die Ergebnisse wurden heute im renommierten Online-Journal Nature Communications veröffentlicht.


Planctomyceten geben der Wissenschaft viele Rätsel auf und wurden bei ihrer Entdeckung im Jahre 1924 sogar für Pilze gehalten. Erst in den 1970er Jahren wurden sie als Bakterien erkannt. Schnell wurde aber klar, dass sie sich von allen anderen Bakterien unterscheiden. "Planctomyceten nehmen eine Sonderstellung im Reich der Bakterien ein und sind in mehrfacher Hinsicht einzigartig", informiert Dr. Christian Jogler, Leiter der Nachwuchsforschergruppe "Mikrobielle Zellbiologie und Genetik" an der DSMZ. "Diese Bakterien kombinieren Eigenschaften verschiedener Organismen in sehr ungewöhnlicher Weise. Sie vermehren sich durch Knospung wie Hefen und und eine außergewöhnliche Zellkompartimentierung durch Membranen, wie hochentwickelte tierische oder pflanzliche Zellen, wurde beschrieben. Zudem ging man bisher von einer fehlenden Zellwand aus, was Hypothesen stützte, die die Planctomyceten als potentielle Vorfahren komplexer eukaryotischer Zellen diskutierten."

Olga Jeske, Doktorandin an der DSMZ im Team von Dr. Christian Jogler ist nun eine sehr überraschende Entdeckung gelungen. Sie konnte nachweisen, dass Planctomyceten doch eine Zellwand aus Peptidoglycan besitzen und damit gram-negativen Bakterien sehr ähnlich sind. In enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Max-Planck Institutes für Biochemie (Martinsried), der Eberhard Karls Universität Tübingen und des Helmholtz Institut für Infektionsforschung kamen dabei modernste Methoden wie hochauflösende Mikroskopie, Massenspektroskopie und biochemische Nachweisverfahren zum Einsatz.

"Die Entdeckung einer Zellwand aus Peptidoglycan stürzt die in den Lehrbüchern noch vorherrschende Lehrmeinung, dass sich Planctomyceten substanziell von anderen Bakterien unterscheiden", ordnet Dr. Christian Jogler die wissenschaftliche Entdeckung ein. "Man findet solch eine Zellwand normalerweise bei allen frei lebenden Bakterien als Schutz vor Umwelteinflüssen."

Die Ergebnisse der deutschen Forscher werden von einer parallel erscheinenden unabhängigen Studie um Prof. Dr. Laura van Niftrik und Dr. Boran Kartal der Radboud-Universität Nijmegen zusätzlich bestätigt. Die niederländischen Wissenschaftler haben mit unterschiedlichen Methoden an anderen planctomycetalen Modellorganismen die gleichen Ergebnisse erzielt. "Noch müssen weitere Untersuchungen abgewartet werden, aber die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Planctomyceten wahrscheinlich nicht als Vorfahren komplexer eukaryotischer Zellen in Frage kommen", sagt Dr. Christian Jogler.

"Wir sind sehr stolz, dass diese wichtigen wissenschaftlichen Ergebnisse an der DSMZ in einer unserer Nachwuchsforschergruppen erzielt wurden ", betont Prof. Dr. Jörg Overmann, Direktor der DSMZ. "Wir werden auch weiterhin Forschung mit neuester Spitzentechnologie fördern. Planctomyceten sind bedeutsam für die globalen Stickstoff- und Kohlenstoff-Zyklen. Zudem produzieren sie eine Reihe von Naturstoffen, die das Potential für neue Medikamente haben könnten."


Originalpublikation:
Jeske, O. et al.
Planctomycetes do possess a peptidoglycan cell wall.
Nat. Commun. 6:7116 doi: 10.1038/ncomms8116 (2015).
Online available:
http://www.nature.com/ncomms/2015/150512/ncomms8116/full/ncomms8116.html

Parallelstudie:

van Teeseling, M. C. F. et al.
Anammox Planctomycetes have a peptidoglycan cell wall.
Nat. Commun. 6:6878
doi: 10.1038/ncomms7878 (2015).

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Über das Leibniz-Institut DSMZ

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Weitere Informationen finden Sie unter:
https://www.dsmz.de/de/start/details/entry/plantomycetes-puzzle.html
- Pressemitteilung

http://www.dsmz.de
- DSMZ-Website

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution969

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und
Zellkulturen GmbH, Susanne Thiele, 12.05.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2015

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