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FORSCHUNG/779: Der eigenartige Fressmechanismus der ersten Wirbeltiere (idw)


Universität Zürich - 19.05.2011

Der eigenartige Fressmechanismus der ersten Wirbeltiere


Ein Art Fangzähne auf doppelten Oberlippen, stachlige Zähne auf der Zunge und eine Art Umlenkrolle, um die Zunge vorwärts und rückwärts zu bewegen - das wunderliche Gebiss gehört einem Conodonten und wurde dank einem neuen Fossilienfund von einem schweizerisch-französischen Forschungsteam unter der Leitung von Paläontologen der Universität Zürich analysiert und rekonstruiert. Die Analyse gibt Aufschluss über die evolutionsgeschichtliche Entstehung von Kiefern. Die Rekonstruktion zeigt anhand eines animierten 3-D-Modells erstmals, wie die ältesten Wirbeltiere frassen.

Aus Knochen gebildete Kiefer sind im Tierreich weit verbreitet. Doch wie sich Kiefer im Lauf der Evolution entwickelt haben, ist bis heute ein Rätsel. Unter der Leitung des Paläontologen Nicolas Goudemand machten sich Forscher der Universität Zürich und der European Synchrotron Radiation Facility daran, dieses Rätsel zu lösen. Hinweise auf die Entwicklung des Kiefers können an rezenten und vorzeitlichen kieferlosen Tieren gewonnen werden. Untersucht haben die Forscher Fossilien von Conodonten. Bei diesen handelt es sich um ausgestorbene aalartige Tiere, deren genaues verwandtschaftliches Verhältnis zu den eigentlichen Wirbeltieren nicht geklärt ist. Für ihre vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte und eben im amerikanischen Wissenschaftsmagazin PNAS veröffentlichte Arbeit analysierten die Wissenschaftler neue Conodonten-Fossilien, die aus der Zeit des grössten Massensterbens am Übergang von Perm zur Trias stammen.


Multitasking dank Zähnen auf Oberlippen und Zunge

Bei einigen dieser neuen, aus China stammenden Fossilien stellten die Forscher mehrere zahnartige miteinander verschmolzene Gebilde fest, die eine ungewöhnliche Position im Maul einnehmen. Aufgrund dieser Feststellung und basierend auf der Neubewertung von anderen ungewöhnlich ausgebildeten Conodonten-Fressapparaten entwickelten die Wissenschaftler ein animiertes 3D-Modell, das zeigt, wie Conodonten frassen: Die meisten Conodonten mussten zwei Oberlippen haben. Auf jeder Oberlippe befand sich ein langes, fangzahnartiges Gebilde. Sodann verfügten die Conodonten über eine Art Zunge, auf der sich ein komplexer Satz stachliger oder kammähnlicher «Zähne» befand. Die «Zunge» wiederum lag auf einem umlenkrollenartigen Knorpel und konnte dank zwei entgegengesetzt wirkenden Muskeln vorwärts und rückwärts bewegt werden. «Zunge» und Lippen benutzten die Conodonten, um Futter zu ergreifen. Zwei Paar relativ robuster, manchmal stockzahnartige «Rachenzähne» zermahlten und zerschnitten anschliessend die Nahrung.


Ähnlichkeit mit Neunaugen

Der eigenartige Ernährungsmechanismus der Conodonten ist demjenigen der heute noch lebenden Neunaugen ziemlich ähnlich. Neunaugen gelten als die mutmasslich nächsten Verwandten der ausgestorbenen Conodonten. Die neuen Erkenntnisse bestätigen, dass Conodonten entwicklungsgeschichtlich als primitive Wirbeltiere einzustufen sind. Aufgrund des vergleichbaren Ernährungsmechanismus und anderer Ähnlichkeiten müssen Neunaugen und Conodonten zudem einen gemeinsamen Vorfahren haben. Dieser gehört evolutionsgeschichtlich mit zu den ersten Wirbeltieren. Auch der gemeinsame Vorfahre sollte eine auf einem umlenkrollenartigen Knorpel gelagerte Zunge gehabt und somit auf die gleiche Art wie die ausgestorbenen Conodonten gefressen haben.


Literatur:
Nicolas Goudemand, Michael J. Orchard, Séverine Urdy, Hugo Bucher, Paul Tafforeau:
Synchrotron-aided reconstruction of the conodont feeding apparatus and implications for the mouth of the first vertebrates
PNAS early edition, doi 10.1073/pnas.1101754108

Weitere Informationen unter:
http://www.mediadesk.uzh.ch/articles/2011/eigenartiger-fressmechanismus.html
- Medienmitteilung in deutsch, französisch und englisch mit Video und Bild auf der Mediadesk der Universität Zürich

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution94


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Zürich, Beat Müller, 19.05.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2011